6 Gründe, wieso Verbote gar nicht so schlimm sind

Egal, ob es um die Klima­krise, den Mikro­pla­stik in den Meeren oder die Fein­staub­be­la­stung in den Städten geht: In Umwelt­de­batten wird immer wieder vor zu vielen Verboten gewarnt. Aber Verbote haben auch Vorteile. Eine Verteidigungsschrift. 
Klar, Verbote können einem den gemütlichen Sommertag am See auch so richtig verderben. Aber sie haben auch einige Vorteile. ((c) DocChewbacca)
Klar, Verbote können einem den gemütlichen Sommertag am See auch so richtig verderben. Aber sie haben auch einige Vorteile. (Foto: DocChewbacca)

Verbote, Regu­lie­rungen und Einschrän­kungen sind nicht sonder­lich beliebt. Bevor­mun­dend und nicht liberal seien sie. Ja sogar unnütz, weil nach­hal­tige Verän­de­rungen nicht durch Gesetze, sondern nur durch ein Umdenken jeder und jedes Einzelnen erreicht würden. Anreize zu setzen, um die Leute auf der Basis von Frei­wil­lig­keit zu einer anderen Hand­lungs­weise zu bringen, liegt viel höher im Trend, als etwas einzu­schränken oder gar zu verbieten. Und klar: Es gibt Verbote, die nerven oder sogar mehr schaden, als sie nützen. Aber: Verbote und Regu­lie­rungen haben auch Vorteile. Hier kommen sechs Gründe, weshalb Verbote auch sinn­voll sein können.

1) Weil Verbote alle gleich behandeln

Naja, du musst ja keine Plastik­fla­schen kaufen, wenn du nicht willst. Und du musst ja auch nicht in ein Flug­zeug steigen. Und das stimmt. Aber solange es alle anderen machen, sind dieje­nigen, die es frei­willig lassen, nur eines: die Deppen. Denn laut einem Bericht des Schweizer Fern­se­hens sind die Kosten, die durch den Klima­wandel auf uns zukommen, enorm. Nicht nur für einen besseren Hoch­wasser- und Lawi­nen­schutz werden wir Geld in die Hand nehmen müssen. Auch die indi­vi­du­ellen Lebens­hal­tungs­ko­sten werden, unter anderem wegen höheren Versi­che­rungs­prä­mien, steigen.

Bezahlen werden diese Rech­nung alle. Die EasyJet-Viel­flie­gerin genauso wie der Nacht­zug­fahrer. Wer ein biss­chen rechnen kann, merkt schnell: Frei­willig bereits heute mehr Geld für eine zeit­in­ten­sive Zugfahrt nach Berlin auszu­geben, während andere in einer Stunde für einen Bruch­teil des Preises hinfliegen, lohnt sich nicht. Denn dann wird man am Schluss doppelt bezahlt haben. Ironi­scher­weise benach­tei­ligt das Prinzip „Frei­wil­lig­keit“ genau dieje­nigen, welche es anspricht. Verbote hingegen würden alle gleich behandeln.

2) Weil dann auch dieje­nigen mitma­chen könnten, denen es jetzt zu kompli­ziert ist

„Ich weiss ja schon, dass es wichtig wäre, aber ich kriegs halt einfach nicht hin.“ So oder ähnlich hört es sich an, wenn man die Leute darauf anspricht, weshalb sie ihren Kaffee in einem Wegwerf­be­cher bestellt haben, trotzdem das Auto genommen haben, um in den Urlaub zu fahren, oder der aus Peru einge­flo­genen Spargel doch nicht wider­stehen konnten. Sie würden eigent­lich gerne alles richtig machen – für das Klima, für die Zukunft ihrer Kinder und für eine gerech­tere Welt. Aber es über­for­dert sie.

Und das ist zu einem gewissen Grad sogar nach­voll­ziehbar. Denn es erfor­dert einiges an Energie sich zu merken, welche Labels vertrau­ens­würdig sind, welche Gemü­se­sorten gerade Saison haben, oder auch einfach an einem unwi­der­steh­li­chen Angebot vorbei­zu­gehen. Verbote könnten uns den Alltag in vielerlei Hinsicht erleich­tern, weil die klima­schäd­li­chen Vari­anten dann viel­leicht gar nicht mehr im Regal stehen würden.

3) Weil wir keine Zeit mehr haben

Das am 16. Februar 2005 in Kraft getre­tene Kyoto-Proto­koll legte erst­mals völker­recht­lich verbind­liche Ziel­werte für den Ausstoss von Treib­haus­gasen in den Indu­strie­län­dern fest. Seit gut 15 Jahren versu­chen wir nun, auf dem Weg der Frei­wil­lig­keit diese Ziel­werte zu errei­chen: Die Leute sollen von sich aus darauf verzichten, den Flieger zu nehmen. Die Firmen sollen von sich aus auf Solar­energie umsteigen. Und die Anle­ge­rinnen und Anleger sollen ihr Geld frei­willig nur noch in grüne Projekte inve­stieren. Heraus­ge­kommen ist dabei nicht wirk­lich viel. Wahr­schein­lich auch, weil dieje­nigen, die allein vorpre­schen, im heutigen System nicht belohnt, sondern eben schluss­end­lich doppelt zur Kasse gebeten werden (siehe Punkt 1).

Und deshalb verur­sacht auch heute noch jeder Schweizer und jede Schwei­zerin einen CO2-Ausstoss von 14 Tonnen pro Jahr (nicht einge­rechnet ist der inter­na­tio­nale Flug- und Schiffs­ver­kehr). Laut dem Bundesamt für Umwelt liegen aber maximal 0.6–1.5 Tonnen pro Person und Jahr drin. Es braucht schon sehr viel Reali­täts­fremd­heit, um zu glauben, dass man mit einer Methode, die 15 Jahre nicht zum gewünschten Ziel geführt hat, nun plötz­lich bahn­bre­chende Erfolge erzielen wird.

4) Weil sie uns schützen

Es gibt Sachen, da sind wir alle froh, dass sie verboten sind: morden oder stehlen etwa. Diese Dinge auf der Basis von frei­wil­ligem Verzicht regeln zu wollen, wäre absurd. Trotzdem sind auch diese Verbote eine Bevor­mun­dung derje­nigen, die gerne stehlen oder morden wollen. Jedoch eine gerecht­fer­tigte Bevor­mun­dung. Wieso? Weil der Schutz aller anderen in der Gesell­schaft diese Bevor­mun­dung mehr als aufwiegt. Auch Klima­wandel, Mikro­pla­stik und Fein­staub können in letzter Konse­quenz töten. Laut einem Artikel auf ZEIT ONLINE gehen etwa 315’000 Tote pro Jahr auf den Klima­wandel zurück. Verbote bevor­munden. Das stimmt. Aber in gewissen Fällen ist diese Bevor­mun­dung gerechtfertigt.

5) Weil finan­zi­elle Anreize dieje­nigen bestrafen, die ohnehin nicht viel haben

Neben der Frei­wil­lig­keit setzen die Gegne­rinnen und Gegner von Verboten auf ein zweites Instru­ment: finan­zi­elle Anreize. Fliegen, Wegwerf­ge­schirr und Heizöl sollen so teuer werden, dass wir sie nicht kopflos konsu­mieren. Klima­schäd­li­ches Verhalten wird dadurch kaufbar. Wer reich genug ist, kann weiterhin für ein Safa­ri­wo­chen­ende nach Nairobi fliegen und den Aussen­pool auch im Winter durch­ge­hend auf Sauna­tem­pe­ratur heizen. Zurück­stecken müssten einmal mehr nur dieje­nigen, die weniger Geld haben.

6) Weil mit Verboten viel­leicht auch nicht alles perfekt wäre, aber fairer als jetzt

Natür­lich wäre auch eine Gesell­schaft, die im Ökobe­reich stärker auf Verbote und Regu­lie­rungen setzen würde statt auf Frei­wil­lig­keit und finan­zi­elle Anreize, nicht für alle zu hundert Prozent fair. Das ist ein System nie. Für jemanden, der seine Familie am anderen Ende der Welt hat, wäre beispiels­weise ein Flug­verbot viel gravie­render als für jemanden, der mit seinen Lieb­sten im selben Dorf lebt. Aber fairer als heute wäre es allemal. Denn jetzt gerade verbal­lern wir die natür­li­chen und finan­zi­ellen Ressourcen zukünf­tiger Gene­ra­tionen und gefährden die Lebens­grund­lage von 140 Millionen Menschen, die schon bald zu Klima­flücht­lingen werden könnten.

Was wir genau verbieten, auf welchem Weg wir uns einigen und wie wir allfäl­lige Verbote genau umsetzen, wäre Stoff für viele weitere Artikel. Eines ist aber klar, auch wenn es alles andere als sexy klingt: Verbote und Regu­lie­rungen können uns helfen, ökolo­gi­sche Probleme zu lösen. Denn sie haben mehr Vorteile, als ihr schlechter Ruf erahnen lässt.


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