Matri­ar­chat im Klimawandel

In ihrem ersten Roman „Ewig Sommer“ entwickelt die Autorin Franz­sika Gänsler intime Über­le­gungen über eine matri­ar­chale Gesell­schaft vor dem Hinter­grund einer bren­nenden Welt. Klima­wandel und Geschlech­ter­po­litik verschmelzen zu ein einer poetisch stim­migen Erzählung. 
Romantischer Sonnenuntergang oder brennendes Inferno - „Ewig Sommer" vereint beides in einem Werk (Foto: Dominik Hofbauer, unsplash)

Bren­nende Wälder, global stei­gende Tempe­ra­turen und Wasser­mangel bis in die gemäs­sigten Breiten: Der ewige Sommer, noch vor wenigen Jahren eine eisschlon­zende Feri­en­fan­tasie, ist in den letzten Jahren – gelinde gesagt – in Verruf geraten.

Fran­ziska Gänsler rührt also schon mit dem Titel ihres Debüt­ro­mans an Asso­zia­tionen, die gewis­ser­massen zwischen den Zeiten hängen geblieben sind: schönes Wetter versus tödliche Hitze, ewig baden gehen versus Trocken­heit und Dürre.

Und so wie der Titel kippelnd auf der Zeiten­wende steht, scheint die gesamte Erzäh­lung von „Ewig Sommer“ in einer Art Zwischen­be­reich fest­zu­stecken – zwischen den Gene­ra­tionen, Geschlech­tern, aktu­ellen poli­ti­schen Narra­tiven. Man wird den Eindruck nicht los, es mit einer sehr unent­schie­denen Erzäh­lung zu tun zu haben, die – so viel sei vorweg­ge­nommen – gerade aus dieser Unent­schie­den­heit am Ende inter­es­sante gegen­warts­po­li­ti­sche Lite­ratur schöpft.

Um was geht es?

Am Anfang befinden wir uns mit der Ich-Erzäh­lerin Iris in dem von ihr gelei­teten Hotel im fiktiven Ort Bad Heim. Das Hotel ist leer. Tourist*innen scheint es schon lange keine mehr zu geben.

Die Sommer in dieser Welt, die von uns aus gesehen ein paar Jahre in der Zukunft liegen mag, sind gefähr­lich – und gefähr­lich vertraut: Tags­über steigen die Tempe­ra­turen über vierzig Grad, es regnet kaum, die Wälder stehen in Flammen. Nach­rich­ten­bilder aus Grie­chen­land, Spanien oder Frank­reich lassen grüssen.

Keine ferne Science-Fiction

„Obwohl bereits Oktober war, hatte die Hitze der vergan­genen Tage die Brände noch einmal ange­facht. Im Garten konnte man die Hubschrauber hören, die über dem Wald krei­sten, außerdem alle zwei Stunden die Durch­sagen der Polizei, die die Orte in der Umge­bung abfuhr: Bleiben sie zu Hause, tragen sie Schutz­maske, halten sie die Fenster geschlossen.

Das ist auch aus Schweizer Perspek­tive, wo wir noch bis Ende Oktober im T‑Shirt draussen Kaffee getrunken haben, keine ferne Science-Fiction mehr.

Doch wer glaubt, jetzt die grosse Erzäh­lung vom Klima­wandel zu bekommen, die in der deutsch­spra­chigen Lite­ratur tatsäch­lich noch aussteht, wird zunächst enttäuscht. Schon nach wenigen Seiten treten die bren­nenden Wälder in den Hinter­grund und werden zur Kulisse eines fast kammer­spiel­ar­tigen Familiendramas.

Eine Frau namens Dori reist mit ihrer kleinen Tochter Ilya im Hotel an und bittet um ein Zimmer. Iris kümmert sich um die myste­riösen Fremden und geht bald eine sehr dezent erzählte, sehr zarte Bezie­hung zu Dori ein. Unter­stützt von einer reso­luten, lebens­er­fah­renen Nach­barin, die nur Baby genannt wird, weil sie als Kind Windel­model war, basteln sich die Protagonist*innen mitten im Ausnah­me­zu­stand einer bren­nenden Welt ein kleines unkon­ven­tio­nelles Familienidyll.

Gestört wird die fragile Harmonie, als sich Alex­ander Vargas, ein bislang unbe­kannter Mann, am Telefon meldet. Er suche seine Ehefrau und seine Tochter. Die Frau, bei der es sich natür­lich um Dori handelt, sei psychisch krank und nicht in der Lage, sich allein um das Kind kümmern.

Politik in Andeutungen

„Diese Über­le­gen­heit“, denkt Iris nach dem Anruf, „diese Haltung, er könne die Realität, das Befinden der Frau besser einschätzen als sie selbst. Der Versuch, mein Bild von Dori zu färben, obwohl ich eine völlig fremde Person war.“

In solchen Sätzen klingt das klas­si­sche Gaslighting-Motiv von der einge­re­deten Krank­heit an: Dori, die früher Schau­spie­lerin war, ihren Beruf aber nach Ilyas Geburt an den Nagel gehängt hat, will aus der Enge der Klein­fa­milie ausbre­chen. Der Mann zwingt sie zurück ins bürger­liche Korsett, indem er ihr und ihrem Umfeld sugge­riert, sie sei nicht zurech­nungs­fähig und müsse vor sich selbst beschützt werden.

Doch wie schon beim Thema Klima­wandel wird auch die miss­bräuch­liche Bezie­hung mehr ange­deutet als ausfor­mu­liert. Gänsler zeichnet den Mann gerade nicht als mani­pu­la­tiven Berserker. Im Gegen­teil: Er tritt sehr reflek­tiert und zurück­hal­tend auf, erkun­digt sich ein paarmal nach dem Wohl­ergehen „seiner“ Familie und hält sich anson­sten gera­dezu rück­sichts­voll im Hintergrund.

So spielt Gänsler geschickt mit den Diskurs­er­war­tungen eines jungen, poli­tisch wachen Lese­pu­bli­kums, ohne einfache Klischees zu bedienen. Sie legt Fährten, die oft sehr zeit­gei­stig daher­kommen, nur um sofort in eine andere Rich­tung abzu­biegen. Ihrem Text verleiht sie damit etwas Rätsel­haftes, Undurch­dring­li­ches, das weniger agitativ als nach­denk­lich stimmt.

Trotzdem wird man beim Lesen das Gefühl einer gewissen Verharm­lo­sung nicht los. Wer so explizit Klima­wandel und Miss­brauch in der Ehe benennt, stellt sich selbst vor die Aufgabe, diesen Themen auch gerecht zu werden. Rein als Vorlagen für uner­war­tete Wendungen, als Mittel, um Span­nung zu erzeugen oder die Erzäh­lung poetisch zu verrät­seln, taugen sie nicht.

Beson­ders deut­lich wird das, wenn sich der meta­pho­risch aufge­la­dene ewige Sommer schliess­lich doch dem Ende zuneigt. Auf dem Höhe­punkt der Wald­brände gesellen sich zu der kleinen Gemein­schaft noch die beiden Klimaaktivist*innen Lou und Cleo, die von den Flammen aus ihrem nahe gele­genen Protest­camp vertrieben wurden.

Ein Hotel für das Matriarchat

Jetzt bildet sich im Hotel eine Art Vier­ge­ne­ra­tio­nen­haus von Frauen; eine moderne Gesell­schaft, die klar als posi­tive poli­ti­sche Utopie gezeichnet wird. In den Gesprä­chen der Figuren – beson­ders aber in den Situa­ti­ons­be­schrei­bungen Gäns­lers – flackert die Hoff­nung auf eine andere, eine fairere Welt auf.

Gemeinsam hört man alte Schall­platten, trinkt, lacht und tauscht gene­ra­tio­nen­über­grei­fende Erfah­rungen aus. Die schon etwas ältere Baby weiß über Körper­lich­keit und weib­liche Beschwerden Bescheid. Lou und Cleo liefern das Wissen der jüng­sten Gene­ra­tion zur femi­ni­sti­schen Sprach­po­litik. Und Iris und Dori stehen vermit­telnd dazwi­schen, ordnen ein, bilden sich weiter:

„Die Weise, in der sie die masku­linen und femi­ninen Formen zusammen ausspra­chen, Bürger:innen, Aktivist:innen, Politiker:innen. Ich merkte, dass mein eigenes Spre­chen mir veraltet vorkam, dass meine Passi­vität, mein Ausharren im Hotel etwas war, das ich erklären musste.“

Während drinnen die Frei­heit von patri­ar­chaler Männ­lich­keit gelebt wird, tobt draussen jedoch immer noch das Höllen­feuer. Hitze, Zerstö­rung, Gewalt über­la­gern die posi­tive Zukunftsvision.

Der Mann bringt den Regen

Durch den harten Kontrast zwischen poli­ti­scher und meta­pho­ri­scher Ebene wird die Utopie aber selbst zu einer Art Unter­gangs­fan­tasie. Als würden die von Frauen geprägte Gesell­schaft und das Ende der Welt auf uner­klär­liche Weise zusammengehören.

Das mag noch angehen, solange die Frauen tatsäch­lich alleine sind und das Feuer einfach konstant vor sich hin wütet. Dann stehen beide Ebenen unver­mit­telt neben­ein­ander, ohne sich zu sehr mit Bedeu­tung aufzuladen.

Dabei bleibt es aber nicht.

Als das Wetter am Ende doch noch umschlägt, betritt ausge­rechnet in diesem bedeut­samen Moment der einzige Mann das kleine Hotel. Ein erlö­sender lauwarmer Regen fällt vom Himmel, löscht das tobende Feuer und spült Doris‘ Ehemann buch­stäb­lich zur Tür herein.

Späte­stens jetzt gehören Klima­wandel und Geschlech­ter­po­litik erzähl­tech­nisch so fest zusammen, dass die Gesell­schaft der Frauen in „Ewig Sommer“ auf ewig mit heisser, undurch­dring­li­cher, bren­nender Vernich­tung verbunden bleibt.

Der Mann aber, leger mit Regen­schirm in der Hand, steht … ja für was? Letzt­lich für genau das, wofür er in Jahr­hun­derten der patri­ar­chal geprägten Lite­ratur schon immer stand: für die kühle Vernunft.

„Die Luft des langen Sommers zog endlich nach draußen. Es war endlich vorbei. […] Dori und Ilya waren in ihrem Zimmer. Als ich von der Rezep­tion aus den Mercedes auf den Park­platz fahren sah, wusste ich sofort, wer darin saß und warum.“

Hoff­nungslos aus der Unentschiedenheit

Man blin­zelt ungläubig, liest die entspre­chenden Passagen noch einmal, aber kommt zu keinem anderen Schluss: Der Mann bedankt sich höflich bei Iris für die Unter­stüt­zung. Dori fügt sich in ihr Schicksal, packt das Kind, packt ihre wenigen Habse­lig­keiten und verlässt das Hotel als einen wahr­haft utopi­schen Ort – einen Ort, den es nie gegeben hat und niemals geben wird.

Klima­wandel als Folge anti­pa­tri­ar­chaler Politik? Das männ­liche Prinzip als letzte Rettung? „Ewig Sommer“ lässt die Leser*in mit diesen schrägen Gedanken plötz­lich und unver­mit­telt allein zurück.

Aber wahr­schein­lich ist es dieser Schock­mo­ment, auf den Gänsler bewusst hinaus­will. Einer Autorin, die so gekonnt mit poli­ti­schen Erwar­tungen spielt, darf man unter­stellen, dass sie bis zum Schluss weiss, was sie schreibt.

Wenn dem aber so ist, dann steckt in „Ewig Sommer“ – trotz seines lako­ni­schen, fast gleich­gül­tigen Erzähl­tons – bitter­böse Ironie. Denn dann wäre die vermeint­liche Unent­schie­den­heit der Erzäh­lung Ausdruck einer knall­harten Hoff­nungs­lo­sig­keit: Egal welchen Ausweg wir wählen, am Ende stehen wir wieder am Anfang.

Und dann wäre „Ewig Sommer“ viel­leicht doch jene grosse Erzäh­lung zur Klima­krise, die man beim ersten Blick ins Buch erwartet hat. Denn was bringt die aktu­elle Situa­tion besser zum Ausdruck als Hoffnungslosigkeit?

Fran­ziska Gänsler: „Ewig Sommer“, Kein & Aber, Zürich 2022, 208 Seiten


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