Mit etwa dreizehn war ich besessen von der „Back to School“-Zeit – die Wochen, in denen man sich als Schüler*in auf das neue Schuljahr vorbereiten musste. Kaum hat es zum letzten Mal vor den Sommerferien geläutet, machte ich mir bereits eine Liste von Schulsachen, Stiften und Mappen, die ich mir für das kommende Schuljahr besorgen musste (oder eher wollte). Nichts gab mir so viel Freude wie der Tag, an dem ich mit meiner Mutter in eine Papeterie ging und meine vorsichtig sortierte Liste abarbeiten konnte.
Der „Back to School“-Hype, den es damals auf den sozialen Medien gab, ist schwierig zu verstehen für Menschen, die nicht Opfer davon wurden. Von Juni bis August veröffentlichten meist ältere Youtuber*innen etliche Videos zum Thema Schule: Was du kaufen sollst, wie du dich anziehen sollst und was alles in deinem Rucksack zu finden sein sollte. Ich habe die Anweisungen immer streng befolgt. Auch jene, die mir sagten, wie mein Körper aussehen sollte.
Wir wuchsen mit Influencer*innen auf, die fast alle dem damaligen „Schönheitsideal“ entsprachen.
Zu den Empfehlungen gehörten nämlich auch Fitness-Tipps, Workout-Routinen und Rezepte, die angeblich eigenständig für ein krasses Sixpack sorgen sollten. Eine Youtuberin zeigte beispielsweise, wie man während der Schule mit dem eigenen Rucksack seine Arme trainieren kann. Eine andere bereitete einen solch kleinen Gurkenwrap fürs Mittagessen zu, der – ich schwöre – mir nicht einmal als Znüni gereicht hätte. Es war, als müsste ich nicht nur meinen Rucksack für das neue Schuljahr vorbereiten, sondern auch meinen Körper.
Dass die Generation Z ein ernsthaftes Problem mit ihrem Körperbild hat, ist keine Neuigkeit. Etliche Studien belegen, wie unzufrieden junge Menschen mit ihrem eigenen Körper sind. Laut einer Studie von 2016 waren es in der Schweiz 58 Prozent der befragten jungen Menschen: Zu dünn, zu klein, zu gross… zu irgendwas. Ein unendliches Mantra. Die Generation, die unter anderem für Akzeptanz und body positivity bekannt ist, kann in vielen Fällen keine Liebe für den eigenen Körper aufbringen.
Woran liegt das?
Ideale Körper im Netz
Das Handy ist schuld, wie die meisten Mütter sagen würden. Nein, aber wirklich, dieses Mal haben sie recht. Soziale Medien beeinflussen das Selbstbild von jungen Menschen sehr negativ, wie etwa eine britische Studie zeigt.
Das wundert mich kein bisschen. Wir wuchsen mit Influencer*innen auf, die fast alle dem damaligen „Schönheitsideal“ entsprachen. Was unsere Mütter noch in Beauty-Magazinen fanden, sahen wir viel omnipräsenter und getakteter an unseren Handy-Bildschirmen. Und sobald andere Körper in den sozialen Medien Platz bekamen, sprach man nur von der Bewunderung für ihren „Mut“, den eigenen Körper zu zeigen – als wäre er etwas, wofür man sich schämen müsste.
Wenn ich nicht alleine einkaufen gehen konnte, um Vollkorn- statt normale Teigwaren zu kaufen, fühlte ich mich erschlagen – als wäre ich gescheitert.
Dass soziale Medien fast nur ein einziges spezifisches Körperideal repräsentieren, ist meiner Meinung nach aber nicht das einzige Problem. Die Idee, dass wir stetig an unserem Körper arbeiten sollen, ist ein weiteres, und kein unwichtiges. Wenn ich zurück an den „Back to School“-Hype meiner Jugend denke, wird mir klar, was für ein Narrativ mir damals schon aufgezwungen wurde: Am eigenen Körper ist immer etwas zu machen, zu „verbessern“. Für die Beauty‑, Fitness- oder Ernährungsindustrie ist es natürlich ein lukratives Geschäft, solche Unsicherheiten zu erzeugen.
Das Dreiste am Ganzen war: Die meisten Influencer*innen, die damals solche Videos gezielt für Mädchen im Schulalter (!) produzierten, waren meist viel älter als wir. Viele von ihnen gingen längst nicht mehr zur Schule und hatten Youtube zu ihrem Job gemacht.
Natürlich waren ihre Tipps so realitätsfern, dass sie für Schüler*innen komplett unumsetzbar waren: Wenn ich nicht alleine einkaufen gehen konnte, um Vollkorn- statt normale Teigwaren zu kaufen, oder wenn ich einfach keine Lust auf irgendein blödes Workout hatte, weil ich sowieso schon Vereinssport trieb, fühlte ich mich erschlagen – als wäre ich gescheitert.
Sich selbst kennenlernen
In den sozialen Medien können wir nicht nur unseren Körper mit dem von tausenden anderer Menschen vergleichen, sondern auch unseren Lebensstil, unsere Ernährung und wie wir uns im Alltag bewegen. Es entsteht eine gewisse hustle culture (lose übersetzt als Burnout Kultur), sogar wenn es um unsere Körper geht. Man sieht die Influencerin, die jeden Morgen um sechs schon im Pilates sitzt, oder die Studentin, die es irgendwie schafft, abends nur den scheiss Gurkenwrap zu essen und meint, es sei alles nur eine Sache der Disziplin.
Dabei geht schnell der Gedanke verloren, dass diese Menschen das machen, weil es für sie, ihren Alltag und ihren Körper passt. Und es nicht etwas ist, das für alle Menschen passen sollte. In diesem Wahn hat man aber keine Zeit, sich selber, seine Grenzen und seinen Körper richtig kennen zu lernen. Alles, was ich je kannte, war: Jetzt ist es nicht gut, aber wenn ich mich genug anstrenge, wird das schon. Vielleicht finde ich Salat doch nicht so scheusslich und eigentlich brauche ich ein Fitnessabo.
Klimahysterisch und radikal oder unverantwortlich und faul: Es wird viel an jungen Menschen rumgenörgelt. Schlimmer als die Kritik ist aber ihre fehlende Repräsentation in der Öffentlichkeit. Während sich alle Welt über Anliegen der Jugend äussert, finden diese selbst nur in sozialen Netzwerken eine Plattform. Das ändert nun die Kolumne „Jung und dumm“.
Helena Quarck ist 19 Jahre alt und Schülerin. Sie ist als Siebenjährige aus Brasilien in die Schweiz gezogen und musste Deutsch lernen. Diese Beschäftigung mit Sprache hat sie zum Schreiben gebracht. Helena ist Redaktorin des Jugendmagazins Quint.
Ich hatte keine Zeit, um einfach mal zufrieden zu sein. Ich hatte keine Zeit, herauszufinden, wie stark ich eigentlich sein muss, damit ich mich gut und sogar ein bisschen krass fühle; wie viel ich essen muss, um mich in der Schule konzentrieren zu können; wie gut Sport für meine mentale Gesundheit ist. Youtube, Instagram und Tiktok haben mir diese Entscheidungen genommen. Es galt: Es gibt immer etwas zu tun – hopp!!
Wenn ich an mein 13-jähriges Ich zurückdenke, frage ich mich, wie ich diesen negativen Einfluss hätte verhindern können. Und wie ich es immer noch vermeiden kann. Ich bin ratlos, denn gänzlich auf soziale Medien zu verzichten wollte und will ich auch heute nicht.
Auf den eigenen Körper zu hören, muss man lernen – eine Aufgabe, an der ich stetig dran bin. Also: Hört auf euch. Und schaut zu euren Kindern, die inzwischen schon im Spielplatzalter Zugang zu Gurkenwrap-Videos haben.
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