So wenig wird wirk­lich per Flug­zeug aus der Schweiz expor­tiert (Update)

Schon zum zweiten Mal bauscht Bundes­bern die Flug­branche mit frag­wür­digen Zahlen auf. Nach den massiv über­höhten Arbeits­platz­zahlen recht­fer­tigt das UVEK die Rettungs­kre­dite für die Branche diesmal mit den Flug­ex­porten: Ein Drittel aller Export­waren würde die Schweiz via Flug­zeug verlassen. Unsere Recher­chen zeigen: Der Treib­stoff der expor­tie­renden Flug­zeuge macht den Löwen­an­teil der Export­tonnen aus. 
Symbolbild (Foto: Jason Goh / Pixabay)

Update 1. Juni:
In der ursprüng­li­chen Version dieses Arti­kels ist dem
Lamm ein Fehler unter­laufen. Die Berech­nung der benö­tigten Flüge, um die Schweizer Luft­fracht zu expor­tieren, stimmte so nicht. Dafür bitten wir um Entschul­di­gung. Das Problem: Das Lamm ging von einer durch­schnitt­li­chen Fracht­ka­pa­zität von 25 Tonnen bei Passa­gier­flug­zeugen aus. Auch, weil die Swiss auf Anfrage nur die Fracht­ka­pa­zität ihrer grössten Flug­zeuge genannt hatte. Wohl, um sich möglichst gross darzu­stellen. Tatsäch­lich ist die durch­schnitt­liche Kapa­zität kleiner als 25 Tonnen. In dieser Version wurde dieser Fehler behoben. Alles andere, was geschrieben wurde, stimmt nach wie vor. 

Vor wenigen Wochen hat das Depar­te­ment für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommu­ni­ka­tion (UVEK) gesagt, dass indi­rekt rund 190’000 Arbeits­plätze an der Flug­branche hängen würden. Tatsäch­lich schafft die Schweizer Flug­branche jedoch ledig­lich 44’000 direkte und 23’000 indi­rekte Arbeits­plätze. Um auf die kommu­ni­zierten 190’000 Arbeits­plätze zu kommen, rech­nete das UVEK noch Jobs in ganz anderen Bran­chen dazu (das Lamm berich­tete). Darauf ange­spro­chen meinte das UVEK, man wolle in Zukunft klarer sein bei der Kommu­ni­ka­tion der Zahlen. Doch anschei­nend waren das leere Worte.

Die Kommu­ni­ka­tion ist erneut irreführend

An der Pres­se­kon­fe­renz vom 29. April nannte Somma­ruga als Begrün­dung für die Unter­stüt­zung der Flug­branche nicht mehr die zu rettenden Arbeits­plätze, sondern die Bedeu­tung der Luft­fahrt für den Schweizer Import und Export: „Die Luft­fahrt gehört zu den kriti­schen Infra­struk­turen der Schweiz. Sie trägt dazu bei, die inter­na­tio­nale Anbin­dung sicher­zu­stellen. Die Schweiz ist darauf ange­wiesen. Mehr als ein Drittel unserer Exporte verlassen per Flug­zeug das Land. […] Das heisst, daran hängen dann auch viele Firmen, Liefer­ketten und Arbeitsplätze.“

Diese Zahl findet man auch im Bericht „Luft­ver­kehr und Nach­hal­tig­keit, Update 2015“ vom Bundesamt für Zivil­luft­fahrt (BAZL). Doch bei genauem Hinsehen zeigt sich: Es ist alles ein biss­chen kompli­zierter. Nur gemessen am Wert verliessen 37.5% aller Exporte[1] per Luft­fracht die Schweiz, heisst es im Bericht. Gemessen am Volumen betrug der Anteil an per Luft­fracht expor­tierten Gütern 2014 gerade einmal 4% des Schweizer Gesamt­ex­ports, wie auch die aktu­ell­sten Zahlen der eidge­nös­si­schen Zoll­ver­wal­tung belegen. In den Flug­zeugen werden also nicht beson­ders viele, sondern vor allem beson­ders teure Güter expor­tiert[2].

Metalle, chemi­sche Erzeug­nisse, Maschinen sowie ‚Möbel, Schmuck, Musik­in­stru­mente, Sport­ge­räte‘ machen dabei mit 56, 48, 37 und 13 Milli­arden Franken mit grossem Abstand die wert­voll­sten Posten der Flug­ex­porte aus. Doch es ist keiner dieser Posten, der die meisten Tonnen auf die Waage bringt, sondern eine Güter­ka­te­gorie, die auf der Wert­seite nicht einmal auf ein Prozent kommt: ‚Koke­rei­er­zeug­nisse und Mine­ral­öl­er­zeug­nisse‘. Dazu unten mehr. Schon hier lässt sich aber fest­halten: Wenn es um die Rettung der Airlines geht, kommu­ni­ziert der Bundesrat einmal mehr tendenziös.

Wertmässig mag der Luftverkehr zwar wichtig sein. Mengenmässig ist der Beitrag der Flugbranche aber bescheiden (Quelle: Eidgenössische Zollverwaltung, 2019).
Wert­mässig mag der Luft­ver­kehr zwar wichtig sein, mengen­mässig ist der Beitrag der Flug­branche aber bescheiden (Quelle: Eidge­nös­si­sche Zoll­ver­wal­tung, 2019).

 Was wird da genau rumgeflogen

Nach den Arbeits­plätzen hat das UVEK nun also den Waren­trans­port als Haupt­ar­gu­ment für die Unter­stüt­zung der Flug­branche ins Rennen geschickt. 823’883 Tonnen Waren wurden laut der eidge­nös­si­schen Zoll­ver­wal­tung 2019 per Flug­zeug expor­tiert. Das ist nur ein Bruch­teil des gesamten Schweizer Export­vo­lu­mens. Aber es geht noch weiter: Der mit Abstand grösste Teil der knapp 824’000 Export­tonnen entfällt laut der eidge­nös­si­schen Zoll­ver­wal­tung auf die bereits genannte Kate­gorie ‚Koke­rei­er­zeug­nisse und Mineralölerzeugnisse‘.

Von den rund 824'000 Tonnen Exportware fallen 712'000 in die Kategorie «Kokereierzeugnisse und Mineralölerzeugnisse» und dort in die Unterkategorie «Flüssige Mineralölerzeugnisse». (Quelle: Eidgenössische Zollverwaltung, 2019)
Von den rund 824’000 Tonnen Export­ware fallen 712’000 in die Kate­gorie ‚Koke­rei­er­zeug­nisse und Mine­ral­öl­er­zeug­nisse‘ und dort in die Unter­ka­te­gorie ‚Flüs­sige Mine­ral­öl­er­zeug­nisse‘. (Quelle: Eidge­nös­si­sche Zoll­ver­wal­tung, 2019)

Auf Anfrage erklärt die Zoll­ver­wal­tung Folgendes: „Die Waren­gruppe ‚Kokerei- und Mine­ral­öl­er­zeug­nisse‘ enthält unter anderen auch die Unter­gruppe ‚Flüs­sige Mine­ral­öl­er­zeug­nisse‘. Im Verkehrs­zweig ‚Luft­ver­kehr‘ ist in dieser Gruppe eben­falls der Treib­stoff der Flug­zeuge enthalten.“ Geht man noch tiefer in die Stati­stik, stellt man fest, dass ledig­lich 78 Tonnen der flüs­sigen Mine­ral­öl­er­zeug­nisse nicht Treib­stoff sind, also etwa 0.01%.

Mengenmässig bestehen die Schweizer Exporte zum grössten Teil aus dem Kerosin, das die Flugzeuge verbrauchen. (Quelle: eidgenössische Zollverwaltung, 2019)
Mengen­mässig bestehen die Schweizer Exporte zum grössten Teil aus dem Kerosin, das die Flug­zeuge verbrau­chen. (Quelle: eidge­nös­si­sche Zoll­ver­wal­tung, 2019)

Von den knapp 824’000 Tonnen Export­waren entfallen also 712’447 Tonnen – rund 86% – auf das Kerosin zum Rumfliegen der Waren und Passagier*innen. Nur 111’358 Tonnen sind wirk­lich trans­por­tierte Ware. Diese stemmen zwar 99.97% des Werts der Luft­fracht, machen aber nur 14% der Luft­fracht­masse aus. Bezogen auf die gesamte Export­masse der Schweiz sind die 111’358 Tonnen ledig­lich 0.6%.

Wieso ist es so schwierig, die tatsäch­liche Export­masse zu erfahren?
Da es das Lamm ziem­lich erstaunt hat, dass 86% der von der Zoll­ver­wal­tung aufge­führten Export­menge gar keine wirk­li­chen Exporte sind, versuchte das Lamm, die Zahl auf verschie­denen Wegen zu veri­fi­zieren. Stimmt es, dass abzüg­lich des Kero­sins tatsäch­lich nur 111’358 Tonnen Waren im Flug­zeug expor­tiert werden? Zunächst wurde bei der Swiss nach­ge­fragt, ob man die Anzahl Fracht­tonnen aus dem Jahr 2019 nennen könne. Aber die Swiss wollte nicht sagen, wie viele Tonnen sie 2019 aus der Schweiz ausge­flogen hat. Dies mit dem Hinweis, dass es sich dabei um einen Unter­neh­mens­ent­scheid handle.
Also fragten wir beim Flug­hafen Zürich nach. Laut den Tabellen des Bundes­amts für Stati­stik wird nämlich rund 75% der Luft­fracht über den Flug­hafen Zürich abge­wickelt. Dort erklärte man, dass die gesamte Fracht­menge 2019 bei 451’827 Tonnen lag (zwischen Import und Export wird nicht unter­schieden). Davon seien aber 117’000 Tonnen soge­nannte Stras­sen­fracht. Also Fracht, die zwar am Flug­hafen aufge­geben wird, dann aber zuerst per LKW zu einem anderen Flug­hafen gefahren wird. Zieht man diese von den 451’827 Tonnen ab und halbiert das Ganze, erhält man als Annä­he­rung an die tatsäch­lich von Zürich wegge­flo­gene Export­masse 167’413 Tonnen. Hoch­ge­rechnet auf die ganze Schweiz käme man so auf 223’217 Tonnen.
Eine weitere Möglich­keit zur Berech­nung der tatsäch­li­chen Export­masse bietet das Bundesamt für Stati­stik (BFS). 2019 erfasste das BFS Luft­ex­porte von 239’618 Tonnen. Ob die Stras­sen­fracht hier mitge­zählt wurde, konnten die Statistiker*innen nicht auf Anhieb beant­worten. Bei allen Versu­chen, defi­nitiv zu klären, wie viele Tonnen die Schweiz abzüg­lich des getankten Kero­sins tatsäch­lich per Flug­zeug expor­tiert, erhielten wir als Antwort eine Zahl zwischen 100’000 und 300’000 Tonnen. Also zwischen 0.6% und 1.2% der gesamten Schweizer Exportmenge.

Bedenk­lich ist aber nicht nur, dass diese Zahl so viel kleiner ist als vom Bundesrat sugge­riert, sondern auch, dass es kaum möglich ist, ihre tatsäch­liche Grösse mit voll­stän­diger Sicher­heit fest­zu­setzen (siehe Infobox). Nicht nur, weil sich in den Zahlen der eidge­nös­si­schen Zoll­ver­wal­tung noch das ganze Flug­ke­rosin versteckt und das Bundesamt für Stati­stik einen anderen Wert kommu­ni­ziert, sondern auch, weil sich die Swiss weigert, darüber Auskunft zu geben. Das sei ein Unter­neh­mens­ent­scheid. Aber ist das akzep­tabel, wenn die verschwie­gene Zahl als Teil eines der Haupt­ar­gu­mente zur Recht­fer­ti­gung eines staat­li­chen Milli­ar­den­kre­dits an die Flug­branche dient?

In den letzten Monaten sind bei uns mehrere Artikel über die Luft­fahrt in Corona-Zeiten erschienen. Hier eine Übersicht:

Auf der anderen Seite des Geld­hahns nimmt das UVEK derweil eben­falls keine Stel­lung zu dieser Recherche und den Vorwürfen. Die Medi­en­spre­cherin verweist bloss auf den luft­fahrt­po­li­ti­schen Bericht und die Zahlen der eidge­nös­si­schen Zoll­ver­wal­tung. Den Anteil der Luft­fracht am Gesamt­wert der Schweizer Exporte als Argu­ment für die Kredite ins Spiel zu bringen, ohne darauf aufmerksam zu machen, dass die Luft­fracht auf der Mengen­seite nur einen kleinen Bruch­teil ausmacht, ist sehr irre­füh­rend. Vor allem, wenn am grössten Teil der Schweizer Flug­ex­port­tonnen weder hiesige Firmen noch Liefer­ketten oder Arbeits­plätze hängen, sondern ledig­lich eines: Treibhausgase.

Es bleiben Fragen offen, die geklärt werden müssen

Wie wichtig ist die Luft­fracht wirk­lich für die Schweizer Wirt­schaft? Die in der bundes­rät­li­chen Botschaft kommu­ni­zierten 70% der Schweizer Unter­nehmen, für welche die Schweizer Luft­fahrt anschei­nend eine wich­tige Voraus­set­zung für ihr Geschäft ist, scheint erneut ziem­lich hoch gepo­kert. Es ist schwer vorstellbar, dass sieben von zehn Schweizer Unter­nehmen von der Luft­fracht abhängig sein sollen, wenn doch ledig­lich ein Prozent der Schweizer Exporte raus­ge­flogen wird. Und es stellen sich weitere Fragen: Was wird da eigent­lich genau rumge­flogen und wohin? Wie viele Tonnen könnten auf den Schienen, mit LKWs oder gar über den Schiffs­trans­port abge­wickelt werden? Wie bei der Anzahl Arbeits­plätze und der Wert­schöp­fung fehlt es auch bei der Luft­fracht an belast­baren Zahlen. Die Bundes­ämter wollen diese offen­sicht­lich nicht liefern, was in der medialen Bericht­erstat­tung zu wage­mu­tigen Speku­la­tionen oder der blau­äu­gigen Wieder­gabe von irre­füh­renden Zahlen geführt hat, so auch beim Lamm (Link alter Artikel). Was es also braucht, ist eine wissen­schaft­liche Aufar­bei­tung des Themas.

Und zwar schnell. Denn bei der anste­henden Revi­sion des CO2-Gesetzes und der Bespre­chung einer Flug­ticket­ab­gabe werden sonst wieder dieselben schwam­migen Daten als Grund­lage der Diskus­sion zum Einsatz kommen. Eine Diskus­sion, die nach der jetzigen Rettung der Branche noch schwie­riger zu führen sein wird. Wieso? Grif­fige Mass­nahmen zur Einschrän­kung der Branche könnten zur Folge haben, dass diese ihre Kredite mögli­cher­weise nicht mehr zurück­zahlen können wird. Späte­stens dann werden die Mitte-rechts Parteien merken, dass die Kredit­ver­gabe an die Flug­branche durchaus zusammen mit dem Thema Klima­wandel hätte betrachtet werden sollen.

[1] Laut den neue­sten Zahlen der eidge­nös­si­schen Zoll­ver­wal­tung machten die Flug­ex­porte im 2019 sogar rund 50% des Wertes aus.

[2] Bei den Importen sieht es ähnlich aus. Laut dem UVEK wird ein Sech­stel aller Importe über die Luft abge­wickelt. Doch auch diese Zahl bezieht sich auf den Wert der Waren. Mengen­mässig sind es ledig­lich 0.2%. Der mengen­mässig scheinbar höhere Prozent­satz von 4.1% bei den Exporten kommt zustande, weil das getankte Kerosin nur bei den Exporten in der Stati­stik auftaucht. Das Gewicht der tatsäch­lich impor­tierten Waren (79’644 Tonnen) ist aber in derselben Grös­sen­ord­nung, wie dasje­nige der tatsäch­lich expor­tierten Waren (die 111’358 Tonnen).


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