Das CO2-Gesetz in acht Folgen: Dieser Artikel ist der letzte Teil einer Serie. Alle Artikel findest du hier.
Die Abstimmung über das revidierte CO2-Gesetz steht kurz bevor, und beide Seiten mobilisieren noch einmal kräftig. Auf der einen Seite die Rechten. Auf der anderen Seite: fast alle anderen. Von der Economiesuisse bis zum Gewerkschaftsbund, von der FDP bis zur SP. Wobei das vielleicht wichtigste Ja-Argument der parlamentarischen Linken kein inhaltliches ist, sondern eine Warnung: Wenn wir jetzt Nein stimmen, dann gewinnen die Falschen.
Tatsächlich aber haben die Falschen sowieso schon gewonnen.
Statt darüber zu reden, dass einige der grössten CO2-Verursacher:innen gratis Verschmutzungsrechte erhalten, reden wir darüber, ob 30 CHF mehr für einen Flug nach Berlin zu viel ist oder nicht. Wir reden darüber, dass mit dem neuen Gesetz rund 80 CHF zusätzlich pro Jahr an uns zurückverteilt würden. Aber nicht darüber, dass Treibstoffimporteur:innen mit dem neuen Gesetz für einen Teil ihrer Klimagase gerade noch 30 CHF pro Tonne zahlen müssten, während das CO2 aus den Ölheizungen 96 CHF kostet. Kurz: Die Diskussion dreht sich nur um das kleine Portemonnaie. Das grosse Ganze geht vergessen – und mit ihm die grössten CO2-Emittent:innen des Landes.
Die Falschen haben gewonnen, weil in diesem Abstimmungskampf über zweistellige Frankenbeträge gestritten wird. Während niemand merkt, dass es für die, die eigentlich am dringendsten zur Kasse gebeten werden müssten, mit einer Annahme der Vorlage auch weiterhin Klimageschenke in Millionenhöhe geben würde.
Niemand blickt durch
Zugegeben: Das Gesetz ist komplex und der umfassende Blick auf die Vorlage nicht ganz einfach. Das hat in diesem Abstimmungskampf offensichtlich auch die überfordert, die uns eigentlich helfen sollten, diesen Blick einzunehmen.
Die Medien begnügten sich damit, auszurechnen, ob individuelle Verbraucher:innen jetzt 127 CHF plus oder 513 CHF minus machen würden, liessen betroffene Branchen ohne grosse Gegenrecherche ihre Perspektive ausbreiten – oder führten Interviews, in denen die Fragen zeigten, dass sich die Journalist:innen gar nicht genauer mit der Vorlage auseinandergesetzt haben.
Und auch das Abstimmungsbüchlein schafft es nicht, die wichtigsten Basics dieses Gesetzes zu erklären. Dass die Firmen, die in der Schweiz am meisten CO2 verantworten, statt CO2-Abgabe zu zahlen, im Emissionshandel weiterhin mit Gratiszertifikaten beschenkt werden sollen – das findet im Abstimmungsbüchlein keine Erwähnung.
Dass die Treibstoffimporteur:innen, statt Emissionen zu reduzieren, neu auf billige Auslandskompensationen zurückgreifen können, sucht man dort ebenfalls vergeblich.
Dass die Befreiung von der CO2-Abgabe durch eine Zielvereinbarung mit Verminderungspflicht neu für alle Firmen möglich sein würde, steht zwar drin. Aber nicht, dass die zu leistenden Reduktionen sogar von einer von Bundesbern in Auftrag gegebenen Analyse als „wenig ambitioniert“ beschrieben werden. Auch das Abstimmungsbüchlein traut der Bevölkerung nicht viel mehr zu als den Blick auf das eigene Portemonnaie.
Flankierende Massnahmen nur für Firmen
Natürlich ist dieser Blick aufs individuelle Budget auch nicht unwichtig: Die Klimakosten sind nicht für alle ein Spaziergang. Aber das Problem ist doch nicht primär, dass klimaschädliches Verhalten sanktioniert werden soll. Sondern dass Mehrausgaben von 30 CHF für einen Flug für manche schon eine ernsthafte Belastung sind, während andere es sich leisten können, für fünf Tage Shoppingferien den Atlantik zu überqueren.
Was es bräuchte, sind flankierende Massnahmen. Und tatsächlich finden sich solche sowohl im aktuellen wie auch im revidierten CO2-Gesetz. Sie sollen die finanzielle Mehrbelastung auf einem verhältnismässigen Niveau halten. Vorgesehen sind sie aber nicht für „die Kleinen“, sondern ausschliesslich für Firmen und Hausbesitzer:innen. Auch darüber spricht niemand.
Was setzen wir bei einem Nein aufs Spiel?
Bei einem Nein zum neuen CO2-Gesetz würde die Schweiz nicht einfach ganz ohne Klimaregeln dastehen. Das BAFU hat 2018 einen Bericht erarbeitet, der festhält, welche Aspekte des heutigen CO2-Gesetzes auslaufen würden, wenn die Revision nicht zustande käme. Ein Teil der im Bericht erwähnten Massnahmen wurde in der Zwischenzeit aber bereits in der Teilrevision der CO2-Verordnung verlängert.
Kurz zusammengefasst: Den Klimafonds würde es nicht geben, eine Flugticketabgabe würde nicht eingeführt und möglicherweise würde die Kompensationspflicht für Treibstoffimporteur:innen Ende 2021 ersatzlos gestrichen. Dasselbe gilt auch für die Möglichkeit, dass sich Firmen mit einer Zielvereinbarung von der CO2-Abgabe befreien können – was aber vielleicht sogar ein Vorteil gegenüber dem Status quo sein könnte. So oder so würden aber die Grenzwerte für importierte Neuwagen bestehen bleiben, und die CO2-Abgabe könnte auch ohne das neue CO2-Gesetz auf 120 CHF pro Tonne CO2 erhöht werden. Wer Nein stimmt, pokert also nicht mit allen zurzeit bestehenden Massnahmen, sondern nur mit einem Teil davon – bis eine neue Revision in Kraft tritt.
Wie lange ein solcher Übergangszustand dauern würde, ist freilich unklar. Laut einem Interview mit Simonetta Sommaruga dauerten die parlamentarischen Diskussionen drei Jahre, bis das revidierte CO2-Gesetz in der jetzt vorliegenden Form erarbeitet war. So lange würde es wahrscheinlich auch dauern, bis im Fall eines Neins am kommenden Abstimmungswochenende ein neuer Vorschlag erarbeitet wäre. Wie gravierend wäre das?
Art. 3 des revidierten CO2-Gesetzes sieht bis 2030 eine Halbierung der Schweizer CO2-Emissionen gegenüber 1990 vor. 2050 soll die Schweiz Netto-Null erreichen. Deutschland hatte bis vor Kurzem eine sehr ähnliche Zielsetzung, nämlich 55 % weniger bis 2030 und Netto-Null bis 2050.
Dieses Ziel wurde nun vom Deutschen Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig gebrandmarkt. Der Grund: „Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030.“ Dadurch würden die jungen Generationen in ihren Freiheitsrechten verletzt. Zur Wahrung dieser Freiheitsrechte hätten die Gesetzgeber:innen Vorkehrungen treffen müssen, „um diese hohen Lasten abzumildern“, so das Deutsche Bundesverfassungsgericht.
Deutschland muss also nochmal über die Klimabücher. Neu stehen in unserem nördlichen Nachbarland nun folgende Klimaziele zur Debatte: Bis 2030 65 % weniger Emissionen als im Referenzjahr 1990, Netto-Null bis 2045 anstatt wie bis anhin erst 2050. Und auch andere definieren bereits heute ambitioniertere Ziele. Die Stadt Zürich will das Netto-Null-Ziel bis 2040 erreichen.
Falls Deutschland oder die Stadt Zürich diese Ziele erreichen sollten, würden damit viele Jahre eingespart auf dem Weg zu einer doch einigermassen nachhaltigen Gesellschaft. Analog lässt sich festhalten:
Wenn die Schweiz nach einem Nein zum CO2-Gesetz die gigantische Bedrohung durch die Klimakrise endlich ernst nehmen und auch die grossen Emittent:innen richtig zur Kasse bitten würde, wäre es verkraftbar, drei Jahre auf eine neue Revision zu warten. Das Netto-Null-Ziel würden wir so wohl trotzdem noch früher erreichen als mit einer Annahme der jetzigen Vorlage.
Damit ihr die Übersicht nicht verliert – Hier die Schweizer Klimagesetzgebung auf einen Blick (oder vielleicht auf zwei):
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