Mit einem Nein zum CO2-Gesetz würde man pokern. Die Frage ist: Wie hoch?

Anstatt auf das grosse Ganze zu schauen, richten sich die Blicke im Abstim­mungs­kampf zum CO2-Gesetz ledig­lich auf das eigene Porte­mon­naie. Und auch die Medien sind nicht imstande, uns wirk­lich zu erklären, was bei dieser Abstim­mung auf dem Spiel steht. Ein Kommentar. 
Das CO2-Gesetz in acht Folgen. (Illustration: Luca Mondgenast)

Das CO2-Gesetz in acht Folgen: Dieser Artikel ist der letzte Teil einer Serie. Alle Artikel findest du hier.


Die Abstim­mung über das revi­dierte CO2-Gesetz steht kurz bevor, und beide Seiten mobi­li­sieren noch einmal kräftig. Auf der einen Seite die Rechten. Auf der anderen Seite: fast alle anderen. Von der Econo­mie­su­isse bis zum Gewerk­schafts­bund, von der FDP bis zur SP. Wobei das viel­leicht wich­tigste Ja-Argu­ment der parla­men­ta­ri­schen Linken kein inhalt­li­ches ist, sondern eine Warnung: Wenn wir jetzt Nein stimmen, dann gewinnen die Falschen.

Tatsäch­lich aber haben die Falschen sowieso schon gewonnen.

Statt darüber zu reden, dass einige der grössten CO2-Verursacher:innen gratis Verschmut­zungs­rechte erhalten, reden wir darüber, ob 30 CHF mehr für einen Flug nach Berlin zu viel ist oder nicht. Wir reden darüber, dass mit dem neuen Gesetz rund 80 CHF zusätz­lich pro Jahr an uns zurück­ver­teilt würden. Aber nicht darüber, dass Treibstoffimporteur:innen mit dem neuen Gesetz für einen Teil ihrer Klima­gase gerade noch 30 CHF pro Tonne zahlen müssten, während das CO2 aus den Ölhei­zungen 96 CHF kostet. Kurz: Die Diskus­sion dreht sich nur um das kleine Porte­mon­naie. Das grosse Ganze geht vergessen – und mit ihm die grössten CO2-Emittent:innen des Landes.

„Die Diskus­sion dreht sich nur um das kleine Porte­mon­naie. Das grosse Ganze geht vergessen.“

Die Falschen haben gewonnen, weil in diesem Abstim­mungs­kampf über zwei­stel­lige Fran­ken­be­träge gestritten wird. Während niemand merkt, dass es für die, die eigent­lich am drin­gend­sten zur Kasse gebeten werden müssten, mit einer Annahme der Vorlage auch weiterhin Klima­ge­schenke in Millio­nen­höhe geben würde.

Niemand blickt durch

Zuge­geben: Das Gesetz ist komplex und der umfas­sende Blick auf die Vorlage nicht ganz einfach. Das hat in diesem Abstim­mungs­kampf offen­sicht­lich auch die über­for­dert, die uns eigent­lich helfen sollten, diesen Blick einzunehmen.

Die Medien begnügten sich damit, auszu­rechnen, ob indi­vi­du­elle Verbraucher:innen jetzt 127 CHF plus oder 513 CHF minus machen würden, liessen betrof­fene Bran­chen ohne grosse Gegen­re­cherche ihre Perspek­tive ausbreiten – oder führten Inter­views, in denen die Fragen zeigten, dass sich die Journalist:innen gar nicht genauer mit der Vorlage ausein­an­der­ge­setzt haben.

Und auch das Abstim­mungs­büch­lein schafft es nicht, die wich­tig­sten Basics dieses Gesetzes zu erklären. Dass die Firmen, die in der Schweiz am meisten CO2 verant­worten, statt CO2-Abgabe zu zahlen, im Emis­si­ons­handel weiterhin mit Gratis­zer­ti­fi­katen beschenkt werden sollen – das findet im Abstim­mungs­büch­lein keine Erwähnung.

Dass die Treibstoffimporteur:innen, statt Emis­sionen zu redu­zieren, neu auf billige Auslands­kom­pen­sa­tionen zurück­greifen können, sucht man dort eben­falls vergeblich.

Dass die Befreiung von der CO2-Abgabe durch eine Ziel­ver­ein­ba­rung mit Vermin­de­rungs­pflicht neu für alle Firmen möglich sein würde, steht zwar drin. Aber nicht, dass die zu leistenden Reduk­tionen sogar von einer von Bundes­bern in Auftrag gege­benen Analyse als „wenig ambi­tio­niert“ beschrieben werden. Auch das Abstim­mungs­büch­lein traut der Bevöl­ke­rung nicht viel mehr zu als den Blick auf das eigene Portemonnaie.

Flan­kie­rende Mass­nahmen nur für Firmen

Natür­lich ist dieser Blick aufs indi­vi­du­elle Budget auch nicht unwichtig: Die Klima­ko­sten sind nicht für alle ein Spazier­gang. Aber das Problem ist doch nicht primär, dass klima­schäd­li­ches Verhalten sank­tio­niert werden soll. Sondern dass Mehr­aus­gaben von 30 CHF für einen Flug für manche schon eine ernst­hafte Bela­stung sind, während andere es sich leisten können, für fünf Tage Shop­ping­fe­rien den Atlantik zu überqueren.

„Was es bräuchte, sind flan­kie­rende Mass­nahmen. Vorge­sehen sind diese aber ausschliess­lich für Firmen und Hausbesitzer:innen.“

Was es bräuchte, sind flan­kie­rende Mass­nahmen. Und tatsäch­lich finden sich solche sowohl im aktu­ellen wie auch im revi­dierten CO2-Gesetz. Sie sollen die finan­zi­elle Mehr­be­la­stung auf einem verhält­nis­mäs­sigen Niveau halten. Vorge­sehen sind sie aber nicht für „die Kleinen“, sondern ausschliess­lich für Firmen und Hausbesitzer:innen. Auch darüber spricht niemand.

Was setzen wir bei einem Nein aufs Spiel?

Bei einem Nein zum neuen CO2-Gesetz würde die Schweiz nicht einfach ganz ohne Klima­re­geln dastehen. Das BAFU hat 2018 einen Bericht erar­beitet, der fest­hält, welche Aspekte des heutigen CO2-Gesetzes auslaufen würden, wenn die Revi­sion nicht zustande käme. Ein Teil der im Bericht erwähnten Mass­nahmen wurde in der Zwischen­zeit aber bereits in der Teil­re­vi­sion der CO2-Verord­nung verlängert.

Kurz zusam­men­ge­fasst: Den Klima­fonds würde es nicht geben, eine Flug­ticket­ab­gabe würde nicht einge­führt und mögli­cher­weise würde die Kompen­sa­ti­ons­pflicht für Treibstoffimporteur:innen Ende 2021 ersatzlos gestri­chen. Dasselbe gilt auch für die Möglich­keit, dass sich Firmen mit einer Ziel­ver­ein­ba­rung von der CO2-Abgabe befreien können – was aber viel­leicht sogar ein Vorteil gegen­über dem Status quo sein könnte. So oder so würden aber die Grenz­werte für impor­tierte Neuwagen bestehen bleiben, und die CO2-Abgabe könnte auch ohne das neue CO2-Gesetz auf 120 CHF pro Tonne CO2 erhöht werden. Wer Nein stimmt, pokert also nicht mit allen zurzeit bestehenden Mass­nahmen, sondern nur mit einem Teil davon – bis eine neue Revi­sion in Kraft tritt.

Wie lange ein solcher Über­gangs­zu­stand dauern würde, ist frei­lich unklar. Laut einem Inter­view mit Simo­netta Somma­ruga dauerten die parla­men­ta­ri­schen Diskus­sionen drei Jahre, bis das revi­dierte CO2-Gesetz in der jetzt vorlie­genden Form erar­beitet war. So lange würde es wahr­schein­lich auch dauern, bis im Fall eines Neins am kommenden Abstim­mungs­wo­chen­ende ein neuer Vorschlag erar­beitet wäre. Wie gravie­rend wäre das?

Art. 3 des revi­dierten CO2-Gesetzes sieht bis 2030 eine Halbie­rung der Schweizer CO2-Emis­sionen gegen­über 1990 vor. 2050 soll die Schweiz Netto-Null errei­chen. Deutsch­land hatte bis vor Kurzem eine sehr ähnliche Ziel­set­zung, nämlich 55 % weniger bis 2030 und Netto-Null bis 2050.

Dieses Ziel wurde nun vom Deut­schen Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt als verfas­sungs­widrig gebrand­markt. Der Grund: „Die Vorschriften verschieben hohe Emis­si­ons­min­de­rungs­la­sten unum­kehrbar auf Zeit­räume nach 2030.“ Dadurch würden die jungen Gene­ra­tionen in ihren Frei­heits­rechten verletzt. Zur Wahrung dieser Frei­heits­rechte hätten die Gesetzgeber:innen Vorkeh­rungen treffen müssen, „um diese hohen Lasten abzu­mil­dern“, so das Deut­sche Bundesverfassungsgericht.

Deutsch­land muss also nochmal über die Klima­bü­cher. Neu stehen in unserem nörd­li­chen Nach­bar­land nun folgende Klima­ziele zur Debatte: Bis 2030 65 % weniger Emis­sionen als im Refe­renz­jahr 1990, Netto-Null bis 2045 anstatt wie bis anhin erst 2050. Und auch andere defi­nieren bereits heute ambi­tio­nier­tere Ziele. Die Stadt Zürich will das Netto-Null-Ziel bis 2040 erreichen.

Falls Deutsch­land oder die Stadt Zürich diese Ziele errei­chen sollten, würden damit viele Jahre einge­spart auf dem Weg zu einer doch eini­ger­massen nach­hal­tigen Gesell­schaft. Analog lässt sich festhalten:

Wenn die Schweiz nach einem Nein zum CO2-Gesetz die gigan­ti­sche Bedro­hung durch die Klima­krise endlich ernst nehmen und auch die grossen Emittent:innen richtig zur Kasse bitten würde, wäre es verkraftbar, drei Jahre auf eine neue Revi­sion zu warten. Das Netto-Null-Ziel würden wir so wohl trotzdem noch früher errei­chen als mit einer Annahme der jetzigen Vorlage.


Damit ihr die Über­sicht nicht verliert – Hier die Schweizer Klima­ge­setz­ge­bung auf einen Blick (oder viel­leicht auf zwei):

Klima­ge­setz­ge­bung in der Schweiz. (Illu­stra­tion: Luca Mond­genast)


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