„Fliegen ist ja schon nicht so gut, aber…“

Hier kommen die 10 häufig­sten Antworten darauf, wenn du in einer Diskus­sion sagst, Fliegen sei scheisse. Und weshalb diese nicht wirk­lich als Ausreden herhalten. 
Ja, Fliegen hat eindeutig seinen Reiz – aber eben auch ganz gravierende Konsequenzen. Eine Zugfahrt ist übrigens mindestens genauso schön. (Foto: Pixabay)

Viel­leicht kennst du diese Situa­tion: Deine Freun­dinnen und Freunde kommen dich besu­chen: aus Berlin, Paris, Barce­lona. Natür­lich freust du dich, sie zu sehen und sie freuen sich darauf, die impo­sante Schweizer Berg­land­schaft mit ihren Skipi­sten und Glet­schern kennen­zu­lernen. Doch leider kommen sie alle mit dem Flug­zeug. Wenn du dann sagst: „Naja, Fliegen ist im Fall echt nicht so cool und es zerstört auch unsere Skipi­sten und Glet­scher…“, dann geht es los. Schnell wird klar, dass jeder und jede ein anderes Argu­ment parat hat, mit welchem die eigene Flie­gerei gerecht­fer­tigt werden soll.

Wir haben euch die 10 häufig­sten Recht­fer­ti­gungs­ver­suche aufge­li­stet und erklären, wieso diese als Ausreden ‚nöd so ganz verhebed‘.

1) „So oft fliege ich ja gar nicht.“

Musst du auch nicht, um das Klima auf den Kopf zu stellen. Einmal nach New York und zurück pustet schon mehr als zweimal so viel CO2 in die Atmo­sphäre, wie dir rein mathe­ma­tisch für alle deine Akti­vi­täten zusammen in einem ganzen Jahr zustehen würde. Denn die Atmo­sphäre kann jedes Jahr ein biss­chen CO2 ‚neutra­li­sieren‘. Wenn wir also wollen, dass der CO2-Anteil in der Luft nicht steigt, dürfen alle Menschen zusammen maximal dieses Neutra­li­sa­ti­ons­vo­lumen in die Atmo­sphäre entlassen.

Bei einer momen­tanen Welt­be­völ­ke­rung von 7.6 Milli­arden steht dir mit dieser Rech­nung etwa eine Tonne CO2 pro Jahr zur Verfü­gung. Mit diesem CO2-Budget von einer Tonne musst du aber nicht nur fliegen, sondern auch essen, Zug fahren, Kleider kaufen, das Haus heizen und deinen Laptop betreiben. Wenn du fliegst, ist es beinahe ein Ding der Unmög­lich­keit, inner­halb dieser einen Tonne zu bleiben. Einmal nach New York und zurück sprengt das Budget nämlich schon um mehr als das Doppelte (2.3 Tonnen). Und auch mit einem kürzeren Flug nach Berlin und wieder zurück hast du bereits einen Drittel (0.348 Tonnen) deines CO2-Jahres­bud­gets auf den Putz gehauen.

Einmal nach New York fliegen und wieder zurück? Das macht dann 2 Tonnen CO2 bitte! Wenn die Welt nicht aus den Fugen springen soll, darfst du pro Jahr jedoch maximal 600 Kilo­gramm CO2 verur­sa­chen (Screen­shot mycli­mate, 10.3.2020)

2) „Was soll denn der Vorwurf? Du fliegst ja selbst auch.“

Viel­leicht haben deine Freun­dinnen und Freunde recht und auch du kannst den Preisen von Easyjet und Co. nicht immer wider­stehen. Aber muss man denn selbst perfekt sein, um kriti­sieren zu dürfen? Falls ja, wird es schwierig, denn das ist niemand. Auf einer emotio­nalen Ebene ist es verständ­lich, dass die Flug­ge­wohn­heiten der Person, die dich kriti­siert, einen Einfluss haben. Aber wenn wir aus einer weniger emotio­nalen Perspek­tive darüber nach­denken, dann bleibt ein Argu­ment wahr, egal von wem es ausge­spro­chen wird. Auch wenn ich jeden Tag von Basel nach London und zurück jetten würde, die Aussage „Fliegen ist richtig schlecht für deine CO2-Bilanz“ bleibt genauso wahr.

3) „Aber das Fliegen macht doch eh nur 2 % der globalen Klima­gase aus.“

Je nachdem, was für eine Berech­nungs­me­thode man verwendet, stimmen diese 2 % sogar. Aber traue keiner Stati­stik, die du nicht selbst gefälscht oder zumin­dest rela­ti­viert hast. In der Schweiz stammen nämlich ganze 18 % der Klima­gase aus dem Flug­ver­kehr. Wie kommt dieser enorme Unter­schied zustande? Welt­weit sassen erst 5 % der Menschen jemals in einem Flug­zeug. Das kann man sich zwar ange­sichts seiner dauer­jet­tenden Freunde und Freun­dinnen nicht ganz vorstellen, ist aber so. Die 95 % der Welt­be­völ­ke­rung, die nicht fliegen, ziehen die schwei­ze­ri­schen 18 % auf die globalen 2 % runter.

Fliegen ist also nicht nur unöko­lo­gisch, sondern auch krass asozial. Es sind gerade mal 5 % der Mensch, die mit ihrer Flie­gerei immense Mengen an Klima­gasen verur­sa­chen. Die dadurch anstei­genden Meeres­spiegel, die dahin­schmel­zenden Glet­scher oder die instabil werdenden Berg­hänge kriegen aber auch – oder vor allem – all dieje­nigen ab, die noch nie in einem Flugi sassen. Die 15-jährige Klima­ak­ti­vi­stin Greta Thun­berg meinte dazu unlängst: „It is the suffe­ring of the many which pay for the luxu­ries of the few.“

4) „Aber es ist doch schon wichtig, dass man beim Reisen auch andere Kulturen kennenlernt!“

Das Kultur­ar­gu­ment kommt vor allem dann, wenn es die Heer­scharen von Back­packer-Touri­stinnen und ‑Touri­sten zu recht­fer­tigen gilt, die vor, nach oder mitten im Studium den Flug­ge­sell­schaften eine goldene Nase bescheren. Klar, das Sammeln von inter­kul­tu­rellem Wissen ist wichtig. Dafür muss man aber nicht zwin­gend in den Flieger steigen. Dafür empfiehlt das Lamm ein Enga­ge­ment hier, hier oder hier.

Andere Kulturen kennen­lernen geht auch anders als mit dem Flugi – dann bleibt einem viel­leicht auch der Massen­tou­rismus erspart. (CC: Pixabay)

5) „Aber das Flug­zeug fliegt doch so oder so!“

Kurz­fri­stig mag das stimmen. Lang­fri­stig ist es falsch. Mit jedem Flug, den du kaufst, setzt du ein Zeichen. Du signa­li­sierst den Flug­ge­sell­schaften: „Ich bin da! Und ich kaufe eure Tickets!“ Und deshalb werden sie weiterhin richtig viele Flugis um den Globus schicken. Buchst du den Flug jedoch nicht und tun es dir immer mehr Menschen nach, dann wird das länger­fri­stig dazu führen, dass die Flug­ge­sell­schaften weniger Flüge anbieten.

6) „Aber der Zug ist halt einfach zu teuer.“

Falsch. Richtig wäre: Das Flug­zeug ist zu billig. Alles hat nun mal seinen Preis. Beim Flug­ver­kehr scheint diese Binsen­wahr­heit jedoch nicht mehr zu gelten. Die Preise sind so tief gefallen, dass die Anfahrt zum Flug­hafen teurer ist als der Flug selbst. Verant­wort­lich dafür sind struk­tu­relle Gründe, wie die SRF-Sendung „Kassen­sturz“ unlängst aufge­zeigt hat.

Erstens zahlt die Flug­in­du­strie seit dem Ende des zweiten Welt­kriegs keine Steuern auf ihre Treib­stoffe. Zwei­tens sind die Flug­tickets mehr­wert­steu­er­be­freit. Und drit­tens verur­sacht das ausge­stos­sene Kohlen­di­oxid immense Schäden, die aber nicht von den Käufe­rinnen und Käufern der Flug­tickets begli­chen werden. Denn die Flug­gäste kommen weder für die in Holland zusätz­lich benö­tigten Dämme gegen klima­wan­del­be­dingte Fluten auf, noch bezahlen sie die Reise­ko­sten für die 140 Millionen Klima­flücht­linge, die die Welt­bank bis 2050 progno­sti­ziert hat. Die Peti­tion Nach­hal­ti­gAir fordert die Abschaf­fung dieser Bevorteilungen.

Wer es deshalb viel­leicht doch wieder einmal mit dem Zug probieren möchte, der sollte sich einmal das Nightjet-Angebot der ÖBB anschauen. Von Zürich nach Berlin blät­tert man hier zwischen 30 und 50 Euro hin. Bezahlbar, oder?

7) „Aber für die Bus- oder Zugfahrt habe ich keine Zeit.“

Jetzt mal ehrlich: Wie gerne würdest du dir wieder einmal mehrere Stunden Zeit nehmen, um in einem Buch zu blät­tern, Musik zu hören oder einfach nur deinen Gedanken nach­zu­hängen? Eine längere Fahrt wäre perfekt dafür. Das eigent­liche Problem ist nicht, dass dir die Zugfahrt zu lange dauert, sondern dass du zu wenig Zeit dafür hast. Anstatt ins Flugi zu springen, müss­test du dich also fragen, wie du es hinkriegst, dass du mehr Zeit hast. Viel­leicht lässt sich hier mit einer besseren Planung noch etwas raus­holen. Oder du hast sogar die Möglich­keit, in deinem Beruf auf Teil­zeit zu redu­zieren. Oder du setzt dich poli­tisch für höhere Mindest­löhne, die Reduk­tion der Wochen­ar­beits­zeit oder die Erhö­hung der Feri­en­zeit ein. Das wären Mass­nahmen, die dein Problem wirk­lich lösen würden. Nicht der Kauf eines Flugtickets.

8) „Aber der Bus, der Zug und das Auto brau­chen ja auch voll viel CO2.“

Das stimmt. Aber das ist kein Argu­ment, um sich ein Flug­ticket zu kaufen. Das ist dann wohl eher ein Argu­ment, um allge­mein weniger unter­wegs zu sein. Denn viel­leicht ist es mit einem Verzicht auf die Flie­gerei halt noch nicht getan. Wenn du raus­finden willst, wie viele Zug‑, Bus‑, Auto­fahrten oder Flug­reisen in deinem CO2-Budget von einer Tonne jähr­lich drin­liegen, kann dir die Website Ecopas­senger behilf­lich sein. Sie listet dir den CO2-Ausstoss und weitere Umwelt­ein­flüsse der verschie­denen Reise­op­tionen für eine selbst­ge­wählte Strecke auf. Aber nicht vergessen: Ein Teil deiner Tonne geht auch fürs Essen und Co. drauf. Wenn du Fleisch isst, sogar ein ziem­lich grosser Teil. Womit wir beim näch­sten vermeint­li­chen Gegen­ar­gu­ment wären.

Zwar ist es ein bisschen weniger, aber auch mit dem Zug oder dem Auto verballerst du CO2. Hier siehst du die Zahlen für eine Reise nach Paris. Der Zug schneidet mit Abstand am besten ab (Screenshots Ecopassenger.org).
Zwar ist es ein biss­chen weniger, aber auch mit dem Zug oder dem Auto verbal­lerst du CO2. Hier siehst du die Zahlen für eine Reise nach Paris. Der Zug schneidet mit Abstand am besten ab (Screen­shots Ecopassenger.org).

9) „Aber Fleisch essen ist doch minde­stens genauso schlimm.“

Obwohl es einer ganz anderen Konsum­s­parte entspringt, kommt das Fleisch­ar­gu­ment in Diskus­sionen um das Fliegen sehr zuver­lässig. Und die Aussage ist auch nicht falsch. Fleisch essen ist richtig schlecht für die, welche sich zukünftig mit dem erhitzten Klima herum­schlagen müssen. Um ein Kilo Rind­fleisch herzu­stellen, werden 15.4 Kilo CO2 in die Atmo­sphäre entlassen.

Laut dem Bran­chen­ver­band Provi­ande ass jede Schwei­zerin und jeder Schweizer im Jahr 2017 im Schnitt elf Kilo­gramm Rind­fleisch. Der Rind­fleisch­ver­zehr verur­sachte also einen CO2-Ausstoss von fast 170 Kilo CO2 pro Person. Gerade etwa soviel wie ein Flug nach Berlin. Fleisch essen ist also etwa gleich schlecht für das Klima wie fliegen. Aber nur weil etwas anderes auch rele­vant ist, heisst das nicht, dass man die Flie­gerei nicht kriti­sieren sollte. Sehr wahr­schein­lich musst du eh beides sein lassen, wenn du dein CO2-Budget einhalten willst.

10) „Aber ich lebe ja sonst schon richtig nachhaltig…“

Das ist schön. Leider wirst du es aber nicht hinkriegen, klima­ver­träg­lich zu leben, wenn du fliegst. Das ist nämlich beinahe unmög­lich. Hier kannst du es nachrechnen.

Es kann durchaus legi­time Gründe geben zu fliegen. Zum Beispiel bei einem medi­zi­ni­schen Notfall oder um weit entfernte Verwandte oder Freunde ab und zu besu­chen zu können. Die meisten Anlässe jedoch, zu denen wir momentan in den Flieger steigen – und das oft mehr­mals pro Jahr –, entspre­chen nicht diesen Ausnah­me­fällen. Schluss­end­lich müssen wir uns wohl einfach öfters fragen, ob wir aus Gründen der Gemüt­lich­keit oder des Life­styles wirk­lich unsere schönen Skipi­sten und Glet­scher opfern wollen. Und die Zukunft von Millionen von Menschen obendrauf.

 


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