Mehr als 1500 Exemplare des Berg-Ahorns wurzeln im Stadtzürcher Boden. Seit jeher wächst dieser Baum in Europa. Mit seinen grossen Blättern bietet der Berg-Ahorn einen natürlichen Lärmschutz und spendet Schatten, dank seines tiefen Wurzelwachstums ist er besonders stabil. Und nicht nur bei Stadtgärtner*innen und schattensuchenden Städter*innen ist die Baumart beliebt. Vom Berg-Ahorn leben diverse Käferarten, Motten, Falter und Wildbienen, etwa die Rotschopfige Sandbiene.
Das bunte Treiben unter der Baumrinde wird bald ein zähes Ende finden. „Der Berg-Ahorn wird auf der Strecke bleiben“, sagt Peter Kuhn, Leiter des Baumkompetenzzentrums von Stadtgrün Bern. „Käfer, die Berg-Ahorn mögen, müssen sich darauf einstellen, dass sie sich bald eine neue Baumart suchen müssen.“ Grund dafür ist die Klimaerwärmung. In den grösseren Agglomerationen der Schweiz wird bis 2060 ein Temperaturanstieg zwischen 1,2 und 3 Grad erwartet. Temperaturen wie im Hitzesommer 2003 werden zur Normalität, der Berg-Ahorn verliert durch diese Veränderung sein Komfortklima.
Stadtbäume unter Stress
Während die Vegetationsperiode in den Schweizer Städten heute im März beginnt und bis Oktober dauert, wird sie sich 2060 voraussichtlich von Februar bis November erstrecken. Der Sommer wird wärmer, aber auch im Winter werden die Temperaturen steigen – vorerst aber weniger stark. Und auch nach 2060 wird es noch Kälteeinbrüche nach Beginn der Vegetationsperiode geben. Dann, wenn viele Bäume aufgrund der verschobenen Vegetationsperiode bereits ihre Frosthärte verloren haben.
Gleichzeitig begünstigt das Ausbleiben längerer, beständiger Winterfröste die Vermehrung von Schädlingspopulationen. Was die Problematik noch zusätzlich verstärkt: Durch die durchschnittlich höheren Temperaturen sowie die häufigeren extremen Witterungsverhältnisse werden die Bäume anfälliger für ebendiese Schädlinge. „Stadtbäume unter Stress“ heisst ein Paper der Bayerischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau, welches sich der Problematik annimmt. Die Forscher*innen halten darin unmissverständlich fest: „Es zeichnet sich schon jetzt ab, dass etliche klassische Stadtbaumarten in unseren Breiten den künftigen Anforderungen nicht mehr an allen Standorten gewachsen sein werden.“
Um zu erfassen, welche Baumarten sich noch als Stadtbäume eignen, wurde in einer Masterstudie der Berner Fachhochschule der „Klimafit-Stadtbaum-Index“ (KSI) entwickelt. Gemäss KSI sind neben dem Berg-Ahorn etwa die Sommerlinde, die Rosskastanie und die Fichte besonders schlecht für die warme Stadt der Zukunft gewappnet. In der Stadt Bern sind 36 Prozent des gesamten Baumbestands bedroht, in anderen Schweizer Städten sieht die Situation ähnlich aus.
Das Best-of-Stadtbäume
Für die Stadtgärter*innen ist das Klima der Zukunft schon heute aktuell. Denn die Bäume, welche heute gepflanzt werden, sollten auch 2060 und unter veränderten Klimabedingungen bestehen können. „Bäume in Zürich sollten mindestens 50 Jahre lang überleben“, sagt Lukas Handschin von Grün Stadt Zürich. Die Stadtgärtner*innen sind also gezwungen, schon jetzt mit der Stadt von morgen zu arbeiten.
Welche Bäume es sein werden, die das Stadtbild in 50 Jahren prägen werden, damit beschäftigt sich unter anderen Susanne Böll. Die promovierte Biologin leitet das bayerische Forschungsprojekt „Stadtgrün 2021“. Gemeinsam mit ihrem Team testet sie seit 2009 40 Baumarten auf ihre Eignung als Stadtbäume hin. Es handelt sich um nicht-heimische Arten oder Züchtungen, die in Frage kommen, um Berg-Ahorn und Co. als Schattenspender und Lufterfrischer zu beerben. Dafür wurden in drei klimatisch verschiedenen Regionen Bayerns über 600 verschiedene Bäume gepflanzt. Seither wird ihre Gesundheit überwacht
„Wir haben den Versuch so standardisiert wie nur möglich gestaltet“, sagt Susanne Böll. „Bis zum Jahr 2021 wird jetzt geprüft, ob diese Versuchsbaumarten den prognostizierten Klimabedingungen unserer Städte trotzen können.“ Das Ziel sei nicht, „den einen Superbaum“ zu finden, sondern „eine Best-of-Liste“ mit geeigneten Bäumen je nach Standort. Schon 800’000 Euro hat die bayerische Landesregierung in das Projekt investiert. Die Resultate sind vielversprechend: „Unsere Testbäume machen sich gut“, sagt Susanne Böll.
Die „Balkanisierung Berns“
Peter Kuhn, der Leiter des Berner Baumkompetenzzentrums, verfolgt das Forschungsprojekt in Bayern mit Interesse: „In Deutschland werden ganz andere finanzielle Möglichkeiten zur Verfügung gestellt als hier, da schauen wir uns natürlich einiges ab.“ Aber auch die Stadt Bern versucht sich an neuen Baumarten. Vereinzelt werden etwa Zerr-Eichen und Schneeball-Ahorn eingesetzt. Bäume, die auch im Balkan wachsen. „Wir müssen uns an Gegenden orientieren, wo ähnliche Bedingungen herrschen wie es bei uns 2060 der Fall sein wird“, sagt Peter Kuhn, „und das ist der Balkan.“ Der Bund schreibt entsprechend von der „Balkanisierung Berns“.
Aber ist es nicht leichtsinnig, fremde Bäume zu importieren? Immerhin verbringen Zivildienstleistende Monate damit, Neophyten zu rupfen. „Das Risiko, dass manche Arten invasiv werden, ist gering. Aber es besteht“, bestätigt Susanne Böll. Aber das Ökosystem der Schweiz wird sich so oder so verändern, und der Baumbestand wird sich dem neuen Klima anpassen – ob mit importierten Bäumen oder ohne. Die Städte mit ihren künstlich angepflanzten Bäumen weisen den Weg in die Zukunft. Peter Kuhn: „Das ganze Leben rund um die Bäume, die Kleintiere und Pilze: Sie werden sich anpassen müssen.“ Und er hält fest: „Das wird kein Klacks.“ Ein weiterer zu berücksichtigender Faktor ist die Pollenbelastung: „Eine 2015 veröffentlichte Studie aus Grabs im Kanton St. Gallen zeigte auf, dass ein beliebter Stadtbaum, die Purpur-Erle, bereits im Dezember zu blühen beginnt“, sagt Lukas Handschin von Grün Stadt Zürich. Dass die Pollensaison derart verlängert wird, vergrössert die Belastung für Allergiker*innen zusätzlich.
Progressiv vs. konservativ
Doch nicht nur bei Pollenallergiker*innen ruft die Aussicht auf fremde Bäume Ängste hervor. „Ich finde, die gehören einfach nicht hierher!“, sagt etwa der Gärtner und SVP-Politiker Sven Rindlisbacher. Wie viele andere fürchtet er sich vor einer Veränderung unseres Stadt- und Landschaftsbilds. Es geht im Kern um nationale Identität. „Heimische“ Pflanzen sollen um jeden Preis geschützt, „fremde“ Arten ferngehalten werden.
Lukas Handschin sieht die Lage hingegen gelassen: „Fremde Bäume waren immer Teil des Stadtbilds. Schon früher hat man in Zürich immer wieder Bäume angepflanzt, die hier nicht heimisch sind, etwa Mammutbäume.“ — „Überhaupt muss man sich natürlich fragen, was ‚heimisch‘ überhaupt bedeutet“, sagt Peter Kuhn. „Das hat man einfach mal definiert, aber es gibt viele Pflanzen, die einst nicht als heimisch galten und heute fester Bestandteil unseres Ökosystems sind.“ Sicher ist für ihn: „Es wird eine Veränderung geben, und man kann den Einfluss der neuen Bäume nicht zu hundert Prozent abschätzen.“ Das Problem: „Die Uhr tickt. Und sie tickt schneller als früher.“ Die Zeit, alle möglichen Konsequenzen abzuklären, fehlt.
Welche Baumarten schliesslich den Weg in die Schweizer Städte finden werden, ist aber nicht nur Sache der Stadtgärtner*innen: Entscheidend ist der Markt. „Die Baumschulen produzieren für den Markt“, sagt Peter Kuhn. „Zurzeit ist es schwierig, überhaupt an die richtigen Setzlinge zu gelangen.“ Nur wenn die Nachfrage nach neuen Baumarten gross genug sei, würden auch genug solcher Bäume gezüchtet. Dafür werden die Ergebnisse des bayerischen Projekts „Stadtgrün 2012“ entscheidend sein. Die Nachfrage wird sich danach richten, die Baumschulen werden entsprechend produzieren. Hierzulande wird bisher keine Forschung in ähnlichem Ausmass wie in Deutschland betrieben. Wie die Käfer, Motten und Falter wird man sich eben arrangieren müssen.
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