Letzten Samstag sorgte ein mutmasslich linksextremer Sirup-Protest auf einen SVP-Stand am Röschibachplatz in Zürich für Schlagzeilen. Zwei Frauen übergossen Unterschriftsbögen mehrerer SVP-Initiativen mit Himbeersirup. „Diese Antifas und Queeren werden alle von der SP bezahlt“, behauptete eine SVP-Vertreterin in einem Video auf 20 Minuten. „Das ist ein Beispiel für die Intoleranz der vermeintlich Toleranten!“, plapperte TeleZüri den SVP-Sprech nach.
Die mediale Berichterstattung beschäftigte sich auch gerne mit dem Äusseren der Frauen – sie seien „adrett gekleidet“ gewesen, wie ein anwesender SVPler betonte, offensichtlich erstaunt darüber, dass sie nicht im schwarzen Hoodie und mit Sturmmaske auftraten. Kaum einer der zahlreichen Beiträge griff jedoch den politischen Kontext auf – etwa die Inhalte der SVP-Initiativen oder die dahinterstehende Ideologie.
An besagtem Morgen sammelte die SVP unter anderem für ihre „Grenzschutzinitiative“ – ein erneuter Versuch, in ihre liebste politische Kerbe zu schlagen: Stimmung machen gegen Asylsuchende. Die Initiative fordert, nur noch einen Bruchteil aufzunehmen und Personen innert 90 Tagen ausschaffen zu können. Zudem sollen „illegal Eingewanderte“ von sämtlichen Sozialleistungen ausgeschlossen werden. Das Sozialhilfeniveau von vorläufig Aufgenommenen ist bereits jetzt tiefer als reguläre kantonale Sozialhilfe. Abgewiesene Asylsuchende erhalten schon heute keine reguläre Unterstützung, sondern lediglich Nothilfe: Nahrung, einen Schlafplatz und medizinische Grundversorgung.
Etablierte autoritäre Kräfte können in der Schweizer Logik nicht undemokratisch sein.
Auch für die von drei Milliardären lancierte „Kompass-Initiative“ sammelte die SVP Unterschriften. Sie gibt vor, die Demokratie zu stärken und den Einfluss der Schweiz in der EU zu erhöhen. Tatsächlich aber würde sie demokratische Prozesse schwächen, indem sie verlangt, dass sämtliche wichtigen Staatsverträge dem obligatorischen Referendum mit Ständemehr unterstellt werden – ein Mechanismus, der den Willen der Bevölkerung massiv verzerrt. So würde die Stimme einer Urnerin bis zu 41-mal mehr zählen als die einer Zürcherin. Das Ziel der Initiative ist offenkundig: rechtsnationale Kräfte zu stärken und den politischen Einfluss von Milliardären auszubauen, die sich über kleine, konservative Kantone ihre Stellung sichern.
Die SVP bezeichnete den Sirup-Angriff als „Intoleranz der vermeintlich Toleranten“ – ein Narrativ, das von vielen Medien bereitwillig übernommen wurde, ohne die Ironie darin zu erkennen: Ausgerechnet jene rechtskonservative bis rechtsextreme Partei, die als Vorbild für Gruppierungen wie die AfD dient – deren Verbot aktuell heftig diskutiert wird – und die sich aktiv am Abbau demokratischer Strukturen beteiligt, sorgt sich um Intoleranz.
Das sogenannte Toleranzparadoxon lässt sich auf politische Akteure wie die SVP besonders gut anwenden: Wenn eine Gesellschaft intolerante Kräfte unbegrenzt toleriert, riskiert sie, dass diese die Freiheiten nutzen, um sie abzuschaffen – etwa durch Hetze, Angriffe auf Minderheiten oder autoritäre Machtübernahme.
Die Spontanaktion brachte süsse Abwechslung in den bitteren Kampf gegen rechts.
Auch TeleZüri liess sich nicht lumpen und zog zur Einordnung der Sirup-Aktion einen „Gewaltexperten“ heran, der sie als „unschweizerisch und undemokratisch“ verurteilte. Unschweizerisch war sie tatsächlich – sie war spontan, kreativ und konsequent. Sie als undemokratisch zu diffamieren, offenbart einen tief verwurzelten Schweizer Reflex: Etablierte autoritäre Kräfte wie die SVP gelten hierzulande kaum je als undemokratisch – weil sie durch das bürgerliche Mehr legitimiert sind.
Mit der Demokratie verhält es sich jedoch wie mit der Toleranz: Auch sie kann sich selbst abschaffen. Die SVP wird zwar durch keine Sirupattacke dieser Welt in der klebrigen Versenkung verschwinden – im Gegenteil: Solche Aktionen verschaffen ihr vermutlich eher Aufmerksamkeit und stärken ihre bequeme Opferrolle. Aber immerhin: Diese Spontanaktion brachte süsse Abwechslung in den bitteren Kampf gegen rechts.
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