„UBS fuck off!“ und „An heissen Tagen brennen Banken besser“, zitiert der Basler Staatsanwalt zwei der „martialischen“ Parolen, die am 8. Juli 2019 vor dem Haupteingang der UBS am Aeschenplatz skandiert worden seien. Kommunistische und anarchistische Symbole habe man ausmachen können. Als „vereinte Macht“ erschienen die rund hundert in weissen Overalls gekleideten Klimaaktivist*innen, deren Aktion „nicht friedlich“ gewesen sei.
Ausserdem sei ein Sachschaden von „80’820 Franken und 23 Rappen“ entstanden und UBS-Mitarbeiter*innen am Zutritt zur Filiale gehindert – also genötigt – worden.
Als ein nervös wirkender Staatsanwalt vergangene Woche am Basler Strafgericht in monotonem Rhythmus die Anklageschrift gegen fünf Klimaaktivist*innen vorliest, wähnt man sich kurz an der Vorführung einer dürrenmatt’schen Komödie, bei der unschuldige Teilnehmer*innen von einer imaginierten Schuld überzeugt und zu einem Geständnis bewegt werden sollen: Die Anklagepunkte sind diffus, die Beweislage schlecht — und selbst die Klägerin hat sich im letzten Moment aus der Affäre gezogen.
Doch seine Ausführungen machen klar, dass es dem Staatsanwalt ernst ist. Silvio Bürgi, verteidigender Anwalt, fragt in seinem Plädoyer kurz darauf: „Wieso musste es diesen kostspieligen und zeitaufwändigen Prozess überhaupt geben?“ Ja — wieso eigentlich?
Keine Beweise, keine Argumente
Zur Gerichtsverhandlung kam es, da die Staatsanwaltschaft im Eiltempo eine Serie an Strafbefehlen herausgab, nachdem die Klimaktivist*innen am 8. Juli 2019 mit Vorankündigung den Haupteingang der UBS am Aeschenplatz blockierten, von der Polizei geräumt und 19 Personen verhaftet wurden. Die UBS ihrerseits, die im Vornherein von der Aktion wusste und ihre Mitarbeiter*innen informierte, reichte Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Nötigung ein, zog diese jedoch nach einem gegenseitigen Einverständnis mit den Aktivist*innen wenige Wochen vor der Verhandlung wieder zurück. Die Staatsanwaltschaft liess in der Folge hingegen nicht von den Vorwürfen ab und behandelte die von der UBS gestellten Anklagepunkte und den Tatbestand des Landfriedensbruchs als Offizialdelikte.
Mangels „aggressiver Grundstimmung“ und Beweisen weicht der Staatsanwalt in seiner Anklageschrift von den Punkten Landfriedensbruch und Hausfriedensbruch ab, insistiert jedoch umso mehr auf Sachbeschädigung und Nötigung. Jede*r der fünf Angeklagten hätte diese Straftaten durch blosse Anwesenheit mitgetragen. Die Öffentlichkeit habe ein Interesse daran, dass es zu einer Strafe komme, da die Angeklagten jegliche Achtung und Respekt vor fremdem Eigentum und der Bewegungsfreiheit vermissen liessen.
Die Strategie des Staatsanwaltes ist offensichtlich: Dieser friedliche Protest soll kriminalisiert werden.
So werden aus Kleinigkeiten und Mutmassungen harsche Tatbestände abgeleitet. Ein UBS-Mitarbeiter beispielsweise soll körperlich und verbal angegangen worden sein, wie Behauptungen in den Akten wiedergeben würden. Jedoch sei dies kein ausreichender Beweis, wie Anwalt Silvio Bürgi entgegnet: „Die Staatsanwaltschaft hat nicht einmal bei der UBS nachgefragt, ob sich jemand genötigt gefühlt habe. So führt man kein Strafverfahren.“
Auch der Vorwurf der Sachbeschädigung ist diffus: Der Sachschaden setze sich zusammen aus Schmierereien mit Kohle an der Fassade der Filiale, die mit Wasser abgewaschen werden mussten, Kritzeleien an Plexiglasscheiben und beschädigten Pylonen, die ersetzt hätten werden müssen. Dabei seien ausserdem CO2-Emmissionen entstanden, was dem Interesse der Aktivist*innen doch widerspreche, wie der Staatsanwalt seinen Ausführungen hinzufügt.
Einer der Angeklagten wirft der Staatsanwalt zudem vor, 2019 in Bern Werbeplakate von Basefit, Denner und APGSGA übermalt zu haben — „Insgesamter Sachschaden: 7215 Franken und 40 Rappen.“ Der Beweis: Auf den Schuhen der Angeklagten hätten die Ermittler*innen einen violetten Farbtupfer entdeckt, im selben violetten Ton, in dem auch die Plakate übermalt wurden, so der Staatsanwalt. Somit sei ihre Zugehörigkeit zu einem linksaktivistischen Milieu bestätigt.
Die verteidigende Anwältin der vermeintlichen Plakatübermalerin macht sich daraufhin die Mühe und legt die Lücken in der Beweisführung kleinlich offen: Weder habe die Staatsanwaltschaft überprüft, ob die violette Farbe tatsächlich aus der selben Tube stammte. Noch haben die Ermittlungen berücksichtigt, dass am Tag dieses Ereignisses feministischer Streiktag war und die ganze Stadt Bern in violett getaucht war.
„Dieses Verhalten liegt nahe am Machtmissbrauch“, sagt Verteidiger Bürgi in seinem Plädoyer. „Das ist Gesinnungsstrafrecht.“ Einerseits fussen die einzelnen Tatbestände auf absurden Annahmen. Andererseits sei höchst problematisch, dass die Staatsanwaltschaft diese aufgrund von Mittäterschaft auf die Angeklagten übertragen wolle. Wenn jede*r Teilnehmer*in einer Demonstration für alle Handlungen der anderen haftbar gemacht werden könne, schränke dies das Grundrecht auf freie Meinungsäusserung massiv ein. Von Individualstrafrecht könne hier nicht die Rede sein.
Ein Schub für die Klimabewegung
Das Prozessgeschehen verdeutlicht, dass die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt nicht von ihrem Grundsatz abzukehren gedenkt, Protest aus der ausserparlamentarischen Linken um jeden Preis verfolgen und kriminalisieren zu wollen. Auch wenn ihr dafür keine stichhaltigen Beweise vorliegen. Genau wie bei den derzeit laufenden Basel-Nazifrei-Prozessen besteht ihr eindringliches Ziel auch in diesem Prozess darin, Aktivist*innen einzuschüchtern und von weiteren Demonstrationen abzuhalten.
„Wo stehen wir als Gesellschaft, wenn Menschen, die sich friedlich für ihre Sache engagieren, kriminalisiert werden und auf der anderen Seite Grossbanken und Konzerne ohne jegliche juristische Folgen Klimawandel einheizen?“, sagt Emma*, eine der Angeklagten im Interview. Ihr anfänglicher Schock über die Verhaftung und die Anklage sei durch die grosse Solidarität der Klimabewegung und ihres persönlichen Umfeldes rasch übergegangen in die Überzeugung, weiter für die Sache einzustehen.
„Wir stärken uns gerade gegenseitig und wachsen an diesem Prozess“, sagt sie weiter. „Ich habe das Gefühl, dass wir dadurch noch mehr Motivation erhalten, uns für Klimagerechtigkeit einzusetzen.“
Der Staatsanwalt scheint für diese Form des Aktivismus kein Verständnis zu haben: „Im Namen der Klimabewegung werden Prinzipien der Demokratie ausgehebelt“, sagt er in seiner Replik auf die Plädoyers und verweist dabei auf einen Artikel in der NZZ, indem für ebendiese Meinung argumentiert werde.
Duplik von Silvio Bürgi: „Die Staatsanwaltschaft nimmt Banken nicht nur juristisch, sondern auch politisch in Schutz. Dies ist äusserst fragwürdig.“
Vertagtes Weisungsurteil
Zwischen demokratiepolitischen Grundsatzdebatten und juristischer Begriffsschlacht wird der Prozess aufgefrischt durch ausschweifende Appelle des Anwaltes Andreas Noll: „Ich wünsche mir mehr solche Aktionen wie bei der UBS“, sagt er zum Schluss einer eindringlichen Schilderung des klimapolitischen Versagens von Regierung und Parlament. „Seit ich in der Schule bin, wissen wir um die existenzielle Gefahr der Klimaerwärmung. Und was hat die Politik bis heute dagegen gemacht? Nichts.“ In seiner Passivität vernachlässige der Staat das Wohl der Bürger*innen. Dabei sei das Allgemeinwohl die alleinige Legitimation für Herrschaft.
„Wo bleibt der Leviathan, wenn es um die UBS geht?“, fragt Noll eine sichtlich genervte Gerichtspräsidentin Susanne Nese. Durch sein Nichtstun in der Klimakrise falle dem Staat die Legitimation zur Bestrafung von Klimaaktivist*innen ab.
Vom Aufzeigen der existenziellen Bedrohung der Klimakrise über einen rechtsphilosophischen Appell an die Handlungsverpflichtung des Staates kommt Noll in trockener strafrechtlicher Rhetorik auf die konkrete Aktion der Aktivist*innen zurück: „Die Notwehr wäre in diesem Fall das schlagendere Argument als der Notstand. Die UBS ist Angreiferin, mittelbare Täterin.“ Die Aktion der Klimaaktivist*innen sei aufgrund der klimaschädlichen Investitionen UBS nicht einer Strafe zu unterziehen. Selbst wenn die von der Staatsanwaltschaft aufgestellten Anklagepunkte Sachbeschädigung und Nötigung zutreffen würden.
Ein Gerichtsentscheid, der diese Argumentation und darüber hinaus den Notstand in die juristische Beurteilung einbeziehen würde, wäre wegweisend für die zukünftige Beurteilung von Klimagerechtigkeits-Aktivismus. Vor allem, nachdem das Kantonsgericht Waadt Klimaaktivist*innen in einem ähnlichen Fall in zweiter Instanz verurteilte.
Dass es zu einem wegweisenden Urteil diesmal nicht kommt, liegt daran, dass das Gericht die Angeklagten in allen Punkten freispricht. Zwar kam Richterin Nese zum Schluss, dass die Kohlebemalungen an der Filiale tatsächlich als Sachbeschädigungen eingestuft werden können. Dies kann wegen des Mangels an Beweisen allerdings nicht auf die fünf Angeklagten übertragen werden.
Was bleibt? Viel heisse Luft um Nichts, immer noch viel heisse Luft in der Atmosphäre. Es ist längst an der Zeit, dass sich die Justiz mit denjenigen beschäftigt, die mit ihren Investitionen für die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen verantwortlich sind, statt mit Menschen wie Emma, die sich mutig für eine lebenswerte Zukunft aller einsetzen. „Die Zeit ist knapp. Wir können uns von den Repressionen nicht einschüchtern lassen“, sagt Emma überzeugt. „Von Politik, Grossbanken und Grosskonzernen können wir kein effektives Vorgehen erwarten. In Zeiten eines solchen Notstandes ist ziviler Ungehorsam immer noch ein legitimes und notwendiges Mittel, um darauf aufmerksam zu machen.“
*Name von der Redaktion geändert
Mitarbeit: Anina Ritscher
Journalismus kostet
Die Produktion dieses Artikels nahm 16 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1092 einnehmen.
Als Leser*in von das Lamm konsumierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demokratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produktion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rechnung sieht so aus:
Wir haben einen Lohndeckel bei CHF 22. Die gewerkschaftliche Empfehlung wäre CHF 35 pro Stunde.
CHF 560 → 35 CHF/h für Lohn der Schreibenden, Redigat, Korrektorat (Produktion)
CHF 272 → 17 CHF/h für Fixkosten (Raum- & Servermiete, Programme usw.)
CHF 260 pro Artikel → Backoffice, Kommunikation, IT, Bildredaktion, Marketing usw.
Weitere Informationen zu unseren Finanzen findest du hier.
Solidarisches Abo
Nur durch Abos erhalten wir finanzielle Sicherheit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unterstützt du uns nachhaltig und machst Journalismus demokratisch zugänglich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.
Ihr unterstützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorgfältig recherchierte Informationen, kritisch aufbereitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unabhängig von ihren finanziellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Journalismus abseits von schnellen News und Clickbait erhalten.
In der kriselnden Medienwelt ist es ohnehin fast unmöglich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkommerziell ausgerichtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugänglich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure solidarischen Abos angewiesen. Unser Lohn ist unmittelbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kritischen Journalismus für alle.
Einzelspende
Ihr wollt uns lieber einmalig unterstützen?