Good News vs. Bad News 1:2: Schluss mit dem gefähr­lich­sten Recy­cling der Welt. Doch derweil wackelt ein Samentresor und die Netz­neu­tra­lität wird sabotiert.

Mit dem Ja zum neuen Ener­gie­ge­setz haben wir auch Nein zum gefähr­lich­sten Recy­cling der Welt gesagt. Und während im hohen Norden der Klima­wandel den wich­tig­sten Samentresor gefährdet, rückt ein Beamter Trumps der Netz­neu­tra­lität auf den Leib. 
„Please don't touch." Ob das reichen wird? (Foto: Carter McKendry)

Wie schlimm steht es wirk­lich um die Welt? Das weiss niemand ganz genau. Eine Nach­richt jagt die nächste – wie einen Über­blick gewinnen, das Chaos ordnen? Wir helfen, indem wir ausge­wählte News häpp­chen­weise servieren und einordnen. So liefern wir Ihnen einmal pro Monat Anhalts­punkte zur Lage der Welt aus Lamm-Sicht.

Heute: Ja zur Ener­gie­wende = Nein zur Pluto­ni­um­bombe // Eine feuchte Samen­bank // Die Netz­neu­tra­lität unter Beschuss

Good News: Schluss mit waffen­fä­higem Pluto­nium made in Switzerland

Was ist passiert? Die Debatte ums Ener­gie­ge­setz hätte auch einen anderen Verlauf nehmen können. Einen bedeut­sa­meren. Anstatt von kalten Duschen hätten wir über pluto­ni­um­er­zeu­gende Reak­toren, soge­nannte Brut­re­ak­toren, debat­tieren können. Statt über die Vorzüge von A+++-Gefriertruhen über die Stabi­lität des selbst­ent­zünd­li­chen’ Pluto­niums fach­sim­peln können. Denn mit dem Ja zum Ener­gie­ge­setz haben wir auch defi­nitiv Nein gesagt zur Gewin­nung von waffen­fä­higem Pluto­nium aus alten Brenn­stäben. Im Abstim­mungs­text steht: „Abge­brannte Brenn­ele­mente sind als radio­ak­tive Abfälle zu entsorgen. Sie dürfen nicht wieder­auf­ge­ar­beitet oder zur Wieder­auf­ar­bei­tung ausge­führt werden.”

Warum ist das wichtig? Das ist wichtig, weil damit das gefähr­lichste Recy­cling der Welt für Schweizer Atom­müll, genannt „Wieder­auf­be­rei­tung”, beendet wird. Frische Brenn­stäbe enthalten unre­ak­tives 238-Uran und reak­tives 235-Uran. Während der Kern­re­ak­tion wird ein Teil des unre­ak­tiven 238-Uran zu reak­tivem 244-Pluto­nium hoch­ge­rü­stet. Die Konzen­tra­tionen sind aller­dings so gering, dass das Pluto­nium dank des Verdün­nungs­ef­fekts nicht reaktiv (und damit nicht waffen­fähig) ist. Löst man dieses Pluto­nium aber in einem aufwän­digen Trenn­ver­fahren heraus, kann man daraus neue Brenn­stäbe herstellen, die statt mit dem reak­tiven 235-Uran mit dem reak­tiven 244-Pluto­nium bestückt sind. Oder man kann daraus eine Atom­bombe bauen. Die Schweizer AKWs Beznau I und II sowie Gösgen setzten in der Vergan­gen­heit solche pluto­ni­um­hal­tige Brenn­stäbe ein.

Aller­dings entsteht bei dieser Aufbe­rei­tung’ von alten Brenn­stäben zehn Mal mehr Abfall­vo­lumen als bei der direkten Endla­ge­rung abge­brannter Brenn­stäbe, weil in diesem Trenn­ver­fahren eine Menge chemi­scher Reagen­zien eben­falls radio­aktiv verseucht werden. Aber nicht nur das. Das Pluto­nium ist selbst­ent­zünd­li­chen’ : Die labilen zerfal­lenden Pluto­nium-Kerne fallen auf andere labile Pluto­nium-Kerne, womit eine Ketten­re­ak­tion von selbst ausge­löst werden kann. Deshalb muss das reine Pluto­nium in feinen Glas­röhr­chen gela­gert werden.

Und damit hat es sich? Nein. Das waffen­fä­hige Pluto­nium, einmal in Brenn­stäbe einge­mischt, lässt sich von dort relativ einfach wieder heraus­lösen. Es könnte also leicht in die falschen Hände geraten, da Brenn­stäbe weniger sicher gela­gert werden als Atomwaffen.

Derweil werden das Meer, die Böden und die Luft um die Aufbe­rei­tungs­fa­briken in La Hague (FR) und Sella­field (GB) derart mit hoch­gif­tigem Ameri­ca­nium, Stron­tium, Tritium und so weiter verseucht, dass die Kinder­leuk­ämie­rate in der Nähe Sella­fields um ein 14-faches über dem Landes­durch­schnitt Gross­bri­tan­niens liegt. Die Aufbe­rei­tung ist, wie Susan Boos in ihrem Hand­buch zur Atom­wirt­schaft ausführ­lich doku­men­tiert, schlicht ein blanker „Irrsinn“.

Aber? Zwar war die Wieder­auf­be­rei­tung 2006 mit einem zehn­jäh­rigen Mora­to­rium belegt worden. Aber erst seit der Annahme des neuen Ener­gie­ge­setzes am 21. Mai 2017 ist sie unbe­fri­stet verboten. Was aber nicht heisst, dass das Problem nun gelöst ist. Denn jetzt heisst die Frage: Wohin mit dem gefähr­li­chen Plutonium?

Bad News 1: Die wich­tigste Samen­bank wird feucht

Was ist passiert? Auf der norwe­gi­schen Arktis­insel Sval­bard steht ein Bunker mit gegen­wärtig 930‘821 verschie­denen Samen von Kultur­pflanzen. Dieser Bunker fungiert als Kultur­pflanzen-Safe und soll bei Kata­stro­phen Reser­ve­samen bereit­stellen können. Es ist sozu­sagen das Backup der Land­wirt­schaft. Erst­mals wurde dieser Safe letztes Jahr geöffnet, um Samen nach Beirut zu verschicken. Die syri­sche Samen­bank konnte in den Kriegs­wirren nicht alle ihre trocken­heits­to­le­ranten Pflanzen in den Libanon retten – hatte die verlo­renen Samen aber in Sval­bard auf Reserve. In diesen Safe ist nun Schmelz­wasser einge­drungen, weil der Perma­frost wegen 7°C höheren Tempe­ra­turen im Jahr 2016 nun viel stärker als erwartet schmilzt. Indes, ohne die Samen zu beschä­digen, weil das Wasser auf dem Weg in die Tiefen des Safes wieder gefror.

Weshalb ist das wichtig? Weil wir, trotz genma­ni­pu­lierter Pflanzen und High­tech-Zucht, immer noch voll und ganz von unserem histo­ri­schen Erbe an Kultur­pflanzen leben. Niemand kann heute einen Gras­halm gene­tisch so modi­fi­zieren, dass aus seinen Samen im näch­sten Jahr ein Weizen­halm wächst. Wir sind also immer noch auf jahr­tau­sen­de­alte Zucht­pflanzen ange­wiesen. Werden in einer Kata­strophe im Ausmass des Syri­en­kriegs alle Samen einer Region zerstört, so können wir auf diese Samen in Reserve zurück­greifen. Gesetzt, sie können auf Sval­bard wirk­lich sicher gela­gert werden. Gerade diese Gewiss­heit wurde jetzt aber erschüt­tert. Nicht einmal im höch­sten Norden scheinen die Samen vor Krisen sicher, die der Mensch verursacht.

Aber? Dass dieser Tresor bröckelt, ist keine gute Nach­richt. Aber es ist ein guter Anlass, über die Vorstel­lung von Sicher­heit nach­zu­denken, die er vermittelt.

Kultur­pflanzen wie der Weizen aus Meso­po­ta­mien über­leben seit über 10‘000 Jahre, weil sie von Bauern immer wieder selek­tiert und ange­pflanzt wurden. Auch wenn solche Samen bei der Lager­tem­pe­ratur von ‑18°C in 100 Jahren wohl noch keimen würden: in diesen 100 Jahren haben sie nicht gelebt. Was aus evolu­ti­ons­bio­lo­gi­scher Perspek­tive heisst, dass sie sich nicht einer sich verän­dernden Umwelt haben anpassen können. Also keinen neuen Pilzen, keinem trocke­neren und heis­seren Klima oder späten Winter­ein­brü­chen im Früh­ling ausge­setzt waren.

Sinn­volle Samen­la­ge­rung ist über längere Zeit betrachtet eben gerade keine Lage­rung, sondern das Am-Leben-Erhalten von Kultur­pflanzen durch ihre kontrol­lierte Repro­duk­tion. Leben kann man eben — anders als Gold — nicht horten. Deshalb kann es die Sicher­heit, die dieser Samentresor sugge­riert, für Pflanzen gar nicht geben.

Aber viel­leicht geht es bei diesem Samentresor gar nicht darum, Samen als Anfänge von Leben zu bewahren, sondern darum, ein Gen-Archiv des gesamten Samen­in­ven­tars der Welt aufzu­bauen, aus dem dereinst gene­tisch modi­fi­zierte Design­pflanzen geba­stelt werden könnten. Dafür stünde ihnen dann der ganze Schatz des homo agri­cola zur Plün­de­rung frei. Dass auch die gentech­freund­liche Bill und Melinda Gates-Stif­tung als Geld­ge­berin dieses Samentre­sors fungiert, lässt in dieser Hinsicht nicht viel Gutes erahnen.

Bad News 2: Maut­ge­bühren für das Internet? Nein danke.

Was ist passiert? Die Frei­heit des Inter­nets ist in den USA in Gefahr, weil Trump mit Ajit Pai einen erklärten Netz­neu­tra­li­täts­gegner und ehema­ligen Ange­stellten des Netz­be­trei­bers Verizon zum Chef der Internet-Regu­la­ti­ons­be­hörde FCC (Federal Commu­ni­ca­tions Commis­sion) ernannt hat. Die Frei­heit des Inter­nets (Netz­neu­tra­lität) besteht darin, dass alle Daten gleich schnell durchs Netz flitzen können. Eine Netz­be­trei­berin wie die Swisscom darf nach diesem Prinzip Netflix nicht künst­lich ausbremsen, um ein eigenes Produkt wie Swisscom TV zu fördern („Jetzt klemmt dieses blöde Netflix schon wieder!”). Obwohl das tech­nisch möglich ist und unter Umständen auch gemacht wird, ist es in den USA gegen­wärtig gesetz­lich verboten. Das könnte sich unter Trump ändern.

Warum ist das wichtig? Weil es nicht nur um einen freien Markt für die Unter­hal­tungs­in­du­strie geht. Es geht bei der Netz­neu­tra­lität um nichts weniger als den unge­hin­derten Zugang zur wich­tig­sten Kommu­ni­ka­ti­ons­in­fra­struktur unserer Zeit. Und diese Infra­struktur muss, damit ein öffent­li­ches und demo­kra­ti­sches Gemein­wesen aufrecht­erhalten werden kann, allen glei­cher­massen zugäng­lich sein. Über­lassen wir es hingegen der Willkür der Netz­be­treiber, ob und wie schnell sie welchen Inhalt an die Endkun­dInnen über­mit­teln, zerfällt der öffent­liche Raum in markt­kon­forme Räume, die sich an Kauf­kraft und Zahlungs­be­reit­schaft ausrichten. Damit würde zusätz­lich zu den virtu­ellen Filter-Bubbles, die mittels Algo­rithmen eigene Vorlieben heraus­prä­pa­rieren, auch noch eine physi­sche Verzer­rung dieses Raums erwirkt.

Ein Beispiel: Tippe ich North Dakota” bei Google ein, kommt sogleich “North Dakota Access Pipe­line” mit viel skan­da­löser Bericht­erstat­tung, und ich denke, die ganze Welt schaut auf diese dreckige Röhre. Dabei finden andere unter North Dakota” tolle Invest­ment­an­ge­bote im Rohstoff­be­reich, vor allem, seit Trump an der Macht ist. Das wäre die Filter-Bubble. Und die physi­sche Verzer­rung wäre dann, dass NGOs beim Inter­net­be­treiber Verizon unter Trump Extra­ge­bühren bezahlen müssten, um gleich schnell erreichbar und damit sichtbar zu sein wie etwa Invest­ment­an­ge­bote zur selben Pipe­line. Denn Studien zeigen, dass 4 von 10 US-Ameri­ka­ne­rInnen von einer Seite abspringen, die nicht innert 3 Sekunden lädt. Damit würden 4 von den 10 US-Bürge­rInnen, die North Dakota” googeln und einen Link zu Prote­sten in Stan­ding Rock anklicken, gar nie wissen, worum es dort ging — und, ein paar Klicks später, in ein tolles Geschäft am selben Ort investieren.

Die Begrün­dung seitens der Netz­an­biet­er­lobby, weshalb sie ein gesetz­lich regu­liertes freies Internet auch in der Schweiz verhin­dern will: Nur so könnten die Anbieter Inve­sti­tionen in leistungs­fä­hige Mobil­funk- und Fest­netze amor­ti­sieren. Das kommt einem unver­hoh­lenen Einge­ständnis gleich, mit unter­schied­li­chen Über­tra­gungs­ge­schwin­dig­keiten künftig Geld machen zu wollen — nach dem Vorbild der Swisscom, die sich letztes Jahr dem Vorwurf ausge­setzt sah, Netflix durch Unter­las­sungs­hand­lungen zu Gunsten des eigenen Produkts Swisscom TV auszu­bremsen.

Aber? Noch hat der US-Behör­den­chef Pai sein Mogel­paket nicht durch­schum­meln können. Der Komiker John Oliver hat in seiner Late Night Show dazu aufge­rufen, bei der Regu­la­ti­ons­be­hörde FCC seine Bedenken anzu­melden. Innert Wochen­frist pras­selten über diesen Weg 1.5 Millionen (mehr oder minder ernste) Beken­ner­schreiben für ein freies Internet auf die Home­page ein. Auch in der Schweiz könnte sich poli­ti­scher Wider­stand regen. Zwar ist seit der Motion von Balthasar Glättli im Jahr 2012, die damals im Stän­derat schei­terte, noch immer kein verbind­li­ches Gesetz auf dem Tisch. Aber das könnte sich ändern, wenn die wüsten Konse­quenzen eines dereinst dere­gu­lierten Netz­marktes in den USA in die Schweiz über­schwappen sollten. Denn nach wie vor ist viel von dem Inhalt, den wir hier über die Leitungen in unsere Computer saugen, in den USA gespei­chert und wir damit den Launen der US-Netz­be­treiber ausgeliefert.


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