Buch­sta­biere „Frau­en­mord“

Wird eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist, spricht man von einem Femizid. Dass sich dieser Ausdruck auf vielen Schweizer Redak­tionen noch nicht durch­ge­setzt hat ist gefährlich. 

Ende Februar töteten am glei­chen Tag zwei Männer jeweils eine Frau: In Buchs SG verletzte der Täter eine 22-Jährige so schwer, dass sie starb. Und in Wilchingen SH erstach ein junger Mann seine 80-jährige Gross­mutter. Unter anderem 20 Minuten, der Tages-Anzeiger und die NZZ titelten jeweils in einer ersten Version: „22-Jährige stirbt nach Streit mit Freund (24)“ und „Schwer­ver­letzte Frau stirbt in Wilchingen SH“. Die Frauen starben aber nicht wegen eines Streits – sie wurden von Männern getötet. Dies heraus­zu­strei­chen, ist wichtig und wird noch immer zu wenig praktiziert.

Wird eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist, spricht man von einem Femizid. Ein weit gefasster Begriff, der erst­mals von femi­ni­sti­schen Strö­mungen in den 90ern aufge­bracht wurde – insbe­son­dere von einer Bewe­gung gegen Gewalt an Frauen in Latein­ame­rika, die den Begriff „Femi­ni­cidio“ geprägt hat. Femizid schliesst unter anderem mit ein, dass Frauen welt­weit ein höheres Risiko tragen, Opfer von Gewalt durch Männer zu werden als umge­kehrt. Etwa, weil sie aufgrund ökono­mi­scher oder emotio­naler Abhän­gig­keit eher in miss­bräuch­li­chen Bezie­hungen sind als Männer – und weil die gesell­schaft­lich akzep­tierten Arten für Männer, mit Konflikten umzu­gehen, noch immer von Gewalt geprägt sind. Gewalt gegen Frauen.

Will eine Frau eine solche Bezie­hung verlassen, wird es schwierig. Oft glaubt oder hilft ihr nicht einmal die Polizei, wie die deut­sche Autorin Antje Joel in ihrem Buch Prügel eindrück­lich beschreibt. Und in der Schweiz sind die Frau­en­häuser konstant über­la­stet und unter­fi­nan­ziert – dafür mitver­ant­wort­lich ist übri­gens unter anderem die Partei, die sich kürz­lich im Rahmen einer Initia­tive einmal mehr schein­heilig für Frau­en­rechte einsetzte und die Rati­fi­zie­rung der „Istanbul-Konven­tion zum Schutz von Mädchen und Frauen vor Gewalt“ blockiert hat – aber das ist eine andere Geschichte.

Antje Joel über­lebte zwei gewalt­tä­tige Ehen. Viele Frauen sterben aber durch die Hand ihrer Ehemänner: Jede Woche versucht ein Mann in der Schweiz, seine Part­nerin umzu­bringen, schreibt die Recher­che­gruppe von Stopfemizid.ch, im Kanton Zürich rückt die Polizei im Schnitt fünf­zehnmal pro Tag aus wegen häus­li­cher Gewalt. Fünf­zehnmal. Nicht erfasst sind hier die Fälle, die gar nicht erst der Polizei gemeldet werden. Und dennoch: In den hiesigen Medien wird der Ausdruck „Femizid“ erst sehr spär­lich verwendet. Einer­seits verlangt die jour­na­li­sti­sche Sorg­falt von uns, ein Tötungs­de­likt nicht als Mord zu bezeichnen, solange die juri­sti­sche Sach­lage nicht geklärt ist. Ande­rer­seits sind viele Redak­ti­ons­mit­glieder noch nicht auf die Thematik Gewalt an Frauen sensi­bi­li­siert. Denn wie noch immer zu einem grossen Teil über Gewalt an Frauen berichtet wird, ist gefährlich.

Sprache ist mächtig. Sie beein­flusst unsere Wahr­neh­mung von Gescheh­nissen und es gehört zur jour­na­li­sti­schen Sorg­falt, sich dieser Verant­wor­tung bewusst zu sein. Zwar benutzen viele hiesige Medien den Ausdruck „Femizid“ verein­zelt schon länger, sogar die NZZ.  Die reis­se­ri­schen, lauten Über­schriften aber bleiben meist heikles Terrain. In der Head­line „22-Jährige stirbt nach Streit“ ist allein die Frau sichtbar, der Täter verschwindet. Man macht die Frau sprach­lich zum aktiven Subjekt, dabei ist sie das Opfer, sie wurde getötet. Auch die schwer­ver­letzte Frau in Wilchingen steht alleine in der Über­schrift. Der Mann, der sie tötete, ist nicht vorhanden.

In der Bericht­erstat­tung über Gewalt an Frauen wird das Opfer immer wieder als Click­bait miss­braucht, die Tötung wird bana­li­siert oder man schiebt gar der Frau (unbe­wusst oder gezielt) die Schuld am eigenen Tod zu: „Fami­li­en­drama“ heisst es dann, „Eifer­suchts­drama“ ist ein weiterer beliebter Euphe­mismus, oder es wird gefragt, warum die Frau wohl sterben „musste“. Bloss: Tötet ein Mann seine Part­nerin, hat das nie etwas mit Liebe oder der Familie zu tun – sondern immer mit Macht. Liest man solche Artikel über Gewalt an Frauen weiter, stellt man aller­dings oft fest: Die Frau ist im Lauf­text plötz­lich nirgends mehr zu finden. Dafür aber etwa die Herkunft des Täters oder mögliche Moti­va­tionen, zuweilen gar Entschul­di­gungen, für seine Tat.

Natür­lich, man will verstehen, warum ein Mann seine Part­nerin tötet. Was dabei aber verloren geht, ist die Möglich­keit, die Tat struk­tu­rell einzu­ordnen: Gewalt an Frauen ist nie ein Einzel­fall, sondern wird durch ein patri­ar­chales System geschützt und voran­ge­trieben. Dass etwa bezüg­lich gesell­schaft­li­cher Sensi­bi­li­sie­rung auf Sexismus auf poli­ti­scher Ebene wegge­schaut wird oder es in der Schweiz noch immer keine national gere­gelte Stra­tegie gegen Gewalt an Frauen gibt, ist Teil davon.

Immerhin: Nachdem verschie­dene Femi­ni­stinnen und Exper­tinnen auf Social Media letzte Woche auf die unsen­si­blen Head­lines aufmerksam gemacht hatten – übri­gens wieder einmal unbe­zahlte Arbeit von Frauen, Männer äusserten sich kaum dazu – wurden die Titel ange­passt. Der Tages-Anzeiger setzte in der Onlin­ever­sion sogar „Femizid“ in die Spitz­marke . Offenbar hat 20min zudem eine eigene Taskforce für Gender-Anliegen gegründet. Das scheint Wirkung zu zeigen: Seit Kurzem wird etwa auf 20min.ch der Ausdruck „Femizid“ immer häufiger einge­setzt, man berichtet über Demo-Aktionen und lässt eine Expertin den Hinter­grund des Ausdrucks erklären. Es bleibt zu hoffen, dass andere Medien konse­quent nachziehen.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 11 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 832 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Löse direkt über den Twint-Button ein Soli-Abo für CHF 60 im Jahr!

Ähnliche Artikel