„Wer trägt heute das Geschnittene von den Tischen weg?“
„Wer kümmert sich ums Feuer? „
„Wie viele Leute braucht es morgen beim Potsdamer Platz?“
„Und vergesst nicht, dass wir bei der Kochstelle bei der Heinrich-Böll-Stiftung keine Randen verarbeiten dürfen! Die haben Angst um ihren Teppich.“
Es ist später Nachmittag. Ich steh mit etwa dreissig Leuten in einem Kreis auf der Rampe eines alten Fabrikgebäudes im Berliner Stadtteil Moabit. Eine der Personen kenne ich. Die anderen habe ich noch nie gesehen. Sacha und Uli leiten die Runde und schreiben die Planung für die nächsten zwei Tage mit einem dicken Filzstift auf drei Poster, welche an einem Fenster zwischen den versprayten Wänden hängen. Es werden Aufgaben verteilt, Fragen beantwortet und Informationen ausgetauscht. Ich notiere mir meine wichtigsten Eckdaten auf dem Handy. Heute um 20 Uhr muss ich Suppe ausgeben. Morgen muss ich um 11 Uhr am Potsdamer Platz sein und danach weiter zum Brandenburger Tor.
Was ich hier mache? Ich koche mit dem Grüppli, das gerade auf der Rampe den Nachmittag plant, für 18’000 Leute Suppe. Dafür müssen wir 1,5 Tonnen Gemüse kleinschneiden, in Töpfen kochen, die 200 Liter fassen, und mit einem Stabmixer pürieren, der 80 cm lang ist.
Wieso ich das mache? Morgen ist die grosse „Wir haben es satt!“-Demo in Berlin. Wer hier mitläuft will keine industrielle Agrarwirtschaft, die jedes Jahr tonnenweise Pestizide auf den Feldern verteilt und den jungen Ferkeln bei vollem Bewusstsein die Schwänze abhackt. Er oder sie möchte gesundes Essen, eine bäuerlich-ökologischere Landwirtschaft und fairen Handel.
Leider ist es Januar. Und der Januar kann in Berlin einfach echt saukalt sein. Aber mit einer leckeren und warmen Suppe im Bauch lässt sich ja so einiges aushalten. Und genau das sei es, was er zusammen mit den anderen Kochaktivistinnen und ‑aktivisten zu dieser Demonstration beitragen wolle, erklärt mir Sacha vom Liechtensteiner KochKollektiv. Über eine Berliner Freundin, die aus Schaan stammt, bin ich ins Helferteam des KochKollektivs geraten. Die Leute vom KochKollektiv schmeissen überall dort ihre Riesenherdplatten an, wo hungrige Demonstrierende verpflegt werden wollen — sei das in Paris zum Klimagipfel, bei den G8-Treffen in Amsterdam oder beim veganen Bio-Mittagstisch auf dem Wochenmarkt in Balzers (FL).
Sacha und seine Crew sind aber bei weitem nicht die einzigen, die sich der Verpflegung von demonstrierenden Menschenmassen verschrieben haben. Für die „Wir haben es satt!“-Demo sind neun solche mobilen Demo-Küchen aus sieben Ländern nach Moabit in die alte Fabrikhalle gekommen. Neben dem Liechtensteiner KochKollektiv sind Leute von den Berliner Küchen Flaming Kitchen, Fahrende Gerüchteküche und Food for Aktion hier. Aus Dresden ist der Black Wok angereist. Das Kollektiv Rampenplan stammt aus den Niederlanden und die Coccina perdida aus der Tschechei. Und auch ein paar Schweizer von Retroduktion seien hier, erklärt mir Sacha. Dann wird er von irgendwoher irgendwohin gerufen und verschwindet in der internationalen Küchengemeinschaft.
Ich suche ein Plätzchen, wo ich mich nützlich machen kann. Denn bis zum ersten Fixpunkt sind noch drei Stunden Zeit. Rasch finde ich eines an der Waschstrasse für die Kartoffeln. Die nächsten Stunden werde ich meine Finger in eine grosse Wanne mit lauwarmem Wasser tunken und dabei Kartoffeln verschiedenster Grösse und Form mit einer hölzernen Bürste polieren. Doch dies geschieht eher nebenbei: Bald gilt meine Aufmerksamkeit vor allem der spannenden Plauderei mit meinen vielen MitschrubberInnen.
Ich lerne Natalie und Iris aus Zürich kennen. Sie haben gerade drei Wochen Urlaub in Schweden gemacht und wollen auf dem Nachhauseweg an die Demo in Berlin. In Schweden seien es eisige minus 17 Grad gewesen, erzählt mir Iris. Dafür hätten sie die Nordlichter gesehen. Später diskutiere ich mit Vivian und Sebastian, die beide gerade ihre Doktorarbeit in Umweltpsychologie schreiben, und lerne Urs kennen, der seit Jahren keinen festen Wohnsitz hat. Angeblich gäbe es europaweit nur eine einzige Versicherung, die Menschen ohne festen Wohnsitz versichere. Sie sei irgendwo in Hamburg. Die Stunden vergehen wie im Flug, während sich die Kartoffeln durch unsere Waschstrasse bewegen.
Ab 18 Uhr ändert sich die Stimmung. Die Fabrikhalle beginnt sich zu füllen. Da die KochaktivistInnen keine Zeit haben, um die 1,5 Tonnen Gemüse alleine kleinzuschneiden, gibt es am Vorabend zur Demo eine Schnippeldisko. Das Motto: Topf, Tanz und Talk. Hier wird Gemüse kleingehackt, bis die Rüstmesser glühen. Dazu gibt es Musik und ein kühles Bier von der Bar. Wer genug hat vom Gemüserüsten geht in den unteren Stock der Lagerhalle und motiviert sich bei Konzerten, Poetry-Slams und anderen Vorführungen für die nächste Schnippelrunde.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass hier heute Abend so manch einer seine Vivians, Sebastians und Natalies kennenlernen wird — und das, während man sich für gesunde Nahrungsmittel und eine tiergerechte Landwirtschaft einsetzt. Mittlerweile würden sie vor jedem etwas grösserem Event eine Schnippeldisko machen, erklärt mir Sacha bei einer Zigarettenpause an der Feuerschale. Es sei einfach ein geniales System. Die Leute hätten Spass, würden neue Bekanntschaften schliessen und die 1,5 Tonnen Gemüse seien im Handumdrehen kleingeschnitten.
Kurz darauf kommt nun endlich mein erster richtiger Einsatz. Es ist 20 Uhr und die Gäste der Schnippeldisko kriegen langsam Hunger. Ich schmeisse meinen Zigarettenstummel ins Feuer und kriege dafür eine ziemlich grosse Schöpfkelle in die Hand gedrückt: „Alles was du sagen musst, ist, dass sie die dreckigen Teller dort hinten in die grünen Kisten stellen sollen und dass da der Spendentopf ist”. Das kriege ich hin. Immer wieder werde ich gefragt, wieviel die Suppe koste. „Nix, aber du kannst was spenden, wenn du magst”, darf ich dann zur Antwort geben. Ich ernte an diesem Abend so viele Lächeln wie schon lange nicht mehr. Und das Klimpern der Spendenbox ist erstaunlich oft zu hören.
Ob das mit dem Geld funktioniere, will ich von Sacha wissen, als wir uns das nächste Mal bei der Feuerschale begegnen. „Ja”, sagt er, „wir kriegen über die Spenden eigentlich immer genug zusammen, um das eingekaufte Essen und das gemietete Equipment zu bezahlen”. Für das Menü am Pariser Klimagipfel hätten sie im Vorfeld 17 000 Franken Ausgaben gehabt. Alles kam wieder rein. Ein bisschen Gottvertrauen muss man da schon haben, denke ich mir, als ich gegen Mitternacht in Richtung U‑Bahn-Station durch die kalte Januarluft gehe.
Am nächsten Morgen stehe ich pünktlich um 11 Uhr auf dem Potsdamer Platz. Hier wird die Demo starten. Und hier soll die erste Suppenausgabe stattfinden. Neben einem Riesenhuhn und einem aufblasbaren Megaschwein komme ich auf meiner Suche nach meinem Suppenstand an nicht wenigen Menschen in Tierkostümen vorbei. „Mein Horn bleibt vorn“, steht auf dem Schild, das eine schwarz-weiss-gefleckte Kuh in die Höhe streckt. Und eine Henne demonstriert mit dem Slogan „Mein Schnabel ist meine Gabel“. Die Szenerie entlockt mir ein Lächeln, das mir aber zumindest ein bisschen im Hals stecken bleibt. Es ist einfach daneben, wie wir die Tiere verstümmeln, nur damit das Hühnerfleisch in unserem Thaicurry so günstig wie möglich ist.
Vor lauter protestierenden Hühnern und Riesenschweinen komme ich natürlich ein wenig zu spät zum Treffpunkt. Aber das ist ziemlich egal. Der Transporter sei mit den Suppen im Stau stecken geblieben, erklärt mir Urs. Mit daran schuld seien sicher auch die 130 Traktoren, die für die Demo aus ganz Deutschland extra nach Berlin gefahren seien. Das muss ich mir anschauen. Und da wir eh nichts zu tun haben, bis die Suppe hier ist, suche ich zwischen der Menschenmasse nach einem Konvoi aus Traktoren.
Finden tue ich sie und ihre LenkerInnen auf der Strasse des 17. Juni, aufgereiht in einer endlos erscheinenden Kette direkt vor dem Brandenburger Tor, wo die Demo enden soll. Vom Sauerland sei er gekommen, erzählt mir ein Bauer. Das seien über 500 km. Und das mit 14 Kilometern pro Stunde. Er wollte schon immer einmal mit seinem Traktor über den Potsdamer Platz fahren. Und es sei doch auch wichtig, dass die Bauern die Forderungen der DemonstrantInnen unterstützten, meint er schelmisch und streckt mir eine Bioschoggimilch entgegen, die er hier den DemonstrantInnen umsonst verteilt.
Um 14 Uhr können wir dann endlich anfangen, Suppe auszugeben — leider erst am Endpunkt der Demonstration. Umso grösser ist der Hunger der DemonstrantInnen. Die Thermobehälter leeren sich, die Bäuche füllen sich, und die Stapel mit dreckigen Tellern wachsen. „Jetzt läufts”, sagt Sacha grinsend, und man sieht ihm an, dass er froh ist, die Suppe nun endlich unters Volk bringen zu können.
Auch mir hat das etwas andere Demo-Erlebnis sehr gefallen. Ich stand zwar stundenlang in kalten Fabrikhallen und im eisigen Januarwind draussen rum. Doch wenn man sich zwischendurch am Feuer aufwärmen kann oder beim Abwaschen wieder warme Hände kriegt, geht das eigentlich ganz gut. Und beim Feierabendbier in der Abschlussrunde freue ich mich nicht nur über das leckere Bier, sondern auch über meine glühenden Backen, die langsam wieder auftauen. Ein Gefühl, das man sonst eigentlich nur nach einem Tag auf der Skipiste kennt. Es wird sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich beim KochKollektiv mitgeholfen habe.
Ich habe heute nicht nur eine gute Demonstration auf dem kulinarischen Weg unterstützt und frierende Menschen mit einem Teller Suppe glücklich gemacht. Sondern ich habe auch viele spannende Leute kennen gelernt. Gerade wenn man, wie ich, neu ist in einer Grossstadt, ist ein wenig Aktivismus auch nur schon deshalb wärmstens zu empfehlen ;-).
PS: Falls auch du einmal mitkochen willst, dann schreib dem Sacha eine Mail, damit er dich auf die Mailingliste für die Helferorganisation nehmen kann: koch@kollektiv.kitchen
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