Schon seit dem frühen Nachmittag warten die Passagiere auf dem Deck der Cruise Smeralda. Ungeduldig schauen sie den Autos und Kleintransportern zu, die unaufhörlich ins Innere der Fähre fahren. Es scheint, als würden diese durch das Schiff direkt ins Meer fallen, so viele Fahrzeuge haben Platz. Nun ist es Abend. Die Ladeluken schliessen sich und die Schiffshupe signalisiert das Auslaufen des Stolzes des Mittelmeers aus dem Hafen von Tanger. Das Zwischenziel ist Barcelona, dann geht es weiter ins italienische Savona. Vor den Passagieren liegen drei Tage und zwei Nächte auf diesem temporären Zuhause von 200 Metern Länge und 25 Metern Breite. Fällt man über die Reling, behüte Gott oder hoffe auf einen lebensrettenden Delfin.
Solch eine Schiffsreise tut man sich nur in Ausnahmefällen an. Entweder transportiert man ein Auto inkl. Ladung von Afrika nach Europa, leidet an Flugangst oder ist Hobby-Adventurer. Einfacher wäre es, wenn man mit dem Flugzeug von Marokko zurück in die Schweiz fliegen würde. Das geht schnell, ist bequem und kostet mit etwas Glück beim Frühbucherrabatt sehr wenig Geld. Wenn da nicht die Sache mit den Emissionen wäre: Laut MyClimate verbraucht ein Flug von Marrakesch nach Basel 0.440 Tonnen CO2. Das entspricht beinahe einem Viertel des Budgets von 2 Tonnen, das einem auf dem moralischen Konto der 2000-Watt-Gesellschaft zusteht (one-way!). Dieser dreieinhalbstündige Flug verursacht die gleiche Menge an CO2 wie einE EinwohnerIn von Bangladesch, Kamerun oder Afghanistan in einem Jahr durchschnittlich verantwortet. Fakt ist: Das Ersparte, geschenkt von Mutter Erde, ist leider schnell weg.
Alles für nichts?
Inzwischen stehen viele Passagiere auf dem Deck, schiessen Selfies vor dem Sonnenuntergang, rauchen Zigaretten und wundern sich, wie schmal die Strasse von Gibraltar tatsächlich ist. Das Meer wechselt langsam die Farbe von grün zu schwarz. Schwarz sind auch die kleinen Partikel, die wie Schneeflocken aus dem Schiffskamin in die Abendluft hinauf schiessen. Manchmal sogar fallen diese Partikel unweit vom Kamin dirket aufs Deck. Fängt man sie ein und betrachtet sie, muss man sich fragen, ob die Schiffsfahrt im Namen des Klimas tatsächlich eine so gute Idee war.
Es ist nämlich nicht einfach auszurechnen, wieviele Emissionen eine Schiffsfahrt von Tanger nach Savona tatsächlich ausstösst. Die Fähre scheint ein Relikt aus der Vergangenheit, wird als Option bei den gängisten Rechnern zum ökologischen Fussabdruck gar nicht mehr angegeben. Obwohl das Kreuzfahrtschiff der Fähre am ähnlichsten ist, kann man das nicht vergleichen: Laut MyClimate kommt man mit einem Kreuzfahrtschiff für eine Reise, die drei Tage dauert, auf 0.772 Tonnen CO2. Hiesse das, dass die ganze Seekrankheit für nichts war?
Eine Tat, grosse (Spoiler: 40-fache) Wirkung
Das Leben auf hoher See gleicht einer Schnittmenge aus marokkanischen Bazar und italienischem dolce far niente. Die Männer essen Poulet, die Frauen sind Schatten, die Kinder rennen herum. Dazu mischen sich Pasta Pomodoro und Espressi. Es gibt ein Casino, niemand drin, und ein Jacuzzi, leider ausser Betrieb. Was funktionert, sind die Musikboxen. Es läuft arabische Disco in einer Lautstärke, die sogar in Italien verboten wäre. Schlafen können nur wenige, das Wasser peitscht an die Schiffswand, es quietscht und knarzt.
Doch Wachsein hat auch sein Gutes. Es bleibt mehr Zeit, sich um den Emissions-Haushalt der Schiffsreise zu kümmern. Fündig wird man auf der Homepage P&O Ferrymaster. Ganz einfach lassen sich hier die Emissionen von Schiffs- und Fährreisen ausrechnen:
- Typ: Ro-Ro Ferry.
- Totale Distanz (km): 2000 (geschätzt).
- Payload (kgs): 100 kg (Gewicht Passagier plus Gepäck).
Summa Summarum ergibt das: 10.3 kg CO2eq. Über 40 mal weniger Emissionen als mit dem Flugzeug, fast 75 mal weniger als mit dem Kreuzfahrtschiff.
Mit diesem tiefen Wert kann man nicht einmal mit dem Auto um den Zürisee fahren. Ein wohliges Gefühl macht sich breit. Durch eine einzige Handlung spart man Emissionen ein, die man durch Alltagshandlungen nur ganz schwer kompensieren kann. Die Fahrt hat sich also sehr, sehr, sehr gelohnt.
Der Wert ist jedoch so tief, dass er etwas stutzig macht. Kann man tatsächlich 40 Mal das Schiff nehmen, bis man so viele Emissionen wie mit einem Flug ausstösst? Sinn macht der Wert erst, wenn man das eigene Körpergewicht in Bezug zur Cruise Smeralda setzt: Das Schiff hat Platz für 1528 Passagiere, die Garagenkapazität beträgt 2.130 Linearmeter plus 819 Autos. Voll beladen wiegt sie 29’968 Tonnen. Da sind die 100 kg wie eine halbe Stechmücke auf dem Rücken eines Elefanten.*
Auch James Bond hat Mühe die Welt zu retten
Schön wäre es, würde diese Botschaft etwas leichter zugänglich sein. Es darf in unserer transparenten und aufgeklärten Welt nicht sein, dass es so schwierig ist, eine einfache Reise mit zwei unterschiedlichen Verkehrsmitteln zu vergleichen. Hinzu kommt, dass immer wieder Texte mit negativen Schlagzeilen zum Thema Emissionen der Schifffahrt kursieren. Obwohl sich diese Texte hauptsächlich auf die Containerschifffahrt und den damit einhergehenden globalen Konsum sowie Kreuzfahrtschiffe beziehen, stiften sie mit Titeln wie „Schifffahrt — Das schmutzigste Gewerbe der Welt“, „Das schmutzigste Gewerbe der Welt bleibt auf Kurs” oder „Schiffe verpesten Luft mehr als Flugzeuge” mächtig Verunsicherung für Reisende.
Im Fernseher der Bord-Cafeteria läuft James Bond. Sogar er hat Mühe, die Welt zu retten. Die ZuschauerInnen essen Popcorn und freuen sich, dass sich die Cruise Smeralda langsam der italienischen Küste nähert. Nach 52 Stunden wieder festen Boden unter den Füssen zu haben — ist das ein gutes Gefühl. Noch besser fühlt sich dies mit einem beruhigten Umweltgewissen an. Schifffahren auf so einer Fähre kann ein Erlebnis sein, ist aber in erster Linie ein Statement. Denn ein Flug killt jede Ökobilanz.
*Natürlich muss darauf hingewiesen werden, dass die Emissionen einer Schifffahrt beziehungsweise einer Flugreise immer vom tatsächlichen Maschinentyp (Stand der Technik), vom Treibstoff, von der Auslastung, ja sogar von der Wetterlage abhängen. Gewisse Fakten sind somit verhandelbar, die Botschaft jedoch nicht.
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