Honduras: „Die Rechte wird versu­chen, ein poli­ti­sches Chaos zu schaffen“

In Honduras hat die linke Präsi­dent­schafts­kan­di­datin Xiomara Castro die Wahl gewonnen und am vergan­genen 27. Januar das Amt über­nommen. Im Gespräch mit das Lamm spricht der Umwelt­ak­ti­vist Chri­sto­pher Castillo über die ersten Amts­hand­lungen und die Zukunft des neoli­be­ralen Projekts der Liberty Cities – die auch aus der Schweiz geför­dert werden. 
Xiomara Castro bei der Amtseinführung. (Foto: Presidencia de Honduras)

Das Lamm: Am Donnerstag, 27. Januar, wurde Xiomara Castro als erste Frau in Honduras zur Präsi­dentin verei­digt. Die Amts­ein­füh­rung fand in einem gefüllten Fuss­ball­sta­dion statt, Sie waren als Umwelt­ak­ti­vist eine der einge­la­denen Personen. Wie hat sich dieser Moment angefühlt?

Chri­sto­pher Castillo: Es war ein einzig­ar­tiger und histo­ri­scher Moment. Xiomara Castro tritt mit einem enormen Legi­ti­mi­täts­vor­sprung an. Vor dem gefüllten Stadion wimmelte es von Menschen, die der neuen Präsi­dentin zuju­belten. Die vorhe­rigen rechten Präsi­denten schafften es nicht einmal, das Stadion zu füllen. Es erfüllt mich mit einem Gefühl des poli­ti­schen Sieges, das hondu­ra­ni­sche Volk so zu sehen, die Kunst­schaf­fenden und die sozialen Bewe­gungen, die seit Jahren Wider­stand gegen die Dikta­turen leisteten.

Honduras wurde seit dem Putsch von 2009 von zwei rechten Präsi­denten regiert. Stellt die neue Regie­rung ein Ende dieser Phase dar?

Ja, das Land wurde über Jahre hinweg vom Natio­nalen Sicher­heits- und Vertei­di­gungsrat geleitet, welcher vom Präsi­denten und dem Militär geführt wird. Unter dieser Leitung wurden zwei Gesetze verab­schiedet, die meiner Meinung nach das Land offi­ziell zur Diktatur erklärten: ein weit­rei­chendes Über­wa­chungs­ge­setz und ein Gesetz zur Geheim­hal­tung staat­li­cher Dokumente.

Was hatte das für Auswirkungen?

Morde wurden zum Alltag in den Strassen von Honduras. Die Justiz war fast nicht mehr präsent, über 98 Prozent der einge­reichten Klagen führten weder zu Ermitt­lungen noch Gerichts­ver­hand­lungen. Es herrschte ein Klima der Straf­lo­sig­keit. 2017 war Honduras das gefähr­lichste Land der Welt für Umweltschützer:innen, die sich gegen konta­mi­nie­rende Indu­strie­pro­jekte wehrten.

Zudem wurde die Wirt­schaft schwer geschä­digt. Seit 2010 ist das Brut­to­in­lands­pro­dukt um 2.1 Prozent zurückgegangen.

Castillo ist Umwelt­ak­ti­vist und Teil der LGBTQ-Bewe­gung von Honduras. Er ist 26 Jahre alt und grün­dete im Jahr 2018 mit anderen Aktivist:innen die Umwelt­or­ga­ni­sa­tion ARCAH – die Alter­na­tive zur Gemein­schaft­li­chen Förde­rung der Umwelt von Honduras.

Zur Amts­ein­füh­rung Ende Januar ist unter anderem die US-Ameri­ka­ni­sche Vize­prä­si­dentin Kamala Harris einge­flogen. Was bedeutet die inter­na­tio­nale Präsenz für Honduras?

Unter der Vorgän­ger­re­gie­rung von Juan Orlando Hernández war Honduras auf inter­na­tio­naler Ebene komplett isoliert. Nicht nur Kamala Harris war am 27. Januar anwe­send, sondern auch der spani­sche König, Vertreter:innen des Vati­kans und eine grosse Menge an Persön­lich­keiten der Linken Latein­ame­rikas, wie etwa die ehema­ligen Präsi­den­tinnen Dilma Rousseff und Chri­stina Kirchner. Das zeigt: Honduras ist wieder zurück auf der inter­na­tio­nalen Bild­fläche und posi­tio­niert sich inner­halb der linken Regie­rungen des Kontinents.

Sämt­liche Wahlen seit dem Putsch von 2009 wurden von Wahl­fäl­schungen begleitet, die die Wieder­wahl des rechten Lagers ermög­lichten. Auch 2021 erwar­teten Beobachter:innen ähnliche Vorkomm­nisse. Warum hat Xiomara Castro trotzdem die Wahl gewonnen?

Das hat vor allem drei Gründe: Zum Ersten ist der rechte Sektor und die hondu­ra­ni­sche Olig­ar­chie gespalten und deren Partei, die Natio­nale Partei, implo­diert. Der bishe­rige Präsi­dent Juan Orlando Hernández ist nicht Teil der tradi­tio­nellen Elite, die ihn stets argwöh­nisch betrachtet hat. Seine Nähe zum orga­ni­sierten Drogen­handel und seine neoli­be­rale Politik rich­teten für die tradi­tio­nelle Geschäfts­elite immense Schäden an. Deswegen wanderte ein Teil der Indu­stri­ellen und Libe­ralen zur linken Castro ab.

Zwei­tens wurde die Partei von Xiomara Castro, LIBRE, in den natio­nalen Wahlrat inte­griert. Dies erhöhte die Kontrolle und verhin­derte Fälschungen im grös­seren Mass. Drit­tens war die Wahl­be­tei­li­gung so massiv, dass keine Fälschung stand­halten konnte. Seit den 90er-Jahren war nicht mehr ein so grosser Teil der Bevöl­ke­rung an den Wahlen betei­ligt. Castro ist die Präsi­dentin mit den meisten Stimmen in der Geschichte des Landes.

Wie beur­teilen Sie die erste Woche der neuen Regierung?

Castro hat viel Aufsehen durch eine Menge an symbo­li­schen Akten mit Schlag­kraft erregt. Sie hat zum Beispiel eine Neuori­en­tie­rung der wirt­schaft­li­chen Bezie­hungen ange­kün­digt. Erst­mals werden direkte Bezie­hungen zu Konti­nen­tal­china aufge­nommen – bislang hat Honduras offi­zi­elle Bezie­hungen mit Taiwan – und Honduras wird fortan Öl aus Vene­zuela impor­tieren. Wir entfernen uns also etwas von der Hege­monie der USA.

Am Samstag, den 29.1, wachten wir zudem mit günsti­geren Ener­gie­preisen auf. Castro senkte per Dekret die Preise für die Bevöl­ke­rung, garan­tierte den Ärmsten kosten­losen Strom und versprach, den grossen Unter­nehmen höhere Preise abzu­ver­langen. Das ist eine konkrete Politik der Umver­tei­lung und eine Kampf­an­sage an die Olig­ar­chie. Es gab Unter­nehmen, die über Jahre ihre Strom­rech­nungen nicht zahlten und ihre Schulden mit einem Bruch­teil des eigent­li­chen Werts tilgen konnten.

Ganz konkret geschieht eine Öffnung gegen­über der Bevöl­ke­rung: Die Zäune, die den Weg zum Parla­ment versperrten, sind verschwunden. Und bei der Verei­di­gung waren Indi­gene und soziale Bewe­gungen anwe­send – ein Novum.

Castro war die Präsi­dent­schafts­kan­di­datin der 2011 von Manuel Zelaya gegrün­deten Partei LIBRE – Frei­heit und Neugrün­dung. Zelaya wurde 2009 vom hondu­ra­ni­schen Militär geputscht. Für die Wahlen vom 28. November vereinte Castro grosse Teile der Oppo­si­tion und gewann mit 51.12 Prozent der Stimmen. Im Parla­ment fehlt der Regie­rung mit 50 von 128 Abge­ord­neten eine Mehrheit.

Ein wich­tiger Kampf des letzten Jahres war der Wider­stand gegen die freien Städte (das Lamm berich­tete). Wie sieht deren Zukunft aus?

Die neue Regie­rung wehrt sich stark gegen das Projekt der freien Städte. Sie hat ange­kün­digt, das Gesetz zu wider­rufen, das die freien Städte erlaubt. Die bishe­rigen Projekte – über 2’000 im ganzen Land – können aber gar nicht mehr per Gesetz aufge­löst werden. Die Unter­nehmen dahinter werden nicht einfach so aufgeben. Eine der wich­tig­sten, die ZEDE Prós­pera, hat ange­kün­digt, den Staat wegen Vertrags­bruchs zu über 150 Millionen Dollar zu verklagen.

Ist das realistisch?

Die Unter­nehmen hinter den freien Städten haben wich­tige Verbün­dete. Der US-Ameri­ka­ni­sche Abge­ord­nete Chip Roy warnte die neue Regie­rung vor der Schä­di­gung US-Ameri­ka­ni­scher Geschäfts­in­ter­essen und ‑betei­li­gungen. Sofern die Unter­nehmen vor natio­nale Gerichte gehen, ist es gut möglich, dass sie gewinnen. Sowohl die Spitzen der Staats­an­walt­schaft als auch der Gerichte wurden von der Vorgän­ger­re­gie­rung einge­setzt und stehen poli­tisch der Rechten nahe.

Zwölf Jahre lang hat die Rechte das natio­nale Geschehen domi­niert. Was bedeutet es, einen solchen Staats­ap­parat zu übernehmen?

Die Regie­rung von Xiomara Castro muss zuerst die orga­ni­sierte Drogen­kri­mi­na­lität aus dem Staats­ap­parat verbannen. Die alte Regie­rung war tief in den Drogen­handel verwickelt und hat wich­tige Posten mit dessen Vertreter:innen besetzt. Danach muss die Verbin­dung zwischen Drogen­handel und Banken getrennt werden, denn über diese wurde das Geld gewaschen.

Und wenn das nicht gelingt?

Dann wird die Regie­rung Mühe haben, ihre Vorhaben umzu­setzen. Castro ist als Präsi­dentin des Landes auch die Ober­be­fehls­ha­berin der Streit­kräfte, doch diese wurden über Jahre hinweg zur poli­ti­schen Verfol­gung der Oppo­si­tion genutzt. Ich bin leider davon über­zeugt, dass die Rechte weiterhin versu­chen wird, poli­ti­sche Gewalt anzu­wenden. Weil sie aber keine Macht mehr über das Militär besitzt, wird sie para­mi­li­tä­ri­sche Grup­pie­rungen gründen und Auftrags­mörder bezahlen. Das ist eine enorme Gefahr für die Regie­rung, weil dadurch ein Klima der Unre­gier­bar­keit geschaffen wird.

Was kann die Bevöl­ke­rung ange­sichts dieser Gefahren über­haupt von der neuen Regie­rung erwarten?

Die Rechte wird versu­chen, ein poli­ti­sches Chaos zu schaffen, um eine Wieder­wahl von LIBRE auf Dauer zu verhin­dern. Aufgrund dieser Gefahr wird Castro das poli­ti­sche Instru­ment der direkten Bevöl­ke­rungs­be­fra­gungen vermehrt einsetzen. Das erlaubt der Regie­rung, die Bevöl­ke­rung direkt über gewisse Geset­zes­vor­haben abstimmen zu lassen und so das Parla­ment zu umgehen – denn dort fehlt der Regie­rung eine Mehrheit.

Als Zweites wird die Regie­rung eine verfas­sungs­ge­bende Versamm­lung einbe­rufen, um eine neue Verfas­sung zu schreiben. Das ist ein wich­tiger Schritt, denn seit dem Putsch von 2009 verlangt ein grosser Teil der Bevöl­ke­rung eine Neugrün­dung des Staates. Eine verfas­sungs­ge­bende Versamm­lung wäre ein Gegen­pro­jekt zur Macht der Banken und der Unternehmer:innen.

Sie selbst sind LGBTQ-Akti­vist. Wird sich für queere Menschen etwas ändern?

Auf kultu­reller Ebene wird es deut­lich lang­samer voran­gehen. Über die Regie­rungs­partei LIBRE wurde unter anderem ein LGBTQ-Akti­vist ins Parla­ment gewählt. Das wurde in der öffent­li­chen Debatte sehr kriti­siert und zeigt, wie konser­vativ Honduras ist. Gerade Themen wie die Rechte von LGBTQ-Personen oder das Recht auf Abtrei­bung wird die Regie­rung vorsichtig angehen müssen.

Die Wahl einer Präsi­dentin zeigt: Wir haben bereits Fort­schritte gemacht.

Die wich­tig­sten Kontra­henten in diesen Themen sind die evan­ge­li­kalen Kirchen. Schon jetzt ist Castro mit dem Stigma belegt, dass Sozia­lismus mit Athe­ismus gleich­ge­setzt wird. Wenn sie nun auch noch dem gesell­schaft­li­chen Ideal der konser­va­tiven Frei­kir­chen etwas entge­gen­setzt, stärkt sie dessen Angst, Macht zu verlieren. Sie werden daher alles daran setzen, ihre Privi­le­gien und konser­va­tiven Gesell­schafts­vor­stel­lungen zu verteidigen.

Honduras ist inter­na­tional aufgrund des Mordes an der indi­genen Umwelt­ak­ti­vi­stin Berta Cáceres in die Medien gekommen. Wie posi­tio­niert sich die neue Regie­rung in Bezug auf den Schutz der Umwelt und die Rechte der Indigenen?

Die Tochter von Berta Cáceres, Berta Zúñiga, hat beim Amts­an­tritt in Vertre­tung der Indi­genen Völker der neuen Regie­rung die Vara Alta Lenca über­geben – einen Stab, der die spiri­tu­ellen Auto­ri­täten der Indi­genen symbo­li­siert und der neuen Regie­rung Legi­ti­mität gegen­über der indi­genen Bevöl­ke­rung schafft. Er ist aber gleich­zeitig auch ein Symbol, das die Regie­rung daran erin­nert, ihre Verspre­chen gegen­über den Indi­genen einzuhalten.

Castro ist über­zeugt von einer Bezie­hung des Respekts und der Wieder­gut­ma­chung gegen­über der indi­genen Bevöl­ke­rung. Das bedeutet zwin­gend den Raus­schmiss von Minen- und Stau­damm­un­ter­nehmen aus indi­genen Gebieten – was auch ein wich­tiger Schritt für mehr Umwelt­schutz darstellt. Allge­mein hat die Regie­rung ein Ende der Krimi­na­li­sie­rung von Umweltschützer:innen versprochen.

Vertrauen Sie auf dieses Versprechen?

Ja. Unserer Umwelt­be­we­gung wurde sogar ange­boten, Teil der neuen Regie­rung zu sein – ein Angebot, das wir abge­lehnt haben. Wir vertreten als Orga­ni­sa­tion zum Teil anar­chi­sti­sche Ideale, die auf keinen Fall mit der Betei­li­gung an einer Regie­rung vereinbar sind. Die Einla­dung zeigt jedoch deut­lich, was das Ziel der neuen Regie­rung ist: eine enge Bezie­hung und vor allem eine gute Zusam­men­ar­beit mit der Bevölkerung.


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