Wie unser Natio­nal­ge­richt 2050 aussehen wird

Unser Autor stellte sich der Heraus­for­de­rung, im Ökoein­kaufs­par­cours CLEVER von Biovi­sion für ein Nacht­essen möglichst nach­haltig ‚einzu­kaufen’. Sein Resultat: nicht berau­schend. Dafür weiss er jetzt, wie Älpler­ma­gronen 2050 ausschauen sollten. 
Das etwas längere Gespräch an der Kasse: Was für Ökosünden ich wohl angeschleppt habe? (Foto: Jérôme Léchot)

„Das macht dänn 28.50 bitte“, sagt die Frau an der Kasse. Sie will aber kein Geld. Sie will reden. Über das, was ich im Einkaufs­korb ange­schleppt habe. Denn die 28.50, das sind keine Franken. Nein, die bezif­fern, wie gut mein Verhältnis zu Mutter Erde ist. Auf einer Skala von 6 bis 36 in sechs Öko- und Fair­trade-Kate­go­rien. In Schul­noten ausge­drückt sind die 28.50 eine 4.8. Was ja eigent­lich noch gerade knapp gut ist. Aber welcher Ökofuchs gibt sich in seiner Königs­dis­zi­plin schon mit einem Gerade-noch-knapp-gut zufrieden? „Also“, willige ich ein, „lass uns reden.“

Meine Aufgabe war es, ein Nacht­essen für vier Personen einzu­kaufen – ohne Alkohol, dafür mit Dessert. Rund 120 gängige Produkte aus dem Detail­handel standen dafür zur Verfü­gung. Das Ziel: so ökolo­gisch und fair wie möglich einzu­kaufen. Ein leichtes Spiel, dachte ich mir, weiss ich doch Flug­mangos von Schor­f­äp­feln und Hummus von Büch­sen­thun­fisch zu unter­scheiden. Aber ich bin gestrau­chelt. Das Problem: Ich wollte für ein Nacht‑, nicht für ein Knastessen einkaufen. Als Kompro­miss zwischen Knast und La Grande Bouffe, dem fran­zö­si­schen Ess-Exzess­klas­siker, habe ich folgendes Menü zusammengestellt:

  • Vorspeise: Salat mit Tomaten
  • Haupt­gang: Älpler­ma­gronen (Hörnli, Kartof­feln, Gruyère, Butter) mit Spie­gelei und dem vorge­zo­genen Dessert Bio-Büchsenapfelmus
  • Dessert: Kaffee

Alles bio und fair­trade, kein Fleisch, eine petite bouffe halt. Das wird reichen für eine gute Note, dachte ich. Nicht nur bei meinen Gästen, sondern auch bei Mutter Erde. Mitnichten. Während Salat, Tomaten, Kartof­feln (je mit Note 5.8) und Büch­sen­ap­felmus (Note 5.4) sehr gut abschnitten, die Bio-Hörnli mit kana­di­schem Getreide (Note 4.7) und der Kaffee (Note 4.5) im Mittel­feld lagen, zogen der Bio-Gruyère (Note 3.5), die Bio-Butter (3.7) und die KAG-Eier (3.9) meinen Noten­schnitt nach unten. Dass tieri­sche Produkte schlechter abschneiden werden, das wusste ich schon. Aber so schlecht!?

Die Mühe mit den Kühen

Die Verkäu­ferin erklärt: Für 1 Kilo Grey­erzer braucht es 10 Liter und für ein Kilo Butter gar 25 Liter Milch, für 1 Kilo Kartof­feln aber ledig­lich 1 Kilo Kartof­feln. Damit versteckt sich in einem Mödeli Butter viel mehr Aufwand als in einem Sack Kartof­feln. Aber auch das Huhn verspeist ein Viel­fa­ches dessen an Futter, was hinten als Ei raus­kommt. Die Lösung hiesse also: lieber zweimal Kartof­feln statt einmal Kartof­feln mit Butter dran und Ei drüber.

So einfach gebe ich meine Älpler­ma­gronen aber nicht preis, und ich ziehe mein ganzes Ökofuchs­re­per­toire auf, um mein Abend­essen zu retten: Nicht überall, wo beispiels­weise Kühe weiden, können auch Kartof­feln wachsen. Und Kühe rülpsen nicht nur klima­schäd­li­ches Methan, sondern sie unter­halten auch das Ökosy­stem Weide, das, je nach Umständen, eine ganze Menge CO2 binden kann. Ausserdem sind Bio-Kartof­feln auf die wieder­käu­enden Butter­pro­du­zen­tinnen ange­wiesen, um zu wachsen. Denn in der biolo­gi­schen Land­wirt­schaft sind keine mine­ra­li­schen Dünger erlaubt. Es darf nur mit orga­ni­schem Dünger, und das heisst hier­zu­lande vor allem mit Kuhdung, gedüngt werden. Idea­ler­weise mit solchem, der von Weiden stammt, die wir selbst nicht nutzen können.

Das ist alles richtig, räumt die Kassierin ein. Aller­dings sei es eine Frage der Menge. Die Kuh ist gar nicht so schlimm fürs Klima, aber nur, wenn sie sich ausschliess­lich durch Alpweiden, Steppen und Heustöcke frisst. Das Problem dabei: Alpweiden gibt’s bei uns nicht à discretion. Deshalb impor­tiert die Schweiz für ihr Milch­vieh jähr­lich eine Million Tonnen Kraft­futter wie Weizen, Mais und Soja und baut noch­mals dieselbe Menge hier an. Immerhin 20 Prozent des Kuhfut­ters stammt somit vom Acker; unter Bio Suisse sind auch noch 10 Prozent Kraft­futter erlaubt. Ein ökolo­gi­scher Wider­sinn: Denn geht das Kraft­futter zuerst durch einen Kuhmagen, gehen rund 90 Prozent der Kalo­rien verloren. Kalo­rien, die auch hung­rige Menschen­mägen füllen könnten, statt krankes Hoch­lei­stungs­vieh auf noch mehr Leistung zu trimmen.

Wieviel Milch, Fleisch und Ei liegt drin?

Genau diese Frage der Menge liess mich seit meiner Beichte an der CLEVER-Kasse nicht mehr los: Wieviel Butter darf in und wieviel Käse über meine Älpler­ma­gronen, um aus einem Haufen Kartof­feln eine petite bouffe zu machen, die dennoch écolo ist – also nicht nur meine Gäste, sondern auch Mutter Erde mitsamt ihrer heutigen und zukünf­tigen Spröss­linge beglückt?

Bisher lautete die Antwort meist so: Wieder­käuer lassen viel Methan vorne und viel Futter hinten wieder raus, ohne recht Speck anzu­setzen – im Gegen­satz zu Hühnern und Schweinen, die für wenig Soja viel Fleisch und kein Methan produ­zieren. Wieder­käuer seien also schlechte Futter­ver­werter und wahre Klima­killer, weshalb der ökolo­gi­sche Ratschlag lautete: Wenn schon schlemmen, dann lieber zwei Spie­gel­eier statt Käse über die Älpler­ma­gronen. So auch bei CLEVER von Biovi­sion: Meine Eier haben in Sachen Klima immerhin eine 2 von 6 gekriegt, der Käse bloss eine 1.

Wenn man die Kuh auf einen Beton­boden stellt und ihr Kraft­futter in den Trog schau­felt, dann schneidet sie tatsäch­lich viel schlechter ab als ein Huhn. Aber nur, weil man nicht bedenkt, dass die Kuh auch etwas anderes als Kraft­futter essen könnte: nämlich Gras. Dort sind die Wieder­käuer mit ihren vielen Mägen, in denen sie zähe Halme in bekömm­liche Bestand­teile vergären, einsame Welt­spitze. Und das ist ihr entschei­dender Vorteil: Sie können essen, was wir nicht essen können. Hühner und Schweine hingegen werden von Gras alleine nie satt. Sie müssen deshalb sehr viel von dem essen, was wir auch selbst essen könnten.

Rather feed a pig than a poor

Und genau hier setzt eine neue Stra­tegie namens „Feed no food (to animals)“ an. Ihre Maxime: Es darf kein Tier­futter mehr auf Äckern wachsen, auf denen auch Essen für Menschen ange­baut werden könnte. Das verspricht nichts weniger, als die ökolo­gisch wider­sin­nige und darüber hinaus tödliche Konkur­renz zwischen Tier und hungernden Menschen auf dem Acker abzu­schaffen. Ökolo­gisch wider­sinnig, weil der Anbau von Kraft­futter unnötig Böden verschleisst, Regen­wald verwü­stet und das Klima anheizt. Tödlich, weil die hohe Nach­frage nach Futter­ge­treide die Preise für Menschen­ge­treide (ja, es ist dasselbe Getreide!) in die Höhe treibt. Können Schwei­ne­hal­te­rInnen mehr zahlen als Hungernde, landet der Weizen statt bei den Bedürf­tig­sten in den Futter­trögen unserer Fleischindustrie.

Eine Gruppe am Forschungs­in­stitut für biolo­gi­schen Landbau (FibL) hat diese „Feed no food“-Strategie fürs Jahr 2050 durch­ge­rechnet und fest­ge­stellt, dass sie nebst der sozialen zu einer massiven ökolo­gi­schen Verbes­se­rung der Land­wirt­schaft führt:

  • Die Treib­haus­gas­emis­sionen sinken trotz vieler Kühe um 18 Prozent.
  • Der Einsatz von fossilen Ener­gie­trä­gern (Trak­toren, Dünger) sinkt um 36 Prozent.
  • Der Pesti­zid­ein­satz sinkt um 22 Prozent.
  • Der Wasser­ver­brauch sinkt um 21 Prozent.
  • Die Erosion (irrever­si­bler Boden­ver­lust) sinkt um 12 Prozent.

Und all dies, obwohl diese Land­wirt­schaft im Jahr 2050 zwei­ein­halb Milli­arden Mäuler mehr stopfen wird als heute!

Petite bouffe écolo 2050

Und nun zur Sache: Was darf bei diesem Szenario noch zwischen Zunge und Gaumen? Der Eier- und Schwei­ne­fleisch­konsum muss jeweils um satte 90 Prozent gedros­selt werden und der Milch- und Kuhfleisch­konsum um 43 Prozent. Diesen Prote­in­ver­lust machen Legu­mi­nosen wie Kicher­erbsen, Lupinen und Bohnen wett. Deren Konsum wird nach FibL-Szenario um ganze 317 Prozent steigen.

In konkreten Mengen pro Tag und Person heisst das: statt 2.7 Dezi­liter Milch gibts noch 1.4 Dezi­liter (in Hart­käse ausge­drückt: statt 27 Gramm gibts noch 14 Gramm); statt 34 Gramm Rind­fleisch gibts noch 19 Gramm; statt 77 Gramm Schweine- oder Poulet­fleisch schmale 7 Gramm; statt einem halben Ei täglich gibts noch ein ganzes Ei im Monat. Dafür gibts von den Legu­mi­nosen statt 42 Gramm ganze 177 Gramm pro Tag.

Für meine Älpler­ma­gronen bedeutet das Folgendes: Es gibt nur noch halb so viel Reib­käse für drüber (magere 14 Gramm pro Nase). Das Spie­gelei kann ich ganz vergessen – die 2 Gramm Ei pro Tag spare ich mir für Ostern auf. Weil aber satte 177 Gramm Legu­mi­nosen dazu­kommen und diese auch genutzt werden wollen, schlage ich folgende, begrünte Varia­tion meines ursprüng­li­chen Menüs vor:

  • Sätti­gende Vorspeise: Salat mit Tomate und Kirchererbsen
  • Haupt­gang: Älpler­ma­gronen mit wenig Käse oder 19 Gramm Kuhwurst pro Nase, viel ange­bra­tene Zwie­beln und Büchsenapfelmus
  • Dessert: Kaffee

Die Grande Bouffe von 1973 ist nicht nur cinea­stisch, sondern auch kuli­na­risch nicht mehr zeit­ge­mäss. Dennoch liegt auch mit zehn Milli­arden Nasen kuli­na­risch einiges (gewöh­nungs­be­dürf­tiges) drin, ohne dass andere hungern oder der Planet von Atlas’ Schul­tern fallen müsste. Gesetzt, wir fangen mit der Entwöh­nung von Spie­gelei und Speck schon jetzt an. Denn dann werden uns Älpler­ma­gronen mit wenig Käse und viel Zwie­beln bis 2050 besser schmecken.

Der Laden: „CLEVER — spie­lend intel­li­gent einkaufen“ ist eine inter­ak­tive Wander­aus­stel­lung, die seit 2011 durch die Schweiz tourt. Nach einer Winter­pause geht’s im Früh­jahr 2018 weiter. Wo, erfahrt ihr hier. Neben dem konkreten Ange­fasst­haben von guten und weniger guten Produkten hallt vor allem das Gera­de­ste­hen­müssen für seinen Einkaufs­korb an der Kasse lange nach. Nicht nur bei Ökoneo­phyten, sondern auch bei Ökofüchsen – siehe diesen Artikel – zeigt ein solcher Besuch kogni­tive und kuli­na­ri­sche Wirkung.

Die FibL-Studie: Anschau­lich und (verhält­nis­mässig) wenig tech­nisch rechnet sie die Umwelt­aus­wir­kungen verschie­dener Szena­rien vor (von „feed no food at all” über „feed a little food” bis zum heutigen Irrsinn „rather feed a pig than a poor”). Einpräg­same Illu­stra­tionen und Open Access!


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