Wenn wir es nicht schaffen, die Treibhausgasemissionen massiv zu reduzieren, werden Überschwemmungen, Hitzewellen, Erdrutsche und Klimaflüchtlinge unsere Zukunft prägen. Das klingt nach Hollywood und Science Fiction. Ist es aber nicht. Dass einen das ängstigt, deprimiert und stresst, ist nachvollziehbar. Viele spornt es aber auch zu Höchstleistungen gegen die Klimakrise an. Der Kinoabend mit ein paar Freund*innen, das Ausschlafen am Sonntagmorgen oder auch der Abschluss des Studiums sind im Gegensatz zur Erhaltung einer lebenswerten Welt nicht mehr so wichtig. Das kann zu sogenanntem Burn-Out-Aktivismus führen; einem Zustand, in dem sich Aktivist*innen mit ihrem Engagement bis an den Rand der körperlichen und psychischen Erschöpfung bringen und sich aus Verantwortungsgefühl oder Zukunftsangst keine Ruhepausen geben wollen. Denn das eigene Wohl wird als weniger wichtig eingeschätzt als der Kampf gegen die Klimakrise.
Hält man sich wirklich plastisch vor Augen, dass wir auf Szenarien zusteuern, die wir sonst nur aus den Universal Studios kennen, scheint dieses Verhalten jedoch nicht abgedreht, sondern weitsichtig und verantwortungsbewusst. Gesund ist es trotzdem nicht, sich keine Pausen zu gönnen. Das Lamm hat mit Michelle Reichelt über Stress, Schlafmangel und Schulabbrüche im Klimastreik gesprochen. Sie ist 26 Jahre alt und hat zusammen mit anderen Aktivist*innen ein Care-Team aufgebaut, das sich um ausgebrannte Aktivist*innen kümmern will.
das Lamm: Michelle, der Klimastreik hat ein eigenes Care-Team. Wie ist das organisiert? Was macht ihr?
Michelle: Gewisse Menschen sind morgens um vier noch online. Man hat gemerkt, dass die ganze Arbeit für einige einfach zu viel wurde. Und dass es Strukturen braucht, die das auffangen können. Die ersten Einsätze hatte das Care-Team dann an den nationalen Meetings und am Klimafestival in Zürich. Wir haben dort ein Zelt aufgestellt, wo man sich hinlegen oder Tee trinken konnte und sich Menschen um einen kümmerten. Seither gibt es an allen Anlässen solche Care-Teams. Einerseits sind das ganz normale Engagierte, die sich für diese Arbeit melden. Anderseits haben wir auch Leute dabei, die das professionell machen. Das ist auch gut so, denn wenn es wirklich zu harten Fällen kommt, sind Laien schnell überfordert.
Wieso hast du angefangen, dich im Care-Team zu engagieren?
Es hat mich gestört, wenn andere Menschen gestresst sind. Nicht nur, weil ich weiss, dass das für die anderen nicht gut ist, sondern auch, weil Sitzungen und Gespräche dann harzig werden. Es ist einfach nicht zielführend, wenn die Leute total am Limit laufen. Und manchmal merken es die Leute selbst halt nicht. Dann ist es gut, wenn sie von einer neutralen Person darauf angesprochen werden. Die meisten reagieren sehr verständnisvoll.
Womit werdet ihr konfrontiert bei euren Einsätzen?
Die Klassiker sind Übermüdung und Stress. Durch die psychische Belastung werden manche Leute auch zynisch oder haben depressive Gedanken. Manche Leute überlegen sich auch, ob sie psychologische Behandlung brauchen.
Aber auch Schulabbrüche oder die Vernachlässigung des Studiums sind hin und wieder ein Thema. Wenn man sich wirklich damit auseinandersetzt, wie wir zusammenleben wollen und wie wir eine faire Zukunft gestalten sollen, kann einem die Schule schnell starr und sinnlos vorkommen. Zudem unterstützt unser Schulsystem junge Menschen, die sich für die Gesellschaft engagieren wollen, nicht. Es wäre doch eine coole Idee, wenn man das Gymnasium zum Beispiel im 50%-Pensum machen könnte, damit man nebenbei genug Zeit hat, um sich eben zum Beispiel für das Klima einzusetzen. Gleichzeitig stellt sich natürlich die Frage, was für langfristige Probleme entstehen können, wenn junge Leute die Schule vernachlässigen und dann irgendwann ohne Abschluss dastehen.
Zudem leiden einige Klimastreikende auch unter sozialen Aspekten. Einfach so an ein Konzert zu gehen mit Freund*innen, geht nicht mehr so gut. Entweder fehlt einem das Geld oder die Zeit dafür oder man wird schlichtweg nicht mehr gefragt von seinen Kolleg*innen, weil man ja irgendwo bei irgendwas dagegen sein könnte: gegen Plastik, gegen grillieren, gegen fliegen. Die Leute haben es nicht gern, wenn man sie kritisiert. Klimaaktivistisch unterwegs zu sein, ist auch oft ein subtiler Angriff auf die Anderen. Das ist problematisch. Denn einerseits kommt man so gar nicht mehr recht raus aus seiner Klima-Bubble und andererseits kommt man irgendwann nicht mehr richtig klar mit den Leuten ausserhalb des Klimastreiks.
Und natürlich ist da auch noch das Thema Geld. Irgendwie muss man ja nebendran auch noch ein wenig Geld verdienen, um zu überleben. Auch wenn man seine ganze Zeit in den Klimastreik steckt.
Was sind die häufigsten Ursachen für Probleme?
Es fällt den Leuten nicht leicht, sich auch einmal frei zu nehmen vom Klimastreik. Manche fahren eine Woche in die Berge und kommen doch früher zurück als geplant. Zudem gibt es, wenn all deine Freund*innen vom Klimastreik sind, auch fast kein anderes Thema mehr. Der Klimastreik ist immer und überall. Und manchmal können einen die immer wiederkehrenden Diskussionen schon zermürben. Zum Beispiel diejenigen um Links-Rechts-Denkmuster, um Verschwörungstheorien oder Internettrolle. Vor allem für Menschen, die den Anspruch an sich selbst haben, ihre Meinung gut zu reflektieren. Und davon gibt es bei uns viele.
Eine weitere Herausforderung ist die Verjüngung der Bewegung. Also das An-Bord-Holen von neuen Leuten, damit die Arbeit über mehr Leute verteilt werden kann. Damit das funktioniert, muss Wissen transparent gemacht werden. Deshalb war die Erstellung des Wikis für uns sehr wichtig. Aber natürlich brachte das Schreiben dieses Wikis auch einen Übergangsaufwand mit sich, den man zuerst einmal stemmen musste. Nun funktioniert es aber ganz gut. Der Klimastreik im letzten November wurde sozusagen nur von „Neuen“ organisiert. Das Wissen dazu konnten sie sich unter anderem aus dem Wiki holen.
Was ratet ihr den Leuten?
Konkrete Ratschläge zu geben, ist schwer. Wichtig ist vor allem, Verständnis entgegenzubringen und die Leute direkt darauf anzusprechen. Zum Beispiel indem man fragt: „Du, ich hab gesehen, dass du oft bis spät in die Nacht online bist. Ist alles ok bei dir?“ Die meisten Leute kommen dann von selbst drauf, dass sie ein wenig aufpassen sollten. Und natürlich machen wir die Leute darauf aufmerksam, dass es ein Care-Team gibt, an das sie sich wenden können.
Was könnte man denn dagegen machen, dass die Leute überarbeitet sind? Auf grosser und kleiner Ebene?
Auf grosser Ebene würde ein bedingungsloses Grundeinkommen natürlich einiges verbessern, da es den Klimaaktivist*innen erlauben würde, immerhin ihre basalsten Bedürfnisse wie essen und wohnen zu befriedigen, ohne die Arbeit für das Klima zu vernachlässigen.
Auf kleiner Ebene wäre es für uns sehr wertvoll, wenn wir mehr Feedback und Unterstützung kriegen würden. Nur schon ein kleiner Kommentar auf den sozialen Medien oder auch von der Person neben einem im Zug kann sehr motivierend wirken. Leider mischt sich nur ein Bruchteil der Leute ein, sowohl on- wie auch offline. Und das sind dann oft die extremen. Das verzerrt das Bild. Es wäre so wichtig, dass mehr Leute einfach mal etwas liken würden und aussprechen oder schreiben, was sie denken und fühlen. Viele haben das Gefühl, dass ihre Meinung nicht wichtig genug sei oder haben Angst, etwas Blödes oder Falsches zu sagen. Doch erst wenn wir anfangen etwas zu sagen, können wir auch anfangen zu diskutieren und versuchen, einander zu verstehen.
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