Bereits zwei Airlines haben beim Bund angeklopft: Sowohl die SWISS wie auch die Billigairline easyJet Switzerland erhoffen sich Unterstützung von staatlicher Seite, da ihre Flotten wegen der Corona-Krise nun vorwiegend am Boden bleiben. Ausser, dass die SWISS für ihre 9’500 Angestellten Kurzarbeit beantragt hat, weiss man noch nicht viel darüber, in welche Richtung die Verhandlungen gehen werden. Etwas ist aber bereits jetzt klar: Eines der wichtigsten Argumente wird der Punkt „Arbeitsplätze“ sein. Je mehr Menschen bei einem potenziellen Grounding der Airlines ihren Job verlieren würden, desto eher liessen sich staatliche Unterstützungen an die klimaschädliche Flugbranche rechtfertigen.
Das scheint man auch bei Aerosuisse, dem Dachverband der schweizerischen Flug- und Luftfahrt zu wissen. Bereits im ersten Absatz der am 19. März veröffentlichten Pressemitteilung wird auf die „190’000 direkten Arbeitsplätze“ in der Schweizer Luftfahrtbranche hingewiesen. Nur: Sowohl die Umweltschutzorganisation umverkehR wie auch die Webseite von Aerosuisse selbst kommunizieren um einiges tiefere Zahlen.
Laut umverkehR beschäftigt die Flugbranche 52’000 Angestellte. Also weit weniger, als zum Beispiel die Gastronomie mit 186‚000 Beschäftigten. Und auf der Webseite von Aerosuisse selbst liest man, dass pro Million Passagiere 750 bis 1’000 Arbeitsplätze gesichert würden und 2018 die Flugbranche 57 Millionen Flugpassagiere zählte. Auch mit diesen Zahlen landet man mit einer kleinen Rechnung lediglich bei maximal 57’000 und nicht bei den kommunizierten 190‚000 Arbeitsplätzen. Wurde da wirklich richtig gerechnet? Um dies herauszufinden, haben wir eine Mail an den Dachverband geschrieben.
Guten Tag
[…] Auf ihrer Webseite versuchte ich herauszufinden, wie viele Arbeitsplätze direkt und indirekt von der Luftfahrt abhängig sind und habe diese Zahlen gefunden: https://aerosuisse.ch/index.php/zahlen-zur-schweizer-luftfahrt.htmlNur verstehe ich die Zahlen nicht genau. […] Sie schreiben „Pro Million Passagiere werden an einem Landesflughafen 750 bis 1000 Arbeitsplätze gesichert.“ und „Die sechs grössten Flughäfen der Schweiz fertigten 2018 mehr als 57 Millionen Flugpassagiere ab.“ Heisst das nun, dass die Flugbranche zwischen (57 x 750=) 42‚750 und (57x1’000=) 57‚000 Arbeitsplätze generiert?
[…]Vielen Dank für eine Antwort bis heute Abend, freundliche Grüsse und bleiben Sie gesund.
Das Lamm
Die Antwort von Philip Kristensen, dem Geschäftsführer von Aerosuisse, bestätigt das Ergebnis unserer bescheidenen Mathefähigkeiten.
Sehr geehrtes Lamm
Ja. Das beinhaltet die Beschäftigung durch die Unternehmen der Luftfahrtbranche, z.B. Fluggesellschaften und Flughäfen aber auch die Abfertigungsunternehmen. Dazu gehören weiter die Zulieferer und Auftragnehmer ausserhalb der Flugplatzareale.
[…]Mit freundlichen Grüssen
Philip Kristensen
Aerosuisse bestätigt uns also, dass die Anzahl der direkt und indirekt von der Flugbranche generierten Arbeitsplätze bei maximal 57‚000 liegt. Doch wie kommt Aerosuisse dann auf die in der Pressemitteilung kommunizierte Zahl von 190’000 direkten Arbeitsplätzen?
Dieser Zahl liegt der luftfahrtpolitische Bericht 2016 (S. 1872) zugrunde. Die dort angestellten Berechnungen schliessen neben den direkt und indirekt geschaffenen Stellen auch noch die sogenannten induzierten und katalytischen Effekte mit ein. Das sind die Arbeitsplätze, welche dadurch generiert werden, dass sowohl die Angestellten der Flugbranche wie auch die beförderten Passagier*innen Geld in der Schweiz ausgeben: im Frisörsalon, bei der Migros oder im Fitnesscenter. Dadurch werden an diesen Orten Arbeitsplätze geschaffen, die in die Zahl 190’000 miteinfliessen.
Ob die Kommunikation von Aerosuisse nun lediglich unglücklich oder schlichtweg falsch ist, wagen wir nicht zu beurteilen. Klar sind aber drei Dinge. Erstens schafft die Flugbranche nicht 190’000 direkte Arbeitsplätze. Die in dieser Zahl miteinbezogenen Effekte sind sehr deutlich indirekter Natur. Zweitens darf diese Zahl nicht mit Zahlen aus anderen Branchen, wie zum Beispiel mit den oben erwähnten 186‚000 Beschäftigten im Gastrobreiech, verglichen werden. Denn auch ein Barkeeper geht mal zum Frisör, in die Migros oder ins Fitnesscenter. Und Drittens scheint der Dachverband alles daran zu setzen, dass das Arbeitsplatz-Argument so viel Gewicht wie möglich entfalten kann.
Wenn Aerosuisse in der Medienmitteilung von 190’000 direkten Arbeitsplätzen spricht, ist das ein Griff in die semantische Trickkiste. Laut Bundesamt für zivile Luftfahrt handelt es sich bei Arbeitsplätzen, die aus induzierten und katalytischen Effekt entstehen, um „wirtschaftliche Effekte im weiteren Sinn“, also um indirekte Effekte. Die 190’000 Arbeitsplätze sind vorallem eines; ein Versuch, sich vor dem drohenden Crash wichtiger zu machen, als man ist.
Dass dies nicht ganz korrekt war, hat man mittlerweilen auch bei Aerosuisse bemerkt. Kristensen lässt uns wissen, dass man in der Medienmitteilung korrekterweise hätte schreiben müssen, dass „die Wertschöpfung der Luftfahrt einen Arbeitsmarkteffekt von 190’000 Stellen hat“.
In den letzten Monaten sind bei uns mehrere Artikel über die Luftfahrt in Corona-Zeiten erschienen. Hier eine Übersicht:
- Teil 1: „Das Flugi flüügt doch sowieso…“. Corona zeigt: Das stimmt nicht. (15. März 2020)
- Teil 2: Wie viele Menschen arbeiten wirklich in der Flugbranche? (6. April 2020)
- Teil 3: 1 Grund, warum der Bund die Flugbranche retten sollte, und 6 Gründe, die dagegen sprechen. (7. April 2020)
- Teil 4: Die Flugbranche bauscht sich auf! Mehrere Bundesämter und die grossen Tageszeitungen helfen ihr dabei. (22. April 2020)
- Teil 5: So wenig wird wirklich per Flugzeug aus der Schweiz exportiert (update). (8. Mai 2020)
- Teil 6: Der Bundesrat rechnet sich die Welt, wie sie ihm gefällt. (15. Mai 2020)
- Teil 7: Corona-Kredite für die Luftfahrt: Das Parlament wurde falsch informiert. Das gibt nun auch der Bundesrat zu. (8. Juni 2020)
- Teil 8: Die Flugbranche hat noch ein ganz anderes Corona-Problem. Und zwar ihr eigenes Klimaschutzprogramm, das wegen der Pandemie plötzlich griffiger werden könnte, als beabsichtigt. (22. Juni 2020)
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