Für Yvonne Oe.* war es eine schreckliche Nachricht. „Einen Tag vor meinem Besuch von Reto** rief mich das Flughafengefängnis an, um mir zu sagen, ich könne Reto nicht besuchen. Der Termin sei gestrichen“. Und nicht nur das: Im ganzen Kanton Zürich sind, mit Ausnahme der Untersuchungshaft, alle Gefängnisbesuche bis mindestens Ende März untersagt. Grund für diesen Einschnitt in das Leben der Insass*innen ist der Ausbruch des Coronavirus in der Schweiz.
Jessica Maise, Sprecherin des Amts für Justizvollzug des Kantons Zürich, bestätigt den Entscheid gegenüber das Lamm. Dieser sei aufgrund der Fürsorgepflicht der Vollzugsanstalten gegenüber den Inhaftierten gefallen. Den Entscheid „erachten wir als notwendig um die Gefangenen, zu denen auch ältere und/oder vorerkrankte Personen gehören, vor einer Ansteckung möglichst zu schützen, auch wenn es einen hundertprozentigen Schutz nicht gibt“, so Maise. Ausgenommen von diesem Entscheid sei der Besuch durch Anwält*innen sowie Besuche von Untersuchungshäftlingen. Letztere dürfen sowieso nur durch eine Trennscheibe hindurch mit ihren Besucher*innen kommunizieren.
Für Hanna Gerig, Geschäftsleiterin des Solinetzes, ist dies ein einschneidender Entscheid für das Leben der Inhaftierten, der die allgemeinen Schutzmassnahmen im Zusammenhang mit dem Coronavirus deutlich übertrifft. Das Solinetz besucht seit 2009 Inhaftierte im Flughafengefängnis in Zürich, Kloten. Die meisten Insass*innen sind dort wegen illegalen Aufenthalts inhaftiert; viele warten auf ihre Ausschaffung. Dies kann zum Teil Monate dauern. „Die Menschen werden hier wie Verbrecher behandelt, obwohl sie keine Straftat begangen haben“, so Gerig. Die Solinetz-Aktivist*innen sind für die Inhaftierten oft der einzige soziale Kontakt – abgesehen von der Gefängnisverwaltung und anderen Insass*innen. Denn auch ohne Corona gibt es schon unzählige Hürden, um jemanden im Flughafengefängnis zu besuchen. Die Besuchszeiten beschränken sich auf Wochentage, Besucher*innen müssen einen Strafregisterauszug einreichen und 5 Arbeitstage auf die Überprüfung des Besuchsantrags warten.
„Die Inhaftierung ist psychisch extrem belastend“, sagt Gerig. „Unsere Besuche sind ein Versuch, diese Belastung etwas zu mildern und der Isolation entgegenzuwirken“. Nur mit den Solinetz-Besuchen könnten manche Gefangene wirklich über ihre persönliche Situation reden und zur Ruhe kommen. Hanna Gerig: „Einige sagen, sie können wieder schlafen, seit sie von uns Besuch erhalten“. Der plötzliche Kontaktabbruch könnte dementsprechend schwerwiegende Folgen haben.
Tiziana R. ist eine weitere Freundin von Reto und besucht diesen regelmässig. Sie kann die Entscheidung des Kantons nicht nachvollziehen. „Es kommen selten viele Menschen ins Gefängnis. Man hätte vorerst andere Massnahmen treffen müssen“. Der Kontakt mit Menschen der Aussenwelt sei für die Inhaftieren enorm wichtig. „Nur so haben sie die Möglichkeit, unzensiert mit jemandem über ihre Situation zu reden“, so Tiziana R. Das Haftregime sei schon mit Besuch enorm hart.
Für Maise vom Amt für Justizvollzug wird „der Kerngehalt des Rechts auf Kontakt mit der Familie gewährleistet, da die Gefangenen Briefe schreiben und telefonieren können“. Auch sei dies nicht die einzige Massnahme, die gegen die Verbreitung des Coronavirus getroffen wurde. Neben der allgemein empfohlenen Distanzierung, müssten auch „urlaubsberechtigte Insassen im geschlossenen Vollzug ihren Urlaub bzw. Ausgang verschieben“.
* Name der Redaktion bekannt
** Name geändert
Journalismus kostet
Die Produktion dieses Artikels nahm 6 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 572 einnehmen.
Als Leser*in von das Lamm konsumierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demokratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produktion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rechnung sieht so aus:
Wir haben einen Lohndeckel bei CHF 22. Die gewerkschaftliche Empfehlung wäre CHF 35 pro Stunde.
CHF 210 → 35 CHF/h für Lohn der Schreibenden, Redigat, Korrektorat (Produktion)
CHF 102 → 17 CHF/h für Fixkosten (Raum- & Servermiete, Programme usw.)
CHF 260 pro Artikel → Backoffice, Kommunikation, IT, Bildredaktion, Marketing usw.
Weitere Informationen zu unseren Finanzen findest du hier.
Solidarisches Abo
Nur durch Abos erhalten wir finanzielle Sicherheit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unterstützt du uns nachhaltig und machst Journalismus demokratisch zugänglich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.
Ihr unterstützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorgfältig recherchierte Informationen, kritisch aufbereitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unabhängig von ihren finanziellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Journalismus abseits von schnellen News und Clickbait erhalten.
In der kriselnden Medienwelt ist es ohnehin fast unmöglich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkommerziell ausgerichtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugänglich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure solidarischen Abos angewiesen. Unser Lohn ist unmittelbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kritischen Journalismus für alle.
Einzelspende
Ihr wollt uns lieber einmalig unterstützen?