„Wenn ich hier warte und der Zug dann tatsächlich rechtzeitig einfährt, dann denke ich mir immer: Das gibt es auch nur in der Schweiz!“ Mit diesen Worten begrüsst mich Rolf Zibung lächelnd am Bahnhof Sursee. Lässig führt er mich zu seinem schwarzen Porsche und beginnt sofort, von seinen Geschäften zu erzählen, von KollegInnen aus dem Business-Yoga-Retreat auf Ko Samui.
Er kenne hier jemanden, der ein Café führe. Ob es für mich in Ordnung sei, dorthin zu fahren. „Klar“, antworte ich, bemüht darum, dem Gespräch zu folgen und mir Notizen zu machen. Er parkiert direkt vor dem Café und stellt die Uhr auf eine halbe Stunde.
Rolf Zibung ist Diamantenhändler. Schon lange. Bis vor drei Jahren bei Bucherer, dem grössten Juwelier in der Schweiz. 2016 hat er sich selbstständig gemacht. Wenn man seine Homepage besucht, könnte man den Eindruck gewinnen, dass das Unternehmen vier MitarbeiterInnen an zwei Standorten zählt. Tatsächlich ist es ein Ein-Mann-Betrieb. In der Welt der Edelsteine zählt eben die Äusserlichkeit, der Eindruck. So auch bei der Zibung Diamond Investment GmbH. Das Büro liegt nicht etwa an der Zürcher Bahnhofstrasse, sondern im luzernischen Rain. In Zürich und Düsseldorf betreibt er sogenannte Satellitenbüros – also Büros an einer guten Lage, in denen er Beratungen durchführt, die er aber mit anderen MieterInnen teilt.
Rolf Zibung ist in einem sogenannten Risikobereich tätig. Darunter fallen neben dem Edelstein- auch der Gold- und der Rohstoffhandel. Bei Annahme der Konzernverantwortungsinitiative wird das Parlament für kleinere und mittlere Unternehmen, welche in diesen Wirtschaftssektoren tätig sind, Verordnungen erlassen. Konkret werden die KMUs dazu verpflichtet, ihre Lieferketten lückenfrei auszuweisen. Und sie werden für allfällige Verletzungen der Sorgfaltspflicht haftbar gemacht.
Der Kimberley-Prozess – einst revolutionär, heute umstritten
Der Diamantenhandel gilt bis heute als blutiges Geschäft. Besonders der Film Blood Diamonds mit Leonardo DiCaprio von 2006 prägte dieses Bild der Öffentlichkeit. Sogenannte Blutdiamanten wurden und werden in Konfliktgebieten geschürft und von Rebellengruppen dazu verwendet, Konflikte zu finanzieren und so zu verlängern.
VertreterInnen der Konzernverantwortungsinitiative sprechen in diesem Zusammenhang oft von einem Versagen der Selbstregulierung in der Rohstoffbranche. Es gab schon Bestrebungen, den Diamantenhandel transparenter zu gestalten, etwa der 2003 von der Diamantenindustrie verabschiedete Kimberley-Prozess. Nachdem Bemühungen der UNO gegen den Blutdiamantenhandel in Angola gescheitert waren, trafen sich im Mai 2000 mehrere Diamanten schürfende Staaten im südafrikanischen Kimberley. In der Folge entstand ein kompliziertes Zertifizierungssystem: der Kimberley-Prozess. Alle Steine, die gehandelt werden, müssen mit einem staatlichen Herkunftszertifikat ausgestattet sein. Und obwohl der Prozess weder Verbesserungen der ArbeiterInnenrechte, Umweltstandards in den Minen noch griffige Kontrollmechanismen brachte, wurde das Abkommen zwischen – Stand heute – 81 Ländern von der Industrie und NGOs gleichermassen als zukunftsweisender Schritt gefeiert.
Allerdings verlor der Kimberley-Prozess mit der Zeit immer mehr von seinem Glanz. Als Erstes verliess die NGO Global Witness 2011 das Zertifizierungssystem als Beobachterin, andere Nichtregierungsorganisationen folgten. Grund dafür war die gewaltsame Übernahme der Marange-Minenfelder durch die simbabwische Armee. Trotz der offensichtlichen Verstrickung von Langzeit-Diktator Robert Mugabe und dessen Umfeld wurden Konzessionen zum Abbau verteilt – der Kimberley-Prozess war grandios gescheitert.
Die simbabwischen Steine waren auf dem Markt und wurden auch in Europa zum Verkauf angeboten. Rolf Zibung erinnert sich: „Obwohl ich Robert Mugabe nicht persönlich kannte, habe ich mir als Chefeinkäufer bei Bucherer gesagt, dass ich keine Steine aus Simbabwe kaufen werde.“ Als er seine Lieferanten auf den auffällig günstigen Preis ansprach, gerieten diese in Erklärungsnot. „Für mich war dann schnell klar, dass die Steine aus Simbabwe stammten. Und so verzichtete ich.“
Probleme mit dem Kimberley-Prozess bestehen bis heute: 2016 berichtete die NGO Partnership Africa Canada (PAC), dass Diamanten von der Zentralafrikanischen Republik nach Kamerun geschmuggelt wurden. Dort wurden sie mit Kimberley-Zertifikaten versehen und als konfliktfrei verkauft. Sie halfen auf diese Weise, den Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik weiter zu finanzieren.
Herkunft von Diamanten ist nicht bestimmbar
Diese Episode illustriert ein grundlegendes Problem der Diamantenindustrie: „Bis heute haben Gemmologen [Edelsteinkundler, Anm. d. Red.] keinen Weg gefunden, die Herkunft von Steinen festzustellen“, sagt Zibung, selber ausgebildeter Gemmologe. „Wenn Rohdiamanten in einer Ladung zusammenkommen, dann kann man mit keiner Methode feststellen, aus welchem Land oder aus welcher Mine die einzelnen Steine kommen.“ Auch wenn für alle Steine das Kimberley-Zertifikat angegeben sei, sei es ein Leichtes, Steine zu schmuggeln. „Wenn Sie die Lieferkette Schritt für Schritt nachvollziehen wollen, dann müssen Sie neben dem Stein herlaufen“, meint Rolf Zibung und nimmt einen Schluck von seinem Espresso. Und Edelsteine reisen auf ihrem Weg nicht selten um die ganze Welt.
In seiner Broschüre steht aber, dass er — dank dem Kimberley-Prozess — schriftlich garantieren könne, dass er ausschliesslich legal geförderte Diamanten anbiete und verkaufe. Wie ist das möglich? „Ich muss meinen grossen Lieferanten vertrauen, wenn sie sagen, dass die Steine aus einer verlässlichen Quelle stammen”, meint Zibung. „Diese produzieren nicht nur selber, sondern kaufen auch Steine von kleineren Händlern ein.” Eigentlich mache er nicht gerne solche Aussagen wie in der Broschüre, aber in der Diamantenindustrie sei die Rede von 100% konfliktfreien Diamanten eine weitverbreitete Marketingstrategie. „Der Anteil von Konfliktdiamanten ist sehr klein. Wir können nicht allen nachrennen.” Aber auch er könne nicht zu 100% garantieren, dass seine Steine keine Konfliktdiamanten sind.
In der Industrie werden seit längerem Methoden für die transparente Nachverfolgung diskutiert und getestet – unter anderem eine Blockchain oder eine Kennzeichnung durch Nanopartikel. Doch im grossen Stil können bis jetzt nur kanadische Minen eine vollständige Nachverfolgung ihrer Edelsteine garantieren. Alle Steine werden dort mit einer Seriennummer versehen, welche eine transparente Lieferkette garantiert.
Wer darf Richter sein?
Rolf Zibung verwendet gerne Sprachbilder. Spricht er über Edelsteine, dann nennt er sie je nach Qualität entweder Ricardo Rodriguez oder Neymar. Brasilianische Favelas werden zum Wilden Westen, die Villenviertel zum goldenen Käfig. Wenn es um die Konzernverantwortungsinitative geht, klingt das so: „Grundsätzlich finde ich die Idee gut“, sagt der gelernte Kaufmann, „nur sind alle menschlichen Gesetze sinnlos. Im Gegensatz zu Naturgesetzen wirkt menschliches Recht immer nur dann, wenn jemand – zum Beispiel die Polizei – es durchsetzt.“ Wirkliche Veränderung könne nur erreicht werden, wenn jedeR UnternehmerIn auf das eigene Gewissen hört. „Ein weiteres Gesetz hilft da gar nichts.“ Ausserdem sei das Leben von KleinunternehmerInnen in der Schweiz schon genug schwer mit all den bürokratischen Hürden.
Für Zibung ist es eine Frage nach moralischer Legitimität, nach Eigenverantwortung. „Bevor wir nicht alle vor unserer eigenen Türe aufgeräumt haben, müssen wir nicht auf andere schauen“, sagt der Diamantenhändler und zitiert den indischen Philosophen Jiddu Krishnamurti: „Beobachten ohne zu bewerten, das ist die höchste Form der menschlichen Intelligenz.“
Mit seiner Lebenspartnerin führt Zibung ein Business-Yoga-Zentrum, in welchem Einzelpersonen oder Firmen Workshops oder Retreats buchen können. Er ist fasziniert von den buddhistischen Lehren und möchte diese auf sein Unternehmen anwenden. Inspiriert hat ihn das Buch The Diamond Cutter von Geshe Michael Roach, das ein Modell eines buddhistischen Lebensentwurfs für UnternehmerInnen entwirft. Auf seiner Homepage listet Rolf Zibung die wichtigsten Grundzüge dieser Geschäftsphilosophie auf. Der oberste Punkt: „Wir versuchen, das Wohlergehen und den Wohlstand anderer zu fördern.“
Warum also trotzdem Diamanten aus Botswana oder Südafrika kaufen, wenn man nicht vollständig ausschliessen kann, dass mit diesen Diamanten Menschen zu Schaden kommen? Warum gegen eine Initiative sein, die faire Bedingungen in der ganzen Lieferkette durchsetzen möchte, die sich an UN-Richtlinien orientiert? Zibung unterbricht: „Ja, aber die UNO-Charta besagt auch, dass man nicht grundlos andere Länder angreifen darf – und was haben die USA in Libyen oder in Jugoslawien gemacht?“ Man müsse sich doch fragen, wer denn diese Richter seien, die bestimmen, was zulässig ist und was nicht? Wer denn genau das Recht habe zu bestimmen, was menschenwürdig ist und was nicht? „Wenn wir dann nicht mehr bei diesen Ländern Diamanten einkaufen, bin ich gespannt, was die Minenarbeiter davon halten werden.“ Er sei noch nie in einer Mine gewesen, aber wo immer es Licht gebe, da falle auch Schatten.
„Nachhaltige Veränderung rührt von innen her!“
Rolf Zibung nimmt sich viel Zeit für das Gespräch. Er habe nicht so viel zu tun, seit er 2016 sein eigenes Unternehmen gegründet hat. Immer wieder schweift sein Blick weg zu seinem Porsche – eine halbe Stunde ist schon lange vorbei, und wir sitzen immer noch im Café. Er ist aufmerksam, engagiert und verfolgt das Gespräch mit einem wachen Geist, der ihn manchmal zur Kapitalismuskritik, manchmal zu buddhistischen Versen oder Fussballmetaphern führt.
Wer behauptet, die Konzernverantwortungsinitiative sei eine Mogelpackung, übertreibt fraglos. Doch die Initiative trifft tatsächlich nicht nur multinationale Grosskonzerne aus Zug oder Vevey, sondern auch Ein-Mann-Unternehmen wie die Zibung Diamonds Investment GmbH aus dem luzernischen Rain. Was für die BefürworterInnen selbstverständlich und konsequent ist, dient den GegnerInnen als Hauptargument gegen die Initiative: Laut Economiesuisse droht den KMUs „grenzenlose Bürokratie“ und „steigende Erpressbarkeit“. Rolf Zibung ist einverstanden.
Was die konkreten Folgen für die Diamantenindustrie bei einer Annahme der Konzernverantwortungsinitiative sein werden, ist unklar. Das Parlament hätte dann die Aufgabe, eine Verordnung auszuarbeiten. Es sei nicht die Absicht der InitiantInnen, dass der Diamantenhandel mit Botswana und Südafrika eingestellt werde, heisst es vom Initiativkomitee. Vielmehr sollen sich die Unternehmen im Dialog mit den Ländern für fairere Bedingungen für Mensch und Umwelt einsetzten.
Rolf Zibung glaubt nicht, dass Veränderung von aussen erreicht werden kann. „Das ist alles nur Symptombekämpfung.“ Nachhaltige Veränderung könne nur von innen herrühren. „Was wir als Menschen noch nicht begriffen haben, ist die Tatsache, dass es mir nur gut gehen kann, wenn es allen Menschen gut geht“, sagt der Diamantenhändler zum Schluss. Wenn der Mensch mit sich im Reinen sei, dann brauche es keine Gesetze. Selbstregulierung durch Selbsteinsicht also.
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