Es brodelt in der Schweizer Frauenpolitik. Auslöser für den Unmut ist der Vorschlag der Zürcher Frauenzentrale, den Kauf von sexuellen Dienstleistungen in der Schweiz zu illegalisieren, indem Freier unter Strafe gestellt werden. Ende Juni lancierte die Zentrale eine medienintensive Kampagne unter dem Titel „Stoppt Prostitution“ und löste damit vehemente Reaktionen aus. „Wenn man die Freier kriminalisiert, kriminalisiert man das ganze Gewerbe“, sagt Susanne Seytter, Geschäftsführerin der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration Zürich (FIZ). „Der Vorstoss fordert, dass die Frauen geschützt werden sollen, schneidet sie mit diesem Vorgehen jedoch vom Zugang zu den wenigen Rechten ab, die sie haben.“ Man schütte quasi das Kind mit dem Bade aus, sagt Seytter.
Keine Arbeit wie jede andere
Der tiefe Graben, der bei diesem Thema durch die frauenpolitische und aktivistische Landschaft geht, tut sich bereits bei der Benennung auf: Die einen, die Zürcher Frauenzentrale oder auch das Frauennetzwerk Schwyz, welches die Kampagne unterstützt, sprechen von Prostitution – einem Begriff mit schier unüberwindbarem Stigma. Die anderen, wie die FIZ in Zürich, die Menschenrechtsorganisation Amnesty International oder die solothurnische Fachstelle Lysistrata sprechen hingegen von Sexarbeit als Gewerbe. Lysistrata schreibt hierzu auf ihrer Website: „Wir verwenden bewusst den Begriff ‚Sexarbeit‘ und ‚Sexarbeitende‘, da wir es mit Frauen, Männern und Transgender zu tun haben, die – in unterschiedlichem Grade selbst- oder fremdbestimmt – ein Gewerbe betreiben (…). Gemeinsam ist allen Sexarbeitenden, dass ihre Arbeit darin besteht, sexuelle Dienstleistungen anzubieten und zu erbringen (…)“. Pragmatisch fällt die Definition von Sexarbeit bei der FIZ aus: „Sexarbeit ist Arbeit“, heisst es auf der Website, und weiter: „Aber keine Arbeit wie jede andere.“
Diese Betrachtungsweisen widersprechen im Kern der Aussage von Andrea Gisler, Präsidentin der Frauenzentrale Zürich, mit denen sie sich vom SRF auf dessen Website zitieren lässt. Gisler will eine Schweiz ohne Sexgewebe: „Prostitution ist ein Verstoss gegen die Menschenwürde“, sagt Gisler. „Prostitution ist sexuelle Gewalt und ein Hindernis auf dem Weg zur Gleichstellung.“
Diese Aussage impliziert eine Homogenität im Sexgewerbe, die nicht nur illusorisch, sondern schlicht inexistent ist. „Menschenhandel und Sexarbeit werden oft im gleichen Atemzug genannt“, sagt Seytter von der FIZ, „aber das sind unterschiedliche Dinge. Das eine ist eine schwere Menschenrechtsverletzung, da braucht es vor allem Opferschutz, das andere ist ein Gewerbe und braucht vor allem eine Entstigmatisierung.“
Die FIZ arbeitet mit den im Sexgewerbe tätigen Frauen auf Augenhöhe: „In den Beratungsgesprächen erleben wir die Sexarbeiterinnen als Frauen, die sehr wenig Optionen auf ein Erwerbsleben haben und sich selbstbestimmt für die Tätigkeit entschieden haben. Die Probleme, mit denen sie an uns herantreten, sind sehr konkreter Natur. Die meisten leiden deutlich mehr unter der Stigmatisierung ihrer Tätigkeit, als unter der Tätigkeit selber. Sexarbeiterinnen sind Menschen in einer unsicheren Arbeitsrealität, man müsste an der Stärkung ihrer Positionen und Anliegen ansetzen — nicht an deren Illegalisierung.“
Nicht Sache der Sittenpolizei
Sexarbeit gilt als unmoralisch. Entsprechend schwierig gestalten sich für die Frauen Gespräche mit Behörden, Ämtern oder der Polizei: „Es kommt etwa vor, dass ihre Fähigkeiten als Mütter durch Aufsichtsbehörden angezweifelt werden. Beim Antrag um Verlängerungen von Aufenthaltsbewilligungen wird den Frauen oft die Wirtschaftlichkeit ihrer Arbeit aberkannt, und wenn die Frauen Lohn einklagen müssen, stossen sie wegen der Sittenwidrigkeit ihrer Arbeit oft auf Ablehnung.“ Die Probleme der Sexarbeiterinnen, so Seytter, seien meist struktureller Natur.
Sexarbeit ist in der Schweiz seit 1942 legal. Für den Schutz der Frauen wird von staatlicher und städtischer Seite jedoch bisweilen wenig getan. Vielmehr gestaltet sich die Politik hierzu seit Jahren nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Die städtische Aufwertungs- und Vertreibungspolitik schlägt in dieselbe Kerbe. Die Zürcher Verrichtungsboxen am Stadtrand sind nur eines von vielen Beispielen für diese Politik des Unsichtbar-Machens. Der Vorstoss der Frauenzentrale setzt hier direkt an, indem mit Hilfe eines Verbots die vollkommene Unsichtbarkeit des Gewerbes erreicht werden soll.
Wohin nach dem Verbot?
Im emotionalen Kampagnenvideo der Frauenzentrale fällt folgendes Statement: „80% der Prostituierten würden gerne aufhören. Wenn sie könnten.“ Eine Antwort auf die Frage, ob sich dieses Statement auf die Schweiz oder weltweit bezieht, bleibt das Video schuldig. Es spielt hier aber auch keine Rolle: Was würde es für diese hypothetischen 80% Prozent bedeuten, wenn Prostitution indirekt verboten würde? Ein Verbot bringt diesen Frauen weder ein Einkommen, noch einen Wohnsitz, noch Sicherheit in Bezug auf Menschenhandel. Ein Verbot verschafft den betroffenen Frauen weder einen geregelten Status, noch eine sichere Möglichkeit, sich Hilfe zu holen.
Im angesprochenen Kampagnenvideo wird auch gesagt, dass 75% der Prostituierten in der Schweiz Migrantinnen seien. Die Statistik wird jedoch nicht weiter ausdifferenziert. Jenen, die ganz ohne gültige Papiere in der Schweiz leben und arbeiten – die Dunkelziffer dürfte erheblich sein –, verschafft auch ein Verbot keinen geregelten Aufenthaltsstatus. Vielmehr befeuert es den Abstieg in weitere gesetzlich fixierte Illegalität und Unsicherheit. Es ist zudem reines Wunschdenken anzunehmen, dass ein Verbot gerade jenen Frauen hilft, die aufgrund von Menschenhandel und unter Zwang sexuelle Dienstleistungen anbieten müssen. Susanne Seytter: „Diese Frauen sind erpressbar und abhängig, ihre Situation wird nicht verbessert. Gerade diese Frauen brauchen einen vertraulichen und sicheren Zugang zu Hilfe und Polizei. Eine weitere Illegalisierung ihrer Person spielt nur kriminellen Netzwerken in die Hände“.
Eine klare Differenzierung zwischen Menschenhandel und Prostitution ist auf der Kampagnenwebsite nicht zu finden. „Man versucht den Markt als Ganzes auszutrocknen, verschiebt ihn aber nur als Ganzes ins Zwielicht“, sagt Seytter. Entsprechend vehement reagierte die FIZ in einem verkürzten Statement auf den Vorschlag der Frauenzentrale: „Ein Verbot der Sexarbeit trägt das Problem von frauenverachtenden Geschlechterverhältnissen auf dem Rücken der Sexarbeiterinnen aus. Ein Verbot bringt die Sexarbeit nicht zum Verschwinden, sondern führt dazu, dass die Arbeit unter noch prekäreren Bedingungen ausgeübt werden muss. Der Kampf gegen Frauenverachtung muss ein Kampf gegen strukturelle Bedingungen sein und nicht gegen die wenigen Optionen, die Migrantinnen in der Schweiz haben, ihr Leben und das ihrer Familie zu ermöglichen.“
Moralistisches Wunschdenken und Verbotskultur
Letztendlich geht die Diskussion im Kern auf eine uralte Spaltung innerhalb der Frauenbewegung und des Feminismus ein. Es geht um nichts Geringeres als um die Frage nach der Frau, die als schützenswert gilt, und jener, die das für sie entscheidet. „Wie kann man über diejenigen urteilen, die bereits das schwächste Glied in der Kette sind? Wie kann man Sexarbeiterinnen die Entscheidungs- und Handlungsmacht undifferenziert absprechen?“, fragt Seytter entsprechend.
Mit dieser Kampagne beweist die Frauenzentrale, wie weit sie sich von jenen entfernt hat, mit denen sie eigentlich einen Dialog auf Augenhöhe führen müsste um festzulegen, wie sie, als starke Institution mit Reichweite, diese Frauen in ihren Anliegen unterstützen kann. Denn eine Frauenzentrale sollte nicht nur die Moralvorstellungen von Frauen aus der Mittelschicht repräsentieren, sondern eben auch jenen als Sprachrohr dienen, die in prekären Arbeitsverhältnissen, in Abhängigkeitsverhältnissen und ohne andere Optionen, ohne Papiere dastehen.
Der Untertitel der Stopp-Prostitution-Kampagne lautet: „Für eine Schweiz ohne Freier“. Das liest sich, banal heruntergebrochen, wie „Für eine Schweiz ohne Marihuana“ oder „Für ein Zürich ohne Kokain“. Über die Effizienz dieser Verbote muss hier nicht geschrieben werden. Eine vorsichtige, metaphorische Parallele betreffend Verbotswirksamkeit darf aber gezogen werden, freilich nur unter dem Vorbehalt, dass es hier nicht um Rauschmittel geht, sondern um Menschen.
„Für eine Schweiz ohne Freier“ ist zudem irreführend, denn dass nicht primär die Freier, sondern die Sexarbeiterinnen damit in die Illegalität getrieben werden, geht unter. Die Kampagne der Frauenzentrale schiesst an der Wirklichkeit vieler Frauen direkt vorbei. Denn solange die Nachfrage besteht, solange es Frauen gibt, die in der Sexarbeit tätig sein wollen, solange viele Frauen gar keiner anderen Tätigkeit nachgehen können, solange es Menschen gibt, die zum Überleben auf Sexarbeit angewiesen sind – solange wird es auch Sexarbeit geben. Ein Verbot eliminiert nicht die Sexarbeit, sondern erodiert das letzte bisschen geregelten Boden, auf dem sie momentan steht. Damit verlieren nicht die Freier, die im schlimmsten Fall mit einer Geldstrafe rechnen müssen, sondern die Sexarbeiterinnen. Für sie könnte der Preis von noch unsicherer und unkontrollierbarerer Arbeit im schlimmsten Fall ihr Leben sein. Viel vernünftiger wäre deshalb eine Kampagne, welche die Schweiz dazu aufruft, sich für die Rechte und den Schutz der Sexarbeiterinnen stark zu machen.
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