Good News vs. Bad News 1:2: Ein Super­markt verkauft Maden. Und Flüge nach New York kosten nur noch 140 Euro — retour!

Im April gefähr­dete der Frost unsere Früchte. Als Trost gibt’s Maden­ein­topf — statt eines Kurz­trips nach NYC für schwin­del­erre­gend günstige 140 Euro. Retour. 
Bei Norwegian bezahlt das Ticket nicht einmal das Kerosin. Nie zuvor konnte man den Himmel so billig verpesten (Foto: Dean Morley)

Wie schlimm steht es wirk­lich um die Welt? Das weiss niemand ganz genau. Eine Nach­richt jagt die nächste – wie einen Über­blick gewinnen, das Chaos ordnen? Wir helfen, indem wir ausge­wählte News häpp­chen­weise servieren und einordnen. So liefern wir Ihnen einmal pro Monat Anhalts­punkte zur Lage der Welt aus Lamm-Sicht.

Heute: Erneuter Spät­frost im April. // Ab dem 1. Mai gibt’s im Coop Maden. // Und ab dem 1. Juni Flüge nach NYC für ledig­lich 140 Euro.

Bad News 1: Spät­frost gefährdet die Ernte von A(pfel) bis Z(wetschge)

Was ist passiert? Schon im Februar sorgten ange­nehme Tempe­ra­turen für ein Früh­lings­er­wa­chen. Anfang April waren dann die ersten hiesigen Spar­geln auf dem Markt – so früh, dass ihre perua­ni­schen Schwe­stern wohl um Absatz ringen mussten. Auf die Apri­kosen- und Pfir­sich­blüten folgten die Kirschen, dann die Äpfel. Alles deutete auf eine präch­tige Ernte hin. Bis in der Nacht von Donnerstag auf Freitag letzter Woche (20./21. April) die Boden­tem­pe­ra­turen in weiten Teilen des Landes unter den Gefrier­punkt fielen. Bei solcher Kälte traut sich keine Biene mehr raus, um Blüten zu bestäuben. Und bereits gebil­dete Früchte werden von Eiskri­stallen durch­wachsen und dabei zersto­chen. Zudem ist auch bei den Reben und den Kiwis die Ernte gefährdet, obwohl diese ihre Frucht­blüten noch gar nicht gebildet haben, so der Fach­be­rater Obstbau vom Strickhof in Winter­thur. Denn der Frost schadet sogar denje­nigen Frucht­trieben, aus denen die Frucht­blüten erst noch wachsen werden.

Warum ist das wichtig? Weil wir, wenn es richtig schlimm kommt, näch­stes Jahr keinen Chas­selas und über­näch­stes Jahr keinen Pinot Noir aus der Region trinken können. Und dementspre­chend würden uns auch keine regio­nalen Früchte durch die düsteren Winter­mo­nate helfen. Damit erin­nert uns der dies­jäh­rige Kälte­ein­bruch wieder einmal daran, wie wichtig stabile klima­ti­sche Rand­be­din­gungen für eine reiche und regel­mäs­sige Ernte sind. Auch wenn ein direkter Zusam­men­hang zwischen einzelnem Wetter­ereignis und dem Klima­wandel aus wissen­schafts­me­tho­di­schen Gründen kaum herge­stellt werden kann, so vermag ein solches Beispiel dennoch zu illu­strieren, wie eng eine bestimmte Land­wirt­schafts­praxis verwoben ist mit dem Klima, aus dem sie entstanden ist. Die Gefahr geht nicht direkt von 1.5 oder 2.0 Grad erhöhter globaler Tempe­ratur aus; sondern davon, wie sich eine solche allge­meine und gemit­telte Erhö­hung je lokal in ein neues Tempe­ratur- und Nieder­schlags­mu­ster übers Jahr hinweg einschreibt. Und ob dieje­nigen Pflanzen, von denen wir leben, sich auch rasch genug auf solch verän­derte Wachs­tums­be­din­gungen einstellen können.

Aber? Die Obst­bauern geben sich ihrem (und unserem) Schicksal nicht tatenlos hin. Paraf­fink­erzen sollen die Luft unter den Frucht­bäumen um die benö­tigten Grade aufwärmen und so die Früchte vor dem Frost schützen. Oder die Pflanzen werden mit Wasser besprüht. Gefriert nämlich das Wasser um die Früchte, sind sie (beschränkt) vor der Kälte isoliert. Andere Obst­bäue­rinnen stellen ihre Apri­ko­sen­plan­tagen gleich ganz unter Foli­en­tun­nels – dort seien die heiklen Früchte nicht nur vor Spät­frost geschützt, sondern auch vor zu feuchten Sommern. Wirkt dies alles ein biss­chen hilflos und verzwei­felt? Viel­leicht. Doch der Obst­bauer kann nicht auf ein stabiles Klima nach Paris warten, will er in diesem Herbst Früchte ernten. Sollten jedoch künftig die Wetter­ka­priolen noch heftiger ausfallen, werden solch kleine Pflä­ster­chen nicht mehr ausreichen.

Good News: Maden im Coop

Was ist passiert? Ab Mai gibt’s Maden im Coop. Nicht ernte­frisch von einem vergam­melten Stück Fleisch, sondern ther­misch hygie­ni­siert in sepa­raten Beuteln – so, wie es die revi­dierte Lebens­mit­tel­ver­ord­nung will. Wer nun aber glaubt, in den Beuteln ganze  Mehl­würmer, Heuschrecken und Grillen vorzu­finden, irrt. Statt­dessen erwarten einen „Hack­bäll­chen” und „Burger­mi­schungen”. Coop will damit wohl Kichern und Krei­schen von Schau­lu­stigen in seinen Filialen verhindern.

Weshalb ist das wichtig? Insekten werden seit längerem als nach­hal­tige Alter­na­tive zu Fleisch gehan­delt. Dank ihres wech­sel­warmen Wärme­haus­halts verschwenden Insekten — anders als Säuge­tiere — keine Energie mit Tempe­ratur-Regu­lie­rung. Und sie brau­chen weniger Futter, um zu wachsen. Zudem können beispiels­weise Mehl­würmer platz­spa­rend in Schub­laden gezüchtet werden. Glauben wir dem Food-Startup Essento, das den Coop belie­fert, brau­chen Insekten zehnmal weniger Futter als Rinder für die gleiche Fleisch­menge. Darüber hinaus könne doppelt so viel vom Tier gegessen werden (80% bei den Insekten vs. 40% bei den Rindern). Berück­sich­tige man zudem das Kuh-Methan, falle die Bela­stung unseres Planeten mit Treib­haus­gasen insge­samt zehnmal geringer aus. Ein unglaub­lich nach­hal­tiges Prote­in­wunder, sollte das stimmen.

Aber? Auch Insekten brau­chen pflanz­liche Proteine, um wachsen zu können. Und die kommen wiederum vom Acker. Auch wenn sie die pflanz­li­chen Proteine effi­zi­enter in tieri­sche Proteine umbauen können als Säuge­tiere, so ist der direkte Konsum der pflanz­li­chen Proteine immer noch effi­zi­enter. Und anders als bei (reinen) Weide­tieren, wie es Schafe, Ziegen und Kühe eigent­lich sind, wächst das Insek­ten­futter auf dem Acker. Und der will gepflügt, gespritzt und gedüngt werden, während die Wiese von selbst wächst. Dass dabei der Boden Schaden nimmt und zudem durch Humus­ver­lust CO2 in die Atmo­sphäre gelangt, wird in jenem Verglei­chen zwischen Rind- und Insek­ten­fleisch gewöhn­lich unter­schlagen. Aller­dings nicht ganz zu unrecht, da leider auch Rinder gröss­ten­teils mit Acker­pro­te­inen gefüt­tert werden – und somit im Vergleich mit Insekten tatsäch­lich schlecht abschneiden.

Zudem ist offen, inwie­fern sich die Insek­ten­pro­duk­tion in bereits nach­hal­tige Versor­gungs­sy­steme einglie­dern lässt. Schweine und Hühner beispiels­weise können mit Molke, Rüst­ab­fällen oder minder­wer­tigen Acker­früchten gefüt­tert werden. Können auch Insekten solche ‚Über­schüsse‘ verwerten? Und schliess­lich: Sind Insekten wirk­lich die (tier-)ethische Alter­na­tive zum (Säugetier-)Fleisch, als die sie gepriesen werden? Eine Insekten-Burger­mi­schung kommt zwar sehr viel weniger blutig daher als ihr flei­schernes Pendant. Muss aber in der Küche Kopf und daran­hän­gendes Gedärm vom Rest einer Heuschrecke abge­trennt werden, wie es Insek­ten­frau Andrea Stau­dacher bei Aesch­ba­cher vorzeigte, so kann sich je nach Empfind­lich­keit doch ein recht flaues Gefühl in der Magen­ge­gend einstellen. Man reali­siert: Insekten sind halt auch Tiere.

Bad News 2: New York retour für 140 Euro.

Was ist passiert? Die Billi­g­air­line Norwe­gian verscher­belt Flüge von Belfast oder Edin­burgh nach Newburgh-Stewart oder Provi­dence (je 100 Kilo­meter von New York City respek­tive Boston entfernt) für 68 Euro (einfach) bzw. für 140 Euro (retour). 7‘000 Tickets hat sie zu diesen Preisen innert Stunden abge­setzt. Und innert drei Tagen 20‘000 Plätze verkauft. Das erstaunt nicht, denn zuvor lagen die tief­sten Preise in diesem hart umkämpften Markt bei ca. 400 Euro – ohne Essen, manchmal mit Zwischen­stopps. Kann sich so etwas rechnen? Gemäss Aviatik-Experte Pierre Condom erstmal gar nicht. Denn trotz günstiger Flug­ha­fen­taxen in der Provinz; trotz 30 Milli­arden Subven­tionen an die Flug­in­du­strie jähr­lich; trotz tiefer Löhne und stan­dar­di­sierter Flug­zeug­flotte: Die 68 Euro reichen nicht einmal für’s Kerosin. Aber späte­stens seit Zalando wissen wir, dass anfäng­lich schwer defi­zi­täre Geschäfte einen langen und destruk­tiven Atem haben. Vor allem, wenn dank tiefer Zinsen Geld so billig zu haben ist wie jetzt. Dass auch die euro­päi­schen Billi­g­air­lines zuerst zehn Jahre rote Zahlen geschrieben haben, um heute als die grössten Anbieter den euro­päi­schen Markt zu domi­nieren, lässt nichts Gutes erahnen.

Warum ist das wichtig? Weil der Flug­in­du­strie mitt­ler­weile 5% des welt­weiten CO2-Ausstosses anzu­rechnen ist. Mit erwar­teten jähr­li­chen Wachs­tums­raten von 5 bis 6%. Gerade Billi­g­air­lines kurbeln dieses Wachstum zusätz­lich an, weil sie eine neue Kund­schaft anspre­chen, die vorher nicht, oder nicht so viel oder so weit, geflogen ist. Denn Viel­flie­ge­rInnen werden auch künftig nicht erst in die schot­ti­sche Provinz reisen, um dann auch noch 100 Kilo­meter weit von New York entfernt zu landen. Dass diese Neuf­lieger ins Gewicht fallen, haben gerade die Ryan­airs und Easy­jets in Europa gezeigt. Alleine Ryanair, heute der grösste Anbieter von inner­eu­ro­päi­schen Flügen, hat heute einen CO2-Ausstoss zu verant­worten, der mit jenem von kleinen Ländern wie Zypern oder Costa Rica vergleichbar ist. Doch: In der Verant­wor­tung sieht sich Michael O’Leary, der Bad-Boy-CEO von Ryanair, nicht. Denn er ist nicht nur selbst­er­nannter Taxi­fahrer, um dem Dubliner Stau auf den Taxi­spuren zu entkommen. Er ist neuer­dings auch Geowis­sen­schaftler und weiss: Der Klima­wandel ist „rubbish”.

Aber? Die Flug­in­du­strie wurde zwar im Pariser Klima-Abkommen ausge­klam­mert. Und sie geniesst Steu­er­pri­vi­le­gien wie keine andere Branche: Weder müssen Flug­ge­sell­schaften eine Treib­stoff­steuer noch eine Mehr­wert­steuer entrichten. Dass nun die Umwelt­or­ga­ni­sa­tion Trans­port & Envi­ron­ment eine Kampagne lanciert, um den Euro­päe­rInnen eine Flug­steuer schmack­haft zu machen, hat mit dem Steu­er­aus­fall für die EU zu tun: Gemäss Schät­zungen entgehen ihr aufgrund der Steu­er­pri­vi­le­gien 20 bis 32 Milli­arden Euro. In Zeiten von Austeri­täts­po­litik doch eine beacht­liche Summe. Auch in der Schweiz regt sich Wider­stand gegen die Flug­in­du­strie und ihre mäch­tige Lobby. In Genf haben Lisa Mazzone und Phil­ippe Duegerdil die Initia­tive „Pour un pilo­tage démo­cra­tique de l‘aéroport“ einge­reicht, um das UVEK daran zu hindern, den Genfer Flug­hafen auf Kosten der Anwoh­ne­rInnen und der Umwelt noch weiter auszu­bauen. Und Priska Seiler-Graf hat in der Früh­lings­ses­sion eine Motion zuhanden des UVEK depo­niert: Es soll die Einfüh­rung einer Treib­stoff­steuer prüfen (das Lamm berich­tete im letzten Lage der Welt dazu). Auch wenn in näch­ster Zukunft dank Norwe­gian das Klima so billig wie noch nie mit Unmengen an CO2 befrachtet werden und so manch eine indi­vi­du­elle CO2-Bilanz mit bloss 140 Euros ruiniert werden kann: Der Wider­stand gegen diesen Irrsinn wächst.

 


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