Auf den Avocadoplantagen an den Berghängen der Region Valparaíso – rund eine Stunde nördlich der chilenischen Hauptstadt Santiago – legen Plantagenbesitzer*innen wenig Wert auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards. Dies zeigt eine kürzlich veröffentlichte Reportage von das Lamm.
Doch woher kommen eigentlich die Avocados, die bei uns in der Schweiz in den Regalen liegen? Und wie garantieren Schweizer Detailhändler*innen, dass in der Produktion keine Menschenrechtsverletzungen begangen werden?
Wir haben bei den drei grössten nachgefragt und stossen auf eine Wand des Schweigens, die nur langsam gebrochen werden kann.
Aber von vorne. Folgende Mail flatterte vor Kurzem bei Coop, Migros und Denner in die Mailbox:
Sie verkaufen derzeit Avocados aus aller Welt. Es würde mich interessieren, aus welchen Ländern und von welchen Produzent*innen Sie diese importieren und ob Sie beim Einkauf darauf achten, dass die Produzent*innen die Menschenrechte einhalten?
Wir wären über Ihre Antwort sehr froh und würden diese eventuell auch für einen Artikel verwenden.
Freundliche Grüsse,
Das Lamm
Von der Migros kam kurz darauf die folgende Antwort zurück:
Guten Tag, liebes Lamm
Besten Dank für Ihre Anfrage und Ihr Interesse an der Migros.
Die Hauptmenge unserer Avocados stammt aus Spanien, Chile und Peru. Bei Avocados gelten wie bei allen Früchte- und Gemüseproduzenten die GlobalGAP-Anforderungen. Dieser weltweit anerkannte Standard steht für Arbeitssicherheit, gute Agrarpraxis und Hygiene. Somit müssen die GlobalGAP-zertifizierten Betriebe auch hohe Anforderungen in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit der ArbeiterInnen, Wasser (insbesondere optimierte Wassernutzung) sowie „Integrierter Pflanzenschutz“ erfüllen. Mehr Infos zu GlobalGAP finden Sie hier: http://www.globalgap.org/de/what-we-do/general-faqs/index.html
Zusätzlich zur Anforderung GlobalGAP haben alle Lieferanten den BSCI-Verhaltenskodex unterzeichnet und verpflichten sich damit, die entsprechenden Vorgaben im Bereich Sozialverträglichkeit einzuhalten. Zu den Vorgaben gehören zum Beispiel Arbeitssicherheit für PlantagenarbeiterInnen, korrekte Entlohnung und Arbeitszeiten sowie auch das Verbot der Kinderarbeit. Auf Basis dieser Grundanforderungen werden unsere Lieferanten sorgfältig ausgewählt und anschliessend auch risikobasiert kontrolliert. Natürlich spielt auch die Qualität der Produkte eine wichtige Rolle. Dank der langfristigen Partnerschaft, die wir mit unseren Lieferanten pflegen, kennen sie unsere Anforderungen gut und sind auch auf spezifische Themen wie Nachhaltigkeit sensibilisiert.
Ich hoffe, diese Angaben helfen Ihnen weiter.
Freundliche Grüsse
Mediensprecherin
Ähnlich klang die Antwort von Coop. Auch der zweite orange Detailriese verweist auf eine Zertifizierung durch GlobalGAP und ergänzt: „Die Einhaltung der sozialen und ökologischen Standards durch die Lieferanten wird von unabhängigen Stellen überprüft.“
Zusätzlich zu Spanien, Chile und Peru stammen die Avocados in den Coop-Regalen auch aus Israel, Südafrika und Mexiko. Noch mehr Länder tauchen auf der Importliste von Denner auf. Hier reisen die grünen Früchte aus Peru, Mexiko, Simbabwe, Kolumbien, Brasilien, Kenia, Spanien, Chile, der Dominikanischen Republik, Israel, Südafrika, Marokko, Tansania, Ecuador, Guatemala und der USA in die Schweizer Läden. Im Gegensatz zur Migros verweisen Coop und Denner einzig auf GlobalGAP-Zertifizierungen und erwähnen den BSCI-Verhaltenskodex mit keinem Wort.
Doch was sind diese GlobalGAP-Zertifizierungen genau? Was bringt der BSCI-Verhaltenskodex? Und noch viel wichtiger: Wer kontrolliert, ob die Auflagen der beiden Zertifizierungen auch wirklich eingehalten werden?
Migros und Coop rücken keine Infos raus
Der BSCI-Verhaltenskodex ist eine selbstverpflichtende Initiative von Unternehmen zur Verbesserung der sozialen Standards in den weltweiten Lieferketten. Es gibt zwar externe Kontrollen, doch verschiedene Reportagen weisen darauf hin, dass diese viel zu lasch sind und Mindeststandards kaum erfüllt werden. Die GlobalGAP hingegen ist eine Organisation, die sich die sichere und nachhaltige Produktion von Lebensmitteln auf der ganzen Welt zum Ziel gemacht hat und hierfür in den zertifizierten Betrieben auch jährliche Inspektionen durchführt.
Von den Detailhändler*innen selbst erhielten wir dazu nur spärliche Infos. Weder Coop, Migros noch Denner wollten uns die GlobalGAP-Kontrollberichte ihrer chilenischen Avocadolieferant*innen zukommen lassen. Denner erklärte uns, dass man als kleiner Akteur nicht in der Lage sei selbst vor Ort Kontrollen durchzuführen. Darum arbeite man mit Lieferanten zusammen, die für sämtliche Produkte die GlobalGAP-Zertifizierung vorweisen könnten.
Migros und Coop weigerten sich sogar, uns die Namen und Adressen ihrer chilenischen Lieferant*innen zu schicken. „Genaue Informationen zu unseren Lieferant*innen geben wir keine bekannt“, schrieb uns die Migros. Und Coop liess uns wissen, dass man die Lieferant*innen aus Konkurrenzgründen grundsätzlich nicht öffentlich bekannt mache.
Angesichts dessen, dass die Lieferant*innen auf jedem Avocadokarton stehen, der in die Regale kommt, ist dies eine absurde Erklärung. Bei Schweizer Lebensmitteln wird oft sogar die ganze Adresse des Produktionsortes auf die Verpackung gedruckt. Gibt es hier denn keinen Konkurrenzdruck?
Lediglich Denner nannte uns die Herkunftsregion seiner chilenischen Avocados. Die Avocados des Discounters stammen aus dem Tal von Limari, einer Region mit extremer Trockenheit, aus der allerdings keine konkreten Menschenrechtsverletzungen berichtet werden.
Und auch bei GlobalGAP selbst bleiben unsere Anfragen unbeantwortet. Lediglich diese Zeilen erreichtne uns aus der GAP-Zentrale:
Sehr geehrtes Lamm
Herzlichen Dank für Ihre Anfrage.
Gerne antworten wir Ihnen hierzu detailliert. Bis wann dürfen wir Ihnen eine ausführliche Antwort zukommen lassen?
Herzliche Grüße nach Zürich
Auf eine ausführliche Antwort warten wir allerdings bis heute. Auch mehrmaliges Nachfragen brachte GlobalGAP nicht dazu, auf unsere Fragen zu antworten.
GlobalGAP zertifiziert in Chile eine schier unendliche Liste an Avocadoproduzent*innen. Nach einer Recherche in der interaktiven Karte der chilenischen Wasserkontrollbehörde Dirección General de Aguas konnten wir feststellen, dass GlobalGAP auch Avocadoproduzent*innen zertifiziert, die wegen illegaler Wasserentnahme eine Busse zahlen mussten. Wir wollten von GlobalGAP wissen, wie sich dies mit ihren Standards vereinbaren lässt. Doch auch auf diese Antwort warten wir bis heute.
Deshalb haben wir bei der NGO Public Eye angefragt, ob sie uns sagen könnten, was sie von GlobalGAP und BSCI halten.
„Die erwähnten GlobalGAP- oder auch die BSCI-Anforderungen überzeugen uns nicht. Solche Branchenstandards resp. Codes of Conduct zeichnen sich oft durch wenig ambitionierte Zielsetzungen, unwirksame Kontrollen und fehlende Sanktionsmechanismen aus. Bei BSCI beispielsweise liegt die Verantwortung für die Umsetzung grundlegender Standards vorwiegend bei den Zulieferbetrieben. Die Preispolitik und Einkaufspraktiken der Auftraggeber werden kaum berücksichtigt.
NGOs und Gewerkschaften sind nicht gleichberechtigt in Entscheidungen eingebunden und auch lokale Akteure werden unzureichend einbezogen. BSCI beispielsweise verlässt sich für Kontrollen primär auf kommerzielle Audits – diese spiegeln die Arbeitsrealitäten aber oftmals nicht ausreichend wider.
Zudem gibt es auch inhaltliche Schwachstellen – wie bezüglich des Themas existenzsichernde Löhne und Einkommen. Dort heisst es, dass eine faire Entlöhnung zwar anzustreben ist, aber im Minimum der jeweils gesetzlich festgelegte Mindestlohn bezahlt werden muss. Dieser reicht jedoch in den wenigsten Fällen zum Überleben und ist kaum je existenzsichernd.“
Zudem betont die NGO, dass es wichtig sei, nicht einzelne Konsument*innen für die Produktionsbedingungen verantwortlich zu machen. Entscheidender als das individuelle Konsumverhalten sei, wie wir uns als Gesellschaft und als Bürger*innen engagieren würden.
Denn meist sei nicht das einzelne Produkt, sondern das System dahinter problematisch. In diesem Fall die globale Agrar- und Nahrungsmittelindustrie. „Wenige grosse Konzerne bestimmen, was unter welchen Bedingungen angebaut, geerntet, verschifft, verarbeitet und vermarktet wird. Sie stehen Millionen von Produzierenden gegenüber, die ungleich weniger Entscheidungsmacht haben. Die systemischen Probleme wie das Fehlen existenzsichernder Einkommen und Löhne, Umweltverschmutzung, Wasserverbrauch oder Abholzung verlangen denn auch nach systemischen Lösungen“, so die NGO.
Da hat die NGO recht. Nur: Damit sich systemisch etwas ändern kann, bräuchte man zuerst einmal genug Informationen, um die Schwachstellen des Systems aufzeigen zu können. Das heisst, wir müssten nachverfolgen können, woher die Avocados genau stammen, die wir hier im Supermarkt kaufen. Transparenz ist der erste Schritt zur Besserung. Wenn es um Avocados geht, blocken hier aber sowohl die Detailhändler*innen wie auch GlobalGAP ab.
Wem gehört das Wasser? Für die Produktion von einem Kilo essreifer Avocados braucht es 300 Liter Wasser. Im Vergleich dazu verbraucht ein Kilo Karotten nur 130 Liter, aber ein Kilo Äpfel 700 und ein Kilo Schweinefleisch gar 4800 Liter. So ist der Wasserverbrauch von Avocados vergleichsweise gering. Doch in Chile, wo ein grosser Teil der in der Schweiz konsumierten Avocados angebaut werden, herrscht seit Jahren eine extreme Trockenheit. Das Problem ist, dass dabei der Anbau von Avocados gegenüber der Wasserversorgung der Lokalbevölkerung priorisiert wird. Die Avocadobarone besitzen zu viele Wasserrechte und haben zudem häufig illegale Wasserpumpen. Die illegale Wasserabnahme wird in Chile zu wenig geahndet und die Bussen sind viel zu klein, um die Avocadoproduzent*innen abzuschrecken. Die UN-Menschenrechtskommission stellte daher fest: Chile verstösst gegen ein Menschenrecht, da der Zugang zu Wasser nicht gesichert wird.
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