Ins Nieder­dorf verdrängt

Die Rothaus-Bar muss die Lang­strasse verlassen, und die WOZ bezich­tigt die Repu­blik der Gentri­fi­zie­rung. Ganz vergessen geht dabei, dass auch das Nagel­studio Hotmail­hot­nail plötz­lich vor der Türe steht. 
Das ehemalige Nagelstudio, die Rothaus-Bar und die Republik teilten sich einst das selbe Backsteingebäude an der Langstrasse. (Foto: Kira Kynd)

„Wo wotsch susch-hi!?“, steht auf einem Schild links unter dem Hotel-Rothaus-Schriftzug auf der Fassade des Back­stein­ge­bäudes. Ein Wort­spiel, das an die Sushi-Stube erin­nert, die hier an der Lang­stras­sen­kreu­zung bis Anfang dieses Jahres einge­mietet war.

Das Schild blieb dort hängen, nachdem die Sushi-Stube ihr Geschäft aufgeben musste und ein Nagel­studio einzog: Hotmailhotnail.

Viel­leicht bleibt das Schild noch eine Weile hängen – obwohl auch das Nagel­studio seinen Platz wieder räumen musste.

„Wo wollen wir sonst hin?“, fragen sich wohl auch die Betreiber:innen der Rothaus-Bar in diesen Tagen. Die WOZ machte kürz­lich bekannt, dass die Gebrüder Meili, die auch in die Repu­blik inve­stieren, als Haus­ei­gen­tümer den Vertrag mit den Pächter:innen nicht mehr verlän­gert haben. Das Magazin, das denn auch die grösste Miet­partei im Hotel Rothaus darstellt, wolle die Räum­lich­keiten vermehrt selbst nutzen. Die Szene-Bar soll durch ein neues Gastro-Konzept ersetzt werden.

Mit der Rothaus-Bar verschwindet auch das unter­ver­mie­tete Nagel­studio Hotmail­hot­nail von der Lang­strasse. Dieses war während der Pandemie zu einem Treff­punkt geworden, an dem trotz Lock­down ein Minimum an sozialer Inti­mität statt­finden konnte – mit Prosecco und ohne Konsumzwang.

Ein Inter­mezzo im Kreis 1

Weit weg, im Nieder­dorf, flanieren Passant:innen mit Shop­ping­ta­schen bekannter Klei­der­ketten gemüt­lich über den Rinder­markt. Immer wieder bleiben einige von ihnen neugierig vor einem in buntes Neon­licht gehüllten Schau­fen­ster stehen, um hinein­zu­spähen. Hier haben Yvee Nogara und Ivana Milen­kovic soeben Hotmail­hot­nail neu eröffnet. Auf einen Insta­gram-Post habe sich das Fami­li­en­un­ter­nehmen EnSoie bei ihnen gemeldet und ihnen den Raum zur Verfü­gung gestellt.

Blick durchs Fenster des neuen Nagel­stu­dios am Zürcher Rinder­markt (Foto: Kira Kynd / das Lamm)

Sechs Personen sitzen an einem Tisch. Drei von ihnen putzen, schleifen, lackieren Finger­nägel; die andern halten ihre Hände hin und trinken Espresso.

Während die Diskus­sion um den Auszug der Rothaus-Bar ohne grös­sere Auswir­kungen verhallte, wurde der Wegzug von Hotmail­hot­nail gar nicht erst disku­tiert. Auch weil die WOZ in ihrem Artikel nur das Aus der Szene-Bar thematisierte.

Yvee Nogara sitzt neben dem Arbeits­tisch – den die Betrei­be­rinnen wie fast alle Möbel im Studio mit der Hilfe eines Freundes selber gebaut haben – auf einem Schau­kel­stuhl, unter ihren Füssen liegt ein roter Flausch­tep­pich. „Zwar war uns immer klar, dass wir viel­leicht im Dezember gehen müssen“, erzählt sie. „Aber direkt gesagt hat uns das niemand.“

Über­haupt habe das Nagel­studio eigent­lich kaum je direkten Kontakt zur Repu­blik gehabt, sagt Yvee. „Die Kommu­ni­ka­tion lief bei uns jeweils über das Team der Rothaus-Bar.“ Die Redak­tion hätten sie vor allem tags­über bei den Sitzungen in der Bar getroffen.

„Begrüsst und sogar beim Namen genannt haben sie uns erst, nachdem wir die Benach­rich­ti­gung über den Raus­wurf erhalten hatten“, sagt Ivana Milen­kovic. „Es hat die Redak­tion schlicht nicht inter­es­siert, was wir machen.“

Die Repu­blik meint auf Anfrage, dass während einer Redak­ti­ons­sit­zung die Aufmerk­sam­keit der Teilnehmer:innen mögli­cher­weise nicht bei weiteren Personen liegen würde, die die Bar durch­queren. Das geschehe jedoch „ohne böse Absicht“.

Schwie­rige Kommunikation

Verdrängt also ein Magazin, das sich gemeinhin als links-liberal versteht, zwei wich­tige soziale Treff­punkte in der Stadt? Treibt die Repu­blik die Gentri­fi­zie­rung der Lang­strasse aktiv mit an?

Die Repu­blik habe sich im Sommer 2020 für den Verbleib im Rothaus entschieden, schreibt Constantin Seibt in einem Post gegen­über der Leser:innenschaft. Zu Beginn sei das Barteam am Tisch gesessen, aber nach Gesprä­chen habe sich heraus­ge­stellt, dass sie es beide nicht geschafft hätten, auf eine Wellen­länge zu kommen.

Die Rothaus-Bar wirft der Repu­blik indes intrans­pa­rente Kommu­ni­ka­tion vor; Constantin Seibt schreibt, dass man sich nach den Gesprä­chen im Herbst eine lang­fri­stige, konstruk­tive Zusam­men­ar­beit mit dem Barteam schwer vorstellen habe können.

In der Folge konnte sich die Rothaus-Bar zwar mit einem eigenen Konzept wieder bewerben. Sie bekamen eine Absage. „Mir ist wichtig, dass die Leute wissen, dass wir diesen Ort nicht einfach frei­willig aufgeben“, sagte einer der Betreiber:innen der Rothausbar gegen­über der WOZ.

Das ist auch der Repu­blik nicht entgangen: Sie bedauere die schwie­rige Situa­tion, in der sich das Barteam befinde, und das viel zu abrupte Ende einer eigent­lich coolen Zeit.

Auf halbem Weg gentrifiziert

Ähnlich wie der Rothaus-Bar und Hotmail­hot­nail erging es 2015 dem Kunst­raum Perla-Mode. Auch in diesem Fall musste einem Gastro-Konzept gewi­chen werden, als das Gebäude an der Ecke Brauer-/Lang­strasse abge­rissen und durch einen Neubau ersetzt wurde. Dort, wo früher expe­ri­men­telle Kunst, Diskus­sionen und Ausstel­lungen statt­fanden, kann jetzt im Hiltl über­teuert vom Buffet gegessen werden.

Es liege in der Logik von Zwischen­nut­zungen, dass sie irgend­wann endeten, meinte Rolf Hiltl damals. Bei der Repu­blik klingt das heute so: „Beim Thema für die lang­fri­stige Nutzung des Erdge­schosses haben wir offen gesagt, dass wir das Konzept der aktu­ellen Bar-Crew für wenig entge­gen­kom­mend halten.“

Für Hotmail­hot­nail hat der Verdrän­gungs­pro­zess eine relativ erfreu­liche, wenn auch privi­le­gierte Wendung genommen.

Denn: Die meisten Geschäfte, die weggen­tri­fi­ziert werden, erhalten kein Laden­lokal an einer noch exklu­si­veren Lage. Die auslän­di­schen Arbeiter:innen in den unteren Einkom­mens­schichten, die vor zwanzig Jahren noch an der Lang­strasse gelebt und gear­beitet haben, sind längst weg. Das Medi­an­ein­kommen im Lang­stras­sen­quar­tier hat sich in den letzten zwanzig Jahren beinahe verdop­pelt, während der Ausländer:innenanteil um mehr als 20 % zurück­ge­gangen ist. Zudem gibt es eine deut­liche Verschie­bung bei der Alters­gruppe. Die Gene­ra­tion der 20–29-Jährigen wurde durch ihre älteren Geschwi­ster und Eltern verdrängt: 2019 waren rund 50 % der Anwohner:innen der grössten Party­meile in Zürich zwischen 30 und 49 Jahre alt.

Wer die Rothaus-Bar und Hotmail­hot­nail als Opfer einer Gentri­fi­zie­rung im Kreis 4 sieht, hat zwar recht. Gleich­zeitig waren die Zwischen­nut­zungen auch immer bereits Teil des Verdrän­gungs­pro­zesses: Auslän­di­sche Arbeiter:innen und ihre Läden sowie Student:innen wurden durch die immer weiter stei­genden Boden­preise vertrieben, die leeren Geschäfts­lo­ka­li­täten konnten durch meist junge, nicht migran­ti­sche Projekte zwischen­ge­nutzt werden, die jetzt gepüt­zelten Gastro-Konzepten weichen müssen.

Der Umzug von der Lang­strasse ins Nieder­dorf ändert am Kund:innenstamm von Hotmail­hot­nail kaum etwas. Da sie nur auf Termin arbeiten würden, hätten sie nicht wirk­lich Laufkund:innenschaft. „Und über Insta­gram sind wir weiterhin mit allen verbunden, sie kommen alle auch am neuen Ort vorbei.“

Eine dauer­hafte Lösung für Hotmail­hot­nail bietet auch der neue Standort nicht: Schon Mitte Januar ist wieder Schluss, und wie es danach weiter­gehen wird, ist immer noch unklar.


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