London, Anfang des 20. Jahrhunderts: Die junge Mutter Maud Watts arbeitet über zehn Stunden täglich in einer Grosswäscherei; nebenbei zieht sie ihren Sohn gross. Durch Zufall kommt sie mit Anhängerinnen der Frauenrechtsbewegung in Kontakt. Anfänglich noch zurückhaltend, wandelt sich Watts rasch zur entschlossenen Aktivistin, die nach einer ersten Inhaftierung von ihrem Mann verlassen wird. Der Kampf für geschlechtliche Gleichberechtigung erfordert Opfer, etwa den Verlust der eigenen Familie.
Die Suffragetten waren eine vorwiegend bürgerliche Bewegung von Frauenrechtlerinnen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Grossbritannien und den USA für die Einführung des Frauenwahlrechts kämpften – mit öffentlichem Protest, Hungerstreiks und phasenweise radikalen Mitteln wie Bombenanschlägen. Der neue Film Suffragette von Sarah Gavron erzählt ihre Geschichte. Zentrale Figur der Bewegung war Emmeline Pankhurst. Sie gründete im Jahr 1903 die Woman’s Social and Political Union (WSPU), die sich von anderen Frauenrechtsorganisationen bereits mit ihrem Slogan klar abgrenzte: Die WSPU setzte auf „Taten, nicht Worte“, eine Strategie, die Pankhurst mehrere Verhaftungen einbrachte. Die aufsehenerregendste Verhaftung vor dem Buckingham Palace produzierte eines der einprägsamsten fotografischen Zeugnisse des Kampfes der Frauen für mehr Rechte.
Im Film wird Pankhurst von Oscar-Preisträgerin Meryl Streep verkörpert. Doch ob der filmischen Umsetzung der historischen Begebenheiten kann man geteilter Meinung sein. Der Kampf um Gleichberechtigung wirkt manchmal klischeehaft und des Öfteren ziemlich friedlich. Carey Mulligan ist als Maud Watts nicht immer überzeugend und die prominente Rolle von Meryl Streep bei der Vermarktung des Filmes fragwürdig, hat diese doch bloss einen Kurzauftritt von knapp drei Minuten, Pankhursts zentraler Rolle innerhalb der Frauenbewegung zum Trotz.
Weil uns die Geschichte aber vor Augen führt, wie umkämpft die geschlechtliche Gleichberechtigung in diesen Tagen war, und welche Opfer die Einführung des Frauenwahlrechts letztendlich erforderte, lohnt sich der Gang ins Kino allemal. Gleiche Rechte für alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe und Herkunft sind keine Selbstverständlichkeit und zu oft hart umkämpft – das macht einem der Film über die Suffragetten bewusst.
Aber die Geschichte verläuft nicht geradlinig
Die Bewegung hat ihr Ziel erreicht: Am 2. Juli 1928 führte Grossbritannien das Frauenwahlrecht ein. In der Schweiz geschah dies auf Bundesebene über 40 Jahre später, am 7. Februar 1971. Auf kantonaler Ebene blieb die Ungerechtigkeit teilweise noch länger bestehen. Am längsten in Appenzell Innerhoden, wo das kantonale Frauenstimm- und wahlrecht erst 1991 eingeführt wurde – per Bundesgerichtsentscheid.
Doch die Geschichte der Menschheit, der Gleichberechtigung und der Demokratie verläuft nicht immer geradlinig. Es ist manchmal eine Geschichte, die zu ihren Anfängen zurückzukehren schient. So auch dieser Tage.
Rund 25 Jahre nachdem der Diskriminierung der weiblichen Bevölkerung auf Ebene der Bürgerrechte hierzulande ein Ende gesetzt wurde, droht am 28. Februar die Einführung einer gesetzlich verankerten Ungleichbehandlung einer anderen Bevölkerungsgruppe: Der fast zwei Millionen AusländerInnen, die in der Schweiz leben, rund einem Viertel der ständigen Wohnbevölkerung. Wenn an diesem Tag über die Durchsetzungsinitiative der SVP abgestimmt wird, entscheiden sich die StimmbürgerInnen für oder gegen eine neue Zweiklassengesellschaft in der Schweiz. Gleiche Gesetze für alle Menschen, das wäre Schnee von gestern.
Wir müssen zwar nicht in den Hungerstreik treten
Klar, Ausländerinnen und Ausländer werden faktisch schon heute diskriminiert. Sie dürfen, zumindest auf Bundesebene, nicht wählen und abstimmen und sind somit dem Willen der rund 5,2 Millionen StimmbürgerInnen in der Schweiz ausgesetzt. Das ist fragwürdig, steht momentan aber nicht zur Debatte. Indem die SVP ein Sonderstrafrecht für AusländerInnen verlangt, will sie Mitmenschen aber nicht nur aus dem demokratischen Gesetzgebungsverfahren ausschliessen, sondern sie auch anderen Gesetzen unterwerfen. Das erinnert an dunkle Kapitel der Weltgeschichte: An das Apartheid-Regime in Südafrika beispielsweise.
Doch dem nicht genug: Weil die Bestimmungen zur Ausschaffung krimineller Ausländer direkt und detailliert in die Verfassung geschrieben werden sollen, würde das Parlament als Gesetzgeber umgangen und den Gerichten die Prüfung der Verhältnismässigkeit im Einzelfall verwehrt. Damit hebelt die SVP faktisch den Rechtsstaat aus. Das ist bedenklich und höchst problematisch. Eine gerechte Gesellschaft sieht anders aus.
Die Geschichte hat gezeigt: Die Demokratie ist eine fragile Staatsform und Bürgerrechte sind keine Selbstverständlichkeit. Die Suffragetten haben ebenso dafür gekämpft wie Nelson Mandela in Südafrika und Martin Luther King in den USA. Sie alle haben für ihren Kampf grosse Opfer gebracht. Um das, was sie erreicht haben, zu bewahren, müssen wir heute keinen Hungerstreik antreten, keine Bombenanschläge planen und auch nicht unsere Familien dem politischen Kampf opfern. Aber um eines kommen wir nicht herum: am 28. Februar „Nein“ zu stimmen und damit ein deutliches Zeichen gegen Diskriminierung zu setzten.
Journalismus kostet
Die Produktion dieses Artikels nahm 8 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 676 einnehmen.
Als Leser*in von das Lamm konsumierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demokratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produktion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rechnung sieht so aus:
Wir haben einen Lohndeckel bei CHF 22. Die gewerkschaftliche Empfehlung wäre CHF 35 pro Stunde.
CHF 280 → 35 CHF/h für Lohn der Schreibenden, Redigat, Korrektorat (Produktion)
CHF 136 → 17 CHF/h für Fixkosten (Raum- & Servermiete, Programme usw.)
CHF 260 pro Artikel → Backoffice, Kommunikation, IT, Bildredaktion, Marketing usw.
Weitere Informationen zu unseren Finanzen findest du hier.
Solidarisches Abo
Nur durch Abos erhalten wir finanzielle Sicherheit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unterstützt du uns nachhaltig und machst Journalismus demokratisch zugänglich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.
Ihr unterstützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorgfältig recherchierte Informationen, kritisch aufbereitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unabhängig von ihren finanziellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Journalismus abseits von schnellen News und Clickbait erhalten.
In der kriselnden Medienwelt ist es ohnehin fast unmöglich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkommerziell ausgerichtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugänglich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure solidarischen Abos angewiesen. Unser Lohn ist unmittelbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kritischen Journalismus für alle.
Einzelspende
Ihr wollt uns lieber einmalig unterstützen?