Wie die Banken­branche die Finanz­wis­sen­schaften sponsort

Die Schweizer Banken­lobby bezahlt jedes Jahr Hundert­tau­sende Franken an ausge­wählte Finanz­pro­fes­soren – unter anderem an der Univer­sität Zürich, und das seit bald 20 Jahren. Wie war das noch einmal mit der Unab­hän­gig­keit der Forschung? 
Wenn das Forschungsobjekt die Wissenschaftler*innen zahlt. (Bild: Maria Rehli/ Nina Calderon @klubgalopp)

Auch wenn auf der Bühne kein Lager­feuer lodert: Der „Fire­side Chat“ mit UBS-Chef Sergio Ermotti soll unge­zwungen wirken. Das Swiss Finance Insti­tute (SFI), eine private Stif­tung mit Sitz in Zürich, hat den Leiter der Schweizer Mega­bank im November 2023 zu ihrem 18. Jahres­treffen im Lake Side View Hotel in Zürich einge­laden. „Warum sollten Gross­banken höhere Anfor­de­rungen erfüllen müssen als andere Insti­tute?“, fragt Ermotti ins Publikum. Schweizer Banken seien doch gut kapi­ta­li­siert und regu­liert.

Das SFI gehört laut dem Ranking der W.P. Carey School of Busi­ness zu den besten 10 Finanz­for­schungs­zen­tren der Welt.

Das Ziel der Stif­tung: die Schweizer Banken- und Finanz­branche inter­na­tional an der Spitze halten. Dafür fördert sie seit bald 20 Jahren ausge­wählte Finanzprofessor*innen an Univer­si­täten in der ganzen Schweiz. Und dies weit­ge­hend unter dem Radar der Öffentlichkeit.

Dass Banken, Unter­nehmen und Stif­tungen einzelne Forschungs­pro­jekte, Lehr­stühle oder Forschungs­zen­tren an Univer­si­täten finan­zieren, ist nichts Unge­wöhn­li­ches. Doch die Förde­rung des Swiss Finance Insti­tute funk­tio­niert anders. Das Institut bezahlt einzelne Forscher*innen indi­vi­duell – und zwar nur dann, wenn sie die akade­mi­schen Erwar­tungen der Stif­tung erfüllen. Die Krite­rien dafür legt der Stif­tungsrat fest – er besteht mehr­heit­lich aus Bankenvertreter*innen. Die Finanz­lobby vergibt also einen Bonus für die „akade­mi­sche Exzel­lenz“ von Forscher*innen. Und behält es sich vor, die Krite­rien dieser Exzel­lenz zu definieren.

Dies legen Verträge, Sitzungs­pro­to­kolle und interne Richt­li­nien offen, die die Zusam­men­ar­beit zwischen der Univer­sität Zürich und dem SFI regeln und die das Lamm, dem WAV Recher­che­kol­lektiv und der Repu­blik erst­mals vorliegen.

Und die UZH ist kein Einzel­fall: Das SFI arbeitet mit fast allen Schweizer Hoch­schulen zusammen – den Univer­si­täten Genf, Basel, Lugano, St. Gallen und Lausanne, sowie der ETH und der EPFL. Wie kann es sein, dass ein Inter­es­sen­ver­band ausge­wählte Akademiker*innen gross­flä­chig fördert, ohne dass die Univer­si­täten trans­pa­rent darüber Rechen­schaft ablegen? Führt die äusserst unge­wöhn­liche Misch­form von öffent­li­cher und privater Finan­zie­rung, die das SFI prak­ti­ziert, nicht zu Inter­es­sen­kon­flikten? Und wie wird gewähr­lei­stet, dass die Wissen­schaft ihre gesell­schaft­liche Verant­wor­tung wahr­nimmt und zu ange­mes­senen Risi­ko­be­wer­tungen kommt, wenn Forschung und Lehre an den Geld­töpfen des Finanz­platzes hängen?

Indi­vi­du­elle Gehaltserhöhungen

„Wir wollen die Schweiz als attrak­tiven Standort für Topfor­schende durch eine finan­zi­elle Entschä­di­gung fördern“, sagt Markus Bürgi im Stif­tungs­sitz­büro des SFI im Kreis 1 mit Blick auf die Limmat. Bürgi ist Mitglied der Geschäfts­lei­tung des SFI und amtiert in Adliswil als Stadtrat und Schul­prä­si­dent für die FDP. „Die Schweizer Univer­si­täten verfügen nicht über die finan­zi­ellen Mittel, um mit den inter­na­tio­nalen Lohn­stan­dards in den Finanz­wis­sen­schaften mitzuhalten.“

Das SFI ist nicht als Hoch­schul­in­stitut akkre­di­tiert wie etwa die Swiss Busi­ness School in Zürich. Es handelt sich auch nicht um ein An-Institut wie das Institut für Schweizer Wirt­schafts­po­litik (IWP) der Univer­sität Luzern. An-Insti­tute sind zwar durch Univer­si­täten akkre­di­tiert, aber privat finan­ziert und orga­ni­sa­to­risch unab­hängig. Statt­dessen ist das SFI als Think Tank zu verstehen, der aus Professor*innen besteht, die an Schweizer Univer­si­täten im Bereich Finance und Banking ange­stellt sind. Das SFI bezeichnet sich dennoch als „Fakultät“ mit „Fakul­täts­mit­glie­dern“.

Die 25 Profes­soren mit SFI-Lehr­stuhl gehören zu den Auser­wählten, die das SFI mit einem Bonus von 50‘000 Franken pro Jahr fördert.

Das SFI vergibt also keine akade­mi­schen Abschlüsse für die Kurse, die es anbietet – dies tun die Part­ner­uni­ver­si­täten, an denen die Kurse statt­finden. Während die Univer­si­täten die Bachelor- und Master­stu­di­en­gänge selbst orga­ni­sieren und finan­zieren, zeigt sich beim SFI-Dokto­rats­pro­gramm eine unge­wöhn­liche Vermi­schung: Das SFI verwaltet nicht nur die Zulas­sung der Bewerber*innen, sondern orga­ni­siert und finan­ziert auch einige der Kurse. Die Doktor­titel werden dann aber von den Univer­si­täten vergeben.

Von den 75 Professor*innen, die das SFI als „Fakul­täts­mit­glieder“ zählt, besetzen momentan 25 einen SFI-Lehr­stuhl – es sind ausschliess­lich Männer. Sie gehören zu den Auser­wählten, die das SFI mit einem Bonus von 50‘000 Franken pro Jahr fördert – zusätz­lich zu ihrem durch­schnitt­li­chen univer­si­tären Gehalt von rund 210‘000 Franken pro Jahr. „Während das Salär von den Univer­si­täten ausge­richtet wird und auch deren normalen Gehalts­be­stim­mungen unter­liegt, sorgt die SFI-Stif­tung für eine Aufstockung der Ressourcen“, heisst es im Beschluss des Univer­si­täts­rates der UZH aus dem Jahr 2006, der die Zusam­men­ar­beit mit dem SFI geneh­migte. Es handelt sich also um eine Gehaltserhöhung.

Beträcht­liche Zusatzverdienste

Die 50 „SFI-Fakul­täts­mit­glieder“ ohne Lehr­stuhl können sich wie die SFI-Lehr­stühle um einen soge­nannten „Know­ledge Exch­ange Contract“ bewerben und damit auch 50‘000 Franken jähr­lich verdienen. Dafür müssen sie minde­stens einmal pro Jahr zum Beispiel ein zwei­stün­diges Seminar für gela­dene Führungs­kräfte von Finanz­in­sti­tuten oder eine vier­stün­dige „Master­class“ für Banken­fach­leute halten, oder eine „Public Discus­sion Note“, also ein kurzes State­ment zu einer öffent­li­chen Diskus­sion, verfassen.

Jedes Jahr enga­giert das SFI rund 15 Profes­soren mit dem Ziel, so den Austausch zwischen Wissen­schaft und Praxis zu fördern – in den letzten Jahren waren es auch hier ausschliess­lich Männer. Bank­fach­kräfte können beispiels­weise im Renais­sance Tower Hotel in Zürich oder im Hotel Bellevue in Bern gratis die SFI-Master­classes besuchen.

Am Depart­ment of Finance sind im Früh­jahrs­se­me­ster 2024 von den insge­samt 48 Kursen nur sechs nicht von einem SFI-affi­li­ierten Professor oder seinen Dokto­rie­renden unter­richtet worden.

Das SFI vergibt so auch Forschungs­auf­träge: Mit dem Global Finan­cial Regu­la­tion, Trans­pa­rency, and Compli­ance Index haben beispiels­weise Steven Ongena und Chri­stoph Basten von der Univer­sität Zürich zusammen mit Forschenden vom SFI ein Ranking entwickelt, das Länder danach einstuft, inwie­weit sie globale Finanz­stan­dards anwenden. Die Schweiz belegt in diesem jähr­lich aktua­li­sierten Index immer einen der ersten Plätze.

Wenn die SFI-Lehr­stühle zusätz­lich einen „Know­ledge Exch­ange Contract“ verein­baren, wie es bei vier Profes­soren an der UZH der Fall ist, erhalten sie insge­samt sogar 100‘000 Franken pro Jahr. Doch wer bestimmt, wer geför­dert wird? Und welches Wissen vermit­teln die Forschenden ihren Studierenden?

SFI-Expan­sion an der Univer­sität Zürich 

Finan­ziert wird das Swiss Finance Insti­tute gröss­ten­teils durch die Mitglieds­in­sti­tute der Schweizer Bankier­ver­ei­ni­gung (SBVg), dem Dach­ver­band fast aller Schweizer Banken und auslän­di­schen Banken mit Sitz in der Schweiz. Die Banken seien „grund­sätz­lich propor­tional zu ihrer Grösse“ betei­ligt, wie Markus Bürgi sagt. Auch die SIX Group, die Schweizer Börse, trage einen entschei­denden Teil zur Stif­tung bei. Mehr Details zur Finan­zie­rung will Markus Bürgi aus der SFI-Geschäfts­lei­tung nicht bekannt geben.

Bei ihrer Grün­dung im Jahr 2005 verfügte die Stif­tung über ein Kapital von 75 Millionen Franken. Damals hat die SBVg drei bereits bestehende Stif­tungen fusio­niert. Im Jahr 2006 kamen dann die Univer­si­täten als Partner dazu.

Laut dem ersten Vertrags­do­ku­ment verpflich­tete sich die UZH einer­seits dazu, in den kommenden Jahren sechs SFI-Lehr­stühle einzu­richten. Ande­rer­seits willigte sie dazu ein, die sieben bestehenden Lehr­stühle der Finanz­wis­sen­schaften, wenn sie durch Pensio­nie­rung oder Kündi­gung frei werden, mit Personen zu ersetzen, die sich für einen SFI-Lehr­stuhl qualifizieren.

Diese Erwar­tungen hat die UZH erfüllt: Das Depart­ment of Finance ist in den letzten knapp 20 Jahren auf mehr als das Doppelte gewachsen, es verfügt heute über sechs SFI-Lehr­stühle, und 13 der 19 Finanzprofessor*innen sind dem SFI als Mitglieder angeschlossen. 

Was ausserdem aus den Verträgen hervor­geht: Das SFI finan­ziert an der UZH das Grund­ge­halt zweier Lehr­stühle mit jähr­lich je 250‘000 Schweizer Franken.

SFI-Lehr­stuhl: Professor*innen, die die SFI-Krite­rien für „wissen­schaft­liche Exzel­lenz“ erfüllen. Sie erhalten vom SFI 50’000 Franken pro Jahr und können sich um einen „Know­ledge Exch­ange Contract“ bewerben, der ihnen weitere 50’000 Franken pro Jahr einbringt.

SFI-Fakul­täts­mit­glieder: Professor*innen, die beim SFI affi­li­iert sind. Sie können jähr­lich 2’000 Franken „indi­vi­du­elles Forschungs­budget“ beim SFI bean­tragen und sich um einen „Know­ledge Exch­ange Contract“ bewerben und damit 50’000 Franken pro Jahr erhalten.

An der UZH bezahlt das SFI zudem das Grund­ge­halt von zwei SFI-Lehr­stühlen im Umfang mit je 250’000 Franken pro Jahr. Aktuell betrifft dies die Profes­soren Felix Kübler und Zacha­rias Sautner.

Das prägt die Lehre und Forschung nach­haltig: Am Depart­ment of Finance sind im Früh­jahrs­se­me­ster 2024 von den insge­samt 48 Kursen für die Studie­renden nur sechs Kurse nicht von einem SFI-affi­li­ierten Professor oder seinen Dokto­rie­renden unter­richtet worden.

Professor*innen im Bereich Banking und Finance können auf eigenen Wunsch hin den nieder­schwel­ligen Status als „SFI-Fakul­täts­mit­glied“ erlangen – sie müssen dafür nur ein Doku­ment zur Forschungs­in­te­grität und Inter­es­sen­kon­flikten unter­zeichnen. Die Frage drängt sich also auf: Unter welchen Bedin­gungen können Professor*innen einen SFI-Lehr­stuhl und somit die 50‘000 Franken erhalten?

Zeit­schrif­ten­ba­sierte Krite­rien und „good citi­zen­ship with SFI“

Die Auflagen sind viel­fältig, wie ein Muster­ver­trag für einen SFI-Lehr­stuhl zeigt: So müssen SFI-Lehr­stühle dem Insti­tuts­di­rektor jähr­lich über ihre forschungs­re­le­vanten Akti­vi­täten Bericht erstatten und bei Publi­ka­tionen oder Vorträgen ihre Zuge­hö­rig­keit zum SFI an erster oder zweiter Stelle erwähnen. Sie müssen für die SFI Rese­arch Paper Series schreiben und aktiv dazu beitragen, heraus­ra­gende Talente an ihre Univer­sität zu rekru­tieren. Zudem evalu­iert das SFI alle fünf Jahre die „wissen­schaft­liche Exzel­lenz“ ihrer Lehrstuhl-Inhaber*innen und entscheidet, ob sie weiterhin ihren Bonus erhalten.

Gemäss dem Grün­dungs­ver­trag von 2006 sowie späteren Verträgen legt die Krite­rien für eine SFI-würdige Exzel­lenz mass­geb­lich der SFI-Stif­tungsrat fest. Von den 14 Mitglie­dern vertreten vier die Univer­si­täten, die übrigen die Inter­essen der Banken. Darunter sind etwa Stefan Seiler von der UBS, Jochen Dürr von der Six Group oder Stephan Zwahlen von der Verei­ni­gung Schwei­ze­ri­scher Vermö­gens­ver­wal­tungs­banken – Leute aus der Konzern­lei­tung der Finanzinstitutionen.

Beraten wird der Stif­tungsrat von einem wissen­schaft­li­chen Beirat, der sich aus inter­na­tional renom­mierten Finanzwissenschaftler*innen zusam­men­setzt. Dieser orien­tiert sich bei seiner Bewer­tung der Akademiker*innen an soge­nannten Top-Jour­nals der Finanz- und Wirt­schafts­wis­sen­schaften – dazu gehören beispiels­weise das Journal of Finance oder das Journal of Finan­cial Econo­mics. Wer einen SFI-Lehr­stuhl erhalten will, muss minde­stens vier Publi­ka­tionen in den vorge­ge­benen Jour­nals während der letzten sechs Jahre ausweisen.

„Es handelt sich um legale Anreiz­struk­turen, die jedoch zu ideo­lo­gi­schen Leit­planken werden können.“

Wirt­schafts­pro­fessor, anonym

Ein Wirt­schafts­pro­fessor an einer Schweizer Univer­sität, der in diesem Artikel anonym bleiben möchte, sieht diese Bewer­tungs­me­thode kritisch: „Karriere beim SFI zu machen, ist nur möglich, wenn man die klas­si­schen Main­stream-Posi­tionen dieser Fach­zeit­schriften vertritt“. Damit meint er die neo-klas­si­sche Finanz­markt­theorie, in der es Themen wie die UN-Nach­hal­tig­keits­ziele, kriti­sche Finanz­wis­sen­schaft oder plurale Ökono­mien tradi­tio­nell schwer haben. „Es handelt sich um legale Anreiz­struk­turen, die jedoch zu ideo­lo­gi­schen Leit­planken werden können“, kriti­siert der Wirt­schafts­pro­fessor die Praxis des SFI.

Zeit­schrif­ten­ba­sierte Krite­rien – also die Anzahl Publi­ka­tionen, Ansehen der Fach­zeit­schriften und Anzahl Zita­tionen – gelten unter anderem als proble­ma­tisch, da sie das Forschungs­ver­halten negativ beein­flussen können: Forschende setzten eher auf Themen, die die hoch­ran­gigen Zeit­schriften bevor­zugen, meiden inter­dis­zi­pli­näre Ansätze oder wenden stra­te­gi­sches Zitieren an. Univer­si­täten welt­weit geben deshalb Gegen­steuer, etwa mit den DORA-Richt­li­nien, die von zeit­schrif­ten­ba­sierten Krite­rien abraten. 

Die Univer­sität Zürich, der das Depart­ment of Finance ange­hört, orien­tiert sich seit dem Jahr 2014 an diesen Richt­li­nien, im Gegen­satz zum SFI, das sie erst im Mai 2023 in ihre Beru­fungs-Guide­lines aufge­nommen hat.

Ein SFI-internes Doku­ment vom September 2021, das die Krite­rien für einen SFI-Lehr­stuhl fest­hält, prio­ri­siert die zeit­schrif­ten­ba­sierten Indi­ka­toren, berück­sich­tigt aber auch Aspekte wie „inter­na­tio­nales Ansehen“ oder Einla­dungen zu Konfe­renzen. Bewerber*innen zu beur­teilen, sei ein „subjek­tiver und diskre­tio­närer Prozess, der sich nicht auf eine Reihe quan­ti­ta­tiver Krite­rien redu­zieren lässt“, steht im Doku­ment. Zudem heisst es da: Wer sich für einen SFI-Lehr­stuhl bewirbt oder seine Posi­tion erneuert haben will, sollte eine „history of good citi­zen­ship with SFI“ aufweisen. Lässt sich diese etwa auch während Anlässen wie dem „Spar­k­ling Wine-Tasting Event“ oder der „Golf Trophy“ erwerben, die laut Jahres­be­richt regel­mässig stattfinden?

Mit seinen Vorgaben, in welchen Fach­zeit­schriften Professor*innen publi­zieren müssen, gibt das SFI einer­seits bestimmte Forschungs­po­si­tionen vor. Ande­rer­seits zählt ein diffuses Krite­rium wie die „gute Mitglied­schaft“. Doch wozu das alles?

Komplexe Finanz­pro­dukte vor Gemein­wohl, Neutra­lität vor öffent­li­cher Debatte

„Als Banken in den 80er-Jahren begannen, auf struk­tu­rierte Finanz­pro­dukte zu setzen – also auf hoch­kom­plexe Anlagen, mit denen speku­liert wird – verlangte das vermehrt Wissen aus der Mathe­matik und Infor­matik“, sagt Beat Bürgen­meier. Der emeri­tierte Professor amtierte als Dekan der Fakultät für Wirt­schafts- und Sozi­al­wis­sen­schaften an der Univer­sität Genf, wo er das Lobbying der Banken direkt mitbekam.

„So wurde mit der Zeit zum Beispiel Wirt­schafts­ge­schichte immer weniger unter­richtet, weil dies nicht direkt nütz­lich ist für die Banken“, sagt er am Telefon. Dass der enge Fokus auf die Funk­ti­ons­weise von Finanz­pro­dukten für die Gesell­schaft eine Gefahr darstelle, hätten jedoch die Banken­krisen gezeigt. „Die Forschung an der Uni müsste statt­dessen Vorschläge bringen, wie der Finanz­sektor insge­samt besser orga­ni­siert werden könnte“, sagt Bürgenmeier.

Marc Chesney, erst vor kurzem emeri­tierter Professor am Depart­ment of Finance an der UZH hat klare Worte. In le temps proble­ma­ti­sierte er kürz­lich „eine kogni­tive Verein­nah­mung dieser akade­mi­schen Welt, die sich den Ansichten und Inter­essen grosser Finanz­in­sti­tu­tionen anpasst“. Die univer­si­tären Finanzexpert*innen hätten beispiels­weise zum CS-Crash Stel­lung beziehen sollen, findet Chesney.

Eine Suche in der Schweizer Medi­en­da­ten­bank hat ergeben, dass sich von den SFI-Lehr­stühlen in den letzten zwei Jahren tatsäch­lich kaum jemand zur CS-Über­nahme durch die UBS geäus­sert hat. 

Steven Ongena, der beim SFI einen Lehr­stuhl innehat, kann sich das erklären: „Forschung hört an einem bestimmten Punkt auf und wird dann von poli­ti­schen Entschei­dungs­trä­gern über­nommen“, sagt er in seinem mit Pflanzen bestückten Büro am Depart­ment of Finance an der UZH. „Warum sollte ich Ihnen meine Meinung über die UBS und CS sagen?“ fragt er und sagt, dass Grund­la­gen­for­schung das eine sei, die Meinungs­bil­dung über ein bestimmtes Ereignis etwas anderes.

Ongena gehört zu den drei von 24 kontak­tierten SFI-Lehr­stuhl-Inha­bern, die sich bereit erklärten, ein paar Fragen zur CS/ UBS zu beant­worten: Weshalb die Schweiz erneut mit Staats­ga­ran­tien eine Bank retten musste oder welche Risiken die neue UBS birgt. Ongena hat unter anderem dazu geforscht, wie sich höhere Eigen­ka­pi­tal­an­for­de­rungen auf Banken auswirken. Dazu publi­ziert er bald einen Bericht für das SFI, worin er den Stand der Forschung aufzeigt, aber ohne sich auf eine spezi­fi­sche Bank zu beziehen. „Ob Banken mehr Eigen­ka­pital haben sollen oder nicht, hängt davon ab, was die Politik und die Bevöl­ke­rung in Bezug auf Risiko und Ertrag anstreben“, sagt er.

Und ob die neue UBS nicht zu gross sei für die Schweiz? Der inter­na­tional renom­mierte Finanz­pro­fessor verweist auf die hohen Stan­dards der Neutra­lität, die für Forschende gelten: „Um ehrlich zu sein, da es sich auch um eine sehr kompli­zierte Ange­le­gen­heit handelt, denke ich, dass es in dieser ganzen Diskus­sion sogar etwas kontra­pro­duktiv sein könnte, einen festen öffent­li­chen Stand­punkt dazu einzunehmen.“

„Die meisten Finanz­pro­fes­soren, die sich über das SFI in den Dienst der Finanz­branche stellen, sind ihrer Pflicht, die Öffent­lich­keit zu infor­mieren, nicht nachgekommen.“

Prof. em. Beat Bürgen­meier, Univer­sität Genf

13 der Profes­soren, die vom SFI 50’000 Franken oder mehr pro Jahr erhalten, haben gar nicht auf die Anfrage zur UBS/CS reagiert, und acht erklärten, dass dieses Thema nicht ihre Exper­tise sei – obwohl das SFI bei manchen von ihnen „System­ri­siken und Regu­lie­rung“ als Fach­wissen angibt.

Es ist nach­voll­ziehbar, wenn Professor*innen nicht öffent­lich zu Fragen Stel­lung nehmen wollen, die sie als ausser­halb ihrer Exper­tise betrachten. Doch es ist bemer­kens­wert, dass sich von den 24 führenden Finanz­pro­fes­soren der Schweiz kaum jemand zu einem Thema posi­tio­niert, das von absolut stra­te­gi­scher Bedeu­tung für das Land, die Politik und die Bevöl­ke­rung ist. Nimmt diese Art von univer­si­tärer Forschung ihren gesell­schaft­li­chen Auftrag wahr?

„Die meisten Finanz­pro­fes­soren, die sich über das SFI in den Dienst der Finanz­branche stellen, sind ihrer Pflicht, die Öffent­lich­keit zu infor­mieren, nicht nach­ge­kommen“, sagt Professor Beat Bürgen­meier von der Univer­sität Genf. „Dazu zu schweigen oder nicht öffent­lich Kritik zu äussern, wie der Finanz­sektor funk­tio­niert, ist aus meiner Sicht ein Symptom davon, dass Abhän­gig­keiten bestehen.“

An der Uni vorbeimanövriert

Im Minimum sollten solche Abhän­gig­keiten trans­pa­rent gemacht werden, indem die Univer­si­täten ihre Geld­quellen dekla­rieren. Wer auf der Website der Univer­sität Zürich nach Hinweisen auf Finan­zie­rungen des SFI sucht, wird jedoch nur teil­weise fündig.

Die Trans­pa­renz­liste der Dritt­mittel führt auf, dass das SFI dem Geschäfts­führer des Depart­ment of Finance, Eckart Jäger, 4 Millionen Franken für die Jahre 2021 bis 2028 zuge­spro­chen hat. Das entspricht den Lohn­ko­sten der zwei Lehr­stühle, die das SFI mit jähr­lich je 250‘000 Franken an der UZH finan­ziert. An welche Lehr­stühle dieses Geld fliesst, verrät die Liste aber nicht.

Unter dem Regi­ster der Inter­es­sen­bin­dungen von Professor*innen wird Chri­stian Schwar­zen­egger in Verbin­dung mit dem SFI aufge­führt: Er vertritt die UZH als Prorektor im Stif­tungsrat des SFI.

Aber weder die Dritt­mit­telliste noch die Liste der Inter­es­sen­bin­dungen führt die Boni und Zusatz­ver­dienste der SFI-Profes­soren auf. Wer diese Entschä­di­gungen erhält, ist auch der Liste der Stif­tungs­pro­fes­suren der Univer­sität Zürich nicht zu entnehmen – obschon das Grund­ge­halt von zwei Lehr­stühlen ja voll­ständig vom SFI finan­ziert wird. Die Gelder für die Zusatz­ver­dienste, so teilt die Pres­se­stelle der UZH mit, liessen sich keiner der Trans­pa­renz-Kate­go­rien zuteilen, da es sich um eine Auszeich­nung für wissen­schaft­liche Exzel­lenz handle. Statt­dessen werden die Bezah­lungen admi­ni­strativ als Neben­be­schäf­ti­gungen betrachtet. 

Das heisst: Das SFI schliesst mit den Professor*innen Arbeits­ver­träge ab und zahlt sie direkt. Als vermut­lich nicht unwill­kom­mener Neben­ef­fekt unter­liegen diese Verein­ba­rungen deshalb dem Privat­recht und konnten für diese Recherche nicht einge­sehen werden. Professor*innen müssen ihre Neben­be­schäf­ti­gungen zwar melden, aber die UZH listet diese nicht öffent­lich auf.

Indem sie die Gehalts­er­hö­hungen als Neben­be­schäf­ti­gungen an der Anstel­lung als Univer­si­täts­pro­fessor vorbei­ma­nö­vriert, kann die UZH das Prinzip der Lohn­gleich­heit umgehen: Die Löhne von Professor*innen an eidge­nös­si­schen und kanto­nalen Hoch­schulen sind relativ strikt über Lohn­klassen regle­men­tiert, und es gibt wenig Frei­heiten, sie via Dritt­mittel aufzu­stocken – jeden­falls in der Theorie.

Und wie sieht es eigent­lich mit Beru­fungen aus?

Beru­fungen, die sich an den Krite­rien der Banken orientieren

„Das SFI hat keinerlei Mitsprache an der Beru­fung von Professor*innen an der UZH, diese obliegt einzig den univer­si­tären Gremien“, schreibt die Pres­se­stelle der UZH auf Anfrage. Formell kann das SFI bei Beru­fungen also nicht mitbe­stimmen. Dennoch muss sich die UZH aber an den vom SFI vorge­geben „Exzel­lenz-Krite­rien“ orien­tieren. Sie hat sich schliess­lich vor knapp 20 Jahren vertrag­lich dazu verpflichtet, Lehr­stühle zu schaffen, deren Professor*innen auch die SFI-Krite­rien erfüllen. Diese Krite­rien sind deshalb auch allen Instanzen bekannt, die in die Beru­fungs­pro­zesse invol­viert sind, wie die UZH schreibt.

Obwohl das SFI formell kein Mitspra­che­recht an Beru­fungen hat, verfügt es über mäch­tige finan­zi­elle Hebel, um die Univer­si­täten unter Druck zu setzen.

Wenn die Univer­sität Zürich nicht auf die Gelder des SFI verzichten will, muss die Forschung der ernannten Professor*innen der von der Finanz­lobby vorge­ge­benen Rich­tung entspre­chen. Dies gilt insbe­son­dere auch für die je 250’000 Franken Grund­ge­halt für die zwei Profes­suren, die das SFI jähr­lich an die UZH zahlt. „Diese Beiträge werden nur dann fällig, wenn die UZH eine neue unbe­fri­stete Professur für Sustainable Finance einrichtet, welche die Krite­rien für einen SFI Senior Chair erfüllt“, heisst es in einem Vertrag aus dem Jahr 2020.

Obwohl das SFI formell kein Mitspra­che­recht an Beru­fungen hat, verfügt es über mäch­tige finan­zi­elle Hebel, um die Univer­si­täten unter Druck zu setzen und Anstel­lungen gemäss seinen eigenen Präfe­renzen zu erwirken.

Die UZH weist diese Schluss­fol­ge­rung zurück: Sie besetze ihre Profes­suren gemäss ihren eigenen wissen­schaft­li­chen Exzel­lenz­kri­te­rien. Aller­dings schreibt sie auch: „Die Beiträge seitens der Privat­in­du­strie via SFI sind wesent­lich, um die besten Finanz­for­schenden an die Hoch­schulen in der Schweiz berufen und dort halten zu können.“

Akade­mi­sches Boni-System zum Wohle der Banken 

Forschungs­an­sätze, die die neoklas­si­sche Volks­wirt­schafts­lehre infrage stellen und nach­hal­ti­gere Finanz­mo­delle entwickeln wollen, gäbe es schon lange. Laut Finanzprofessor*innen wie Anat Admati oder Marc Chesney domi­nieren in Hörsälen und akade­mi­schen Fach­zeit­schriften aber nach wie vor Tendenzen, die die Indu­strie begünstigen.

Statt die kriti­sche Wissen­schaft zu fördern und ihrer gesell­schaft­li­chen Verant­wor­tung gerecht zu werden, bevor­zugen die Univer­si­täten die finan­zi­ellen Zuwen­dungen und Prestige und passen ihre Forschung dabei den Inter­essen der Banken an. Es bleibt frag­lich, für wen Professor*innen eigent­lich primär forschen und publi­zieren, wenn ihr Einkommen sowohl mit öffent­li­chen Geldern als auch von der Finanz­in­du­strie bezahlt wird.

Das SFI bestreitet, dass es Lehre und Forschung auch nur implizit beein­flusst und betont die Meinungs­frei­heit ihrer Professor*innen. Die Stif­tung verweist auf einen Meinungs­ar­tikel von SFI-Direktor Fran­çois Dege­orge in le temps, in dem er gene­rell bestreitet, dass die Finanz- und Wirt­schafts­wis­sen­schaften unter dem Monopol einsei­tiger oder inter­es­sen­ge­lei­teter Theo­rien leide.

Die UZH hebt hervor, dass ihre SFI-Lehr­stuhl-Inhaber sehr wohl auch banken- und system­kri­ti­sche Forschung betreiben und weist den Vorwurf zurück, dass die Gehalts­er­hö­hungen einem akade­mi­schen Boni-System gleichen.

UBS-Chef Sergio Ermotti mag es jeden­falls freuen, wenn Banken nicht stärker regu­liert werden, wie der SFI-Regu­lie­rungs­index implizit zu propa­gieren scheint. Oder wenn Forschende darauf verzichten, klare Eigen­ka­pi­tal­an­for­de­rungen an Banken zur Debatte zu stellen. Ermotti kam es wohl auch entgegen, dass die SFI-Finanzprofessor*innen schwiegen, als er auch im Jahr der staat­lich unter­stützten CS-Über­nahme mehr als 14.4 Millionen Franken verdiente. 

Niemand will Miss­töne beim „Fire­side Chat“.

Hinweis: In einer früheren Version gab es eine falsche Angabe zum Umgang mit den DORA-Rich­t­­li­nien, da die Univer­sität Zürich den Autor*innen ein veral­tetes Doku­ment zuge­schickt hat. Wir haben diese Passage nun korrigiert.

Eine längere Version dieser Recherche gibt’s bei der Repu­blik zu lesen.

Sie wurde mit Unter­stüt­zung von Journa­FONDS und investigativ.ch recher­chiert und umge­setzt. Herz­li­chen Dank!


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