Klima­ak­ti­vismus: Das Care-Team kümmert sich um die Ausgebrannten

Die Klima­er­hit­zung ist eine reale Gefahr und wird unsere Zukunft stark negativ beein­flussen, wenn wir jetzt nicht handeln. Wer das so klar vor Augen hat wie die Klima­strei­kenden, ist einer dauernden psychi­schen Bela­stung ausge­setzt. Was das für die einzelnen Menschen bedeutet, erklärte uns Michelle. Sie hat zusammen mit anderen Aktivist*innen ein Care-Team für den Klima­streik aufgebaut. 
Symbolbild (Katie Rodriguez / Unsplash)

Wenn wir es nicht schaffen, die Treib­haus­gas­emis­sionen massiv zu redu­zieren, werden Über­schwem­mungen, Hitze­wellen, Erdrut­sche und Klima­flücht­linge unsere Zukunft prägen. Das klingt nach Holly­wood und Science Fiction. Ist es aber nicht. Dass einen das ängstigt, depri­miert und stresst, ist nach­voll­ziehbar. Viele spornt es aber auch zu Höchst­lei­stungen gegen die Klima­krise an. Der Kino­abend mit ein paar Freund*innen, das Ausschlafen am Sonn­tag­morgen oder auch der Abschluss des Studiums sind im Gegen­satz zur Erhal­tung einer lebens­werten Welt nicht mehr so wichtig. Das kann zu soge­nanntem Burn-Out-Akti­vismus führen; einem Zustand, in dem sich Aktivist*innen mit ihrem Enga­ge­ment bis an den Rand der körper­li­chen und psychi­schen Erschöp­fung bringen und sich aus Verant­wor­tungs­ge­fühl oder Zukunfts­angst keine Ruhe­pausen geben wollen. Denn das eigene Wohl wird als weniger wichtig einge­schätzt als der Kampf gegen die Klimakrise.

Hält man sich wirk­lich plastisch vor Augen, dass wir auf Szena­rien zusteuern, die wir sonst nur aus den Universal Studios kennen, scheint dieses Verhalten jedoch nicht abge­dreht, sondern weit­sichtig und verant­wor­tungs­be­wusst. Gesund ist es trotzdem nicht, sich keine Pausen zu gönnen. Das Lamm hat mit Michelle Reichelt über Stress, Schlaf­mangel und Schul­ab­brüche im Klima­streik gespro­chen. Sie ist 26 Jahre alt und hat zusammen mit anderen Aktivist*innen ein Care-Team aufge­baut, das sich um ausge­brannte Aktivist*innen kümmern will.

Michelle Reichelt ist 26 Jahre alt, kommt aus Winterthur und hat vor dem Klimastreik als Lehrerin gearbeitet. Heute ist sie Vollzeitaktivistin und hat zusammen mit anderen Klimastreikenden unter anderem das Care-Team aufgebaut. Bild: zvg
Michelle Reichelt ist 26 Jahre alt, kommt aus Winter­thur und hat vor dem Klima­streik als Lehrerin gear­beitet. Heute ist sie Voll­zeit­ak­ti­vi­stin und hat zusammen mit anderen Klima­strei­kenden unter anderem das Care-Team aufge­baut. (Foto: zvg)

das Lamm: Michelle, der Klima­streik hat ein eigenes Care-Team. Wie ist das orga­ni­siert? Was macht ihr?

Michelle: Gewisse Menschen sind morgens um vier noch online. Man hat gemerkt, dass die ganze Arbeit für einige einfach zu viel wurde. Und dass es Struk­turen braucht, die das auffangen können. Die ersten Einsätze hatte das Care-Team dann an den natio­nalen Meetings und am Klima­fe­stival in Zürich. Wir haben dort ein Zelt aufge­stellt, wo man sich hinlegen oder Tee trinken konnte und sich Menschen um einen kümmerten. Seither gibt es an allen Anlässen solche Care-Teams. Einer­seits sind das ganz normale Enga­gierte, die sich für diese Arbeit melden. Ander­seits haben wir auch Leute dabei, die das profes­sio­nell machen. Das ist auch gut so, denn wenn es wirk­lich zu harten Fällen kommt, sind Laien schnell überfordert.

Wieso hast du ange­fangen, dich im Care-Team zu engagieren?

Es hat mich gestört, wenn andere Menschen gestresst sind. Nicht nur, weil ich weiss, dass das für die anderen nicht gut ist, sondern auch, weil Sitzungen und Gespräche dann harzig werden. Es ist einfach nicht ziel­füh­rend, wenn die Leute total am Limit laufen. Und manchmal merken es die Leute selbst halt nicht. Dann ist es gut, wenn sie von einer neutralen Person darauf ange­spro­chen werden. Die meisten reagieren sehr verständnisvoll.

Womit werdet ihr konfron­tiert bei euren Einsätzen?

Die Klas­siker sind Über­mü­dung und Stress. Durch die psychi­sche Bela­stung werden manche Leute auch zynisch oder haben depres­sive Gedanken. Manche Leute über­legen sich auch, ob sie psycho­lo­gi­sche Behand­lung brauchen.

Aber auch Schul­ab­brüche oder die Vernach­läs­si­gung des Studiums sind hin und wieder ein Thema. Wenn man sich wirk­lich damit ausein­an­der­setzt, wie wir zusam­men­leben wollen und wie wir eine faire Zukunft gestalten sollen, kann einem die Schule schnell starr und sinnlos vorkommen. Zudem unter­stützt unser Schul­sy­stem junge Menschen, die sich für die Gesell­schaft enga­gieren wollen, nicht. Es wäre doch eine coole Idee, wenn man das Gymna­sium zum Beispiel im 50%-Pensum machen könnte, damit man nebenbei genug Zeit hat, um sich eben zum Beispiel für das Klima einzu­setzen. Gleich­zeitig stellt sich natür­lich die Frage, was für lang­fri­stige Probleme entstehen können, wenn junge Leute die Schule vernach­läs­sigen und dann irgend­wann ohne Abschluss dastehen.

Zudem leiden einige Klima­strei­kende auch unter sozialen Aspekten. Einfach so an ein Konzert zu gehen mit Freund*innen, geht nicht mehr so gut. Entweder fehlt einem das Geld oder die Zeit dafür oder man wird schlichtweg nicht mehr gefragt von seinen Kolleg*innen, weil man ja irgendwo bei irgendwas dagegen sein könnte: gegen Plastik, gegen gril­lieren, gegen fliegen. Die Leute haben es nicht gern, wenn man sie kriti­siert. Klima­ak­ti­vi­stisch unter­wegs zu sein, ist auch oft ein subtiler Angriff auf die Anderen. Das ist proble­ma­tisch. Denn einer­seits kommt man so gar nicht mehr recht raus aus seiner Klima-Bubble und ande­rer­seits kommt man irgend­wann nicht mehr richtig klar mit den Leuten ausser­halb des Klimastreiks.

Und natür­lich ist da auch noch das Thema Geld. Irgendwie muss man ja neben­dran auch noch ein wenig Geld verdienen, um zu über­leben. Auch wenn man seine ganze Zeit in den Klima­streik steckt.

Was sind die häufig­sten Ursa­chen für Probleme?

Es fällt den Leuten nicht leicht, sich auch einmal frei zu nehmen vom Klima­streik. Manche fahren eine Woche in die Berge und kommen doch früher zurück als geplant. Zudem gibt es, wenn all deine Freund*innen vom Klima­streik sind, auch fast kein anderes Thema mehr. Der Klima­streik ist immer und überall. Und manchmal können einen die immer wieder­keh­renden Diskus­sionen schon zermürben. Zum Beispiel dieje­nigen um Links-Rechts-Denk­mu­ster, um Verschwö­rungs­theo­rien oder Inter­net­trolle. Vor allem für Menschen, die den Anspruch an sich selbst haben, ihre Meinung gut zu reflek­tieren. Und davon gibt es bei uns viele.

Eine weitere Heraus­for­de­rung ist die Verjün­gung der Bewe­gung. Also das An-Bord-Holen von neuen Leuten, damit die Arbeit über mehr Leute verteilt werden kann. Damit das funk­tio­niert, muss Wissen trans­pa­rent gemacht werden. Deshalb war die Erstel­lung des Wikis für uns sehr wichtig. Aber natür­lich brachte das Schreiben dieses Wikis auch einen Über­gangs­auf­wand mit sich, den man zuerst einmal stemmen musste. Nun funk­tio­niert es aber ganz gut. Der Klima­streik im letzten November wurde sozu­sagen nur von „Neuen“ orga­ni­siert. Das Wissen dazu konnten sie sich unter anderem aus dem Wiki holen.

Was ratet ihr den Leuten?

Konkrete Ratschläge zu geben, ist schwer. Wichtig ist vor allem, Verständnis entge­gen­zu­bringen und die Leute direkt darauf anzu­spre­chen. Zum Beispiel indem man fragt: „Du, ich hab gesehen, dass du oft bis spät in die Nacht online bist. Ist alles ok bei dir?“ Die meisten Leute kommen dann von selbst drauf, dass sie ein wenig aufpassen sollten. Und natür­lich machen wir die Leute darauf aufmerksam, dass es ein Care-Team gibt, an das sie sich wenden können.

Der deutsche Instagram-Kanal „Klima-Angst“ wird von Psycholog*innen betrieben und soll aufbauen, motivieren und Verständnis entgegenbringen. Ein Leitfaden für eine gesunde Psyche auf einem kranken Planeten. Post wie diese sind im Netz jedoch eher selten zu finden.
Der deut­sche Insta­gram-Kanal „Klima-Angst“ wird von Psycholog*innen betrieben und soll aufbauen, moti­vieren und Verständnis entge­gen­bringen. Ein Leit­faden für eine gesunde Psyche auf einem kranken Planeten. Posts wie diese sind im Netz jedoch eher selten zu finden.

Was könnte man denn dagegen machen, dass die Leute über­ar­beitet sind? Auf grosser und kleiner Ebene?

Auf grosser Ebene würde ein bedin­gungs­loses Grund­ein­kommen natür­lich einiges verbes­sern, da es den Klimaaktivist*innen erlauben würde, immerhin ihre basal­sten Bedürf­nisse wie essen und wohnen zu befrie­digen, ohne die Arbeit für das Klima zu vernachlässigen.

Auf kleiner Ebene wäre es für uns sehr wert­voll, wenn wir mehr Feed­back und Unter­stüt­zung kriegen würden. Nur schon ein kleiner Kommentar auf den sozialen Medien oder auch von der Person neben einem im Zug kann sehr moti­vie­rend wirken. Leider mischt sich nur ein Bruch­teil der Leute ein, sowohl on- wie auch offline. Und das sind dann oft die extremen. Das verzerrt das Bild. Es wäre so wichtig, dass mehr Leute einfach mal etwas liken würden und ausspre­chen oder schreiben, was sie denken und fühlen. Viele haben das Gefühl, dass ihre Meinung nicht wichtig genug sei oder haben Angst, etwas Blödes oder Falsches zu sagen. Doch erst wenn wir anfangen etwas zu sagen, können wir auch anfangen zu disku­tieren und versu­chen, einander zu verstehen.


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