Können Algen die Klima­krise stoppen?

Die Climate Foun­da­tion verspricht nichts gerin­geres, als den Klima­wandel mit hoch­mo­dernen Algen­farmen aufhalten zu können. Ein Besuch beim Modell­ver­such auf den Phil­ip­pinen lässt Zweifel aufkommen, ob sie das Verspre­chen halten kann – und ob sie das über­haupt will. 
Noch ist der Algenring 1000 Quadratmeter gross, bald schon sollen es 10 000 Quadratmeter werden – das entspricht etwa der Grösse eines Fussballfeldes (Foto: Fabian Weiss).

Hundert­zwanzig Meter unter dem Meer. Eine weisse Metall­platt­form an der Ober­fläche, in einiger Entfer­nung eine weitere klei­nere. Auf der silb­rigen Wasser­ober­fläche zwischen ihnen spie­gelt sich pastell­rosa das Morgenrot. Sie drücken auf die Knöpfe: Sam auf der grossen, Gorio auf der kleinen Platt­form. Ein helles Surren setzt ein. Fünf­zehn Minuten ab jetzt. 

Wir haben die Welt so stark verän­dert, dass wir es nicht mehr rück­gängig machen können. Also haben wir ein Wort dafür erfunden: Anthro­pozän. Es ist eine Kombi­na­tion aus den altgrie­chi­schen Wörtern für „Mensch“ und „neu“ und bezeichnet das neue Zeit­alter des Menschen. Man kann unter­schied­lich auslegen, was das genau bedeutet.

Die Climate Foun­da­tion versteht darunter ein „vom Menschen verur­sachtes Massen­aus­sterben“, wie sie auf ihrer Webseite schreibt. Aber: „Wir haben fest­ge­stellt, dass wir Lösungen haben. Wir haben heraus­ge­funden, dass wir mit der rich­tigen Hilfe das Massen­aus­sterben stoppen können, wir können den Kohlen­stoff­ge­halt senken, wir können den Klima­wandel umkehren“. Und ja, das schrieb die Foun­da­tion auch: „Wir können die Erde retten.“ Nach Veröf­fent­li­chung dieses Arti­kels änderte sie die Formu­lie­rung zu „Gemeinsam können wir alle dazu beitragen, die Erde zu retten“.

Vierzig Meter unter dem Meer: Sicher­heits­stopp. Auf den Platt­formen an der Wasser­ober­fläche lassen Gorio und Sam ihre Knöpfe los, das Surren verstummt. Sie verstän­digen sich per Walkie-Talkie. „Alles okay?“ – „alles okay“, knarzt es zurück. Eine Krabbe läuft seit­wärts über die grosse Platt­form, das sei ihr Haus­tier, sagt Sam. Dann drücken sie wieder auf die Knöpfe.

Wie rettet man die Erde? Auf diese Frage gibt es viele Antworten (Google-Sucher­er­geb­nisse: über fünf Millionen) und höchst­wahr­schein­lich sind mehrere davon richtig, viel­leicht auch gar keine. Brian von Herzens Antwort jeden­falls ist: mit Algen. Er ist Gründer und Direktor der Climate Foun­da­tion und ein Mann der Visionen. Auf hoch tech­ni­sierten Platt­formen will er gewis­ser­massen die Ozeane auffor­sten, mit Algen­wäl­dern. Und mit ihnen will er alles auf einmal lösen: die Menschen ernähren, die Ökosy­steme reha­bi­li­tieren und die Klima­krise beenden. Marine Perma­kultur nennt er sein System.

Letztes Jahr gewann seine Climate Foun­da­tion mit der Idee neben 14 anderen Teams den mit einer Million Dollar dotierten Mile­stone Award des XPRIZE, der von Elon Musk und dessen Musk Foun­da­tion gespon­sert wird. Nun wett­ei­fern die Teams in einem Rennen um den Haupt­preis darum, wer am effek­tiv­sten CO2 aus der Atmo­sphäre ziehen kann. Es geht um insge­samt 100 Millionen Dollar – laut Eigen­be­schrei­bung ist es der „grösste Förder­preis der Geschichte“.

Null Meter. Sam und Gorio lassen ihre Knöpfe los. Es wird still. Zunächst passiert nichts, doch dann taucht er träge an der Wasser­ober­fläche auf wie der Rücken eines Wales: ein tausend Quadrat­meter umfas­sender Ring, von dem aus stern­förmig unzäh­lige Leinen in die Mitte gespannt sind. Das Grün der Algen, die daran wachsen, leuchtet nun im Licht der aufge­henden Sonne an der Wasser­ober­fläche. Am Hori­zont springen vier Delfine aus dem Wasser, als seien sie für diesen Moment dorthin bestellt worden. Das hier ist Brian von Herzens Idee zur Rettung der Erde.

Der Elefant im (Meeres-)Raum

Die Reise führte mit dem Flug­zeug nach Cebu City auf der phil­ip­pi­ni­schen Insel Cebu im West­pa­zifik, von dort aus rund eine Stunde mit dem Auto entlang der Küste in Rich­tung Norden und dann morgens um fünf Uhr mit einem Motor­boot etwa zehn Minuten hinaus aufs Meer, um diese Idee zu sehen. Aber wer nicht hier ist, ist Brian von Herzen. Der gebür­tige Ameri­kaner lebt in Queens­land an der Ostküste Austra­liens. In Vorge­sprä­chen hatte er sich auswei­chend dazu geäus­sert, wie oft er die Phil­ip­pinen besucht. Vor Ort wird klar, dass er seit Beginn der Pandemie im 2020 nicht mehr hier war. 

„Stellen Sie sich eine Pizza mit einem Durch­messer von vierzig Metern vor“, hatte er im Voraus den Ring beschrieben. Und dann hatte er geraten, Schnor­chel­aus­rü­stung mitzu­nehmen, denn sein Team würde uns mit raus nehmen aufs Wasser, um den Ring von Nahem zu erkunden. „Für mich ist es, als wäre man im Welt­raum und arbeitet auf einer Raum­sta­tion. Man schaut nach unten, und unter einem sind tausend Fuss blaues Wasser.“

Tatsäch­lich ist es ein eigen­artig halt­loses Gefühl über mehr als zwei­hun­dert Meter tiefem Wasser zu schnor­cheln. Der High­tech-Ring an der Ober­fläche hat den grün­li­chen Belag eines alten Schiffs­wracks, denn wie jeden Gegen­stand, der ihm zu lange über­lassen wird, hat ihn sich das Meer zu eigen gemacht. Der Ring ist nicht nur über­säht von Algen, auf seinen Rändern wachsen unzäh­lige Enten­mu­scheln, die aus ihren Öffnungen soge­nannte Cirren fächer­artig pulsie­rend herausstrecken.

Laut dem Welt­kli­marat werden wir nicht umhin­kommen, CO2 auf irgend­eine Weise der Atmo­sphäre zu entziehen und zu spei­chern, wenn wir die globale Erwär­mung stoppen wollen.

Dieses Konstrukt hing vor wenigen Minuten noch in hundert­zwanzig Metern Tiefe, in der das Wasser 24 Grad kühl ist und nicht rund dreissig Grad, wie an der Ober­fläche. Und es ist eine Tiefe, in der das Wasser voller Nähr­stoffe ist, im Gegen­satz zur Ober­fläche. Beides brau­chen die Algen zum Wachsen: die Kühle und die Nähr­stoffe. Deswegen senken die Mitar­bei­tenden der Climate Foun­da­tion den Ring jeden Abend mit der Energie aus den Solar­pa­neelen über der Platt­form hinab und holen ihn jeden Morgen vor Sonnen­auf­gang nach oben.

Denn eines gibt es in der Tiefe nicht: Licht. Und Licht brau­chen die Algen, wie jede Pflanze, um Photo­syn­these zu betreiben. Dabei bilden sie aus CO2 und Wasser mithilfe von Licht­energie Zucker und Sauer­stoff. Das CO2 ist danach nicht mehr in der Luft, sondern in der Alge. Und genau das ist der Grund, warum sie hier diesen ganzen Aufwand betreiben: um den Algen beim CO2-Spei­chern zu helfen, um „den Klima­wandel umzu­kehren“. So schien es zumindest.

Laut dem sech­sten Sach­stands­be­richt des Welt­kli­ma­rats werden wir nicht umhin­kommen, CO2 auf irgend­eine Weise der Atmo­sphäre zu entziehen und zu spei­chern, wenn wir die globale Erwär­mung stoppen wollen. Das können wir auf sehr viele unter­schied­liche Weisen versu­chen: Wir können Bäume pflanzen, die das Gas spei­chern; zerklei­nerte Steine auf dem Boden ausstreuen, die es absor­bieren; es aus dem Rauch von Indu­strie­an­lagen abspalten und unter die Erde pressen; die Ozeane mit Eisen düngen, damit sie mehr davon aufnehmen – oder eben massen­haft Algen pflanzen. Jede dieser Methoden ist aller­dings umstritten, weil sie Risiken bergen oder das Klimagas womög­lich nicht lange genug spei­chern. Die Algen sind da keine Ausnahme.

An den sternförmig gespannten Leinen auf der Deep-Cycling-Plattform wachsen die Algen doppelt bis dreimal so schnell wie normalerweise (Foto: Fabian Weiss).
An den stern­förmig gespannten Leinen auf der Deep-Cycling-Platt­form wachsen die Algen doppelt bis dreimal so schnell wie norma­ler­weise (Foto: Fabian Weiss).

Ihr Poten­zial wäre aber enorm, wie der 64-jährige Brian von Herzen bei einem Video­call erklärt – als seinen Hinter­grund hat er eine Unter­was­ser­auf­nahme gewählt, auf der Fische durch einen Algen­wald schwimmen. „Jeder grosse Ozean­staat hat eine ausschliess­liche Wirt­schafts­zone, die sich 300 Kilo­meter von der Küsten­linie entfernt erstreckt“, sagt er. „Sie ist meist leeres Meer und oft viel tiefer als hundert Meter. Und alle Gewässer, die tiefer als hundert Meter sind, sind für die marine Perma­kultur zugänglich.“ 

Algen sind so etwas wie die ausser Acht gelas­sene Wunder­waffe der Meere. Eine Gruppe Forscher*innen nennt sie „the elephant in the Blue Carbon room“. Ihr Vorteil: Sie wachsen schnell, Riesen­tang etwa kann bis zu sechzig Zenti­meter an nur einem Tag wachsen. Und die Algen der Climate Foun­da­tion wachsen je nach Art sogar doppelt bis dreimal so schnell wie Algen, die ständig an der Ober­fläche bleiben, sagt von Herzen.

Er denkt gross: „Wir könnten die Bezie­hung der Mensch­heit zum Meer verän­dern, von der Extrak­tion zur Rege­ne­rie­rung.“ Was er damit meint: Unsere bishe­rige Bezie­hung zum Meer ist eine des Nehmens – Meeres­tiere, Pflanzen, Salz, Boden­schätze. Mit den Algen­farmen will Brian von Herzen nun etwas zurückgeben.

Dabei gibt es zwei Probleme: Algen halten genau wie Korallen keine hohen Wasser­tem­pe­ra­turen aus, und das ganze muss sich irgendwie rechnen.

Auf Hitze folgt Ice

Die Phil­ip­pinen gehören mit mehr als 7’600 Inseln zu den grössten Insel­staaten der Welt. Seit langer Zeit legen die Menschen an ihren Küsten mit einfach­sten Mitteln Algen­farmen an: Sie spannen Plastik­bänder in küsten­nahen Gewäs­sern und knoten Setz­linge etwa der roten Graci­laria, der braunen Golf­tange oder der grünen Caulerpa daran. Als Auftrieb nutzen sie leere Plastik­fla­schen – Geld für profes­sio­nel­lere Ausrü­stung haben sie keines. Eine Analyse des phil­ip­pi­ni­schen Büros für Fischerei und aqua­ti­sche Ressourcen (BFAR) ergab, dass eine Farm von einem Hektar Grösse mit der Rotalge Eucheuma mit einem Produk­ti­ons­zy­klus von 45 Tagen umge­rechnet nur knapp 140 Euro verdient.

Trotzdem zählen Algen zu den Top-3-Export­pro­dukten des phil­ip­pi­ni­schen Fische­rei­sek­tors, denn landes­weit bauen mehr als eine Millionen Menschen auf diese Art Algen an. Ein Teil davon landet in bunten Plastik­körb­chen auf den Fisch­märkten, ange­strahlt von grellen LED-Lich­tern und von surrenden Plastik­ven­ti­la­toren frisch gehalten. Viel mehr Geld lässt sich aber mit dem abso­luten Export­schlager Carra­geen machen, das aus Rotalgen gewonnen wird. Die meisten von uns konsu­mieren es täglich als Verdickungs­mittel und Stabi­li­sator unter der Zusatz­stoff­nummer E 407 in Zahn­pasta, Süssig­keiten, Brot­auf­stri­chen oder Sahne.

Doch das alles könnte ein Ende haben, denn das Meer wird heisser, als es die Algen ertragen können. Sie wachsen dann nicht mehr oder entwickeln die Ice-Ice-Krank­heit, bei der sie – wie Korallen – blei­chen. Seit 2011 brach die Algen­pro­duk­tion auf den Phil­ip­pinen um zwanzig Prozent ein. Laut dem BFAR im Wesent­li­chen wegen klima­wan­del­be­dingten Ereig­nissen wie Wetter­stö­rungen und Taifunen, der Ice-Ice-Krank­heit und dem Anstieg der Meeresoberflächentemperatur.

Seegras auf einem Markt in Talibon, Bohol Island, Phil­ip­pinen (Foto: Fabian Weiss).

Die höheren Tempe­ra­turen bringen den natür­li­chen Wasser­auf­trieb zum Erliegen, der norma­ler­weise das kältere, nähr­stoff­reiche Tiefen­wasser mit dem Ober­flä­chen­wasser vermischt. Es gibt dann zwei Möglich­keiten: Entweder, man bringt die Algen in das tiefe Wasser, oder man bringt das tiefe Wasser zu den Algen. Die Climate Foun­da­tion expe­ri­men­tiert in ihrem aktu­ellen Modell­ver­such mit ersterem, deep cycling nennt sie das.

Dass sie auch vorhat, das Wasser zu den Algen zu bringen, verneinen mehrere Gesprächspartner*innen, denn die Methode ist höchst umstritten. Sie nennt sich arti­fi­cial upwel­ling und wird als Geoen­gi­nee­ring einge­stuft, also als eine tech­ni­sche Methode, die das Klima künst­lich beein­flusst. Dass die Climate Foun­da­tion davor nicht zurück­scheut, wird sich erst später zeigen.

Der verhee­rende künst­liche Auftrieb

Einige Tage später führt Pepe Tubal über die Nach­bar­insel Bohol. Er arbeitet für die Climate Foun­da­tion und zeigt, wie sie aus den Algen Dünge­mittel herstellen und an die lokalen Reis- und Fischfarmer*innen vermarkten. Der Fisch­farmer Crestito Garacia, der die Algen in das Futter seiner Fische und Krabben mischt, sagt, dass er seither bessere Erträge habe.

Die 66-jährige Reis­far­merin Gliceria Limbaga steht vor ihrem gift­grünen Reis­feld und erzählt, dass sie auf den Algen­dünger umge­stiegen ist. Seitdem benutzt sie auch keine Pesti­zide mehr, da das Dünge­mittel auch für die Reis­pflanzen schäd­liche Insekten fern­halte. Vorher benutzte sie wie im konven­tio­nellen Reis­anbau üblich chemi­schen Stick­stoff­dünger, der nicht nur dem Boden schadet, sondern auch dem Klima – laut einer Studie der briti­schen Cambridge Univer­sität verur­sa­chen Stick­stoff­dünger rund fünf Prozent der welt­weiten Treibhausgasemissionen.

Der Einsatz auf Limbagas und anderen Feldern zeige, dass der Reis mit dem Algen­dünger besser und schneller wachse, erklärt Pepe Tubal. „Wir produ­zieren nicht genug Reis hier auf den Phil­ip­pinen“, sagt er. „Wenn alle Reisbauer*innen unser Produkt verwenden und ihre Erträge stei­gern, brau­chen wir denke ich keinen Reis mehr zu impor­tieren.“ Das ist die Erfolgs­ge­schichte, die die Climate Foun­da­tion erzählen möchte.

In der Algen­ver­ar­bei­tungs­an­lage der Climate Foun­da­tion auf Bohol Island stellen die Mitar­bei­tenden durch Häck­seln und Pressen der geern­teten Algen ihren Biodünger BIGrow her (Foto: Fabian Weiss).

Kurz vor dem Abschied erzählt Tubal dann aber fast beiläufig, dass sie in der Region auch mehrere arti­fi­cial upwel­ling-Projekte planen. Sie wollen sie nah an der Küste entlang von Riffen instal­lieren, erzählt er. Auf erneutes Nach­haken räumt das dann auch Brian von Herzen ein. Arti­fi­cial upwel­ling lässt sich zu „künst­li­cher Auftrieb“ über­setzen, von Herzen findet aber schon die Bezeich­nung falsch: „Es ist nichts Künst­li­ches daran, wir stellen einen natür­li­chen Prozess wieder her.“ Das würden sie tun, indem sie mit hunderte Meter langen Rohren Wasser an die Ober­fläche pumpen.

Nur könnten sie damit mehr Schaden anrichten, als helfen.

„Wenn wir in die Klima­mo­delle arti­fi­cial upwel­ling rein­bringen, zeigt sich, dass zusammen mit den Nähr­stoffen ganz viel CO2 hoch­ge­pumpt wird.““

Andreas Oschlies, Leiter Forschungs­ein­heit Biogeo­che­mi­sche Model­lie­rung GEOMAR

Es sei falsch, die Komple­xität natür­li­cher Auftriebs­er­eig­nisse mit künst­li­chen gleich­zu­setzen, mahnt die Hein­rich-Böll-Stif­tung in einer Analyse. Tut man das, können die Folgen verhee­rend sein. „Der Ozean ist stark geschichtet und das ist gut so, weil er in der Tiefe unheim­lich viel CO2 spei­chert“, erklärt Andreas Oschlies, Leiter der Forschungs­ein­heit Biogeo­che­mi­sche Model­lie­rung des GEOMAR Helm­holtz-Zentrums für Ozean­for­schung Kiel. Auch er hat im Video­call einen Meeres­hin­ter­grund – nur ohne Algen. 

„Dieses CO2 wollen wir eigent­lich gar nicht nach oben bringen. Wenn wir in die Klima­mo­delle arti­fi­cial upwel­ling rein­bringen, zeigt sich aber, dass zusammen mit den Nähr­stoffen ganz viel CO2 hoch­ge­pumpt wird.“ Das gelangt dann an der Ober­fläche zurück in die Atmo­sphäre und könnte den Gewinn an neu gespei­chertem CO2 zunichte machen. „Und alle Nähr­stoffe, die diese Algen aufnehmen, fehlen woan­ders“, fährt Oschlies fort. „Also hat man dann irgendwo einen Algen­farmer, der verdient prächtig Geld, aber nebenan oder viel­leicht einen halben Konti­nent weiter weg fangen die Fischer plötz­lich weniger, weil da wegen weniger Nähr­stoffen weniger Algen wachsen und dadurch weniger Fische da sind.“

Die Liste der Probleme ist noch länger: Das Tiefen­wasser kühle zwar sogar die Atmo­sphäre, verdränge gleich­zeitig aber auch das warme Ober­flä­chen­wasser nach unten, das dort lebenden Pflanzen und Tieren schaden könne. Der Eingriff kann die Blüte uner­wünschter giftiger Algen begün­stigen, zu Sauer­stoff­armut im Wasser führen und Meeres­strö­mungen verän­dern, was wiederum Wetter­mu­ster beein­flussen kann.

Und ein posi­tiver Effekt kann den Algen­wäl­dern auch zum Verhängnis werden: Weil sich Meeres­tiere in ihnen wohl­fühlen, vermehren sie sich in ihrer Umge­bung, das haben mehrere Studien bestä­tigt. Sie fressen die Algen aber auch und stossen dabei CO2 aus. „Das kann zehn bis dreissig Prozent der CO2-Aufnahme der Algen wieder zunichte machen“, sagt Oschlies. Als Mitglied einer inter­na­tio­nalen Expert*innengruppe, die die Vereinten Nationen berät, kam er zu dem Schluss: „Diese Methode hat [...] nur ein sehr begrenztes Poten­tial zur Kohlen­stoff­bin­dung und das Risiko erheb­li­cher Nebenwirkungen.“

Mitar­beiter der Climate Foun­da­tion bringen Netze mit kleinen Algen­zweigen zur Senk­platt­form (Foto: Fabian Weiss).

Brian von Herzen kennt diese Risiken. Er sagt: „Ob es uns gefällt oder nicht, wir haben den Planeten bereits durch­ein­an­der­ge­bracht. Jedes Mal, wenn Sie in einem Flug­zeug fliegen oder mit dem Auto fahren, ist das ein Akt des Geoen­gi­nee­ring – wir wissen, welche Folgen es hat, wenn wir mehr Kohlen­stoff in die Atmo­sphäre ausstossen, und trotzdem tun wir es weiterhin.“ Wir gehen laut von Herzen also ein viel grös­seres Risiko damit ein, den Planeten wissent­lich weiter zu zerstören, als bei dem Versuch, ihn zu retten. Er ergänzt: „Im schlimm­sten Fall schalten wir die Pumpen ab, und alles wird wieder so, wie es vorher war.“

So leicht ist das aber leider nicht. Simu­la­tionen des GEOMAR zeigen, dass die einmal gestar­teten Pumpen nicht mehr gestoppt werden dürfen – weil sie sonst sogar zu einem deut­li­chen Anstieg der CO2-Konzen­tra­tion und Ober­flä­chen­tem­pe­ra­turen führen würden. Das GEOMAR vergleicht das in einer Publi­ka­tion mit Goethes Zauber­lehr­ling, der die Geister, die er ruft, nicht mehr loswird. Trotzdem erforscht auch das GEOMAR arti­fi­cial upwel­ling neben anderen Methoden der marinen CO2-Entnahme und ‑Spei­che­rung. Das Forschungs­mi­ni­ste­rium fördert das mit 26 Millionen Euro.

Die Rettung der Welt muss sich rechnen

Der letzte Tag auf den Phil­ip­pinen führt noch­mals mit dem Team raus zur Platt­form, die Algen­leinen – genauer gesagt sind es schlauch­för­mige Netze – müssen gewogen werden. Die Mitar­bei­tenden der Climate Foun­da­tion knoten sie dafür einzeln vom Ring ab, schwimmen mit ihnen zum Wiegen zur Platt­form und knoten sie anschlies­send wieder fest. 

Noch expe­ri­men­tieren sie mit unter­schied­li­chen Algen­arten, um heraus­zu­finden, welche am besten mit dem deep cycling zurecht­kommen. Und noch müssen sie den Ring manuell hoch- und runter­fahren – bald soll das auto­ma­tisch passieren. Dann wollen sie Algenfarmer*innen, die wegen der zu hohen Tempe­ra­turen keine Algen mehr anpflanzen können, darin trai­nieren, die Ringe zu bewirt­schaften. Einen Hektar gross sollen sie mal werden, das ist unge­fähr so gross wie ein Fuss­ball­feld. Die Farmer*innen sollen die Systeme von der Climate Foun­da­tion pachten, die ihnen im Gegenzug die gesamte Ernte abkauft und daraus Biodünger und Carra­geen produ­ziert – nichts soll unge­nutzt bleiben.

Liesse die Climate Foun­da­tion alle Algen zum Meeres­boden sinken, dann könnte sie mit ihnen kein Geld verdienen.

Doch ähnlich wie ein Wald an Land spei­chert auch ein Algen­wald nur so lange CO2, wie er nicht abge­erntet und weiter­ver­ar­beitet wird. Um möglichst viel CO2 lang­fri­stig aus der Atmo­sphäre zu ziehen, müsste die Climate Foun­da­tion die Algen zum Meeres­boden herab­sinken lassen, wo sie gefressen, zersetzt oder von Sedi­menten begraben würden. Je tiefer die Algen absinken, desto länger wird das CO2 gespei­chert, bevor es wieder zur Ober­fläche hoch­steigt. Bei einer Tiefe von tausend Metern dauert es rund tausend Jahre, bei 300 Metern nur rund hundert Jahre. Die deep cycling-Platt­form vor der Küste Cebus hängt in 220 Meter tiefem Wasser.

Liesse die Climate Foun­da­tion aber alle Algen zum Meeres­boden sinken, dann könnte sie mit ihnen kein Geld verdienen. Das mit dem Verkauf von CO2-Zerti­fi­katen zu finan­zieren hat sie 2010 model­liert und ist damals zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich nicht rechnet. Also wird nur das CO2 derje­nigen Algen gespei­chert, die einfach so herun­ter­fallen, „wie Blätter von den Bäumen“, so beschreibt es die Climate Foun­da­tion. Wie viele Algen herun­ter­fallen, haben sie zwar mal gemessen, eindeu­tige Ergeb­nisse haben sie aber nicht. „Wir schätzen, dass zwanzig bis vierzig Prozent der Algen während des Wachs­tums von der Platt­form abfallen“, sagt Brian von Herzen.

Die Rettung der Welt, sie ist eine Schätzung.

Das Team in Cebu hat gerade neue T‑Shirts aus glän­zendem Trikot-Stoff bekommen, überall werden sie hektisch über­ge­zogen. Darauf wachsen Algen vom Saum und von den Ärmeln nach oben, auf dem Rücken steht „Food Secu­rity, Ecosy­stems, Carbon Removal“. In dieser Reihen­folge. Ist der Klima­schutz also die dritte Wahl?

„Konzen­trieren wir uns darauf, dass wir die Mensch­heit ernähren können“, sagt Brian von Herzen. „Wir können den Kohlen­stoff messen, der von der Platt­form nach unten sinkt. Wir können die vermie­denen Emis­sionen messen und diese Vorteile doku­men­tieren. Aber wir müssen meiner Meinung nach für Ernäh­rungs­si­cher­heit und eine Rege­ne­ra­tion der Ökosy­steme sorgen, damit wir die Ökosy­steme an Land und im Meer für kommende Gene­ra­tionen erhalten.“

Auf die Frage, wie die Menschen in der Umge­bung auf die Climate Foun­da­tion reagieren, sagt einer der Mitar­bei­tenden: „Sie haben den Eindruck, dass wir im Algen­ge­schäft tätig sind.“ Wer könnte es ihnen verdenken.

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Blue New Deal“, einem Projekt von Svenja Beller, Julia Lauter, Martin Theis, Fabian Weiss und der deut­schen Wochen­zei­tung „Der Freitag“. Es wird vom Euro­pean Jour­na­lism Center (EJC) über den Solu­tions Jour­na­lism Acce­le­rator finan­ziert, dieser Fonds wird von der Bill & Melinda Gates Foun­da­tion unterstützt.

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