Wie schlimm steht es wirklich um die Welt? Das weiss niemand ganz genau. Eine Nachricht jagt die nächste – wie einen Überblick gewinnen, das Chaos ordnen? Wir helfen, indem wir ausgewählte News häppchenweise servieren und einordnen. So liefern wir Ihnen einmal pro Monat Anhaltspunkte zur Lage der Welt aus Lamm-Sicht.
Heute: Ja zur Energiewende = Nein zur Plutoniumbombe // Eine feuchte Samenbank // Die Netzneutralität unter Beschuss
Good News: Schluss mit waffenfähigem Plutonium made in Switzerland
Was ist passiert? Die Debatte ums Energiegesetz hätte auch einen anderen Verlauf nehmen können. Einen bedeutsameren. Anstatt von kalten Duschen hätten wir über plutoniumerzeugende Reaktoren, sogenannte Brutreaktoren, debattieren können. Statt über die Vorzüge von A+++-Gefriertruhen über die Stabilität des ‚selbstentzündlichen’ Plutoniums fachsimpeln können. Denn mit dem Ja zum Energiegesetz haben wir auch definitiv Nein gesagt zur Gewinnung von waffenfähigem Plutonium aus alten Brennstäben. Im Abstimmungstext steht: „Abgebrannte Brennelemente sind als radioaktive Abfälle zu entsorgen. Sie dürfen nicht wiederaufgearbeitet oder zur Wiederaufarbeitung ausgeführt werden.”
Warum ist das wichtig? Das ist wichtig, weil damit das gefährlichste Recycling der Welt für Schweizer Atommüll, genannt „Wiederaufbereitung”, beendet wird. Frische Brennstäbe enthalten unreaktives 238-Uran und reaktives 235-Uran. Während der Kernreaktion wird ein Teil des unreaktiven 238-Uran zu reaktivem 244-Plutonium hochgerüstet. Die Konzentrationen sind allerdings so gering, dass das Plutonium dank des Verdünnungseffekts nicht reaktiv (und damit nicht waffenfähig) ist. Löst man dieses Plutonium aber in einem aufwändigen Trennverfahren heraus, kann man daraus neue Brennstäbe herstellen, die statt mit dem reaktiven 235-Uran mit dem reaktiven 244-Plutonium bestückt sind. Oder man kann daraus eine Atombombe bauen. Die Schweizer AKWs Beznau I und II sowie Gösgen setzten in der Vergangenheit solche plutoniumhaltige Brennstäbe ein.
Allerdings entsteht bei dieser ‚Aufbereitung’ von alten Brennstäben zehn Mal mehr Abfallvolumen als bei der direkten Endlagerung abgebrannter Brennstäbe, weil in diesem Trennverfahren eine Menge chemischer Reagenzien ebenfalls radioaktiv verseucht werden. Aber nicht nur das. Das Plutonium ist ‚selbstentzündlichen’ : Die labilen zerfallenden Plutonium-Kerne fallen auf andere labile Plutonium-Kerne, womit eine Kettenreaktion von selbst ausgelöst werden kann. Deshalb muss das reine Plutonium in feinen Glasröhrchen gelagert werden.
Und damit hat es sich? Nein. Das waffenfähige Plutonium, einmal in Brennstäbe eingemischt, lässt sich von dort relativ einfach wieder herauslösen. Es könnte also leicht in die falschen Hände geraten, da Brennstäbe weniger sicher gelagert werden als Atomwaffen.
Derweil werden das Meer, die Böden und die Luft um die Aufbereitungsfabriken in La Hague (FR) und Sellafield (GB) derart mit hochgiftigem Americanium, Strontium, Tritium und so weiter verseucht, dass die Kinderleukämierate in der Nähe Sellafields um ein 14-faches über dem Landesdurchschnitt Grossbritanniens liegt. Die Aufbereitung ist, wie Susan Boos in ihrem Handbuch zur Atomwirtschaft ausführlich dokumentiert, schlicht ein blanker „Irrsinn“.
Aber? Zwar war die Wiederaufbereitung 2006 mit einem zehnjährigen Moratorium belegt worden. Aber erst seit der Annahme des neuen Energiegesetzes am 21. Mai 2017 ist sie unbefristet verboten. Was aber nicht heisst, dass das Problem nun gelöst ist. Denn jetzt heisst die Frage: Wohin mit dem gefährlichen Plutonium?
Bad News 1: Die wichtigste Samenbank wird feucht
Was ist passiert? Auf der norwegischen Arktisinsel Svalbard steht ein Bunker mit gegenwärtig 930‘821 verschiedenen Samen von Kulturpflanzen. Dieser Bunker fungiert als Kulturpflanzen-Safe und soll bei Katastrophen Reservesamen bereitstellen können. Es ist sozusagen das Backup der Landwirtschaft. Erstmals wurde dieser Safe letztes Jahr geöffnet, um Samen nach Beirut zu verschicken. Die syrische Samenbank konnte in den Kriegswirren nicht alle ihre trockenheitstoleranten Pflanzen in den Libanon retten – hatte die verlorenen Samen aber in Svalbard auf Reserve. In diesen Safe ist nun Schmelzwasser eingedrungen, weil der Permafrost wegen 7°C höheren Temperaturen im Jahr 2016 nun viel stärker als erwartet schmilzt. Indes, ohne die Samen zu beschädigen, weil das Wasser auf dem Weg in die Tiefen des Safes wieder gefror.
Weshalb ist das wichtig? Weil wir, trotz genmanipulierter Pflanzen und Hightech-Zucht, immer noch voll und ganz von unserem historischen Erbe an Kulturpflanzen leben. Niemand kann heute einen Grashalm genetisch so modifizieren, dass aus seinen Samen im nächsten Jahr ein Weizenhalm wächst. Wir sind also immer noch auf jahrtausendealte Zuchtpflanzen angewiesen. Werden in einer Katastrophe im Ausmass des Syrienkriegs alle Samen einer Region zerstört, so können wir auf diese Samen in Reserve zurückgreifen. Gesetzt, sie können auf Svalbard wirklich sicher gelagert werden. Gerade diese Gewissheit wurde jetzt aber erschüttert. Nicht einmal im höchsten Norden scheinen die Samen vor Krisen sicher, die der Mensch verursacht.
Aber? Dass dieser Tresor bröckelt, ist keine gute Nachricht. Aber es ist ein guter Anlass, über die Vorstellung von Sicherheit nachzudenken, die er vermittelt.
Kulturpflanzen wie der Weizen aus Mesopotamien überleben seit über 10‘000 Jahre, weil sie von Bauern immer wieder selektiert und angepflanzt wurden. Auch wenn solche Samen bei der Lagertemperatur von ‑18°C in 100 Jahren wohl noch keimen würden: in diesen 100 Jahren haben sie nicht gelebt. Was aus evolutionsbiologischer Perspektive heisst, dass sie sich nicht einer sich verändernden Umwelt haben anpassen können. Also keinen neuen Pilzen, keinem trockeneren und heisseren Klima oder späten Wintereinbrüchen im Frühling ausgesetzt waren.
Sinnvolle Samenlagerung ist über längere Zeit betrachtet eben gerade keine Lagerung, sondern das Am-Leben-Erhalten von Kulturpflanzen durch ihre kontrollierte Reproduktion. Leben kann man eben — anders als Gold — nicht horten. Deshalb kann es die Sicherheit, die dieser Samentresor suggeriert, für Pflanzen gar nicht geben.
Aber vielleicht geht es bei diesem Samentresor gar nicht darum, Samen als Anfänge von Leben zu bewahren, sondern darum, ein Gen-Archiv des gesamten Sameninventars der Welt aufzubauen, aus dem dereinst genetisch modifizierte Designpflanzen gebastelt werden könnten. Dafür stünde ihnen dann der ganze Schatz des homo agricola zur Plünderung frei. Dass auch die gentechfreundliche Bill und Melinda Gates-Stiftung als Geldgeberin dieses Samentresors fungiert, lässt in dieser Hinsicht nicht viel Gutes erahnen.
Bad News 2: Mautgebühren für das Internet? Nein danke.
Was ist passiert? Die Freiheit des Internets ist in den USA in Gefahr, weil Trump mit Ajit Pai einen erklärten Netzneutralitätsgegner und ehemaligen Angestellten des Netzbetreibers Verizon zum Chef der Internet-Regulationsbehörde FCC (Federal Communications Commission) ernannt hat. Die Freiheit des Internets (Netzneutralität) besteht darin, dass alle Daten gleich schnell durchs Netz flitzen können. Eine Netzbetreiberin wie die Swisscom darf nach diesem Prinzip Netflix nicht künstlich ausbremsen, um ein eigenes Produkt wie Swisscom TV zu fördern („Jetzt klemmt dieses blöde Netflix schon wieder!”). Obwohl das technisch möglich ist und unter Umständen auch gemacht wird, ist es in den USA gegenwärtig gesetzlich verboten. Das könnte sich unter Trump ändern.
Warum ist das wichtig? Weil es nicht nur um einen freien Markt für die Unterhaltungsindustrie geht. Es geht bei der Netzneutralität um nichts weniger als den ungehinderten Zugang zur wichtigsten Kommunikationsinfrastruktur unserer Zeit. Und diese Infrastruktur muss, damit ein öffentliches und demokratisches Gemeinwesen aufrechterhalten werden kann, allen gleichermassen zugänglich sein. Überlassen wir es hingegen der Willkür der Netzbetreiber, ob und wie schnell sie welchen Inhalt an die EndkundInnen übermitteln, zerfällt der öffentliche Raum in marktkonforme Räume, die sich an Kaufkraft und Zahlungsbereitschaft ausrichten. Damit würde zusätzlich zu den virtuellen Filter-Bubbles, die mittels Algorithmen eigene Vorlieben herauspräparieren, auch noch eine physische Verzerrung dieses Raums erwirkt.
Ein Beispiel: Tippe ich „North Dakota” bei Google ein, kommt sogleich “North Dakota Access Pipeline” mit viel skandalöser Berichterstattung, und ich denke, die ganze Welt schaut auf diese dreckige Röhre. Dabei finden andere unter „North Dakota” tolle Investmentangebote im Rohstoffbereich, vor allem, seit Trump an der Macht ist. Das wäre die Filter-Bubble. Und die physische Verzerrung wäre dann, dass NGOs beim Internetbetreiber Verizon unter Trump Extragebühren bezahlen müssten, um gleich schnell erreichbar und damit sichtbar zu sein wie etwa Investmentangebote zur selben Pipeline. Denn Studien zeigen, dass 4 von 10 US-AmerikanerInnen von einer Seite abspringen, die nicht innert 3 Sekunden lädt. Damit würden 4 von den 10 US-BürgerInnen, die „North Dakota” googeln und einen Link zu Protesten in Standing Rock anklicken, gar nie wissen, worum es dort ging — und, ein paar Klicks später, in ein tolles Geschäft am selben Ort investieren.
Die Begründung seitens der Netzanbieterlobby, weshalb sie ein gesetzlich reguliertes freies Internet auch in der Schweiz verhindern will: Nur so könnten die Anbieter Investitionen in leistungsfähige Mobilfunk- und Festnetze amortisieren. Das kommt einem unverhohlenen Eingeständnis gleich, mit unterschiedlichen Übertragungsgeschwindigkeiten künftig Geld machen zu wollen — nach dem Vorbild der Swisscom, die sich letztes Jahr dem Vorwurf ausgesetzt sah, Netflix durch Unterlassungshandlungen zu Gunsten des eigenen Produkts Swisscom TV auszubremsen.
Aber? Noch hat der US-Behördenchef Pai sein Mogelpaket nicht durchschummeln können. Der Komiker John Oliver hat in seiner Late Night Show dazu aufgerufen, bei der Regulationsbehörde FCC seine Bedenken anzumelden. Innert Wochenfrist prasselten über diesen Weg 1.5 Millionen (mehr oder minder ernste) Bekennerschreiben für ein freies Internet auf die Homepage ein. Auch in der Schweiz könnte sich politischer Widerstand regen. Zwar ist seit der Motion von Balthasar Glättli im Jahr 2012, die damals im Ständerat scheiterte, noch immer kein verbindliches Gesetz auf dem Tisch. Aber das könnte sich ändern, wenn die wüsten Konsequenzen eines dereinst deregulierten Netzmarktes in den USA in die Schweiz überschwappen sollten. Denn nach wie vor ist viel von dem Inhalt, den wir hier über die Leitungen in unsere Computer saugen, in den USA gespeichert und wir damit den Launen der US-Netzbetreiber ausgeliefert.
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