Wikinger auf Selbstfindungstrip

In seinem Film Wild Men zerlegt Regis­seur Thomas Daneskov das Patri­ar­chat scheib­chen­weise. Eine Sala­mi­taktik mit dem Poten­zial zur klas­sen­über­grei­fenden Männlichkeitskritik. 
Mit Softdrink und Noise Cancelling durch die Wildnis: Rasmus Bjerg im Film Wild Men. (Foto: Jonathan Mose)

Ein Mann durch­streift alleine den Wald. Er hat sich nach Wikin­gerart in dickes Bären­fell gekleidet und trägt Pfeil und Bogen über der Schulter. Er ist auf der Jagd und hat auch schon einmal geschossen – auf eine durch die wilde Gebirgs­land­schaft stol­pernde Haus­ziege. Zwar hat er getroffen, aber nicht richtig. Die Ziege hoppelt mit dem Pfeil in der Flanke davon. Sowieso scheint dem Mann nichts wirk­lich zu gelingen. Er steht genauso unpas­send im Gebirge wie die wahr­schein­lich einem Bauern entlau­fene Haus­ziege. Einsam, verloren und sehr hungrig fängt er an zu weinen.

Der Mann ist einer von vielen wilden Männern, die dem neuen Film von Thomas Daneskov seinen Titel geben: Wild Men. Natür­lich ist der Titel, ebenso wie der ganze Film – wie über­haupt alles, was mit diesen Männern zu tun hat –, eine Parodie.

Die Suche nach dem Männlichkeitsideal

Und wie es sich für eine Parodie gehört, schlurft der Bären­fell­träger nach dem verfehlten Schuss auf die Ziege und einem einsam verdrückten Trän­chen zur näch­sten Tank­stelle: einkaufen. Der Mann heisst Martin. Er ist auf einem Selbst­fin­dungs­trip in den norwe­gi­schen Wäldern.

Er sucht nach etwas, das ihm in der Zivi­li­sa­tion verlo­ren­ge­gangen zu sein scheint und das man mit einem Begriff aus der geschlech­ter­po­li­ti­schen Motten­kiste wohl als Männ­lich­keits­ideal bezeichnen könnte. Ein Wort, das allein mit seiner 90er-Jahre-Muffig­keit schon weit an aktu­ellen Diskursen vorbei­zielt, aber bestens zu diesem Film passt, der sich wenig um Augen­höhe mit dem Zeit­geist bemüht.

Auch inhalt­lich hat Wild Men auf den ersten Blick nicht allzu viel Neues zu bieten. Er reiht sich ein in das Genre des skan­di­na­vi­schen Gangster­mo­vies, das seit den 90ern einige gelun­gene Unter­hal­tungs­filme hervor­ge­bracht hat. Kraft­idioten zum Beispiel, mit Stellan Skarsgard und Bruno Ganz, oder natür­lich die Pusher-Trilogie von Nicolas Winding Refn.

In Wild Men kommt zur Gang­ster­ro­mantik noch die Ausstiegs­fan­tasie hinzu: Martin flüchtet vor dem tristen Fami­li­en­leben in die Wildnis. Dort trifft er auf den Klein­kri­mi­nellen Musa, der mit einer Tasche voll Geld vor seinen Gang­ster­kol­legen wegrennt. Gemeinsam schlagen sie sich in den norwe­gi­schen Bergen Rich­tung däni­scher Grenze durch, verfolgt von drei wunderbar verschro­benen Poli­zi­sten und den um ihre Einnahmen betro­genen Gang­stern. Womit auch schon alle wich­tigen Figuren benannt sind. FINTA-Personen treten allen­falls in kleinen Neben­rollen auf.

Simpel, aber auf den Punkt

Das Ganze ist also einfach gestrickt. Und trotzdem lohnt es sich, bei Wild Men etwas genauer hinzu­sehen. Denn in den Figuren, in ihren Konflikten und Flucht­ver­su­chen finden sich Ansätze einer sehr inter­es­santen Männlichkeitskritik.

Deut­lich wird das schon in der para­dig­ma­ti­schen Eröff­nungs­se­quenz: Der Mann, der in den Wald ging, um zur „echten Männ­lich­keit“ zurück­zu­finden, flennt wie ein kleiner Junge. Wieder in der Zivi­li­sa­tion aber – an der Tank­stelle – über­wäl­tigt ihn die Wut und er prügelt auf einen Ange­stellten ein, bis die Polizei kommt. Das ist nicht nur Parodie. Das ist ernst­ge­meinte Kritik an Männlichkeitsklischees.

Gleich­zeitig bleibt der Film in Sprache und Ästhetik aber so klar und direkt, dass er gewisse elitäre Blasen, in denen sich viele Kriti­sche-Männ­lich­keits­dis­kurse immer noch bewegen, durch­bre­chen kann.

Entspre­chend geht es nach dem rambo­ar­tigen Auftakt, der nicht zufällig an den ersten Teil von Stal­lones Männ­lich­keits­mas­saker First Blood erin­nert, erstmal in glei­cher Macho­ma­nier weiter: Musa und seine Gang­ster­kol­legen sind auf dem Weg, einen Drogen­deal abzu­schliessen. Nach einem Auto­un­fall nutzt Musa die Gele­gen­heit und verdrückt sich mit der gemein­samen Kohle. Der Selbst­er­fah­rungs­wi­kinger Martin findet Musa, versorgt die Wunden, und gemeinsam fliehen die beiden Männer tiefer in den Wald.

Nach der One-Man-Army-Show folgt nun der Buddy-Movie: Zwei bedin­gungslos aufein­ander ange­wie­sene Einzel­gänger schlagen sich gemeinsam durch. Auch das wird ironisch gebro­chen und kann mit einigen Momenten hervor­ra­gender Situa­ti­ons­komik aufwarten. Dabei hilft das präzise und nie auf die Pointe pochende Spiel der beiden Haupt­dar­stel­lenden: Rasmus Bjerg als Martin und Zaki Youssef in der Rolle des Musa – beide aus hoch­ka­rä­tigen däni­schen Fern­seh­pro­duk­tionen bekannt.

Fehlen noch die drei Poli­zi­sten und das Gang­sterduo im Verfol­ger­team. Alle porträ­tieren einfache Männ­lich­keits­kli­schees: Die Bullen sind softe Knall­chargen, die Gang­ster ironie­frei harte Kerle.

So gerad­linig wie die Figu­ren­kon­stel­la­tion verläuft dann auch die weitere Hand­lung: Die Männer­gruppen jagen sich gegen­seitig und geraten dabei in Situa­tionen, die ihre Bezie­hungen unter­ein­ander und ihre Selbst­bilder in Frage stellen.

Kriti­sche Männ­lich­keit für die Massen

Damit wird es aber auch tatsäch­lich inter­es­sant, denn Regis­seur Daneskov schafft – nicht durch­ge­hend, aber immer wieder – genau das, was man sich von der Eröff­nungs­se­quenz erhoffte: eine kriti­sche Männ­lich­keits­de­batte für das Mainstreamkino.

Es gelingt ihm, weil sich sein Ansatz nicht in der Bloss­stel­lung bestimmter Männ­lich­keits­kli­schees erschöpft. Das machen auch die immer noch wie Pilze aus dem Boden schies­senden Super­hel­den­filme, die damit gerade das Gegen­teil einer kriti­schen Ausein­an­der­set­zung errei­chen: Das Publikum darf über sich selbst lachen, um danach umso befreiter die ätzar­chai­sche Gewalt­orgie geniessen zu können. Heuch­le­ri­sche Holly­wood-Politik auf dem Boden stabiler Doppelmoral.

Das Lachen in Wild Men geht dagegen tiefer, weil es Männ­lich­keit in einer Art Pris­ma­re­fle­xion unend­lich aufspaltet. Hinter jedem Männ­lich­keits­kli­schee lauert immer schon das nächste. Hinter Martins Sehn­sucht nach altbackener Survi­val­frei­heit steht Musa mit seiner kindi­schen Gang­ster­ro­mantik, hinter Musa kommt der Bulle, der gerne starke Vater­figur wäre und so weiter.

Man lacht die über­kom­mene Männ­lich­keit nicht aus, um sich danach – zufrieden mit der eigenen Kritik­fä­hig­keit – in eben dieser zu suhlen. Das wäre ein klas­si­sches Muster des ironi­sierten Superheldenkinos.

In Wild Men steckt die Pointe gerade in der sich immer wieder­ho­lenden Erkenntnis, dass die einfache Kritik einfa­cher Männer­bilder nicht ausreicht. Oder anders: Kriti­sche Männ­lich­keit ist zumin­dest heute noch nicht abschliessbar. Sie ist ein Prozess, der gerade erst in Gang kommt und in dem hinter jedem scheinbar bewäl­tigten Männ­lich­keits­kli­schee unbe­dingt das nächste vermutet werden sollte.

Dem Kriegs­für­sten ist es peinlich

Eine Szene im Wald ist dafür beson­ders aufschluss­reich. Martin und Musa landen in einem Über­le­bens­camp für gestresste Gross­städter. Auch hier sind alle als Wikinger verkleidet – das scheint in skan­di­na­vi­schen Ländern eine ernst­hafte Ausstiegs­fan­tasie zu sein – und auch hier versu­chen die Männer, ihre Klischees wirk­lich zu leben. Weshalb sich die Neuan­kömm­linge anfangs auch hervor­ra­gend in die selbst­iso­lierte Männer­ge­sell­schaft einfügen, die archai­schen Rituale und Sprach­codes adap­tieren und – ja – beinahe glück­lich sind.

Leider kommt bald die drei­köp­fige Poli­zei­truppe ange­trabt. Musa und Martin verstecken sich und der Ober­wi­kinger vom Camp muss Papiere zeigen und zu Proto­koll geben, was er hier macht.

Es hätte beinahe funk­tio­niert: Die Survi­val­horde, zusam­men­ge­schweisst durch die harschen Bedin­gungen in rauer Natur, verschmilzt mit ihrem Klischee. Wilde Männer sind wilde Männer, sie sind Krieger, sie sind Wikinger. Unge­bro­chen und direkt.

Dann fragt der Poli­zist nach der Moti­va­tion und der Ober­wi­kinger fängt an rumzu­drucksen, weil es ihm doch ein biss­chen pein­lich ist. Die Kamera schwenkt über das Camp und der Bulle hält fest: „Das sieht aus wie eins von diesen Flücht­lings­camps.“ Der Wikin­ger­boss lässt den Kopf hängen und nickt: plötz­lich hilf­loser Geflüch­teter statt wilder Krieger.

So oszil­lieren in Wild Men die Männer­kli­schees ständig zwischen den Extremen, ohne je auf den Punkt zu kommen. Wodurch eben kein zufrie­denes (Männer-)Lachen entsteht, sondern eine sehr ernst­hafte Verun­si­che­rung, die bis zum Show­down, wenn alle Männer aufein­an­der­treffen und dann auch wirk­lich aufein­ander schiessen dürfen, durch­ge­halten wird.

Wie im ironi­schen Super­hel­den­film sind auch die Männer in Wild Men Witz­fi­guren. Sie behalten aber ihr beun­ru­hi­gendes Poten­tial, weil sie in der endlosen Auffä­che­rung der Klischees tatsäch­lich zum kriti­schen Denken anregen. Damit geben sie den Blick frei auf Urformen patri­ar­chaler Männ­lich­keit, ohne sie zu verharm­losen oder simpel zu ironisieren.

Klas­sen­über­grei­fend gegen das Patriarchat

Man sollte Wild Men nicht über­be­werten. Neben allem anderen ist der Film auch eine seichte Komödie, der das Spiel mit Männ­lich­keits­kli­schees immer wieder heftig entgleitet. Meistens dann, wenn die Dialoge ernster werden, die Inhalte aber genauso klischee­haft bleiben. Zum Beispiel, wenn Martin bei seiner schluss­end­li­chen Verhaf­tung die Flucht in den Wald mit den Worten erklärt: „Ich wollte einfach nicht mehr sprechen.“

Nicht mehr ständig quas­seln müssen, sondern ums Über­leben kämpfen als posi­tive Utopie: In diesem Moment durchaus ernst gemeint kommt das so plump daher, dass man am lieb­sten den Saal verlassen möchte.

Aus dem glei­chen Grund aber lohnt sich der Film in Zeiten wie diesen auch. Wo das Patri­ar­chat seine krie­ge­ri­sche Fratze wieder so unver­stellt zeigt, tut die kriti­sche Männ­lich­keit gut daran, den elitären Elfen­bein­turm zu verlassen und sich dem Ganzen etwas direkter entge­gen­zu­stellen. Verbün­dete finden ausser­halb der eigenen Bubble, der eigenen Klasse. Eine Einheits­front bilden gegen das Patri­ar­chat. Wild Men liefert dazu ein paar inter­es­sante Denkanstösse.

Wild Men, Regie: Thomas Daneskov, mit Rasmus Bjerg, Zaki Youssef, Bjørn Sund­quist und anderen, Kino­start Schweiz: 24.03.2022


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