Hunger­streik fürs Klima: „Wir haben gewonnen“

Der Hunger­streik ist zu Ende. Ist das die Geburts­stunde der Klima-Task-Force? 
cc: #PapaOnHungerStrike
Klimaaktivist Guillermo Fernandez schaffte es am Schluss nur noch im Rollstuhl auf dem Bundesplatz. Es fanden mehrmals Solidaritätskundgebungen statt. (Foto: #PapaOnHungerStrike)

Am 1. November 2021 hat Guil­lermo Fernandez aufge­hört zu essen. Er ist in den Hunger­streik getreten. Seine Forde­rung: Umwelt­mi­ni­sterin Simo­netta Somma­ruga soll das Schweizer Parla­ment zu einer obli­ga­to­ri­schen Schu­lung über den Klima- und Umwelt­not­stand einladen. Um seiner Forde­rung Nach­druck zu verleihen, hat er sich jeden Tag mehrere Stunden lang auf den Bundes­platz gesetzt. Zuletzt nur noch im Roll­stuhl, der Hunger­streik hat ihn geschwächt.

Am 9. Dezember, nach fast 40 Tagen Hunger­streik, steht auf der Webseite des Klima­ak­ti­vi­sten: „Wir haben gewonnen.“ Die Bundes­ver­samm­lung werde am 2. Mai 2022 im Bundes­haus erwartet, um dort ein Brie­fing zur aktu­ellen Lage bezüg­lich Klima­er­hit­zung zu erhalten. Das Brie­fing werde direkt von den Wissenschaftler:innen des IPCC, also des Welt­kli­ma­rates, gehalten.

Ein Erfolg für das Klima. Denn unab­hängig davon, ob man für oder gegen höhere Benzin­preise ist: Wenn das höchste Entschei­dungs­gre­mium der Schweiz die Klima­krise eindämmen will, braucht es das Wissen über die neusten Erkennt­nisse aus der Forschung zum Thema.

Doch obwohl der Hunger­strei­kende seine Forde­rungen an die höchste Umwelt­be­amtin, Bundes­rätin Simo­netta Somma­ruga stellte, kann sie sich nicht mit diesem Erfolg brüsten. Denn nicht Somma­ruga hatte die Wissenschaftler:innen einge­laden, sondern die Natio­nal­rats­prä­si­dentin Irène Kälin.

Auf Anfrage schreibt uns Kälin Folgendes: „Der Anlass war bereits mit den Akade­mien der Wissen­schaft geplant. Ich habe aber entschieden, die Kommu­ni­ka­tion dieses Anlasses vorzu­ziehen in der Hoff­nung, dass wir damit Herrn Fernandez eine Hand reichen können, damit er seinen Hunger­streik beendet und wieder zu seiner Familie kann.“

War Somma­ruga gar nicht dazu befugt?

Eine kleine Rück­blende: 3. Dezember 2021, Fernandez befindet sich seit 33 Tagen im Hunger­streik. Damals wollte das Lamm von der Bundes­rätin wissen, wie sie sich zu den Forde­rungen des Klima­ak­ti­vi­sten posi­tio­niert. Deshalb erhielt Somma­rugas Depar­te­ment für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommu­ni­ka­tion (UVEK) eine Mail von uns:

Guten Tag, Frau Somma­ruga
Guten Tag, liebes Medi­en­team

Guil­lermo Fernandez ist nun seit mehreren Wochen im Hunger­streik. Er fordert, dass Sie, Frau Bundes­rätin Somma­ruga, das Parla­ment zu einer obli­ga­to­ri­schen Schu­lung über den Klima- und Umwelt­not­stand einladen.

Kürz­lich haben sich in einem offenen Brief nun auch Schweizer Klimawissenschaftler:innen hinter das Anliegen von Guil­lermo Fernandez gestellt. Darin schreiben die Wissenschaftler:innen, „dass eine direkte Infor­ma­tion der Schwei­ze­ri­schen Bundes­ver­samm­lung und der Regie­rung über die […] Klima- und Biodi­ver­si­täts­krise, mit der wir konfron­tiert sind, eine vernünf­tige Bitte ist, die hono­riert werden sollte“, und bieten an, nicht nur ein erstes Brie­fing durch­zu­führen, sondern in einen dauer­haften Dialog mit der Politik zu treten.

Mich würde nun inter­es­sieren, wie sich Frau Somma­ruga zu den Forde­rungen von Guil­lermo Fernandez und dem Angebot dieser Wissenschaftler:innen posi­tio­niert.

Liebe Grüsse, das Lamm

Kurz darauf erreichte uns auch schon die Antwort vom Medi­en­team der höch­sten Umweltbeamtin:

Sehr geehrtes Lamm

Guil­lermo Fernandez hat Bundes­rätin Somma­ruga einen Brief geschrieben, in dem er ihr seine Anliegen geschil­dert hat. Bundes­rätin Somma­ruga hat Herrn Fernandez in der Folge auf dem Bundes­platz besucht und mit ihm ein längeres Gespräch geführt. Herr Fernandez hat Bundes­rätin Somma­ruga seine Über­le­gungen zur Klima­krise darge­legt. Er möchte möglichst viele Menschen auf die Klima­krise aufmerksam machen. Bundes­rätin Somma­ruga hat ihm das Enga­ge­ment der Schweiz auf globaler Ebene aufge­zeigt, Herrn Fernandez über ihre persön­li­chen Erfah­rungen in Glasgow infor­miert und ihm die weiteren Schritte in der Schweizer Klima­po­litik darge­legt.

Zur wich­tigen Rolle der Wissen­schaft hat sich BR Somma­ruga jüngst am ETH-Tag geäus­sert und dort u. a. ja ange­kün­digt, die Zusam­men­ar­beit zu verstärken (vgl. Aussagen zur Platt­form für Klima­fragen der Akade­mien der Wissen­schaft Proclim).

Beste Grüsse, UVEK

Wir erhalten leider keine Antwort darauf, wie sich die Bundes­rätin zur Forde­rung von Fernandez stellt. Auch im erwähnten Gespräch mit dem Hunger­strei­kenden sei keine klare Antwort auf die Forde­rung gekommen: „Frau Somma­ruga hat nie direkt auf meinen Brief und meine Inter­pel­la­tionen geant­wortet, weder auf offi­zi­ellem Weg noch in einem persön­li­chen Schreiben noch bei unserem Gespräch am 17. November, bei dem sie meine Forde­rungen nicht ange­spro­chen hat“, so Fernandez auf Anfrage.

Warum nicht? Das UVEK behauptet, man hätte dazu über­haupt keine Befug­nisse gehabt. „Aufgrund der Gewal­ten­tei­lung entscheidet das Parla­ment autonom über seine Kontakte und den Austausch mit den verschie­denen Akteuren“, teilt uns das Depar­te­ment von Frau Somma­ruga in einem späteren Mail-Verkehr mit. War das UVEK also schlichtweg die falsche Adresse für die Forde­rungen des Hunger­strei­kenden? Lag es gar nicht in der Macht von Frau Somma­ruga, einen solchen Info­an­lass für die Parlamentarier:innen zu veranstalten?

Doch, meint Markus Müller, Professor für Staats- und Verwal­tungs­recht sowie öffent­li­ches Verfah­rens­recht an der Univer­sität Bern. Er fügt jedoch hinzu: „Frau Somma­ruga kann aber eine solche Schu­lung nicht als obli­ga­to­risch erklären. Gene­rell kann der Bundesrat dem Parla­ment nichts ‚befehlen‘. Aber der Bundesrat oder die UVEK-Vorste­herin könnten natür­lich eine solche Schu­lung und Sensi­bi­li­sie­rungs­ak­tion orga­ni­sieren und die Parlamentarier:innen dazu einladen.“ Dies nicht, weil ein hunger­strei­kender Bürger Druck macht, sondern weil die Ernst­haf­tig­keit der Krise dies verlangen würde, so Müller.

Braucht es eine Klima-Task-Force?

Seit der Covid-19-Task-Force ist das poli­ti­sche Bern eigent­lich an die Präsenz von Wissenschaftler:innen im Bundes­haus gewöhnt. Ein engerer Dialog mit Expert:innen für Klima- und Biodi­ver­si­täts­fragen, wie er von Fernandez gefor­dert wurde, ist also nicht abwegig. 

So eine Task-Force fände auch Julia Stein­berger eine gute Idee. Die Wissen­schaft­lerin hat den offenen Brief an die Politik mitun­ter­zeichnet und ist Mitau­torin des letzten IPCC-Berichts. Sie meint dazu: „Die Klima- und Biodi­ver­si­täts­krise beein­träch­tigt das Leben und die Sicher­heit der Schweizer:innen bereits jetzt negativ und wird es in Zukunft noch mehr tun. Ange­sichts dieser Realität wird ein einziges Treffen zwischen Wissenschaftler:innen und Politiker:innen sicher­lich nicht ausrei­chen, um unserer Verant­wor­tung gegen­über der Schweizer Bevöl­ke­rung gerecht zu werden.“

Auch Kälin ist der Meinung, dass die IPCC-Berichte des Welt­kli­ma­rates „DIE Quellen“ sind, wenn es ums Klima geht. „Krisen erfor­dern verläss­liche Grund­lagen um zu wissen, wie man die Krise bewäl­tigen kann“, sagt die neue Natio­nal­rats­prä­si­dentin gegen­über das Lamm. Auch sie wäre einer entspre­chenden Task-Force nicht abgeneigt.

Viel­leicht haben Irène Kälin und Guil­lermo Fernandez tatsäch­lich gerade den Beginn der Klima-Task-Force einge­läutet. Auf der Webseite des Hunger­strei­kenden steht jeden­falls, dass bereits weitere Präsen­ta­tionen und Dialoge geplant seien, wenn die näch­sten Berichte über die Klima- und Biodi­ver­si­täts­krise veröf­fent­licht werden.


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