Nein!
Das Ziel bleibt die Hoheit über die Produktion!
Timo Krstin
In den Neunzigerjahren rollte eine beispiellose Streikwelle über Teile Restjugoslawiens hinweg. Von der internationalen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, kämpften Arbeiter:innen im ganzen Land gegen das neoliberale Privatisierungsregime der Milošević-Ära, unter dem ihre Fabriken ausgeschlachtet und verscherbelt wurden.
«Ihre Fabriken» ist hier wörtlich zu verstehen, denn mindestens ideell befanden sich die meisten Betriebe zum Zeitpunkt ihrer Privatisierung noch in gesellschaftlichem Eigentum, in der Praxis vertreten vom Staat als Treuhänder.
Das Vorgehen bei der Privatisierung war immer dasselbe: Eine Fabrik wurde vom Staat, der sie im Namen der Arbeiter:innenklasse besass, an einen meist kriminellen sogenannten Tycoon verkauft und dann ausgeschlachtet. Der Tycoon nahm Kredite auf, schöpfte das Geld privat ab und verscherbelte am Ende Maschinen und anderes Inventar. Nach getanem Vernichtungswerk zog er weiter, die Fabrik blieb leer und verschuldet zurück.
Um die verzweifelten Arbeiter:innen ruhigzustellen, wurden viele der entkernten Fabriken in einer zombieartigen Existenz am Scheinleben gehalten. Die Produktion wurde eingestellt oder auf ein Minimum reduziert, die Arbeiter:innen blieben als De-facto-Arbeitslose angestellt und bekamen fürs Nichtstun eine finanzielle Entschädigung.
Was vom sozialistischen Traum selbstbestimmt die eigenen Produktionsmittel verwaltender Arbeiter:innen übrig blieb, war eine nicht mehr arbeitende Arbeiter:innenklasse mit einem kleinen Grundeinkommen – Alimentation statt selbstverwalteter Produktion.
Natürlich handelt es sich bei dieser Art von Weiterbezahlung trotz fehlender Arbeit nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen, wie es heute diskutiert wird. Trotzdem hilft das Beispiel der jugoslawischen Privatisierungen, einige Annahmen über das Grundeinkommen aus linker Perspektive zurechtzurücken.
Zuerst: Der politisch linke Klassenkampf ist ein Kampf um Kontrolle der Produktionsmittel – kein Kampf ums Geld. Die serbische Arbeiter:innenklasse war sehr mächtig – so lange, wie ihr über Betriebskollektive nicht nur ideologisch ein hohes Mitbestimmungsrecht zukam. Die Selbstverwaltung der Betriebe war essenzieller Bestandteil der sogenannten sozialistischen Marktwirtschaft in Jugoslawien und Grundlage der Macht arbeitender Menschen.
Nach Aufhebung der Selbstverwaltung Mitte der Achtzigerjahre blieb den Arbeiter:innen nur der Kampf um gerechte Entlohnung als politisches Machtinstrument.
Dementsprechend zielte die neoliberale Privatisierung in den Neunzigerjahren darauf ab, auch dieses Instrument zu zerstören. Die Idee «Macht durch Kontrolle der Produktion» wurde ersetzt durch die bürgerliche Ideologie vom Glück durch finanzielle Sicherheit. Das Milošević-Regime half, Arbeiter:innen zu alimentieren, bis ihr jeweiliger Betrieb vernichtet und ihre gesellschaftliche Macht gebrochen war.
Als Ersatz für den sozialistischen Traum hetzte es sie in einen gnadenlosen ethnischen Nationalismus. Milošević und seine Tycoons wurden dabei sehr reich, die linke Arbeiter:innenklasse zerstört und in eine aufs Nationale fixierte bürgerliche Klasse umgewandelt: nicht der einzige, aber unter materialistischer Prämisse sicher ein wichtiger Grund für die Kriege auf dem Balkan.
Das jugoslawische Beispiel zeigt, dass Löhne ein wichtiges Instrument im Klassenkampf sind. Nur sie können von der Arbeiter:innenklasse über Streiks erkämpft, verteidigt, erhöht werden. Mit Arbeitskämpfen über die Löhne zu bestimmen, ist vornehmes Recht der Arbeiter:innenklasse und Ausdruck einer gewissen Kontrolle über die Produktionsmittel – ausserdem ein Rest echter Arbeiter:innendemokratie.
Wandelt man Löhne, wie in Jugoslawien geschehen, in Bezahlung fürs Nichtstun um, geht die Macht über das Geld an den Staat oder den:die Fabrikbesitzer:in: an bürgerliche Institutionen, an eine starre Bürokratie oder einen despotischen Boss. Der Klassenkampf wird nicht ausgefochten, sondern auf Eis gelegt, während die gesellschaftlichen Verhältnisse unangetastet bleiben.
Unter diesem Aspekt bedeutet das bedingungslose Grundeinkommen lediglich die Entmachtung der Arbeiter:innenklasse, was mit hoher Wahrscheinlichkeit die Herrschaft rechter Kräfte zur Folge hat: neoliberal oder national – oder beides in einem, wie bei Milošević.
Jugoslawien ist dabei kein exotischer Sonderfall, sondern eher ein Brennglas. Die gleichen Probleme würden sich auch in der Schweiz und in anderen demokratisch stabileren Ländern zeigen. Nicht umsonst werden Forderungen nach dem bedingungslosen Grundeinkommen hierzulande oft von der bürgerlichen Klasse erhoben: von freien Künstler:innen, von Universitätsprofessor:innen oder Journalist:innen.
Gewerkschaften sind eher gezwungen, ihre Tarifhoheit gegen solche Forderungen zu verteidigen. So bemerkt zum Beispiel die deutsche IG Metall in einem Positionspapier zum bedingungslosen Grundeinkommen: «Das Modell würde Arbeitnehmer um ihre Rechte bringen. […] Welche Leistungen sie bekämen, würde davon abhängen, was die wechselnden politischen Entscheidungsträger gerade für richtig halten.»
Auf die Schweiz bezogen hiesse das: Essenzielle Entscheidungen über die Arbeiter:innenklasse würden ihrer Macht entzogen und an das sogenannte Stimmvolk delegiert. Hier unterlägen diese Entscheidungen dann den gewöhnlichen Mechanismen eines bürgerlichen Wahlkampfs. Arbeitskämpfe als genuin proletarische Machtäusserung wären dagegen einfach ausgeschaltet – wiederum ohne dass es zu einer Aufhebung der Klassengegensätze kommen konnte.
Dazu passt, dass mit dem kürzlich verstorbenen Götz Werner ausgerechnet ein Arbeitgeber wichtiger Agitator für das bedingungslose Grundeinkommen auf europäischer Ebene war. Götz Werner war ein grosser Humanist. Aber als Gründer der dm-Drogeriemarktkette war er auch überzeugter Kapitalist. Daraus hat er keinen Hehl gemacht. Im Gegenteil, auf Veranstaltungen hat er immer wieder darauf hingewiesen, dass das bedingungslose Grundeinkommen vielleicht (er war sich da nicht ganz sicher) eine sehr bürgerlich-kapitalistische Idee sei.
Ich würde ihm recht geben. Denn im Kern bedeutet das bedingungslose Grundeinkommen die endgültige Anerkennung eines bürgerlich-kapitalistischen Freiheitsbegriffs. Die proletarische Freiheit besteht im selbstbestimmten Arbeiten an Produktionsmitteln. Ausdruck eines Rests dieser Selbstbestimmung ist die Tarifhoheit. Die bürgerliche Freiheit dagegen ist Freizeit: Geld, damit ich mich um meine privaten Träume kümmern kann. Dass die gesellschaftliche Produktion weiterlaufen muss, interessiert dabei nicht.
Ein serbischer Streikführer namens Zdravko Deurić bringt das 2006 in einem Interview sehr genau auf den Punkt. Auch seine Fabrik Jugoremedija wurde an einen Tycoon verscherbelt. Käufer war der per internationalem Haftbefehl gesuchte Zigarettenschmuggler Jovica Stefanović, genannt Nini.
Deurić erzählt, wie er sich nach der Übernahme mit Nini trifft. Dieser macht ihm als Vertreter des Werkskollektivs folgendes Angebot: Du sorgst dafür, dass die Arbeiter:innen aufhören zu arbeiten, kriegst dafür eine Gehaltserhöhung und obendrauf noch einen Dienstwagen. Zdravko Deurić, ein selbstbewusster linker Arbeiterführer, lehnt mit den Worten ab: Wir wollen nicht dein Geld, wir wollen unseren Anteil an der Fabrik zurück.
Wer sich damals solidarisch zeigen wollte mit der Jugoremedija-Belegschaft, musste sich für ihre Rechte als Arbeiter:innen und Miteigentümer:innen der Fabrik einsetzen. Gewerkschaften aus ganz Europa, darunter auch die schweizerische Gewerkschaftsbewegung Giù le mani, taten dies und unterstützten den Kampf gegen den serbischen Staat und gegen Nini. Im Ergebnis schaffte es die Belegschaft, ihre Fabrik zurückzuerobern und erfolgreich in Selbstverwaltung weiterzuführen.
So sieht internationale Solidarität in der Arbeiter:innenklasse aus. Ein international geführter Kampf um das bedingungslose Grundeinkommen hätte den Arbeiter:innen von Jugoremedija dagegen gar nichts gebracht.
Also kein bedingungsloses Grundeinkommen – niemals?
Vielleicht doch, aber es darf nicht von der herrschenden Klasse benutzt werden, um Arbeitskämpfe zu verhindern. Bevor es eingeführt wird, muss klar sein, wer mit welchen Mitteln darüber bestimmt. Aus linker Perspektive kann das nur die Arbeiter:innenklasse sein. Wer das bedingungslose Grundeinkommen will, sollte daher aufhören darüber zu reden und sich wieder ernsthaft Gedanken machen, wie die Arbeiter:innenklasse an die Macht kommen kann.
Dass es auch heute noch Wege gibt, hat die kämpferische und unabhängige Belegschaft von Jugoremedija bewiesen. Dass sie später doch noch in die Knie gezwungen wurde – im Stich gelassen auch von der bürgerlichen Zivilgesellschaft der EU –, ist nur ein Beweis mehr, dass es noch einige Kämpfe auszufechten gilt, bevor die Arbeiter:innenklasse ihren Lohn selbstbestimmt in ein bedingungsloses Grundeinkommen umwandeln kann.
Ja!
Das Versprechen, dass Erwerbsarbeit Existenz sichert, ist gescheitert.
Maria-Theres Schuler
Mit überwältigender Mehrheit hat die Schweizer Stimmbevölkerung im Jahr 2016 die Einführung des Grundeinkommens abgelehnt. Einer der wohl wichtigsten Gründe dafür: die weitverbreitete Angst vor Faulheit. Denn die Vorstellung, dass die Schweiz ihren Wohlstand aufgrund des Fleisses und der Arbeitsmoral ihrer Bürger:innen erlangt habe und nicht durch illegitime Finanzflüsse, (post-)koloniale Produktionsverhältnisse oder Arbeitsmigration, ist tief im kollektiven Bewusstsein verankert.
«Der Grundstein unseres Wohlstands ist nicht faules Herumsitzen, sondern Arbeit», sagte Gemeinderat Samuel Balsiger (SVP) erst vor kurzem, als die städtische Initiative «Wissenschaftlicher Pilotversuch Grundeinkommen» Ende März im Stadtzürcher Parlament diskutiert wurde. Die Initiative wurde von einem bunten Komitee von der FDP-Politikerin bis zum SP-Gemeinderat ins Leben gerufen. Ihr Ziel: das Grundeinkommen ergebnisoffen zu testen und wissenschaftlich auszuwerten.
Wissenschaftliche Fakten gibt es eigentlich bereits viele – von Namibia über Finnland bis Brasilien. Ob es sich dabei um zeitlich begrenzte staatliche Grundeinkommens-Experimente oder langfristige Bargeldtransferprogramme von NGOs handelt: Eine Auswertung von 165 Studien im Journal of Social Policy bestätigt die positiven Wirkungen von regelmässigen Geldtransfers auf Bildung, Gesundheit, Empowerment oder Arbeit.
Jedoch wurden die diversen Experimente kaum je längerfristig aufrechterhalten. Denn die Rhetorik um Faulheit ist nicht nur in der Schweiz relevant, sondern findet überall auf der Welt Widerhall. In Südafrika etwa, wo das Grundeinkommen seit 2002 intensiv diskutiert wird, klingt der Diskurs verblüffend ähnlich: Ex-Präsident Jacob Zuma sagte 2015, die untätige Jugend solle besser arbeiten, statt herumzusitzen und um staatliche Almosen zu bitten.
In der Schweiz soll mit lokalen Pilotprojekten das Grundeinkommen getestet werden. Die erste städtische Initiative “Wissenschaftlicher Pilotversuch Grundeinkommen” wurde im Mai 2021 der Zürcher Stadtregierung überreicht. Stadt- und Gemeinderat haben sich gegen die Initiative ausgesprochen; nun werden die Stimmbürger*innen darüber entscheiden können. Laut Initiativtext sollen während drei Jahren 1000 Personen in der Stadt Zürich ein Grundeinkommen erhalten. Der Betrag sowie die genauen Rahmenbedingungen werden in Zusammenarbeit mit Universitäten erarbeitet, die sich für die wissenschaftliche Durchführung des Pilotprojektes bewerben können.
Im November 2021 wurde in der Stadt Bern eine parlamentarische Initiative für einen wissenschaftlichen Pilotversuch zum Grundeinkommen eingereicht, in Luzern wurde im März 2022 eine dritte Initiative dem Stadtrat übergeben.
Um diese Abneigung gegenüber vermeintlicher Arbeitsscheu einzuordnen, lohnt sich ein Blick zurück: Arbeit entwickelte sich vor allem während des Kolonialismus zu einem zentralen Wert, um den herum Selbstpositionierung und Abgrenzung gegenüber anderen funktionierte, wie die Historikerin Marina Lienhard 2015 erforscht hat. Indem Faulheit und Ineffizienz besonders von Afrikaner:innen der Tüchtigkeit und dem Fleiss von Schweizer:innen gegenübergestellt wurden, konnte die eigene moralische Überlegenheit konstituiert und damit die Präsenz in Kolonien gerechtfertigt werden. Diese kolonialen Denkmuster spielten auch während der italienischen Arbeitsmigration in die Schweiz eine wichtige Rolle und haben sich im Bild der «faulen Sozialhilfeempfänger:innen» manifestiert.
Der Anreiz zur Erwerbsarbeit wird gemeinhin darin verstanden, dass sie Existenz sichert. Sowohl für das Individuum als auch für gesellschaftlichen Wohlstand, wie ein Bericht des Stadtzürcher Sozialdepartements als Beitrag zur Grundeinkommensdiskussion erst kürzlich bekräftigte. Dies gilt auch weltweit: «Gute Arbeitsplätze sind der sicherste Weg aus der Armut», argumentiert etwa die Weltbank. Wie absurd diese so verbreitete Vorstellung eigentlich ist, zeigt ein Blick in globale Arbeitsrealitäten.
Laut der International Labour Organization (ILO) arbeiten 50 Prozent der Weltbevölkerung in einem «nicht standardisierten» Arbeitsverhältnis. Das heisst, sie haben weder einen festen Job, noch beschäftigen sie andere. Im subsaharischen Afrika und in Südasien sind es gar um die 80 Prozent der Menschen, die durch Gelegenheitsjobs oder informellen Kleinhandel über die Runden kommen. Viele dieser Menschen greifen aber auch auf Geldüberweisungen zurück, die emigrierte Familienmitglieder via Western Union schicken, profitieren von Zuwendungen durch NGOs und zunehmend von staatlichen Sozialleistungen.
Obwohl dieser «Nicht-Standard» in vielen Weltregionen Standard ist, wie die Ethnolog:innen James Ferguson und Tania Murray Li bemerken, gilt Lohnarbeit weiterhin als universelle Lösung eines weltweiten Entwicklungsprozesses. Alle Politiker:innen versprechen Arbeitsplätze, obwohl in einem Land wie Südafrika selbst bei optimistischsten Wachstumsprognosen nicht genügend Arbeitsplätze geschaffen werden können. Einem Bericht der United Nations Conference on Trade and Development zufolge ist der Verlust der Arbeitsplätze durch Automatisierung im globalen Süden gar viel grösser als andernorts auf der Welt. So könnten etwa zwei Drittel der Arbeitsplätze in naher Zukunft verloren gehen.
Kurz gesagt: Die Kolonialisierung zwang die Menschen als billige Arbeitskräfte in Plantagen und Minen in den kapitalistischen Arbeitsmarkt; die neoliberale Weltordnung spuckt sie nun durch steigende Arbeitslosigkeit und Prekarisierung wieder aus. Während die (Entwicklungs-)Politik ihnen immer noch Arbeitsplätze verspricht.
Vor diesem Hintergrund ist es enorm wichtig, dass Befürworter:innen des Grundeinkommens das gängige Verständnis von Arbeit herausfordern und sich für deren Neugestaltung einsetzen – sei es mittels Arbeitszeitreduktion oder einer radikalen Umverteilung und Neubewertung von gesellschaftlich notwendiger (Care-)Arbeit. Genauso wichtig ist die Kritik an neoliberalen Vorstellungen des Grundeinkommens, für das sich etwa der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Thomas Straubhaar starkmacht. Denn dieses würde mit einer Abschaffung der Sozialsysteme einhergehen und gleichzeitig einen Betrag nur knapp am Existenzminimum beinhalten.
Die linke Kritik am Grundeinkommen hingegen, dass Arbeit und Produktion nicht entkoppelt werden dürften, hat global gesehen wenig Relevanz. Gewerkschaftlich organisierte Gruppen argumentieren beispielsweise, dass damit die wichtigen Arbeitskämpfe um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen stillgelegt würden. Doch auch hier zeigt ein Blick über den eigenen Tellerrand hinaus: Ein Arbeitsverhältnis ist keineswegs die einzige Möglichkeit für Klassenkampf.
Im südlichen Afrika etwa, gerade in rohstoffreichen Ländern, fordern Bürger:innen, dass der Ausbau von staatlichen Sozialleistungen oder temporäre humanitäre Unterstützung nicht mehr als Hilfe, sondern als dauerhafter rechtmässiger Anteil an den Reichtümern dieser Erde verstanden werden. Solche Forderungen zielen auf eine viel radikalere Umverteilung von Wohlstand ab als die Argumente aus Teilen der Linken, die die historisch erkämpften Sozialleistungen bewahren wollen und sich deswegen gegen die Einführung eines Grundeinkommens stellen.
Dabei wäre eine solche Umverteilung eine Frage der Prioritäten. Die ILO hat ausgerechnet, dass mit 0,3 Prozent des Betrags, mit dem die G20-Regierungen im Jahr 2009 die Rettung des Finanzsektors angekündigt hatten, das Grundeinkommen in Ländern mit niedrigem Einkommen über 30 Mal realisiert werden könnte. Dass sich die Diskussionen hierzulande hingegen viel öfter um Selbstverwirklichung anstatt Armutsbekämpfung drehen, zeigt, wie sehr die rassifizierte globale Ungleichheit in unserer Gesellschaft normalisiert ist.
Nichtsdestotrotz kann durch Vorhaben wie die Pilotprojekte zum Grundeinkommen ein gesellschaftlich notwendiges Umdenken angestossen werden. Wenn ein paar Tausend Personen in Schweizer Städten das Grundeinkommen erhalten, während anderen dabei nichts weggenommen wird, könnte dies der Angst entgegenwirken, wonach es nicht für alle genug hat. Und es könnte Raum für die wichtige Frage geschaffen werden: nicht ob, sondern wie wir das bedingungslose Grundeinkommen auf einem Kontinuum von Möglichkeiten fair umsetzen.
Transparenzhinweis: Die Autorin des JA!-Teils ist Mitglied des Zürcher Initiativ-Komitees «Wissenschaftlicher Pilotversuch Grundeinkommen».
Nein!
Das Ziel bleibt die Hoheit über die Produktion!
Timo Krstin
In den Neunzigerjahren rollte eine beispiellose Streikwelle über Teile Restjugoslawiens hinweg. Von der internationalen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, kämpften Arbeiter:innen im ganzen Land gegen das neoliberale Privatisierungsregime der Milošević-Ära, unter dem ihre Fabriken ausgeschlachtet und verscherbelt wurden.
«Ihre Fabriken» ist hier wörtlich zu verstehen, denn mindestens ideell befanden sich die meisten Betriebe zum Zeitpunkt ihrer Privatisierung noch in gesellschaftlichem Eigentum, in der Praxis vertreten vom Staat als Treuhänder.
Das Vorgehen bei der Privatisierung war immer dasselbe: Eine Fabrik wurde vom Staat, der sie im Namen der Arbeiter:innenklasse besass, an einen meist kriminellen sogenannten Tycoon verkauft und dann ausgeschlachtet. Der Tycoon nahm Kredite auf, schöpfte das Geld privat ab und verscherbelte am Ende Maschinen und anderes Inventar. Nach getanem Vernichtungswerk zog er weiter, die Fabrik blieb leer und verschuldet zurück.
Ja!
Das Versprechen, dass Erwerbsarbeit Existenz sichert, ist gescheitert.
Maria-Theres Schuler
Mit überwältigender Mehrheit hat die Schweizer Stimmbevölkerung im Jahr 2016 die Einführung des Grundeinkommens abgelehnt. Einer der wohl wichtigsten Gründe dafür: die weitverbreitete Angst vor Faulheit. Denn die Vorstellung, dass die Schweiz ihren Wohlstand aufgrund des Fleisses und der Arbeitsmoral ihrer Bürger:innen erlangt habe und nicht durch illegitime Finanzflüsse, (post-)koloniale Produktionsverhältnisse oder Arbeitsmigration, ist tief im kollektiven Bewusstsein verankert.
«Der Grundstein unseres Wohlstands ist nicht faules Herumsitzen, sondern Arbeit», sagte Gemeinderat Samuel Balsiger (SVP) erst vor kurzem, als die städtische Initiative «Wissenschaftlicher Pilotversuch Grundeinkommen» Ende März im Stadtzürcher Parlament diskutiert wurde. Die Initiative wurde von einem bunten Komitee von der FDP-Politikerin bis zum SP-Gemeinderat ins Leben gerufen. Ihr Ziel: das Grundeinkommen ergebnisoffen zu testen und wissenschaftlich auszuwerten.
Um die verzweifelten Arbeiter:innen ruhigzustellen, wurden viele der entkernten Fabriken in einer zombieartigen Existenz am Scheinleben gehalten. Die Produktion wurde eingestellt oder auf ein Minimum reduziert, die Arbeiter:innen blieben als De-facto-Arbeitslose angestellt und bekamen fürs Nichtstun eine finanzielle Entschädigung.
Was vom sozialistischen Traum selbstbestimmt die eigenen Produktionsmittel verwaltender Arbeiter:innen übrig blieb, war eine nicht mehr arbeitende Arbeiter:innenklasse mit einem kleinen Grundeinkommen – Alimentation statt selbstverwalteter Produktion.
Natürlich handelt es sich bei dieser Art von Weiterbezahlung trotz fehlender Arbeit nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen, wie es heute diskutiert wird. Trotzdem hilft das Beispiel der jugoslawischen Privatisierungen, einige Annahmen über das Grundeinkommen aus linker Perspektive zurechtzurücken.
Zuerst: Der politisch linke Klassenkampf ist ein Kampf um Kontrolle der Produktionsmittel – kein Kampf ums Geld. Die serbische Arbeiter:innenklasse war sehr mächtig – so lange, wie ihr über Betriebskollektive nicht nur ideologisch ein hohes Mitbestimmungsrecht zukam. Die Selbstverwaltung der Betriebe war essenzieller Bestandteil der sogenannten sozialistischen Marktwirtschaft in Jugoslawien und Grundlage der Macht arbeitender Menschen.
Nach Aufhebung der Selbstverwaltung Mitte der Achtzigerjahre blieb den Arbeiter:innen nur der Kampf um gerechte Entlohnung als politisches Machtinstrument.
Dementsprechend zielte die neoliberale Privatisierung in den Neunzigerjahren darauf ab, auch dieses Instrument zu zerstören. Die Idee «Macht durch Kontrolle der Produktion» wurde ersetzt durch die bürgerliche Ideologie vom Glück durch finanzielle Sicherheit. Das Milošević-Regime half, Arbeiter:innen zu alimentieren, bis ihr jeweiliger Betrieb vernichtet und ihre gesellschaftliche Macht gebrochen war.
Als Ersatz für den sozialistischen Traum hetzte es sie in einen gnadenlosen ethnischen Nationalismus. Milošević und seine Tycoons wurden dabei sehr reich, die linke Arbeiter:innenklasse zerstört und in eine aufs Nationale fixierte bürgerliche Klasse umgewandelt: nicht der einzige, aber unter materialistischer Prämisse sicher ein wichtiger Grund für die Kriege auf dem Balkan.
Das jugoslawische Beispiel zeigt, dass Löhne ein wichtiges Instrument im Klassenkampf sind. Nur sie können von der Arbeiter:innenklasse über Streiks erkämpft, verteidigt, erhöht werden. Mit Arbeitskämpfen über die Löhne zu bestimmen, ist vornehmes Recht der Arbeiter:innenklasse und Ausdruck einer gewissen Kontrolle über die Produktionsmittel – ausserdem ein Rest echter Arbeiter:innendemokratie.
Wandelt man Löhne, wie in Jugoslawien geschehen, in Bezahlung fürs Nichtstun um, geht die Macht über das Geld an den Staat oder den:die Fabrikbesitzer:in: an bürgerliche Institutionen, an eine starre Bürokratie oder einen despotischen Boss. Der Klassenkampf wird nicht ausgefochten, sondern auf Eis gelegt, während die gesellschaftlichen Verhältnisse unangetastet bleiben.
Unter diesem Aspekt bedeutet das bedingungslose Grundeinkommen lediglich die Entmachtung der Arbeiter:innenklasse, was mit hoher Wahrscheinlichkeit die Herrschaft rechter Kräfte zur Folge hat: neoliberal oder national – oder beides in einem, wie bei Milošević.
Jugoslawien ist dabei kein exotischer Sonderfall, sondern eher ein Brennglas. Die gleichen Probleme würden sich auch in der Schweiz und in anderen demokratisch stabileren Ländern zeigen. Nicht umsonst werden Forderungen nach dem bedingungslosen Grundeinkommen hierzulande oft von der bürgerlichen Klasse erhoben: von freien Künstler:innen, von Universitätsprofessor:innen oder Journalist:innen.
Gewerkschaften sind eher gezwungen, ihre Tarifhoheit gegen solche Forderungen zu verteidigen. So bemerkt zum Beispiel die deutsche IG Metall in einem Positionspapier zum bedingungslosen Grundeinkommen: «Das Modell würde Arbeitnehmer um ihre Rechte bringen. […] Welche Leistungen sie bekämen, würde davon abhängen, was die wechselnden politischen Entscheidungsträger gerade für richtig halten.»
Auf die Schweiz bezogen hiesse das: Essenzielle Entscheidungen über die Arbeiter:innenklasse würden ihrer Macht entzogen und an das sogenannte Stimmvolk delegiert. Hier unterlägen diese Entscheidungen dann den gewöhnlichen Mechanismen eines bürgerlichen Wahlkampfs. Arbeitskämpfe als genuin proletarische Machtäusserung wären dagegen einfach ausgeschaltet – wiederum ohne dass es zu einer Aufhebung der Klassengegensätze kommen konnte.
Dazu passt, dass mit dem kürzlich verstorbenen Götz Werner ausgerechnet ein Arbeitgeber wichtiger Agitator für das bedingungslose Grundeinkommen auf europäischer Ebene war. Götz Werner war ein grosser Humanist. Aber als Gründer der dm-Drogeriemarktkette war er auch überzeugter Kapitalist. Daraus hat er keinen Hehl gemacht. Im Gegenteil, auf Veranstaltungen hat er immer wieder darauf hingewiesen, dass das bedingungslose Grundeinkommen vielleicht (er war sich da nicht ganz sicher) eine sehr bürgerlich-kapitalistische Idee sei.
Ich würde ihm recht geben. Denn im Kern bedeutet das bedingungslose Grundeinkommen die endgültige Anerkennung eines bürgerlich-kapitalistischen Freiheitsbegriffs. Die proletarische Freiheit besteht im selbstbestimmten Arbeiten an Produktionsmitteln. Ausdruck eines Rests dieser Selbstbestimmung ist die Tarifhoheit. Die bürgerliche Freiheit dagegen ist Freizeit: Geld, damit ich mich um meine privaten Träume kümmern kann. Dass die gesellschaftliche Produktion weiterlaufen muss, interessiert dabei nicht.
Ein serbischer Streikführer namens Zdravko Deurić bringt das 2006 in einem Interview sehr genau auf den Punkt. Auch seine Fabrik Jugoremedija wurde an einen Tycoon verscherbelt. Käufer war der per internationalem Haftbefehl gesuchte Zigarettenschmuggler Jovica Stefanović, genannt Nini.
Deurić erzählt, wie er sich nach der Übernahme mit Nini trifft. Dieser macht ihm als Vertreter des Werkskollektivs folgendes Angebot: Du sorgst dafür, dass die Arbeiter:innen aufhören zu arbeiten, kriegst dafür eine Gehaltserhöhung und obendrauf noch einen Dienstwagen. Zdravko Deurić, ein selbstbewusster linker Arbeiterführer, lehnt mit den Worten ab: Wir wollen nicht dein Geld, wir wollen unseren Anteil an der Fabrik zurück.
Wer sich damals solidarisch zeigen wollte mit der Jugoremedija-Belegschaft, musste sich für ihre Rechte als Arbeiter:innen und Miteigentümer:innen der Fabrik einsetzen. Gewerkschaften aus ganz Europa, darunter auch die schweizerische Gewerkschaftsbewegung Giù le mani, taten dies und unterstützten den Kampf gegen den serbischen Staat und gegen Nini. Im Ergebnis schaffte es die Belegschaft, ihre Fabrik zurückzuerobern und erfolgreich in Selbstverwaltung weiterzuführen.
So sieht internationale Solidarität in der Arbeiter:innenklasse aus. Ein international geführter Kampf um das bedingungslose Grundeinkommen hätte den Arbeiter:innen von Jugoremedija dagegen gar nichts gebracht.
Also kein bedingungsloses Grundeinkommen – niemals?
Vielleicht doch, aber es darf nicht von der herrschenden Klasse benutzt werden, um Arbeitskämpfe zu verhindern. Bevor es eingeführt wird, muss klar sein, wer mit welchen Mitteln darüber bestimmt. Aus linker Perspektive kann das nur die Arbeiter:innenklasse sein. Wer das bedingungslose Grundeinkommen will, sollte daher aufhören darüber zu reden und sich wieder ernsthaft Gedanken machen, wie die Arbeiter:innenklasse an die Macht kommen kann.
Dass es auch heute noch Wege gibt, hat die kämpferische und unabhängige Belegschaft von Jugoremedija bewiesen. Dass sie später doch noch in die Knie gezwungen wurde – im Stich gelassen auch von der bürgerlichen Zivilgesellschaft der EU –, ist nur ein Beweis mehr, dass es noch einige Kämpfe auszufechten gilt, bevor die Arbeiter:innenklasse ihren Lohn selbstbestimmt in ein bedingungsloses Grundeinkommen umwandeln kann.
Wissenschaftliche Fakten gibt es eigentlich bereits viele – von Namibia über Finnland bis Brasilien. Ob es sich dabei um zeitlich begrenzte staatliche Grundeinkommens-Experimente oder langfristige Bargeldtransferprogramme von NGOs handelt: Eine Auswertung von 165 Studien im Journal of Social Policy bestätigt die positiven Wirkungen von regelmässigen Geldtransfers auf Bildung, Gesundheit, Empowerment oder Arbeit.
Jedoch wurden die diversen Experimente kaum je längerfristig aufrechterhalten. Denn die Rhetorik um Faulheit ist nicht nur in der Schweiz relevant, sondern findet überall auf der Welt Widerhall. In Südafrika etwa, wo das Grundeinkommen seit 2002 intensiv diskutiert wird, klingt der Diskurs verblüffend ähnlich: Ex-Präsident Jacob Zuma sagte 2015, die untätige Jugend solle besser arbeiten, statt herumzusitzen und um staatliche Almosen zu bitten.
In der Schweiz soll mit lokalen Pilotprojekten das Grundeinkommen getestet werden. Die erste städtische Initiative “Wissenschaftlicher Pilotversuch Grundeinkommen” wurde im Mai 2021 der Zürcher Stadtregierung überreicht. Stadt- und Gemeinderat haben sich gegen die Initiative ausgesprochen; nun werden die Stimmbürger*innen darüber entscheiden können. Laut Initiativtext sollen während drei Jahren 1000 Personen in der Stadt Zürich ein Grundeinkommen erhalten. Der Betrag sowie die genauen Rahmenbedingungen werden in Zusammenarbeit mit Universitäten erarbeitet, die sich für die wissenschaftliche Durchführung des Pilotprojektes bewerben können.
Im November 2021 wurde in der Stadt Bern eine parlamentarische Initiative für einen wissenschaftlichen Pilotversuch zum Grundeinkommen eingereicht, in Luzern wurde im März 2022 eine dritte Initiative dem Stadtrat übergeben.
Um diese Abneigung gegenüber vermeintlicher Arbeitsscheu einzuordnen, lohnt sich ein Blick zurück: Arbeit entwickelte sich vor allem während des Kolonialismus zu einem zentralen Wert, um den herum Selbstpositionierung und Abgrenzung gegenüber anderen funktionierte, wie die Historikerin Marina Lienhard 2015 erforscht hat. Indem Faulheit und Ineffizienz besonders von Afrikaner:innen der Tüchtigkeit und dem Fleiss von Schweizer:innen gegenübergestellt wurden, konnte die eigene moralische Überlegenheit konstituiert und damit die Präsenz in Kolonien gerechtfertigt werden. Diese kolonialen Denkmuster spielten auch während der italienischen Arbeitsmigration in die Schweiz eine wichtige Rolle und haben sich im Bild der «faulen Sozialhilfeempfänger:innen» manifestiert.
Der Anreiz zur Erwerbsarbeit wird gemeinhin darin verstanden, dass sie Existenz sichert. Sowohl für das Individuum als auch für gesellschaftlichen Wohlstand, wie ein Bericht des Stadtzürcher Sozialdepartements als Beitrag zur Grundeinkommensdiskussion erst kürzlich bekräftigte. Dies gilt auch weltweit: «Gute Arbeitsplätze sind der sicherste Weg aus der Armut», argumentiert etwa die Weltbank. Wie absurd diese so verbreitete Vorstellung eigentlich ist, zeigt ein Blick in globale Arbeitsrealitäten.
Laut der International Labour Organization (ILO) arbeiten 50 Prozent der Weltbevölkerung in einem «nicht standardisierten» Arbeitsverhältnis. Das heisst, sie haben weder einen festen Job, noch beschäftigen sie andere. Im subsaharischen Afrika und in Südasien sind es gar um die 80 Prozent der Menschen, die durch Gelegenheitsjobs oder informellen Kleinhandel über die Runden kommen. Viele dieser Menschen greifen aber auch auf Geldüberweisungen zurück, die emigrierte Familienmitglieder via Western Union schicken, profitieren von Zuwendungen durch NGOs und zunehmend von staatlichen Sozialleistungen.
Obwohl dieser «Nicht-Standard» in vielen Weltregionen Standard ist, wie die Ethnolog:innen James Ferguson und Tania Murray Li bemerken, gilt Lohnarbeit weiterhin als universelle Lösung eines weltweiten Entwicklungsprozesses. Alle Politiker:innen versprechen Arbeitsplätze, obwohl in einem Land wie Südafrika selbst bei optimistischsten Wachstumsprognosen nicht genügend Arbeitsplätze geschaffen werden können. Einem Bericht der United Nations Conference on Trade and Development zufolge ist der Verlust der Arbeitsplätze durch Automatisierung im globalen Süden gar viel grösser als andernorts auf der Welt. So könnten etwa zwei Drittel der Arbeitsplätze in naher Zukunft verloren gehen.
Kurz gesagt: Die Kolonialisierung zwang die Menschen als billige Arbeitskräfte in Plantagen und Minen in den kapitalistischen Arbeitsmarkt; die neoliberale Weltordnung spuckt sie nun durch steigende Arbeitslosigkeit und Prekarisierung wieder aus. Während die (Entwicklungs-)Politik ihnen immer noch Arbeitsplätze verspricht.
Vor diesem Hintergrund ist es enorm wichtig, dass Befürworter:innen des Grundeinkommens das gängige Verständnis von Arbeit herausfordern und sich für deren Neugestaltung einsetzen – sei es mittels Arbeitszeitreduktion oder einer radikalen Umverteilung und Neubewertung von gesellschaftlich notwendiger (Care-)Arbeit. Genauso wichtig ist die Kritik an neoliberalen Vorstellungen des Grundeinkommens, für das sich etwa der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Thomas Straubhaar starkmacht. Denn dieses würde mit einer Abschaffung der Sozialsysteme einhergehen und gleichzeitig einen Betrag nur knapp am Existenzminimum beinhalten.
Die linke Kritik am Grundeinkommen hingegen, dass Arbeit und Produktion nicht entkoppelt werden dürften, hat global gesehen wenig Relevanz. Gewerkschaftlich organisierte Gruppen argumentieren beispielsweise, dass damit die wichtigen Arbeitskämpfe um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen stillgelegt würden. Doch auch hier zeigt ein Blick über den eigenen Tellerrand hinaus: Ein Arbeitsverhältnis ist keineswegs die einzige Möglichkeit für Klassenkampf.
Im südlichen Afrika etwa, gerade in rohstoffreichen Ländern, fordern Bürger:innen, dass der Ausbau von staatlichen Sozialleistungen oder temporäre humanitäre Unterstützung nicht mehr als Hilfe, sondern als dauerhafter rechtmässiger Anteil an den Reichtümern dieser Erde verstanden werden. Solche Forderungen zielen auf eine viel radikalere Umverteilung von Wohlstand ab als die Argumente aus Teilen der Linken, die die historisch erkämpften Sozialleistungen bewahren wollen und sich deswegen gegen die Einführung eines Grundeinkommens stellen.
Dabei wäre eine solche Umverteilung eine Frage der Prioritäten. Die ILO hat ausgerechnet, dass mit 0,3 Prozent des Betrags, mit dem die G20-Regierungen im Jahr 2009 die Rettung des Finanzsektors angekündigt hatten, das Grundeinkommen in Ländern mit niedrigem Einkommen über 30 Mal realisiert werden könnte. Dass sich die Diskussionen hierzulande hingegen viel öfter um Selbstverwirklichung anstatt Armutsbekämpfung drehen, zeigt, wie sehr die rassifizierte globale Ungleichheit in unserer Gesellschaft normalisiert ist.
Nichtsdestotrotz kann durch Vorhaben wie die Pilotprojekte zum Grundeinkommen ein gesellschaftlich notwendiges Umdenken angestossen werden. Wenn ein paar Tausend Personen in Schweizer Städten das Grundeinkommen erhalten, während anderen dabei nichts weggenommen wird, könnte dies der Angst entgegenwirken, wonach es nicht für alle genug hat. Und es könnte Raum für die wichtige Frage geschaffen werden: nicht ob, sondern wie wir das bedingungslose Grundeinkommen auf einem Kontinuum von Möglichkeiten fair umsetzen.
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