Was haben wir nicht alle den Kopf geschüttelt, als wir vom taktischen Manöver des FDP-Ständerates Ruedi Noser erfuhren, die Verhandlung des indirekten Gegenvorschlags zur Konzernverantwortungsinitiative mittels Ordnungsantrag für den Donnerstag der letzten Sessionswoche von der Traktandenlisten zu streichen.
Trotz den 52’498 Protest-Unterschriften aus der Bevölkerung ging die Verzögerungstaktik auf. Es bleibt nicht viel dazu zu sagen: Auch wenn vordergründig Karin Keller-Sutters – absolut lächerlicher – bundesrätlicher Gesetzesentwurf über minimale Berichterstattungspflicht als Grund für die Streichung angebracht wurde, ist Nosers Ordnungsantrag ein taktisches Manöver mit dem Zweck, vor den eidgenössischen Wahlen keine Stellung beziehen zu müssen. So ist dieses Vorgehen wenigstens weder völlig intransparent noch gänzlich überraschend.
Moser statt Noser?
„Wählt Moser anstatt Noser”, hiess es als Reaktion dann doch auf Social Media, nachdem sich die Operation Libero und die Grünliberalen, allen voran GLP-Ständeratskandidatin Tiana Moser, für den Gegenvorschlag ausgesprochen hatten, der in deren Augen vom Ständerat nun endlich hätte abgesegnet werden müssen. Auch das ist vor dem Hintergrund der Wahlen vom 20. Oktober ein taktisches Manöver. Doch wie sieht dieser Gegenvorschlag eigentlich aus?
Laut Initiant*innen der Konzernverantwortungsinitiative würde diese zurückgezogen, wenn der Gegenvorschlag in der Fassung der ständerätlichen Rechtskommissions-Mehrheit vom 3. September 2019 oder derjenigen des Nationalrates vom 14. Juni verabschiedet würde. Aber auch diese beiden Versionen greifen deutlich beschränkt: Die Haftungsmechanismen gelten demnach nur für grosse Unternehmen, während sich die Haftung nicht auf ökonomisch kontrollierte Unternehmen, sondern nur auf juristische Tochterunternehmen sowie auf Verletzungen von Leib, Leben oder Eigentum beschränkt.
Die „absoluten Selbstverständlichkeiten” des Gegenvorschlages
Um die Angst vor einer Flut an missbräuchlichen Klagen zu lindern, plädieren die Unterstützer*innen des indirekten Gegenvorschlags dafür, die Haftung für Konzerne auf „absolute Selbstverständlichkeiten” zu reduzieren, wie CVP-Nationalrat Karl Vogler im „Politikum“ auf Radio SRF vom 13. Juni 2019 erklärte: „Wir schränken auch die Haftung ein, indem die Konzerne nur haften für Schäden an Leib, Leben und Eigentum. Aber beispielsweise Vermögensschäden oder Persönlichkeitsverletzung, das ist alles ausgeschlossen. Also wir reduzieren auf absolute Selbstverständlichkeiten.”
Ja, denn die Einhaltung von Sorgfaltspflichten ist laut den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte eine absolute Selbstverständlichkeit. Auch die Haftung in diesen Bereichen ist nichts Neues, wie etwa die Geschäftsherrenhaftung des Obligationenrechts (Art. 55) schon festhält. Und hier greift der indirekte Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative. Man könnte sich aber auch fragen, ob wir in dieser ganzen Debatte nicht ein ziemlich verschobenes Bild von „absoluten Selbstverständlichkeiten” aufrechterhalten.
Die etwas anderen Selbstverständlichkeiten
Wenn wir uns mit der Rolle und der Verantwortung von multinationalen Konzernen beschäftigen, sind wir unausweichlich mit drängenden Fragen von ungerechten Wertschöpfungsketten und ungleicher Profitverteilung sowie den weitreichenden Konsequenzen dieser Missstände konfrontiert. Im Grunde geht es bei der Konzernverantwortungsinitiative um Menschenrechte – und um diese voll und ganz zu respektieren, muss gewährleistet werden, dass jede Person das Recht auf ein Leben in Würde, auf Nahrung, Wasser, medizinische Versorgung, Bildung und Unterkunft hat.
Doch davon sind wir meilenweit entfernt. Selbst die so umstrittene Konzernverantwortungsinitiative stellt die globalen Märkte und Steuerregimes, welche die bestehenden Ungleichheiten begünstigen, und von welchen die Schweiz durch ihren vorteilhaften Standort für multinationale Konzerne und dem Untergraben von verbindlichen Regulierungen enorm profitiert, nicht einmal in Frage. Es wäre daher nur das Mindeste, dass die Unternehmen in den Ländern, in denen sie tätig sind, keinen Schaden anrichten.
Hochgradig unternehmerfreundliche Initiative
Die Initiative ist selbst ist schon ein Kompromiss, der im Kern eigentlich hochgradig unternehmerfreundlich ist. Denn für die Unternehmen stünde mit deren Annahme weniger die Pflicht zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt im Mittelpunkt, sondern die Pflicht zur Sorgfaltsprüfung. Mit der Beweisumkehr, die festlegt, dass die Haftung bei Vergehen gegen die Menschenrechte und Umwelt vermindert wird oder gar wegfällt, wenn Unternehmen genügend Sorgfalt zu deren Verhinderung bewiesen haben, erhöht die Initiative nicht nur die Rechtssicherheit der Geschädigten, sondern auch die der Unternehmen.
Damit besteht schlussendlich immer noch die Gefahr, dass Menschenrechte verletzt oder die Umwelt geschädigt werden, ohne dass jemand dafür geradestehen muss. Den Unternehmen, welchen es in erster Linie um ihr Reputationsrisiko geht, und weniger um die Risiken ihres Geschäftens für Mensch und Umwelt, sollte der Mechanismus der Sorgfaltsprüfungspflicht und der Beweisumkehr, wie sie die Konzerninitiative vorsieht, eigentlich zugute kommen.
Zusammenfassend lässt sich also sagen: Es ist absurd, dass wir über einen ohnehin milden Vorstoss wie die Konzernverantwortungsinitiative überhaupt noch immer diskutieren müssen. Solche Diskussionen rauben nicht nur die Zeit für die weit wichtigeren Fragen, sondern erhöhen auch die Gefahr, dass wir als Gesellschaft unsere „absoluten Selbstverständlichkeiten“ nicht mehr in Frage stellen.
Unglaublich absurd. Als ich Laura Miti, einer sambischen Menschenrechtsaktivistin, von der hitzigen Debatte über die Konzernverantwortungsinitiative in der Schweiz erzählte, gab sie die Perspektive der Anwohner*innen um die Glencore-Minen in Sambia wieder: „Sie wollen gar nicht wie die Schweizer*innen leben. Sie fordern nur ein menschenwürdiges Leben – sauberes Wasser, nicht einmal fliessendes Wasser. Einfach nur sauberes Wasser in Laufnähe zu ihrem Haus.”
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