„Wo wotsch susch-hi!?“, steht auf einem Schild links unter dem Hotel-Rothaus-Schriftzug auf der Fassade des Backsteingebäudes. Ein Wortspiel, das an die Sushi-Stube erinnert, die hier an der Langstrassenkreuzung bis Anfang dieses Jahres eingemietet war.
Das Schild blieb dort hängen, nachdem die Sushi-Stube ihr Geschäft aufgeben musste und ein Nagelstudio einzog: Hotmailhotnail.
Vielleicht bleibt das Schild noch eine Weile hängen – obwohl auch das Nagelstudio seinen Platz wieder räumen musste.
„Wo wollen wir sonst hin?“, fragen sich wohl auch die Betreiber:innen der Rothaus-Bar in diesen Tagen. Die WOZ machte kürzlich bekannt, dass die Gebrüder Meili, die auch in die Republik investieren, als Hauseigentümer den Vertrag mit den Pächter:innen nicht mehr verlängert haben. Das Magazin, das denn auch die grösste Mietpartei im Hotel Rothaus darstellt, wolle die Räumlichkeiten vermehrt selbst nutzen. Die Szene-Bar soll durch ein neues Gastro-Konzept ersetzt werden.
Mit der Rothaus-Bar verschwindet auch das untervermietete Nagelstudio Hotmailhotnail von der Langstrasse. Dieses war während der Pandemie zu einem Treffpunkt geworden, an dem trotz Lockdown ein Minimum an sozialer Intimität stattfinden konnte – mit Prosecco und ohne Konsumzwang.
Ein Intermezzo im Kreis 1
Weit weg, im Niederdorf, flanieren Passant:innen mit Shoppingtaschen bekannter Kleiderketten gemütlich über den Rindermarkt. Immer wieder bleiben einige von ihnen neugierig vor einem in buntes Neonlicht gehüllten Schaufenster stehen, um hineinzuspähen. Hier haben Yvee Nogara und Ivana Milenkovic soeben Hotmailhotnail neu eröffnet. Auf einen Instagram-Post habe sich das Familienunternehmen EnSoie bei ihnen gemeldet und ihnen den Raum zur Verfügung gestellt.
Sechs Personen sitzen an einem Tisch. Drei von ihnen putzen, schleifen, lackieren Fingernägel; die andern halten ihre Hände hin und trinken Espresso.
Während die Diskussion um den Auszug der Rothaus-Bar ohne grössere Auswirkungen verhallte, wurde der Wegzug von Hotmailhotnail gar nicht erst diskutiert. Auch weil die WOZ in ihrem Artikel nur das Aus der Szene-Bar thematisierte.
Yvee Nogara sitzt neben dem Arbeitstisch – den die Betreiberinnen wie fast alle Möbel im Studio mit der Hilfe eines Freundes selber gebaut haben – auf einem Schaukelstuhl, unter ihren Füssen liegt ein roter Flauschteppich. „Zwar war uns immer klar, dass wir vielleicht im Dezember gehen müssen“, erzählt sie. „Aber direkt gesagt hat uns das niemand.“
Überhaupt habe das Nagelstudio eigentlich kaum je direkten Kontakt zur Republik gehabt, sagt Yvee. „Die Kommunikation lief bei uns jeweils über das Team der Rothaus-Bar.“ Die Redaktion hätten sie vor allem tagsüber bei den Sitzungen in der Bar getroffen.
„Begrüsst und sogar beim Namen genannt haben sie uns erst, nachdem wir die Benachrichtigung über den Rauswurf erhalten hatten“, sagt Ivana Milenkovic. „Es hat die Redaktion schlicht nicht interessiert, was wir machen.“
Die Republik meint auf Anfrage, dass während einer Redaktionssitzung die Aufmerksamkeit der Teilnehmer:innen möglicherweise nicht bei weiteren Personen liegen würde, die die Bar durchqueren. Das geschehe jedoch „ohne böse Absicht“.
Schwierige Kommunikation
Verdrängt also ein Magazin, das sich gemeinhin als links-liberal versteht, zwei wichtige soziale Treffpunkte in der Stadt? Treibt die Republik die Gentrifizierung der Langstrasse aktiv mit an?
Die Republik habe sich im Sommer 2020 für den Verbleib im Rothaus entschieden, schreibt Constantin Seibt in einem Post gegenüber der Leser:innenschaft. Zu Beginn sei das Barteam am Tisch gesessen, aber nach Gesprächen habe sich herausgestellt, dass sie es beide nicht geschafft hätten, auf eine Wellenlänge zu kommen.
Die Rothaus-Bar wirft der Republik indes intransparente Kommunikation vor; Constantin Seibt schreibt, dass man sich nach den Gesprächen im Herbst eine langfristige, konstruktive Zusammenarbeit mit dem Barteam schwer vorstellen habe können.
In der Folge konnte sich die Rothaus-Bar zwar mit einem eigenen Konzept wieder bewerben. Sie bekamen eine Absage. „Mir ist wichtig, dass die Leute wissen, dass wir diesen Ort nicht einfach freiwillig aufgeben“, sagte einer der Betreiber:innen der Rothausbar gegenüber der WOZ.
Das ist auch der Republik nicht entgangen: Sie bedauere die schwierige Situation, in der sich das Barteam befinde, und das viel zu abrupte Ende einer eigentlich coolen Zeit.
Auf halbem Weg gentrifiziert
Ähnlich wie der Rothaus-Bar und Hotmailhotnail erging es 2015 dem Kunstraum Perla-Mode. Auch in diesem Fall musste einem Gastro-Konzept gewichen werden, als das Gebäude an der Ecke Brauer-/Langstrasse abgerissen und durch einen Neubau ersetzt wurde. Dort, wo früher experimentelle Kunst, Diskussionen und Ausstellungen stattfanden, kann jetzt im Hiltl überteuert vom Buffet gegessen werden.
Es liege in der Logik von Zwischennutzungen, dass sie irgendwann endeten, meinte Rolf Hiltl damals. Bei der Republik klingt das heute so: „Beim Thema für die langfristige Nutzung des Erdgeschosses haben wir offen gesagt, dass wir das Konzept der aktuellen Bar-Crew für wenig entgegenkommend halten.“
Für Hotmailhotnail hat der Verdrängungsprozess eine relativ erfreuliche, wenn auch privilegierte Wendung genommen.
Denn: Die meisten Geschäfte, die weggentrifiziert werden, erhalten kein Ladenlokal an einer noch exklusiveren Lage. Die ausländischen Arbeiter:innen in den unteren Einkommensschichten, die vor zwanzig Jahren noch an der Langstrasse gelebt und gearbeitet haben, sind längst weg. Das Medianeinkommen im Langstrassenquartier hat sich in den letzten zwanzig Jahren beinahe verdoppelt, während der Ausländer:innenanteil um mehr als 20 % zurückgegangen ist. Zudem gibt es eine deutliche Verschiebung bei der Altersgruppe. Die Generation der 20–29-Jährigen wurde durch ihre älteren Geschwister und Eltern verdrängt: 2019 waren rund 50 % der Anwohner:innen der grössten Partymeile in Zürich zwischen 30 und 49 Jahre alt.
Wer die Rothaus-Bar und Hotmailhotnail als Opfer einer Gentrifizierung im Kreis 4 sieht, hat zwar recht. Gleichzeitig waren die Zwischennutzungen auch immer bereits Teil des Verdrängungsprozesses: Ausländische Arbeiter:innen und ihre Läden sowie Student:innen wurden durch die immer weiter steigenden Bodenpreise vertrieben, die leeren Geschäftslokalitäten konnten durch meist junge, nicht migrantische Projekte zwischengenutzt werden, die jetzt gepützelten Gastro-Konzepten weichen müssen.
Der Umzug von der Langstrasse ins Niederdorf ändert am Kund:innenstamm von Hotmailhotnail kaum etwas. Da sie nur auf Termin arbeiten würden, hätten sie nicht wirklich Laufkund:innenschaft. „Und über Instagram sind wir weiterhin mit allen verbunden, sie kommen alle auch am neuen Ort vorbei.“
Eine dauerhafte Lösung für Hotmailhotnail bietet auch der neue Standort nicht: Schon Mitte Januar ist wieder Schluss, und wie es danach weitergehen wird, ist immer noch unklar.
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