Böse Zungen würden sagen: Das Fladenbrot ist eine kulinarische Verweigerung, by eine Absage an die Backkunst. Sie irren sich. Das Fladenbrot führt uns auf die Urform des Brotes zurück. Es ist das Brot für Minimalistinnen und Minimalisten: Mehl, Wasser, etwas Salz. Feuer. Mehr braucht es nicht. Das Rezept ist so simpel, dass man überall auf der Welt hervorragendes Fladenbrot produzieren kann.
Globus sieht das anders.
In seiner Delikatessenabteilung bietet das Luxus-Warenhaus Spezialitäten aus der ganzen Welt an. Auch Fladenbrote. Bei Globus heissen die Poppadums. Poppadums sind besonders im Trend. Denn sie bestehen aus Linsenmehl und sind damit glutenfrei. Wenn sie im Globusregal auf Käuferinnen und Käufer warten, haben sie bereits eine lange Reise hinter sich: Produziert wurden sie in Indien, verpackt hat sie eine Firma in Südafrika. Immerhin: Das liegt am Weg – wenn man den Suezkanal meidet und wie Vasco da Gama um das Kap der guten Hoffnung kurven will.
Angesichts dessen, dass auch im Poppadum aus Indien nicht mehr als (Linsen-)Mehl, Wasser und Salz steckt, ist das eine bemerkenswerte Produktionskette. Eine bemerkenswert umweltschädliche Produktionskette. Lieber Globus, geht das nicht auch einfacher? Ein Leser schrieb dem Gourmettempel.
Lieber Globus
Ich bin ein grosser Fan eurer Delikatessenabteilung. Nirgends finde ich so viele Leckereien wie in der Delicatessa.
Doch immer wieder einmal stosse ich auf ein Produkt, das mich etwas ärgert. Kürzlich zum Beispiel das Cape Malay Chili Poppadum.
Auf der Verpackung steht, dass diese in Indien produziert und dann in Südafrika verpackt werden. Anschliessend müssen sie ja noch in die Schweiz transportiert werden. Das erscheint mir ein Produkt mit einer katastrophalen Ökobilanz zu sein. Dabei sind Papadams oder Poppadums nun wirklich keine raffinierten Bäckereiprodukte. Sie liessen sich doch auch ganz einfach in der Schweiz produzieren.
Wieso verkauft Globus solch ein umweltschädliches Produkt?
Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüssen
Umweltschädliches Produkt? Solch einen Vorwurf will Globus nicht auf sich sitzen lassen.
Sehr geehrter Herr
Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, uns zu schreiben.
Sie haben recht, das erscheint tatsächlich nicht sehr umweltbewusst.
Bei vielen Produkten aus unseren Sortimenten achten wir sehr auf regionale Spezialitäten. Es ist uns aber auch ein Anliegen, unseren Kunden möglichst authentische Produkte anzubieten, dies im Speziellen im Ethno-Bereich. Da wir aber doch nur ein eher kleiner Anbieter sind, haben wir bei der Beschaffung manchmal ein Mengenproblem.
Es ist uns bei Randprodukten nicht möglich, von einem einzigen Produzenten ganze Container zu füllen, ansonsten haben wir Probleme mit der Haltbarkeit der Produkte. Da wir in Südafrika einen Partner haben, der mit diesem indischen Lieferanten zusammenarbeitet, beziehen wir also diese Poppadums über ihn. Somit können wir jeweils kleinere Mengen beziehen und in den Container laden lassen, der sowieso von Südafrika zu uns geliefert wird.
Wir sind aber laufend daran, die Beschaffungsprozesse zu überprüfen und wenn immer möglich zu optimieren. Es kann also sein, dass sich auch in diesem Fall die Situation einmal ändert.
Vielen Dank noch einmal für Ihren Input. Kundenmeinungen sind uns sehr wichtig und helfen uns immer, unsere (in diesem Fall) Prozesse zu überdenken und allenfalls zu überarbeiten.
Wir hoffen, dass wir Sie weiterhin zu unseren treuen Gästen zählen dürfen.
Freundliche Grüsse
Klingt eigentlich ganz logisch: Der Container fährt sowieso, da kann es ja kein Problem sein, die paar Tausend Fladenbrote gleich miteinzupacken. Und dass die nun mal von Indien nach Südafrika geschickt werden, dafür kann Globus nun wirklich nichts. Klingt gut, nur stimmt die Argumentation leider nicht.
Das Frachtschiff fährt nicht sowieso
Ein Container wird nie „sowieso verschifft“. Ein Schiff, beziehungsweise ein Container, macht erst dann den Weg über die hohe See, wenn die Nachfrage so gross ist, dass sich der Weg für das Frachtschiff lohnt. Globus mag zwar kein ganzes Frachtschiff füllen, aber das Unternehmen erhöht trotzdem die Nachfrage nach der Transportleistung. Es ist die gleiche Rechtfertigung, die oft von Leuten zu hören ist, die sich zwar bewusst sind, dass Fliegen eigentlich umweltschädlich ist, die aber trotzdem nicht vom Shoppingtrip nach New York ablassen können: „Der Flieger fliegt ja sowieso“. Mhm, ja, weil alle genau so denken.
Globus will jedenfalls authentische Produkte anbieten. Das ist löblich. Nur: Ist es dafür wirklich nötig, diese absurde Produktionsmaschinerie anzuwerfen?
Bestimmt: Viele Produkte legen heute weite Strecken zurück, bis sie schliesslich auf unseren Tellern oder auf unseren Körpern landen. T‑Shirts und Jeans reisen mehrere Zehntausend Kilometer, von kasachischen Baumwollfeldern zu bangladeschischen Nähfabriken bis zu portugiesischen Verpackungsmaschinen. Das mag bei T‑Shirts und Jeans sogar einigermassen Sinn ergeben. Natürlich liesse sich die Produktionskette auch bei Kleidung optimieren. Baumwolle wächst schliesslich nicht nur in den Steppen Kasachstans. Auch könnte man die Baumwolle an Ort und Stelle zu Stoff verarbeiten, diesen gleich färben und zu Kleidern verarbeiten, ohne dass man mit Lastwagen und Schiffen in Dutzenden von Ländern verschiedenste spezialisierte Fabriken bemüht. Die Vereinfachung wäre theoretisch möglich, praktisch aber ist sie komplex – zumindest im Vergleich mit dem Fladenbrot.
Hier – so scheint es uns zumindest – wäre es sehr simpel, die Produktionskette zu vereinfachen. Eben weil ein Poppadum ein so simples Produkt ist. Linsenmehl, Wasser, Salz – fertig ist das Fladenbrot. Wenn es nur einen Bäcker gäbe, der für Globus dieses Dreikomponenten-Gebäck in der Schweiz backen könnte.
Gibt es doch: Denn Globus gehört zum Migros-Konzern. Dieser besitzt eigene Bäckereien und Industriebetriebe. Ein so einfaches Produkt wie ein Fladenbrot könnten die Jowa-Bäckereien mit kleinstem Aufwand in der Schweiz selbst produzieren. Wieso arbeitet Globus nicht mit Jowa zusammen?
Wieso ein Fladenbrot grosse Innovationskosten nach sich zieht
Auf Nachfrage von das Lamm sagt Globus, die Bestellmengen seien zu klein, als dass sich der Auftrag für Jowa lohnen würde. Kann natürlich sein. Wäre dann aber einfach ein Entscheid zu Gunsten der Profitabilität und zu Ungunsten der Umwelt. Denn technisch wäre es für Jowa sicherlich ein leichtes, ein Fladenbrot herzustellen. Oder, Jowa?
Heike Zimmermann, Mediensprecherin der Jowa-Bäckereien: „Bei Ihrem speziell angefragten Poppadum wären wohl neben hohen Entwicklungskosten vermutlich auch hohe technische Innovationskosten nötig. Umso mehr das Produkt ja authentisch nach indischem Fladenbrot schmecken soll, sollte es auf dem Markt Anklang finden wollen.“
Hohe Entwicklungs- und Innovationskosten? Für ein Fladenbrot? Zimmermann präzisiert: „Naja, die grosse Herausforderung besteht auch darin, das Produkt haltbar zu machen. Es handelt sich ja nicht um einen klassischen Tagesartikel.“
Damit hat Zimmermann Recht: In der Schweiz ist ein Poppadum tatsächlich kein Tagesartikel. Und angesichts der immensen technischen Herausforderungen, die Globus und Jowa zu überfordern scheinen, bleibt es an den Konsumentinnen und Konsumenten zu entscheiden, ob sie für eine solch authentische Geschmacksexplosion im Gaumen ein Frachtschiff die halbe Welt umrunden lassen wollen.
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