Klima­po­litik ist Verteilungskampf

Den Diskurs zwischen Politik und Wissen­schaft stärken – das ist die Idee des Klima­dia­logs, der am 2. Mai zum ersten Mal im Bundes­haus statt­fand. Die Hoff­nung: eine wirkungs­volle Klima­ge­setz­ge­bung. Doch dafür müssen wir endlich auch über Umver­tei­lung reden. Ein Kommentar. 
Von links-grüner Seite nahmen eindeutig mehr Parlamentsmitglieder am Klimadialog mit der Wissenschaft teil (Bild: Screenshot Klimadialog)
Von links-grüner Seite nahmen eindeutig mehr Parlamentsmitglieder am Klimadialog mit der Wissenschaft teil. (Bild: Screenshot Klimadialog)

Für manche Parlamentarier*innen muss sich der Weg ins Bundes­haus am letzten Montag wie ein Spiess­rou­ten­lauf ange­fühlt haben. Denn die Klima­be­we­gung stand den Politiker*innen auf dem Bundes­platz Spalier. Wobei: Von rechts der Mitte haben ohnehin nicht viele den Weg ins Bundes­haus gefunden.

Laut den Parla­ments­dien­sten haben sich von der Grünen 27 Parlamentarier*innen ange­meldet, bei der SP waren es 24, bei den Grün­li­be­ralen neun. Von der Mitte­frak­tion haben immerhin 14 Parla­ments­mit­glieder die Einla­dung zum Klima­dialog ange­nommen. Bei der FDP waren es noch sieben. Bei der SVP sechs. Ob die ange­mel­deten Personen dann tatsäch­lich mit den Anwe­senden über­ein­stimmten, kann der Parla­ments­dienst jedoch nicht mit Sicher­heit sagen. Klar ist aber: Rechts der Mitte war das Inter­esse an einem Klima­dialog zwischen Politik und Wissen­schaft bescheiden.

Wer war am Klima­dialog: Von den verschie­denen Frak­tionen haben sich folgende National- und Stän­de­räte mehr oder weniger verbind­lich für den Klima­dialog angemeldet:

  • Michaël Buffat
  • Jean-Pierre Grin
  • Thomas Aeschi
  • Hannes Germann
  • Jacques Nicolet
  • Albert Rösti
  • Damien Cottier
  • Johanna Gapany
  • Petra Gössi
  • Laurent Wehrli
  • Matthias Michel
  • Isabelle Moret
  • Andri Silber­schmidt
  • Mari­anne Binder-Keller
  • Pirmin Bischof
  • Isabelle Chassot
  • Charles Juil­lard
  • Philipp Kutter
  • Mari­anne Maret
  • Leo Müller
  • Benjamin Roduit
  • Marie-France Roth Pasquier
  • Martin Candinas
  • Marco Romano
  • Judith Bellaiche
  • Thomas Brunner
  • Katja Christ
  • Beat Flach
  • Michel Matter
  • Fran­çois Pointet
  • Melanie Mettler
  • Barbara Schaffner
  • Jörg Mäder
  • Matthias Aebi­scher
  • Elisa­beth Baume-Schneider
  • Samuel Bendahan
  • Brigitte Crottaz
  • Laurence Fehl­mann Rielle
  • Pierre-Alain Fridez
  • Baptiste Hurni
  • Pierre-Yves Mail­lard
  • Ada Marra
  • Min Li Marti
  • Samira Marti
  • Nadine Mass­hardt
  • Martina Munz
  • Roger Nord­mann
  • Gabriela Suter
  • Roberto Zanetti
  • Emma­nuel Amoos
  • Valérie Piller-Carrard
  • Ursula Schneider Schüttel
  • Bruno Storni
  • Edith Graf-Litscher
  • Jon Pult
  • Claudia Friedl
  • Mattea Meyer
  • Andrey Gerhard
  • Badert­scher Christine
  • Baumann Kilian
  • Clivaz Chri­stophe
  • Egger Kurt
  • Fabien Fivaz
  • Irène Kälin
  • Delphine Klop­fen­stein Broggini
  • Raphaël Mahaim
  • Lisa Mazzone
  • Katha­rina Prelicz-Huber
  • Stefania Prezioso Batou
  • Valen­tine Python
  • Fran­ziska Ryser
  • Mari­onna Schlatter
  • Adèle Thorens Goumaz
  • Céline Vara
  • Nicolas Walder
  • Manuela Weichelt
  • Regula Rytz
  • Michael Töngi
  • Gerhard Andrey
  • Isabelle Pasquier-Eichen­berger
  • Sibel Arslan
  • Maya Graf
  • Balthasar Glättli
  • Mathias Zopfi

Das ist wenig über­ra­schend. Schon bei den Verhand­lungen zum geschei­terten CO2-Gesetz gab es von links bis und teil­weise auch mit der FDP einen gemein­samen Nenner: Wir brau­chen ein CO2-Gesetz. Selbst­re­dend, dass man sich je nach Partei­zu­ge­hö­rig­keit nicht ganz einig darüber war, was in diesem Gesetz drin­stehen sollte. Aber die einzigen, die augen­schein­lich lieber einfach gar kein Gesetz hätten, als gemeinsam eines auszu­ar­beiten, sind die Vertreter*innen der SVP.

Seit 15 Jahren das Gleiche

Drei Stunden lang präsen­tierten Wissenschaftler*innen und Verfasser*innen der Berichte des Welt­kli­ma­rates und des Welt­bio­di­ver­si­täts­rates die neue­sten Erkennt­nisse und standen den Politiker*innen für Fragen zur Verfü­gung. Wie hängen Klima und Biodi­ver­sität zusammen? Was sind die Folgen der globalen Erwär­mung? Welche Anpas­sungen müssen drin­gend getroffen werden? Was sind die Folgen für die Gesellschaft?

Unwill­kür­lich fühlte ich mich in meine Studi­en­zeiten zurück­ver­setzt. Nicht nur, weil auch im Natio­nal­rats­saal die Hälfte der Stühle leer blieben, sondern auch inhalt­lich. 2008 habe ich mein Studium der Umwelt­na­tur­wis­sen­schaften abge­schlossen. Dass die Vortra­genden auch zwei Jahr­zehnte später immer noch dasselbe erzählen müssen, ist, gelinde gesagt, deprimierend.

Vor allem, weil es sich bei den hier Zuhö­renden nicht um Studie­rende handelt, sondern um Menschen, die den klima­po­li­ti­schen Kurs der Schweiz mass­geb­lich mitbe­ein­flussen. Ist es also sinn­voll, immer wieder über das Klima zu reden und Fakten, die längst allen bekannt sein sollten, zu wieder­holen? Sicher: Schaden kann es nicht.

Vertei­lungs­frage Klima

Aber eines bräuchte es meiner Meinung nach noch viel drin­gender, um in der Klima­po­litik endlich voran­zu­kommen: Umver­tei­lung. Denn schluss­end­lich sind es die finan­zi­ellen Sorgen der Stimm­be­völ­ke­rung, die von der SVP immer wieder instru­men­ta­li­siert werden können, um jegliche Gesetz­ge­bung zum Schutz unserer natür­li­cher Lebens­grund­lagen vor dem Volk zum Schei­tern zu bringen.

Ein paar Beispiele: Ölhei­zungen ersetzen? Viel zu teuer! Denkt doch auch mal an die Armen. Die Land­wirt­schaft so betreiben, dass wir die Böden weder auslaugen noch vergiften? Unmög­lich: Bioerd­beeren kann sich die allein­er­zie­hende Mutter nicht leisten! Russi­sches Erdöl boykot­tieren? Geht’s noch! Wie sollen denn die Wenig­ver­die­nenden zur Arbeit kommen?

Dass die Mass­nahmen gegen die Klima­krise etwas kosten werden, ist klar. Dass das gerade für klei­nere Porte­mon­naies kein Sonn­tags­spa­zier­gang wird, auch. Trotzdem ist es schlichtweg über­le­bens­not­wendig, dass wir endlich Gesetze erlassen, die sicher­stellen, dass wir unsere Lebens­grund­lagen nicht voll­ends zerstören.

Der Elefant im Raum könnte nicht grösser sein: Wir können all diese rich­tigen und wich­tigen gesell­schaft­li­chen Verän­de­rungen nicht angehen, weil die Armen arm sind. Oder noch genauer: weil die Reichen reich sind. Denn nicht nur das Aufnah­me­po­ten­tial der Erdat­mo­sphäre für CO2 ist eine begrenzte Ressource, die es fair zu verteilen gilt, sondern auch Geld, Boden, Wasser oder Mobi­lität. Kurz: Privi­le­gien und Wohlstand.

Die immer grösser werdende Kluft zwischen Arm und Reich trägt mass­geb­lich dazu bei, dass wir auf gesetz­li­cher Ebene nicht voran­kommen im Klima­schutz. Denn Ungleich­ver­tei­lung macht zurecht wütend und Wut kann instru­men­ta­li­siert werden.

Bleibt die Frage, wieso wir dann nichts gegen die zuneh­mende Ungleich­ver­tei­lung tun? Die Mass­nahmen wären bekannt: höhere Erbschafts­steuer, mehr Konzern­ver­ant­wor­tung, eine 1:12-Initiative oder auch die Einschrän­kung der Vermieter*innen, die den Leuten monat­lich grund­sätz­lich so viel Geld aus der Tasche ziehen können, wie sie wollen. Die Antwort: weil es die verhin­dern, die weder an einem Klima­dialog mit der Wissen­schaft noch an grif­figen Klima­re­geln inter­es­siert sind.


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