Mark Walder sagt „sorry“ – but it’s too little, too late

Der «Blick»-CEO entschul­digt sich öffent­lich bei Jolanda Spiess-Hegglin. Ein schwa­cher Move für den Verant­wort­li­chen einer Tortur, die sechs Jahre dauerte und fast das Leben einer Frau zerstörte. 

Seit Anfang Woche ist es offi­ziell: Der Blick hat mit seiner Bericht­erstat­tung über den Fall der ehema­ligen Zuger Poli­ti­kerin Jolanda Spiess-Hegglin deren Persön­lich­keits­recht und Intim­sphäre schwer­wie­gend verletzt. Nach dem Kantons­ge­richt kam am Montag auch das Zuger Ober­ge­richt zu diesem Urteil und verpflichtet Ringier somit, Spiess-Hegglin eine Genug­tuung von 10’000 Franken zu zahlen.

In einem Print­ar­tikel vom Dezember 2014 veröf­fent­lichte der Blick als erstes Medium die vollen Namen von Jolanda Spiess-Hegglin und Markus Hürli­mann sowie Fotos der beiden. Unter dem Titel „Hat er sie geschändet?“ konstru­ierte der Blick den Grund­stein für eine jahre­lange Medi­en­hetze from hell: Prak­tisch die gesamte Schweizer Medi­en­szene sprang auf den Zug auf, mehr­heit­lich Jour­na­li­sten schrieben mal mehr, mal weniger frau­en­ver­ach­tend über Spiess-Hegglin. Hürli­mann blieb von der Bericht­erstat­tung gröss­ten­teils verschont. Was genau an diesem Abend passiert ist, wurde aller­dings juri­stisch nie ganz geklärt. Bereits im Mai 2019 wurde der Blick übri­gens vom Zuger Kantons­ge­richt verur­teilt: Der Artikel sei ein Eingriff in die Intim­sphäre Spiess-Hegglins und somit wider­recht­lich. Die entspre­chenden Artikel liess Ringier übri­gens aus der Schwei­ze­ri­schen Medi­en­da­ten­bank (SMD) löschen – beim Redak­ti­ons­schluss war schliess­lich nicht einmal mehr der aller­erste von 2014 auffindbar.

Nachdem das Urteil des Ober­ge­richts publik wurde, entschul­digte sich Ringier-CEO Mark Walder. Öffent­lich – online und in der Print­aus­gabe. Und, wie er mehr­fach betont, ganz ohne das zu müssen. Vor der eigent­li­chen Entschul­di­gung aller­dings erwähnt Walder, dass das Ober­ge­richt die „Genug­tu­ungs­summe sowie die Partei­en­ent­schä­di­gung, die Ringier zugun­sten der Klägerin zu leisten hat, erheb­lich“ redu­zierte und dass nach dem Kantons­ge­richt nun auch das Ober­ge­richt die Forde­rung seitens Spiess-Hegglins nach einer gericht­lich ange­ord­neten Publi­ka­tion einer Entschul­di­gung abge­lehnt hat. Es sei ihm trotzdem ein Anliegen, sich öffent­lich zu entschul­digen. Es sei nicht seine Absicht, dass die Klage aufgrund dieser Entschul­di­gung fallen gelassen werde. Man habe im Rück­blick gemerkt, dass Jolanda Spiess-Hegglin durch die Bericht­erstat­tung verletzt worden sei. Und weiter: „Es war, ist und wird nie unsere Absicht sein, mit unserer Bericht­erstat­tung Leid zu verursachen.“

Nice try, Herr Walder, aber ich musste laut lachen. Diese „Entschul­di­gung“ hätten Sie genau so gut bleiben lassen können.

Denn Spiess-Hegglin ist bei Weitem nicht das einzige Blick-Opfer. Natür­lich: Boule­vard­jour­na­lismus muss ab und zu ballern, muss die Menschen hinter den Geschichten zeigen, muss in erster Linie unter­halten oder empören. Immerhin wussten schon Subzonic, dass Emotionen die Auflage stei­gern. Aber auch Boule­vard­jour­na­lismus hat sich an jour­na­li­sti­sche Grund­re­geln zu halten. Wer derart skru­pel­lose Reporter*innen wie Ralph Donghi anstellt, scheint davon aller­dings nicht viel zu halten. Donghi ist für seine menschen­ver­ach­tende Art zu arbeiten mitt­ler­weile wohl bekannter als für seine jour­na­li­sti­schen Leistungen. Wie die ZEIT 2016 recher­chierte, soll Donghi seine Quellen immer wieder unge­wollt zuhause aufge­sucht, zu Aussagen erpresst und wissent­lich falsche Zitate in seinen Texten verwendet haben. Beson­ders häss­lich zeigte sich seine Arbeits­weise in seiner Bericht­erstat­tung über den Vier­fach­mord in Rupperswil. Donghi lungerte angeb­lich an der Beer­di­gung herum und bedrängte Ange­hö­rige der Opfer, bis sich diese kaum mehr aus dem Haus trauten. Der Blick veröf­fent­liche damals als erstes Medium noch vor der Verur­tei­lung ein unver­pi­xeltes Foto des Täters und die Schweizer Illu­strierte, eben­falls aus dem Hause Ringier, druckte Erin­ne­rungs­fotos der Familie auf die Titelseite.

Eine Chef­re­dak­torin, die Donghi weiterhin walten lässt und erst jüngst sagte, sie finde es in Ordnung, eine junge Frau inmitten einer Pandemie an den öffent­li­chen Pranger zu stellen, nimmt bewusst in Kauf, dass Menschen für Klicks verletzt werden – dabei spielt es keine Rolle, ob Politiker*innen oder Unbe­kannte im Kreuz­feuer stehen. Denn Menschen­leben zerbre­chen auch abseits der Öffent­lich­keit. Und zu behaupten, man habe nicht die Absicht, mit einer solchen Bericht­erstat­tung Leid zu verur­sa­chen, ist blanker Hohn.

„Wir können das Rad der Zeit nicht zurück­drehen“, schreibt Walder weiter. „Wir können aber Tag für Tag dazu­lernen und immer und immer wieder versu­chen, es besser zu machen. Das ist unsere erklärte Absicht.“ Für eine derart knappe Entschul­di­gung, die mehr der Selbst­be­weih­räu­che­rung zu dienen scheint, brauchte es eine fast sechs­jäh­rige öffent­liche Tortur für eine Frau, die auf entwür­di­gende Art und Weise in ihrer Intim­sphäre ange­griffen wurde. Und oben­drauf ein Gerichts­ur­teil. Das spricht Bände. Walder ist zudem lange nicht der Erste, der sich bei Spiess-Hegglin entschul­digte. Schon 2017 schrieb Pascal Hollen­stein, heute Leiter Publi­zi­stik des Verlags­hauses CH Media, dass seiner Zeitung Fehler in der Bericht­erstat­tung unter­laufen seien und er sich dafür entschul­dige. Zwei Jahre später folgte eine Kampagne, in der andere Journalist*innen folgten und sich öffent­lich in einer Video­bot­schaft entschul­digten. (Übri­gens: Man kann sich nicht entschul­digen – um Entschul­di­gung bittet man, sie wird einem gewährt oder eben nicht.) Dass es beim Haupt­ver­ant­wort­li­chen noch viel länger dauerte, ist beschämend.

 


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