Wie viele Menschen arbeiten wirk­lich in der Flugbranche?

Aero­su­isse, der Dach­ver­band der Flug­branche, versucht das Maximum aus dem Arbeits­plätze-Argu­ment heraus­zu­quet­schen und stra­pa­ziert dabei die Zahlen. 
Sind tatsächlich 190'000 Menschen in der Flugbranche angestellt? (Foto: Unsplash)

Bereits zwei Airlines haben beim Bund ange­klopft: Sowohl die SWISS wie auch die Billi­g­air­line easyJet Switz­er­land erhoffen sich Unter­stüt­zung von staat­li­cher Seite, da ihre Flotten wegen der Corona-Krise nun vorwie­gend am Boden bleiben. Ausser, dass die SWISS für ihre 9’500 Ange­stellten Kurz­ar­beit bean­tragt hat, weiss man noch nicht viel darüber, in welche Rich­tung die Verhand­lungen gehen werden. Etwas ist aber bereits jetzt klar: Eines der wich­tig­sten Argu­mente wird der Punkt „Arbeits­plätze“ sein. Je mehr Menschen bei einem poten­zi­ellen Groun­ding der Airlines ihren Job verlieren würden, desto eher liessen sich staat­liche Unter­stüt­zungen an die klima­schäd­liche Flug­branche rechtfertigen.

Das scheint man auch bei Aero­su­isse, dem Dach­ver­band der schwei­ze­ri­schen Flug- und Luft­fahrt zu wissen. Bereits im ersten Absatz der am 19. März veröf­fent­lichten Pres­se­mit­tei­lung wird auf die „190’000 direkten Arbeits­plätze“ in der Schweizer Luft­fahrt­branche hinge­wiesen. Nur: Sowohl die Umwelt­schutz­or­ga­ni­sa­tion umver­kehR wie auch die Webseite von Aero­su­isse selbst kommu­ni­zieren um einiges tiefere Zahlen.

Die Umweltschutzorganisation umverkehR spricht von 52'000 Angestellten im Flugverkehr und beruft sich bei ihren Zahlen auf das Bundesamt für Statistik. Mit den Zahlen auf der Webseite von Aerosuisse selbst, lässt sich ein Durchscnitt von ca. 50'000 Angestellten berechnen. (Fotos: Screenshots vom 02.04.20, links: Instagram-Kanal umverkehR, rechts: Webseite Aerosuisse)
Die Umwelt­schutz­or­ga­ni­sa­tion umver­kehR spricht von 52’000 Ange­stellten im Flug­ver­kehr und beruft sich bei ihren Zahlen auf das Bundesamt für Stati­stik. Mit den Zahlen auf der Webseite von Aero­su­isse selbst, lässt sich ein Durch­schnitt von ca. 50’000 Ange­stellten berechnen. (Fotos: Screen­shots vom 02.04.20, links: Insta­gram-Kanal umver­kehR, rechts: Webseite Aerosuisse)

Laut umver­kehR beschäf­tigt die Flug­branche  52’000 Ange­stellte. Also weit weniger, als zum Beispiel die Gastro­nomie mit 186‚000 Beschäf­tigten. Und auf der Webseite von Aero­su­isse selbst liest man, dass pro Million Passa­giere 750 bis 1’000 Arbeits­plätze gesi­chert würden und 2018 die Flug­branche 57 Millionen Flug­pas­sa­giere zählte. Auch mit diesen Zahlen landet man mit einer kleinen Rech­nung ledig­lich bei maximal 57’000 und nicht bei den kommu­ni­zierten 190‚000 Arbeits­plätzen. Wurde da wirk­lich richtig gerechnet? Um dies heraus­zu­finden, haben wir eine Mail an den Dach­ver­band geschrieben.

Guten Tag

[…] Auf ihrer Webseite versuchte ich heraus­zu­finden, wie viele Arbeits­plätze direkt und indi­rekt von der Luft­fahrt abhängig sind und habe diese Zahlen gefunden: https://aerosuisse.ch/index.php/zahlen-zur-schweizer-luftfahrt.html

Nur verstehe ich die Zahlen nicht genau. […] Sie schreiben „Pro Million Passa­giere werden an einem Landes­flug­hafen 750 bis 1000 Arbeits­plätze gesi­chert.“ und „Die sechs grössten Flug­häfen der Schweiz fertigten 2018 mehr als 57 Millionen Flug­pas­sa­giere ab.“ Heisst das nun, dass die Flug­branche zwischen (57 x 750=) 42‚750 und (57x1’000=) 57‚000 Arbeits­plätze generiert?

[…]

Vielen Dank für eine Antwort bis heute Abend, freund­liche Grüsse und bleiben Sie gesund.

Das Lamm

Die Antwort von Philip Kristensen, dem Geschäfts­führer von Aero­su­isse, bestä­tigt das Ergebnis unserer beschei­denen Mathefähigkeiten.

Sehr geehrtes Lamm

Ja. Das beinhaltet die Beschäf­ti­gung durch die Unter­nehmen der Luft­fahrt­branche, z.B. Flug­ge­sell­schaften und Flug­häfen aber auch die Abfer­ti­gungs­un­ter­nehmen. Dazu gehören weiter die Zulie­ferer und Auftrag­nehmer ausser­halb der Flugplatzareale.

[…]

Mit freund­li­chen Grüssen

Philip Kristensen

Aero­su­isse bestä­tigt uns also, dass die Anzahl der direkt und indi­rekt von der Flug­branche gene­rierten Arbeits­plätze bei maximal 57‚000 liegt. Doch wie kommt Aero­su­isse dann auf die in der Pres­se­mit­tei­lung kommu­ni­zierte Zahl von 190’000 direkten Arbeitsplätzen?

Dieser Zahl liegt der luft­fahrt­po­li­ti­sche Bericht 2016 (S. 1872) zugrunde. Die dort ange­stellten Berech­nungen schliessen neben den direkt und indi­rekt geschaf­fenen Stellen auch noch die soge­nannten indu­zierten und kata­ly­ti­schen Effekte mit ein. Das sind die Arbeits­plätze, welche dadurch gene­riert werden, dass sowohl die Ange­stellten der Flug­branche wie auch die beför­derten Passagier*innen Geld in der Schweiz ausgeben: im Frisör­salon, bei der Migros oder im Fitness­center. Dadurch werden an diesen Orten Arbeits­plätze geschaffen, die in die Zahl 190’000 miteinfliessen.

Ob die Kommu­ni­ka­tion von Aero­su­isse nun ledig­lich unglück­lich oder schlichtweg falsch ist, wagen wir nicht zu beur­teilen. Klar sind aber drei Dinge. Erstens schafft die Flug­branche nicht 190’000 direkte Arbeits­plätze. Die in dieser Zahl mitein­be­zo­genen Effekte sind sehr deut­lich indi­rekter Natur. Zwei­tens darf diese Zahl nicht mit Zahlen aus anderen Bran­chen, wie zum Beispiel mit den oben erwähnten 186‚000 Beschäf­tigten im Gastrob­reiech, vergli­chen werden. Denn auch ein Barkeeper geht mal zum Frisör, in die Migros oder ins Fitness­center. Und Drit­tens scheint der Dach­ver­band alles daran zu setzen, dass das Arbeits­platz-Argu­ment so viel Gewicht wie möglich entfalten kann.

Wenn Aero­su­isse in der Medi­en­mit­tei­lung von 190’000 direkten Arbeits­plätzen spricht, ist das ein Griff in die seman­ti­sche Trick­kiste. Laut Bundesamt für zivile Luft­fahrt handelt es sich bei Arbeits­plätzen, die aus indu­zierten und kata­ly­ti­schen Effekt entstehen, um „wirt­schaft­liche Effekte im weiteren Sinn“, also um indi­rekte Effekte. Die 190’000 Arbeits­plätze sind vorallem eines; ein Versuch, sich vor dem drohenden Crash wich­tiger zu machen, als man ist.

Dass dies nicht ganz korrekt war, hat man mitt­ler­weilen auch bei Aero­su­isse bemerkt. Kristensen lässt uns wissen, dass man in der Medi­en­mit­tei­lung korrek­ter­weise hätte schreiben müssen, dass „die Wert­schöp­fung der Luft­fahrt einen Arbeits­markt­ef­fekt von 190’000 Stellen hat“.


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