Ist das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen die Zukunft?

Das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen sei die Antwort auf die wirt­schaft­li­chen, ökolo­gi­schen und sozialen Heraus­for­de­rungen unserer Zeit, meinen viele. Andere sagen: Wenn Arbeit und Produk­tion entkop­pelt werden, unter­mi­niert dies den Klas­sen­kampf. Eine Frage, zwei Autor:innen, zwei Meinungen. 
Soll der Kuchen einfach verteilt werden, oder ist es auch wichtig, wer über die Verteilung bestimmt? (Illustration: Stefanie Lechthaler @steffischtrub)

Nein!

Das Ziel bleibt die Hoheit über die Produk­tion!

Timo Krstin

In den Neun­zi­ger­jahren rollte eine beispiel­lose Streik­welle über Teile Rest­ju­go­sla­wiens hinweg. Von der inter­na­tio­nalen Öffent­lich­keit kaum wahr­ge­nommen, kämpften Arbeiter:innen im ganzen Land gegen das neoli­be­rale Priva­ti­sie­rungs­re­gime der Milošević-Ära, unter dem ihre Fabriken ausge­schlachtet und verscher­belt wurden.

«Ihre Fabriken» ist hier wört­lich zu verstehen, denn minde­stens ideell befanden sich die meisten Betriebe zum Zeit­punkt ihrer Priva­ti­sie­rung noch in gesell­schaft­li­chem Eigentum, in der Praxis vertreten vom Staat als Treuhänder.

Das Vorgehen bei der Priva­ti­sie­rung war immer dasselbe: Eine Fabrik wurde vom Staat, der sie im Namen der Arbeiter:innenklasse besass, an einen meist krimi­nellen soge­nannten Tycoon verkauft und dann ausge­schlachtet. Der Tycoon nahm Kredite auf, schöpfte das Geld privat ab und verscher­belte am Ende Maschinen und anderes Inventar. Nach getanem Vernich­tungs­werk zog er weiter, die Fabrik blieb leer und verschuldet zurück.

Dieser Text erschien zuerst in einer gemein­samen Ausgabe von das Lamm und dem Kultur­ma­gazin 041.

Um die verzwei­felten Arbeiter:innen ruhig­zu­stellen, wurden viele der entkernten Fabriken in einer zombie­ar­tigen Existenz am Schein­leben gehalten. Die Produk­tion wurde einge­stellt oder auf ein Minimum redu­ziert, die Arbeiter:innen blieben als De-facto-Arbeits­lose ange­stellt und bekamen fürs Nichtstun eine finan­zi­elle Entschädigung.

Was vom sozia­li­sti­schen Traum selbst­be­stimmt die eigenen Produk­ti­ons­mittel verwal­tender Arbeiter:innen übrig blieb, war eine nicht mehr arbei­tende Arbeiter:innenklasse mit einem kleinen Grund­ein­kommen – Alimen­ta­tion statt selbst­ver­wal­teter Produktion.

Natür­lich handelt es sich bei dieser Art von Weiter­be­zah­lung trotz fehlender Arbeit nicht um ein bedin­gungs­loses Grund­ein­kommen, wie es heute disku­tiert wird. Trotzdem hilft das Beispiel der jugo­sla­wi­schen Priva­ti­sie­rungen, einige Annahmen über das Grund­ein­kommen aus linker Perspek­tive zurechtzurücken.

Zuerst: Der poli­tisch linke Klas­sen­kampf ist ein Kampf um Kontrolle der Produk­ti­ons­mittel – kein Kampf ums Geld. Die serbi­sche Arbeiter:innenklasse war sehr mächtig – so lange, wie ihr über Betriebs­kol­lek­tive nicht nur ideo­lo­gisch ein hohes Mitbe­stim­mungs­recht zukam. Die Selbst­ver­wal­tung der Betriebe war essen­zi­eller Bestand­teil der soge­nannten sozia­li­sti­schen Markt­wirt­schaft in Jugo­sla­wien und Grund­lage der Macht arbei­tender Menschen.

„Der poli­tisch linke Klas­sen­kampf ist ein Kampf um Kontrolle der Produk­ti­ons­mittel – kein Kampf ums Geld.“

Timo Krstin

Nach Aufhe­bung der Selbst­ver­wal­tung Mitte der Acht­zi­ger­jahre blieb den Arbeiter:innen nur der Kampf um gerechte Entloh­nung als poli­ti­sches Machtinstrument.

Dementspre­chend zielte die neoli­be­rale Priva­ti­sie­rung in den Neun­zi­ger­jahren darauf ab, auch dieses Instru­ment zu zerstören. Die Idee «Macht durch Kontrolle der Produk­tion» wurde ersetzt durch die bürger­liche Ideo­logie vom Glück durch finan­zi­elle Sicher­heit. Das Milošević-Regime half, Arbeiter:innen zu alimen­tieren, bis ihr jewei­liger Betrieb vernichtet und ihre gesell­schaft­liche Macht gebro­chen war.

Als Ersatz für den sozia­li­sti­schen Traum hetzte es sie in einen gnaden­losen ethni­schen Natio­na­lismus. Milošević und seine Tycoons wurden dabei sehr reich, die linke Arbeiter:innenklasse zerstört und in eine aufs Natio­nale fixierte bürger­liche Klasse umge­wan­delt: nicht der einzige, aber unter mate­ria­li­sti­scher Prämisse sicher ein wich­tiger Grund für die Kriege auf dem Balkan.

Das jugo­sla­wi­sche Beispiel zeigt, dass Löhne ein wich­tiges Instru­ment im Klas­sen­kampf sind. Nur sie können von der Arbeiter:innenklasse über Streiks erkämpft, vertei­digt, erhöht werden. Mit Arbeits­kämpfen über die Löhne zu bestimmen, ist vornehmes Recht der Arbeiter:innenklasse und Ausdruck einer gewissen Kontrolle über die Produk­ti­ons­mittel – ausserdem ein Rest echter Arbeiter:innendemokratie.

„Mit Arbeits­kämpfen über die Löhne zu bestimmen, ist vornehmes Recht der Arbeiter:innenklasse und Ausdruck einer gewissen Kontrolle über die Produk­ti­ons­mittel – ausserdem ein Rest echter Arbeiter:innen- demokratie.“

Timo Krstin

Wandelt man Löhne, wie in Jugo­sla­wien geschehen, in Bezah­lung fürs Nichtstun um, geht die Macht über das Geld an den Staat oder den:die Fabrikbesitzer:in: an bürger­liche Insti­tu­tionen, an eine starre Büro­kratie oder einen despo­ti­schen Boss. Der Klas­sen­kampf wird nicht ausge­fochten, sondern auf Eis gelegt, während die gesell­schaft­li­chen Verhält­nisse unan­ge­ta­stet bleiben.

Unter diesem Aspekt bedeutet das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen ledig­lich die Entmach­tung der Arbeiter:innenklasse, was mit hoher Wahr­schein­lich­keit die Herr­schaft rechter Kräfte zur Folge hat: neoli­beral oder national – oder beides in einem, wie bei Milošević.

Jugo­sla­wien ist dabei kein exoti­scher Sonder­fall, sondern eher ein Brenn­glas. Die glei­chen Probleme würden sich auch in der Schweiz und in anderen demo­kra­tisch stabi­leren Ländern zeigen. Nicht umsonst werden Forde­rungen nach dem bedin­gungs­losen Grund­ein­kommen hier­zu­lande oft von der bürger­li­chen Klasse erhoben: von freien Künstler:innen, von Universitätsprofessor:innen oder Journalist:innen.

Gewerk­schaften sind eher gezwungen, ihre Tarif­ho­heit gegen solche Forde­rungen zu vertei­digen. So bemerkt zum Beispiel die deut­sche IG Metall in einem Posi­ti­ons­pa­pier zum bedin­gungs­losen Grund­ein­kommen: «Das Modell würde Arbeit­nehmer um ihre Rechte bringen. […] Welche Leistungen sie bekämen, würde davon abhängen, was die wech­selnden poli­ti­schen Entschei­dungs­träger gerade für richtig halten.»

Auf die Schweiz bezogen hiesse das: Essen­zi­elle Entschei­dungen über die Arbeiter:innenklasse würden ihrer Macht entzogen und an das soge­nannte Stimm­volk dele­giert. Hier unter­lägen diese Entschei­dungen dann den gewöhn­li­chen Mecha­nismen eines bürger­li­chen Wahl­kampfs. Arbeits­kämpfe als genuin prole­ta­ri­sche Mach­t­äus­se­rung wären dagegen einfach ausge­schaltet – wiederum ohne dass es zu einer Aufhe­bung der Klas­sen­ge­gen­sätze kommen konnte.

Dazu passt, dass mit dem kürz­lich verstor­benen Götz Werner ausge­rechnet ein Arbeit­geber wich­tiger Agitator für das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen auf euro­päi­scher Ebene war. Götz Werner war ein grosser Huma­nist. Aber als Gründer der dm-Droge­rie­markt­kette war er auch über­zeugter Kapi­ta­list. Daraus hat er keinen Hehl gemacht. Im Gegen­teil, auf Veran­stal­tungen hat er immer wieder darauf hinge­wiesen, dass das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen viel­leicht (er war sich da nicht ganz sicher) eine sehr bürger­lich-kapi­ta­li­sti­sche Idee sei.

Ich würde ihm recht geben. Denn im Kern bedeutet das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen die endgül­tige Aner­ken­nung eines bürger­lich-kapi­ta­li­sti­schen Frei­heits­be­griffs. Die prole­ta­ri­sche Frei­heit besteht im selbst­be­stimmten Arbeiten an Produk­ti­ons­mit­teln. Ausdruck eines Rests dieser Selbst­be­stim­mung ist die Tarif­ho­heit. Die bürger­liche Frei­heit dagegen ist Frei­zeit: Geld, damit ich mich um meine privaten Träume kümmern kann. Dass die gesell­schaft­liche Produk­tion weiter­laufen muss, inter­es­siert dabei nicht.

„Im Kern bedeutet das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen die endgül­tige Aner­ken­nung eines bürger­lich-kapi­ta­li­sti­schen Freiheitsbegriffs.“

Timo Krstin

Ein serbi­scher Streik­führer namens Zdravko Deurić bringt das 2006 in einem Inter­view sehr genau auf den Punkt. Auch seine Fabrik Jugore­me­dija wurde an einen Tycoon verscher­belt. Käufer war der per inter­na­tio­nalem Haft­be­fehl gesuchte Ziga­ret­ten­schmuggler Jovica Stefa­nović, genannt Nini.

Deurić erzählt, wie er sich nach der Über­nahme mit Nini trifft. Dieser macht ihm als Vertreter des Werks­kol­lek­tivs folgendes Angebot: Du sorgst dafür, dass die Arbeiter:innen aufhören zu arbeiten, kriegst dafür eine Gehalts­er­hö­hung und oben­drauf noch einen Dienst­wagen. Zdravko Deurić, ein selbst­be­wusster linker Arbei­ter­führer, lehnt mit den Worten ab: Wir wollen nicht dein Geld, wir wollen unseren Anteil an der Fabrik zurück.

Wer sich damals soli­da­risch zeigen wollte mit der Jugore­me­dija-Beleg­schaft, musste sich für ihre Rechte als Arbeiter:innen und Miteigentümer:innen der Fabrik einsetzen. Gewerk­schaften aus ganz Europa, darunter auch die schwei­ze­ri­sche Gewerk­schafts­be­we­gung Giù le mani, taten dies und unter­stützten den Kampf gegen den serbi­schen Staat und gegen Nini. Im Ergebnis schaffte es die Beleg­schaft, ihre Fabrik zurück­zu­er­obern und erfolg­reich in Selbst­ver­wal­tung weiterzuführen.

So sieht inter­na­tio­nale Soli­da­rität in der Arbeiter:innenklasse aus. Ein inter­na­tional geführter Kampf um das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen hätte den Arbeiter:innen von Jugore­me­dija dagegen gar nichts gebracht.

Also kein bedin­gungs­loses Grund­ein­kommen – niemals?

Viel­leicht doch, aber es darf nicht von der herr­schenden Klasse benutzt werden, um Arbeits­kämpfe zu verhin­dern. Bevor es einge­führt wird, muss klar sein, wer mit welchen Mitteln darüber bestimmt. Aus linker Perspek­tive kann das nur die Arbeiter:innenklasse sein. Wer das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen will, sollte daher aufhören darüber zu reden und sich wieder ernst­haft Gedanken machen, wie die Arbeiter:innenklasse an die Macht kommen kann.

Dass es auch heute noch Wege gibt, hat die kämp­fe­ri­sche und unab­hän­gige Beleg­schaft von Jugore­me­dija bewiesen. Dass sie später doch noch in die Knie gezwungen wurde – im Stich gelassen auch von der bürger­li­chen Zivil­ge­sell­schaft der EU –, ist nur ein Beweis mehr, dass es noch einige Kämpfe auszu­fechten gilt, bevor die Arbeiter:innenklasse ihren Lohn selbst­be­stimmt in ein bedin­gungs­loses Grund­ein­kommen umwan­deln kann.

Ja!

Das Verspre­chen, dass Erwerbs­ar­beit Existenz sichert, ist gescheitert.

Maria-Theres Schuler

Mit über­wäl­ti­gender Mehr­heit hat die Schweizer Stimm­be­völ­ke­rung im Jahr 2016 die Einfüh­rung des Grund­ein­kom­mens abge­lehnt. Einer der wohl wich­tig­sten Gründe dafür: die weit­ver­brei­tete Angst vor Faul­heit. Denn die Vorstel­lung, dass die Schweiz ihren Wohl­stand aufgrund des Fleisses und der Arbeits­moral ihrer Bürger:innen erlangt habe und nicht durch ille­gi­time Finanz­flüsse, (post-)koloniale Produk­ti­ons­ver­hält­nisse oder Arbeits­mi­gra­tion, ist tief im kollek­tiven Bewusst­sein verankert.

«Der Grund­stein unseres Wohl­stands ist nicht faules Herum­sitzen, sondern Arbeit», sagte Gemein­derat Samuel Balsiger (SVP) erst vor kurzem, als die städ­ti­sche Initia­tive «Wissen­schaft­li­cher Pilot­ver­such Grund­ein­kommen» Ende März im Stadt­zür­cher Parla­ment disku­tiert wurde. Die Initia­tive wurde von einem bunten Komitee von der FDP-Poli­ti­kerin bis zum SP-Gemein­derat ins Leben gerufen. Ihr Ziel: das Grund­ein­kommen ergeb­nis­offen zu testen und wissen­schaft­lich auszuwerten.

Wissen­schaft­liche Fakten gibt es eigent­lich bereits viele – von Namibia über Finn­land bis Brasi­lien. Ob es sich dabei um zeit­lich begrenzte staat­liche Grund­ein­kom­mens-Expe­ri­mente oder lang­fri­stige Bargeld­trans­fer­pro­gramme von NGOs handelt: Eine Auswer­tung von 165 Studien im Journal of Social Policy bestä­tigt die posi­tiven Wirkungen von regel­mäs­sigen Geld­trans­fers auf Bildung, Gesund­heit, Empower­ment oder Arbeit.

Jedoch wurden die diversen Expe­ri­mente kaum je länger­fri­stig aufrecht­erhalten. Denn die Rhetorik um Faul­heit ist nicht nur in der Schweiz rele­vant, sondern findet überall auf der Welt Wider­hall. In Südafrika etwa, wo das Grund­ein­kommen seit 2002 intensiv disku­tiert wird, klingt der Diskurs verblüf­fend ähnlich: Ex-Präsi­dent Jacob Zuma sagte 2015, die untä­tige Jugend solle besser arbeiten, statt herum­zu­sitzen und um staat­liche Almosen zu bitten.

In der Schweiz soll mit lokalen Pilot­pro­jekten das Grund­ein­kommen gete­stet werden. Die erste städ­ti­sche Initia­tive “Wissen­schaft­li­cher Pilot­ver­such Grund­ein­kommen” wurde im Mai 2021 der Zürcher Stadt­re­gie­rung über­reicht. Stadt- und Gemein­derat haben sich gegen die Initia­tive ausge­spro­chen; nun werden die Stimmbürger*innen darüber entscheiden können. Laut Initia­tiv­text sollen während drei Jahren 1000 Personen in der Stadt Zürich ein Grund­ein­kommen erhalten. Der Betrag sowie die genauen Rahmen­be­din­gungen werden in Zusam­men­ar­beit mit Univer­si­täten erar­beitet, die sich für die wissen­schaft­liche Durch­füh­rung des Pilot­pro­jektes bewerben können.

Im November 2021 wurde in der Stadt Bern eine parla­men­ta­ri­sche Initia­tive für einen wissen­schaft­li­chen Pilot­ver­such zum Grund­ein­kommen einge­reicht, in Luzern wurde im März 2022 eine dritte Initia­tive dem Stadtrat übergeben. 


Um diese Abnei­gung gegen­über vermeint­li­cher Arbeits­scheu einzu­ordnen, lohnt sich ein Blick zurück: Arbeit entwickelte sich vor allem während des Kolo­nia­lismus zu einem zentralen Wert, um den herum Selbst­po­si­tio­nie­rung und Abgren­zung gegen­über anderen funk­tio­nierte, wie die Histo­ri­kerin Marina Lien­hard 2015 erforscht hat. Indem Faul­heit und Inef­fi­zienz beson­ders von Afrikaner:innen der Tüch­tig­keit und dem Fleiss von Schweizer:innen gegen­über­ge­stellt wurden, konnte die eigene mora­li­sche Über­le­gen­heit konsti­tu­iert und damit die Präsenz in Kolo­nien gerecht­fer­tigt werden. Diese kolo­nialen Denk­mu­ster spielten auch während der italie­ni­schen Arbeits­mi­gra­tion in die Schweiz eine wich­tige Rolle und haben sich im Bild der «faulen Sozialhilfeempfänger:innen» manifestiert.

Der Anreiz zur Erwerbs­ar­beit wird gemeinhin darin verstanden, dass sie Existenz sichert. Sowohl für das Indi­vi­duum als auch für gesell­schaft­li­chen Wohl­stand, wie ein Bericht des Stadt­zür­cher Sozi­al­de­par­te­ments als Beitrag zur Grund­ein­kom­mens­dis­kus­sion erst kürz­lich bekräf­tigte. Dies gilt auch welt­weit: «Gute Arbeits­plätze sind der sicherste Weg aus der Armut», argu­men­tiert etwa die Welt­bank. Wie absurd diese so verbrei­tete Vorstel­lung eigent­lich ist, zeigt ein Blick in globale Arbeitsrealitäten.

Laut der Inter­na­tional Labour Orga­nization (ILO) arbeiten 50 Prozent der Welt­be­völ­ke­rung in einem «nicht stan­dar­di­sierten» Arbeits­ver­hältnis. Das heisst, sie haben weder einen festen Job, noch beschäf­tigen sie andere. Im subsa­ha­ri­schen Afrika und in Südasien sind es gar um die 80 Prozent der Menschen, die durch Gele­gen­heits­jobs oder infor­mellen Klein­handel über die Runden kommen. Viele dieser Menschen greifen aber auch auf Geld­über­wei­sungen zurück, die emigrierte Fami­li­en­mit­glieder via Western Union schicken, profi­tieren von Zuwen­dungen durch NGOs und zuneh­mend von staat­li­chen Sozialleistungen.

„Die Kolo­nia­li­sie­rung zwang die Menschen als billige Arbeits­kräfte in Plan­tagen und Minen in den kapi­ta­li­sti­schen Arbeits­markt; die neoli­be­rale Welt­ord­nung spuckt sie nun durch stei­gende Arbeits­lo­sig­keit und Preka­ri­sie­rung wieder aus. Während die (Entwicklungs-)Politik ihnen immer noch Arbeits­plätze verspricht.“

Maria-Theres Schuler

Obwohl dieser «Nicht-Stan­dard» in vielen Welt­re­gionen Stan­dard ist, wie die Ethnolog:innen James Ferguson und Tania Murray Li bemerken, gilt Lohn­ar­beit weiterhin als univer­selle Lösung eines welt­weiten Entwick­lungs­pro­zesses. Alle Politiker:innen verspre­chen Arbeits­plätze, obwohl in einem Land wie Südafrika selbst bei opti­mi­stisch­sten Wachs­tums­pro­gnosen nicht genü­gend Arbeits­plätze geschaffen werden können. Einem Bericht der United Nations Confe­rence on Trade and Deve­lo­p­ment zufolge ist der Verlust der Arbeits­plätze durch Auto­ma­ti­sie­rung im globalen Süden gar viel grösser als andern­orts auf der Welt. So könnten etwa zwei Drittel der Arbeits­plätze in naher Zukunft verloren gehen.

Kurz gesagt: Die Kolo­nia­li­sie­rung zwang die Menschen als billige Arbeits­kräfte in Plan­tagen und Minen in den kapi­ta­li­sti­schen Arbeits­markt; die neoli­be­rale Welt­ord­nung spuckt sie nun durch stei­gende Arbeits­lo­sig­keit und Preka­ri­sie­rung wieder aus. Während die (Entwicklungs-)Politik ihnen immer noch Arbeits­plätze verspricht.

Vor diesem Hinter­grund ist es enorm wichtig, dass Befürworter:innen des Grund­ein­kom­mens das gängige Verständnis von Arbeit heraus­for­dern und sich für deren Neuge­stal­tung einsetzen – sei es mittels Arbeits­zeit­re­duk­tion oder einer radi­kalen Umver­tei­lung und Neube­wer­tung von gesell­schaft­lich notwen­diger (Care-)Arbeit. Genauso wichtig ist die Kritik an neoli­be­ralen Vorstel­lungen des Grund­ein­kom­mens, für das sich etwa der Schweizer Wirt­schafts­wis­sen­schaftler Thomas Straub­haar stark­macht. Denn dieses würde mit einer Abschaf­fung der Sozi­al­sy­steme einher­gehen und gleich­zeitig einen Betrag nur knapp am Existenz­mi­nimum beinhalten.

„Ein Arbeits­ver­hältnis ist keines­wegs die einzige Möglich­keit für Klassenkampf.“

Maria-Theres Schuler

Die linke Kritik am Grund­ein­kommen hingegen, dass Arbeit und Produk­tion nicht entkop­pelt werden dürften, hat global gesehen wenig Rele­vanz. Gewerk­schaft­lich orga­ni­sierte Gruppen argu­men­tieren beispiels­weise, dass damit die wich­tigen Arbeits­kämpfe um bessere Löhne und Arbeits­be­din­gungen still­ge­legt würden. Doch auch hier zeigt ein Blick über den eigenen Teller­rand hinaus: Ein Arbeits­ver­hältnis ist keines­wegs die einzige Möglich­keit für Klassenkampf.

Im südli­chen Afrika etwa, gerade in rohstoff­rei­chen Ländern, fordern Bürger:innen, dass der Ausbau von staat­li­chen Sozi­al­lei­stungen oder tempo­räre huma­ni­täre Unter­stüt­zung nicht mehr als Hilfe, sondern als dauer­hafter recht­mäs­siger Anteil an den Reich­tü­mern dieser Erde verstanden werden. Solche Forde­rungen zielen auf eine viel radi­ka­lere Umver­tei­lung von Wohl­stand ab als die Argu­mente aus Teilen der Linken, die die histo­risch erkämpften Sozi­al­lei­stungen bewahren wollen und sich deswegen gegen die Einfüh­rung eines Grund­ein­kom­mens stellen.

„Dass sich die Diskus­sionen hier­zu­lande hingegen viel öfter um Selbst­ver­wirk­li­chung anstatt Armuts­be­kämp­fung drehen, zeigt, wie sehr die rassi­fi­zierte globale Ungleich­heit in unserer Gesell­schaft norma­li­siert ist.“

Maria-Theres Schuler

Dabei wäre eine solche Umver­tei­lung eine Frage der Prio­ri­täten. Die ILO hat ausge­rechnet, dass mit 0,3 Prozent des Betrags, mit dem die G20-Regie­rungen im Jahr 2009 die Rettung des Finanz­sek­tors ange­kün­digt hatten, das Grund­ein­kommen in Ländern mit nied­rigem Einkommen über 30 Mal reali­siert werden könnte. Dass sich die Diskus­sionen hier­zu­lande hingegen viel öfter um Selbst­ver­wirk­li­chung anstatt Armuts­be­kämp­fung drehen, zeigt, wie sehr die rassi­fi­zierte globale Ungleich­heit in unserer Gesell­schaft norma­li­siert ist.

Nichts­de­sto­trotz kann durch Vorhaben wie die Pilot­pro­jekte zum Grund­ein­kommen ein gesell­schaft­lich notwen­diges Umdenken ange­stossen werden. Wenn ein paar Tausend Personen in Schweizer Städten das Grund­ein­kommen erhalten, während anderen dabei nichts wegge­nommen wird, könnte dies der Angst entge­gen­wirken, wonach es nicht für alle genug hat. Und es könnte Raum für die wich­tige Frage geschaffen werden: nicht ob, sondern wie wir das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen auf einem Konti­nuum von Möglich­keiten fair umsetzen.

Trans­pa­renz­hin­weis: Die Autorin des JA!-Teils ist Mitglied des Zürcher Initiativ-Komi­tees «Wissen­schaft­li­cher Pilot­ver­such Grundeinkommen».

Nein!

Das Ziel bleibt die Hoheit über die Produk­tion!

Timo Krstin

In den Neun­zi­ger­jahren rollte eine beispiel­lose Streik­welle über Teile Rest­ju­go­sla­wiens hinweg. Von der inter­na­tio­nalen Öffent­lich­keit kaum wahr­ge­nommen, kämpften Arbeiter:innen im ganzen Land gegen das neoli­be­rale Priva­ti­sie­rungs­re­gime der Milošević-Ära, unter dem ihre Fabriken ausge­schlachtet und verscher­belt wurden.

«Ihre Fabriken» ist hier wört­lich zu verstehen, denn minde­stens ideell befanden sich die meisten Betriebe zum Zeit­punkt ihrer Priva­ti­sie­rung noch in gesell­schaft­li­chem Eigentum, in der Praxis vertreten vom Staat als Treuhänder.

Das Vorgehen bei der Priva­ti­sie­rung war immer dasselbe: Eine Fabrik wurde vom Staat, der sie im Namen der Arbeiter:innenklasse besass, an einen meist krimi­nellen soge­nannten Tycoon verkauft und dann ausge­schlachtet. Der Tycoon nahm Kredite auf, schöpfte das Geld privat ab und verscher­belte am Ende Maschinen und anderes Inventar. Nach getanem Vernich­tungs­werk zog er weiter, die Fabrik blieb leer und verschuldet zurück.

Ja!

Das Verspre­chen, dass Erwerbs­ar­beit Existenz sichert, ist gescheitert.

Maria-Theres Schuler

Mit über­wäl­ti­gender Mehr­heit hat die Schweizer Stimm­be­völ­ke­rung im Jahr 2016 die Einfüh­rung des Grund­ein­kom­mens abge­lehnt. Einer der wohl wich­tig­sten Gründe dafür: die weit­ver­brei­tete Angst vor Faul­heit. Denn die Vorstel­lung, dass die Schweiz ihren Wohl­stand aufgrund des Fleisses und der Arbeits­moral ihrer Bürger:innen erlangt habe und nicht durch ille­gi­time Finanz­flüsse, (post-)koloniale Produk­ti­ons­ver­hält­nisse oder Arbeits­mi­gra­tion, ist tief im kollek­tiven Bewusst­sein verankert.

«Der Grund­stein unseres Wohl­stands ist nicht faules Herum­sitzen, sondern Arbeit», sagte Gemein­derat Samuel Balsiger (SVP) erst vor kurzem, als die städ­ti­sche Initia­tive «Wissen­schaft­li­cher Pilot­ver­such Grund­ein­kommen» Ende März im Stadt­zür­cher Parla­ment disku­tiert wurde. Die Initia­tive wurde von einem bunten Komitee von der FDP-Poli­ti­kerin bis zum SP-Gemein­derat ins Leben gerufen. Ihr Ziel: das Grund­ein­kommen ergeb­nis­offen zu testen und wissen­schaft­lich auszuwerten.

Dieser Text erschien zuerst in einer gemein­samen Ausgabe von das Lamm und dem Kultur­ma­gazin 041.

Um die verzwei­felten Arbeiter:innen ruhig­zu­stellen, wurden viele der entkernten Fabriken in einer zombie­ar­tigen Existenz am Schein­leben gehalten. Die Produk­tion wurde einge­stellt oder auf ein Minimum redu­ziert, die Arbeiter:innen blieben als De-facto-Arbeits­lose ange­stellt und bekamen fürs Nichtstun eine finan­zi­elle Entschädigung.

Was vom sozia­li­sti­schen Traum selbst­be­stimmt die eigenen Produk­ti­ons­mittel verwal­tender Arbeiter:innen übrig blieb, war eine nicht mehr arbei­tende Arbeiter:innenklasse mit einem kleinen Grund­ein­kommen – Alimen­ta­tion statt selbst­ver­wal­teter Produktion.

Natür­lich handelt es sich bei dieser Art von Weiter­be­zah­lung trotz fehlender Arbeit nicht um ein bedin­gungs­loses Grund­ein­kommen, wie es heute disku­tiert wird. Trotzdem hilft das Beispiel der jugo­sla­wi­schen Priva­ti­sie­rungen, einige Annahmen über das Grund­ein­kommen aus linker Perspek­tive zurechtzurücken.

Zuerst: Der poli­tisch linke Klas­sen­kampf ist ein Kampf um Kontrolle der Produk­ti­ons­mittel – kein Kampf ums Geld. Die serbi­sche Arbeiter:innenklasse war sehr mächtig – so lange, wie ihr über Betriebs­kol­lek­tive nicht nur ideo­lo­gisch ein hohes Mitbe­stim­mungs­recht zukam. Die Selbst­ver­wal­tung der Betriebe war essen­zi­eller Bestand­teil der soge­nannten sozia­li­sti­schen Markt­wirt­schaft in Jugo­sla­wien und Grund­lage der Macht arbei­tender Menschen.

„Der poli­tisch linke Klas­sen­kampf ist ein Kampf um Kontrolle der Produk­ti­ons­mittel – kein Kampf ums Geld.“

Timo Krstin

Nach Aufhe­bung der Selbst­ver­wal­tung Mitte der Acht­zi­ger­jahre blieb den Arbeiter:innen nur der Kampf um gerechte Entloh­nung als poli­ti­sches Machtinstrument.

Dementspre­chend zielte die neoli­be­rale Priva­ti­sie­rung in den Neun­zi­ger­jahren darauf ab, auch dieses Instru­ment zu zerstören. Die Idee «Macht durch Kontrolle der Produk­tion» wurde ersetzt durch die bürger­liche Ideo­logie vom Glück durch finan­zi­elle Sicher­heit. Das Milošević-Regime half, Arbeiter:innen zu alimen­tieren, bis ihr jewei­liger Betrieb vernichtet und ihre gesell­schaft­liche Macht gebro­chen war.

Als Ersatz für den sozia­li­sti­schen Traum hetzte es sie in einen gnaden­losen ethni­schen Natio­na­lismus. Milošević und seine Tycoons wurden dabei sehr reich, die linke Arbeiter:innenklasse zerstört und in eine aufs Natio­nale fixierte bürger­liche Klasse umge­wan­delt: nicht der einzige, aber unter mate­ria­li­sti­scher Prämisse sicher ein wich­tiger Grund für die Kriege auf dem Balkan.

Das jugo­sla­wi­sche Beispiel zeigt, dass Löhne ein wich­tiges Instru­ment im Klas­sen­kampf sind. Nur sie können von der Arbeiter:innenklasse über Streiks erkämpft, vertei­digt, erhöht werden. Mit Arbeits­kämpfen über die Löhne zu bestimmen, ist vornehmes Recht der Arbeiter:innenklasse und Ausdruck einer gewissen Kontrolle über die Produk­ti­ons­mittel – ausserdem ein Rest echter Arbeiter:innendemokratie.

„Mit Arbeits­kämpfen über die Löhne zu bestimmen, ist vornehmes Recht der Arbeiter:innenklasse und Ausdruck einer gewissen Kontrolle über die Produk­ti­ons­mittel – ausserdem ein Rest echter Arbeiter:innendemokratie.“

Timo Krstin

Wandelt man Löhne, wie in Jugo­sla­wien geschehen, in Bezah­lung fürs Nichtstun um, geht die Macht über das Geld an den Staat oder den:die Fabrikbesitzer:in: an bürger­liche Insti­tu­tionen, an eine starre Büro­kratie oder einen despo­ti­schen Boss. Der Klas­sen­kampf wird nicht ausge­fochten, sondern auf Eis gelegt, während die gesell­schaft­li­chen Verhält­nisse unan­ge­ta­stet bleiben.

Unter diesem Aspekt bedeutet das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen ledig­lich die Entmach­tung der Arbeiter:innenklasse, was mit hoher Wahr­schein­lich­keit die Herr­schaft rechter Kräfte zur Folge hat: neoli­beral oder national – oder beides in einem, wie bei Milošević.

Jugo­sla­wien ist dabei kein exoti­scher Sonder­fall, sondern eher ein Brenn­glas. Die glei­chen Probleme würden sich auch in der Schweiz und in anderen demo­kra­tisch stabi­leren Ländern zeigen. Nicht umsonst werden Forde­rungen nach dem bedin­gungs­losen Grund­ein­kommen hier­zu­lande oft von der bürger­li­chen Klasse erhoben: von freien Künstler:innen, von Universitätsprofessor:innen oder Journalist:innen.

Gewerk­schaften sind eher gezwungen, ihre Tarif­ho­heit gegen solche Forde­rungen zu vertei­digen. So bemerkt zum Beispiel die deut­sche IG Metall in einem Posi­ti­ons­pa­pier zum bedin­gungs­losen Grund­ein­kommen: «Das Modell würde Arbeit­nehmer um ihre Rechte bringen. […] Welche Leistungen sie bekämen, würde davon abhängen, was die wech­selnden poli­ti­schen Entschei­dungs­träger gerade für richtig halten.»

Auf die Schweiz bezogen hiesse das: Essen­zi­elle Entschei­dungen über die Arbeiter:innenklasse würden ihrer Macht entzogen und an das soge­nannte Stimm­volk dele­giert. Hier unter­lägen diese Entschei­dungen dann den gewöhn­li­chen Mecha­nismen eines bürger­li­chen Wahl­kampfs. Arbeits­kämpfe als genuin prole­ta­ri­sche Mach­t­äus­se­rung wären dagegen einfach ausge­schaltet – wiederum ohne dass es zu einer Aufhe­bung der Klas­sen­ge­gen­sätze kommen konnte.

Dazu passt, dass mit dem kürz­lich verstor­benen Götz Werner ausge­rechnet ein Arbeit­geber wich­tiger Agitator für das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen auf euro­päi­scher Ebene war. Götz Werner war ein grosser Huma­nist. Aber als Gründer der dm-Droge­rie­markt­kette war er auch über­zeugter Kapi­ta­list. Daraus hat er keinen Hehl gemacht. Im Gegen­teil, auf Veran­stal­tungen hat er immer wieder darauf hinge­wiesen, dass das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen viel­leicht (er war sich da nicht ganz sicher) eine sehr bürger­lich-kapi­ta­li­sti­sche Idee sei.

Ich würde ihm recht geben. Denn im Kern bedeutet das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen die endgül­tige Aner­ken­nung eines bürger­lich-kapi­ta­li­sti­schen Frei­heits­be­griffs. Die prole­ta­ri­sche Frei­heit besteht im selbst­be­stimmten Arbeiten an Produk­ti­ons­mit­teln. Ausdruck eines Rests dieser Selbst­be­stim­mung ist die Tarif­ho­heit. Die bürger­liche Frei­heit dagegen ist Frei­zeit: Geld, damit ich mich um meine privaten Träume kümmern kann. Dass die gesell­schaft­liche Produk­tion weiter­laufen muss, inter­es­siert dabei nicht.

„Im Kern bedeutet das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen die endgül­tige Aner­ken­nung eines bürger­lich-kapi­ta­li­sti­schen Freiheitsbegriffs.“

Timo Krstin

Ein serbi­scher Streik­führer namens Zdravko Deurić bringt das 2006 in einem Inter­view sehr genau auf den Punkt. Auch seine Fabrik Jugore­me­dija wurde an einen Tycoon verscher­belt. Käufer war der per inter­na­tio­nalem Haft­be­fehl gesuchte Ziga­ret­ten­schmuggler Jovica Stefa­nović, genannt Nini.

Deurić erzählt, wie er sich nach der Über­nahme mit Nini trifft. Dieser macht ihm als Vertreter des Werks­kol­lek­tivs folgendes Angebot: Du sorgst dafür, dass die Arbeiter:innen aufhören zu arbeiten, kriegst dafür eine Gehalts­er­hö­hung und oben­drauf noch einen Dienst­wagen. Zdravko Deurić, ein selbst­be­wusster linker Arbei­ter­führer, lehnt mit den Worten ab: Wir wollen nicht dein Geld, wir wollen unseren Anteil an der Fabrik zurück.

Wer sich damals soli­da­risch zeigen wollte mit der Jugore­me­dija-Beleg­schaft, musste sich für ihre Rechte als Arbeiter:innen und Miteigentümer:innen der Fabrik einsetzen. Gewerk­schaften aus ganz Europa, darunter auch die schwei­ze­ri­sche Gewerk­schafts­be­we­gung Giù le mani, taten dies und unter­stützten den Kampf gegen den serbi­schen Staat und gegen Nini. Im Ergebnis schaffte es die Beleg­schaft, ihre Fabrik zurück­zu­er­obern und erfolg­reich in Selbst­ver­wal­tung weiterzuführen.

So sieht inter­na­tio­nale Soli­da­rität in der Arbeiter:innenklasse aus. Ein inter­na­tional geführter Kampf um das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen hätte den Arbeiter:innen von Jugore­me­dija dagegen gar nichts gebracht.

Also kein bedin­gungs­loses Grund­ein­kommen – niemals?

Viel­leicht doch, aber es darf nicht von der herr­schenden Klasse benutzt werden, um Arbeits­kämpfe zu verhin­dern. Bevor es einge­führt wird, muss klar sein, wer mit welchen Mitteln darüber bestimmt. Aus linker Perspek­tive kann das nur die Arbeiter:innenklasse sein. Wer das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen will, sollte daher aufhören darüber zu reden und sich wieder ernst­haft Gedanken machen, wie die Arbeiter:innenklasse an die Macht kommen kann.

Dass es auch heute noch Wege gibt, hat die kämp­fe­ri­sche und unab­hän­gige Beleg­schaft von Jugore­me­dija bewiesen. Dass sie später doch noch in die Knie gezwungen wurde – im Stich gelassen auch von der bürger­li­chen Zivil­ge­sell­schaft der EU –, ist nur ein Beweis mehr, dass es noch einige Kämpfe auszu­fechten gilt, bevor die Arbeiter:innenklasse ihren Lohn selbst­be­stimmt in ein bedin­gungs­loses Grund­ein­kommen umwan­deln kann.

Wissen­schaft­liche Fakten gibt es eigent­lich bereits viele – von Namibia über Finn­land bis Brasi­lien. Ob es sich dabei um zeit­lich begrenzte staat­liche Grund­ein­kom­mens-Expe­ri­mente oder lang­fri­stige Bargeld­trans­fer­pro­gramme von NGOs handelt: Eine Auswer­tung von 165 Studien im Journal of Social Policy bestä­tigt die posi­tiven Wirkungen von regel­mäs­sigen Geld­trans­fers auf Bildung, Gesund­heit, Empower­ment oder Arbeit.

Jedoch wurden die diversen Expe­ri­mente kaum je länger­fri­stig aufrecht­erhalten. Denn die Rhetorik um Faul­heit ist nicht nur in der Schweiz rele­vant, sondern findet überall auf der Welt Wider­hall. In Südafrika etwa, wo das Grund­ein­kommen seit 2002 intensiv disku­tiert wird, klingt der Diskurs verblüf­fend ähnlich: Ex-Präsi­dent Jacob Zuma sagte 2015, die untä­tige Jugend solle besser arbeiten, statt herum­zu­sitzen und um staat­liche Almosen zu bitten.

In der Schweiz soll mit lokalen Pilot­pro­jekten das Grund­ein­kommen gete­stet werden. Die erste städ­ti­sche Initia­tive “Wissen­schaft­li­cher Pilot­ver­such Grund­ein­kommen” wurde im Mai 2021 der Zürcher Stadt­re­gie­rung über­reicht. Stadt- und Gemein­derat haben sich gegen die Initia­tive ausge­spro­chen; nun werden die Stimmbürger*innen darüber entscheiden können. Laut Initia­tiv­text sollen während drei Jahren 1000 Personen in der Stadt Zürich ein Grund­ein­kommen erhalten. Der Betrag sowie die genauen Rahmen­be­din­gungen werden in Zusam­men­ar­beit mit Univer­si­täten erar­beitet, die sich für die wissen­schaft­liche Durch­füh­rung des Pilot­pro­jektes bewerben können.

Im November 2021 wurde in der Stadt Bern eine parla­men­ta­ri­sche Initia­tive für einen wissen­schaft­li­chen Pilot­ver­such zum Grund­ein­kommen einge­reicht, in Luzern wurde im März 2022 eine dritte Initia­tive dem Stadtrat übergeben. 


Um diese Abnei­gung gegen­über vermeint­li­cher Arbeits­scheu einzu­ordnen, lohnt sich ein Blick zurück: Arbeit entwickelte sich vor allem während des Kolo­nia­lismus zu einem zentralen Wert, um den herum Selbst­po­si­tio­nie­rung und Abgren­zung gegen­über anderen funk­tio­nierte, wie die Histo­ri­kerin Marina Lien­hard 2015 erforscht hat. Indem Faul­heit und Inef­fi­zienz beson­ders von Afrikaner:innen der Tüch­tig­keit und dem Fleiss von Schweizer:innen gegen­über­ge­stellt wurden, konnte die eigene mora­li­sche Über­le­gen­heit konsti­tu­iert und damit die Präsenz in Kolo­nien gerecht­fer­tigt werden. Diese kolo­nialen Denk­mu­ster spielten auch während der italie­ni­schen Arbeits­mi­gra­tion in die Schweiz eine wich­tige Rolle und haben sich im Bild der «faulen Sozialhilfeempfänger:innen» manifestiert.

Der Anreiz zur Erwerbs­ar­beit wird gemeinhin darin verstanden, dass sie Existenz sichert. Sowohl für das Indi­vi­duum als auch für gesell­schaft­li­chen Wohl­stand, wie ein Bericht des Stadt­zür­cher Sozi­al­de­par­te­ments als Beitrag zur Grund­ein­kom­mens­dis­kus­sion erst kürz­lich bekräf­tigte. Dies gilt auch welt­weit: «Gute Arbeits­plätze sind der sicherste Weg aus der Armut», argu­men­tiert etwa die Welt­bank. Wie absurd diese so verbrei­tete Vorstel­lung eigent­lich ist, zeigt ein Blick in globale Arbeitsrealitäten.

Laut der Inter­na­tional Labour Orga­nization (ILO) arbeiten 50 Prozent der Welt­be­völ­ke­rung in einem «nicht stan­dar­di­sierten» Arbeits­ver­hältnis. Das heisst, sie haben weder einen festen Job, noch beschäf­tigen sie andere. Im subsa­ha­ri­schen Afrika und in Südasien sind es gar um die 80 Prozent der Menschen, die durch Gele­gen­heits­jobs oder infor­mellen Klein­handel über die Runden kommen. Viele dieser Menschen greifen aber auch auf Geld­über­wei­sungen zurück, die emigrierte Fami­li­en­mit­glieder via Western Union schicken, profi­tieren von Zuwen­dungen durch NGOs und zuneh­mend von staat­li­chen Sozialleistungen.

„Die Kolo­nia­li­sie­rung zwang die Menschen als billige Arbeits­kräfte in Plan­tagen und Minen in den kapi­ta­li­sti­schen Arbeits­markt; die neoli­be­rale Welt­ord­nung spuckt sie nun durch stei­gende Arbeits­lo­sig­keit und Preka­ri­sie­rung wieder aus. Während die (Entwicklungs-)Politik ihnen immer noch Arbeits­plätze verspricht.“

Maria-Theres Schuler

Obwohl dieser «Nicht-Stan­dard» in vielen Welt­re­gionen Stan­dard ist, wie die Ethnolog:innen James Ferguson und Tania Murray Li bemerken, gilt Lohn­ar­beit weiterhin als univer­selle Lösung eines welt­weiten Entwick­lungs­pro­zesses. Alle Politiker:innen verspre­chen Arbeits­plätze, obwohl in einem Land wie Südafrika selbst bei opti­mi­stisch­sten Wachs­tums­pro­gnosen nicht genü­gend Arbeits­plätze geschaffen werden können. Einem Bericht der United Nations Confe­rence on Trade and Deve­lo­p­ment zufolge ist der Verlust der Arbeits­plätze durch Auto­ma­ti­sie­rung im globalen Süden gar viel grösser als andern­orts auf der Welt. So könnten etwa zwei Drittel der Arbeits­plätze in naher Zukunft verloren gehen.

Kurz gesagt: Die Kolo­nia­li­sie­rung zwang die Menschen als billige Arbeits­kräfte in Plan­tagen und Minen in den kapi­ta­li­sti­schen Arbeits­markt; die neoli­be­rale Welt­ord­nung spuckt sie nun durch stei­gende Arbeits­lo­sig­keit und Preka­ri­sie­rung wieder aus. Während die (Entwicklungs-)Politik ihnen immer noch Arbeits­plätze verspricht.

Vor diesem Hinter­grund ist es enorm wichtig, dass Befürworter:innen des Grund­ein­kom­mens das gängige Verständnis von Arbeit heraus­for­dern und sich für deren Neuge­stal­tung einsetzen – sei es mittels Arbeits­zeit­re­duk­tion oder einer radi­kalen Umver­tei­lung und Neube­wer­tung von gesell­schaft­lich notwen­diger (Care-)Arbeit. Genauso wichtig ist die Kritik an neoli­be­ralen Vorstel­lungen des Grund­ein­kom­mens, für das sich etwa der Schweizer Wirt­schafts­wis­sen­schaftler Thomas Straub­haar stark­macht. Denn dieses würde mit einer Abschaf­fung der Sozi­al­sy­steme einher­gehen und gleich­zeitig einen Betrag nur knapp am Existenz­mi­nimum beinhalten.

„Ein Arbeits­ver­hältnis ist keines­wegs die einzige Möglich­keit für Klassenkampf.“

Maria-Theres Schuler

Die linke Kritik am Grund­ein­kommen hingegen, dass Arbeit und Produk­tion nicht entkop­pelt werden dürften, hat global gesehen wenig Rele­vanz. Gewerk­schaft­lich orga­ni­sierte Gruppen argu­men­tieren beispiels­weise, dass damit die wich­tigen Arbeits­kämpfe um bessere Löhne und Arbeits­be­din­gungen still­ge­legt würden. Doch auch hier zeigt ein Blick über den eigenen Teller­rand hinaus: Ein Arbeits­ver­hältnis ist keines­wegs die einzige Möglich­keit für Klassenkampf.

Im südli­chen Afrika etwa, gerade in rohstoff­rei­chen Ländern, fordern Bürger:innen, dass der Ausbau von staat­li­chen Sozi­al­lei­stungen oder tempo­räre huma­ni­täre Unter­stüt­zung nicht mehr als Hilfe, sondern als dauer­hafter recht­mäs­siger Anteil an den Reich­tü­mern dieser Erde verstanden werden. Solche Forde­rungen zielen auf eine viel radi­ka­lere Umver­tei­lung von Wohl­stand ab als die Argu­mente aus Teilen der Linken, die die histo­risch erkämpften Sozi­al­lei­stungen bewahren wollen und sich deswegen gegen die Einfüh­rung eines Grund­ein­kom­mens stellen.

„Dass sich die Diskus­sionen hier­zu­lande hingegen viel öfter um Selbst­ver­wirk­li­chung anstatt Armuts­be­kämp­fung drehen, zeigt, wie sehr die rassi­fi­zierte globale Ungleich­heit in unserer Gesell­schaft norma­li­siert ist.“

Maria-Theres Schuler

Dabei wäre eine solche Umver­tei­lung eine Frage der Prio­ri­täten. Die ILO hat ausge­rechnet, dass mit 0,3 Prozent des Betrags, mit dem die G20-Regie­rungen im Jahr 2009 die Rettung des Finanz­sek­tors ange­kün­digt hatten, das Grund­ein­kommen in Ländern mit nied­rigem Einkommen über 30 Mal reali­siert werden könnte. Dass sich die Diskus­sionen hier­zu­lande hingegen viel öfter um Selbst­ver­wirk­li­chung anstatt Armuts­be­kämp­fung drehen, zeigt, wie sehr die rassi­fi­zierte globale Ungleich­heit in unserer Gesell­schaft norma­li­siert ist.

Nichts­de­sto­trotz kann durch Vorhaben wie die Pilot­pro­jekte zum Grund­ein­kommen ein gesell­schaft­lich notwen­diges Umdenken ange­stossen werden. Wenn ein paar Tausend Personen in Schweizer Städten das Grund­ein­kommen erhalten, während anderen dabei nichts wegge­nommen wird, könnte dies der Angst entge­gen­wirken, wonach es nicht für alle genug hat. Und es könnte Raum für die wich­tige Frage geschaffen werden: nicht ob, sondern wie wir das bedin­gungs­lose Grund­ein­kommen auf einem Konti­nuum von Möglich­keiten fair umsetzen.

Trans­pa­renz­hin­weis: Die Autorin des JA!-Teils ist Mitglied des Zürcher Initiativ-Komi­tees «Wissen­schaft­li­cher Pilot­ver­such Grundeinkommen».


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