Schwerwiegende Umweltverschmutzungen, Schmiergeldzahlungen und Drohungen gegen Aktivist:innen: All diese Vorwürfe lässt das Datenleak Mining Secrets gegen das Zuger Minenunternehmen Solway Group und dessen Niederlassung in Guatemala erheben. Über Monate haben Journalist:innen des Netzwerks Forbidden Stories die Daten ausgewertet und veröffentlichen diese nun in verschiedenen Ländern.
Kein deutschsprachiges Schweizer Medium war daran beteiligt.
Die geleakten Dokumente aus dem Inneren des Unternehmens erhärten die Vorwürfe gegen eine Mine, die seit Jahren den Unmut der lokalen Bevölkerung auf sich zieht. Das Datenleak kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt für den russisch-lettischen Besitzer Aleksandr Bronstein, dem enge Beziehungen zum russischen Regime nachgesagt werden.
Die geleakten Daten sind über das Portal DDOSecrets seit dem 6. März frei verfügbar. Die schiere Grösse der Datei – über 4,2 Terabyte – lässt vermuten, dass in den kommenden Wochen weitere Enthüllungen erwartet werden dürfen.
Doch eins nach dem anderen.
Als sich der See rot färbte
Im Jahr 2017 ging für die Fischer:innen von El Estor die Welt unter. Eines Morgens war der komplette See bei El Estor, der Lago Izabal, rot verfärbt. Die Gewässer sind die Lebensgrundlage und das Trinkwasserreservoir der ansässigen indigenen Maya‑Q’eqchi‘-Bevölkerung, die zum Teil vom Fischfang lebt. Die Verfärbung legte eine massive Verschmutzung der sonst sehr reinen Gewässer nahe.
Direkt neben der Kleinstadt El Estor liegt eine riesige Nickelmine samt Industrieanlage, die sich im Besitz des Zuger Unternehmens Solway Group befindet. Man hatte bereits zu Beginn vermutet, dass dort ein Fehler unterlaufen sei und giftige Stoffe in den See geleitet wurden, welche zu der roten Färbung führten. Doch beweisen konnte es niemand. Trotzdem begehrten die Fischer:innen von nun an gegen die Mine auf.
Als Reaktion auf ihren Protest begann eine Welle der Repression gegen die lokale Bevölkerung. Gleich zu Beginn der Proteste wurde der Fischer Carlos Maaz von der Polizei erschossen. Das Datenleak beweist nun, dass Journalist:innen, die über die Situation berichten wollten, juristisch verfolgt, bedroht und vom Unternehmen auf Schritt und Tritt überwacht wurden. Es herrscht ein Klima der Angst, dass sich bis heute fortsetzt, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet.
Gleichzeitig stieg die Anzahl von Haut- und Lungenerkrankungen bei der lokalen Bevölkerung messbar an. Fischer:innen berichteten über einen Rückgang der Anzahl Tiere und vermehrte Sichtungen toter Fische. Der wenige Fang, den sie noch erzielten, konnte laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung aufgrund des schlechten Rufs der Gewässer nur noch schwer verkauft werden. Doch staatliche Konsequenzen blieben aus. Die Mine funktionierte unbekümmert weiter.
Nun, gut fünf Jahre später, zeigt sich dank der geleakten Daten: Das Unternehmen vertuschte mit Unterstützung der guatemaltekischen Regierung Beweise und war sich von Anfang an des Schadstoffunfalls bewusst. Abfälle seien unkontrolliert in den See geleitet worden und gleichzeitig sei die Feinstaubbelastung seit Inbetriebnahme über die internationalen Normwerte gestiegen. Regelmässige interne Messungen würden eine Nickelkonzentration im Feinstaub von 150 und bis zu 800 Nanogramm anzeigen, während es in der EU maximal 20 sein dürfen. Doch in Guatemala existieren keine Maximalwerte.
Die Behörden waren Mittäter und schritten nicht gegen die Umweltbelastung ein.
Gerichtsurteile ohne Wirkung
Gegenüber das Lamm hatte bereits im November 2021 der guatemaltekische Radiojournalist Walter Cúc erzählt, dass die indigene Maya‑Q’eqchi‘-Bevölkerung vor Gericht gegen den Konzern geklagt hatte. Auf Basis des von Guatemala ratifizierten Übereinkommens 169 der internationalen Arbeitsorganisation zum Schutz der indigenen Bevölkerung hätte bereits im Jahr 2014 eine Befragung stattfinden sollen. Dazu kam es nicht.
Nach unzähligen Verhandlungen befand im Juli 2019 das Verfassungsgericht, die Mine müsse ihre Aktivitäten einstellen, zumindest bis eine Konsultation die Aktivitäten wieder gutheisse. Im Februar 2021 ist das Urteil rechtskräftig geworden. Die Mine hätte schliessen müssen. Doch Bewohner:innen klagten, dass die Minenaktivitäten unverblümt weitergingen, ohne dass der Staat intervenierte. Das Unternehmen behauptete, man würde nur in Bereichen weiterarbeiten, die nicht vom Urteil betroffen waren.
Im Hintergrund wurde zudem eifrig Einfluss auf die Justiz und Polizeibehörden genommen. Die spanische Zeitung El País berichtet mit Verweis auf Mining Secrets, wie Solway die Kosten für die Polizeiaktionen gegen Protestierende übernahm und Politiker:innen schmierte. Die Unternehmensführung verteilte unverblümt Geschenke an Staatsbeamte, Richter:innen und Staatsanwält:innen.
Damit noch nicht genug: Der guatemaltekische Präsident Alejandro Giammattei reagierte persönlich auf die Anfragen des Unternehmens, das Militär in die Region zu entsenden und den Ausnahmezustand zu deklarieren, um die Proteste der lokalen Bevölkerung zu unterdrücken.
Dabei gab es im Hintergrund Geldgeschenke. Im August 2021 veröffentlichte die New York Times einen Bericht, demzufolge der Präsident als Dankeschön von einem russischen Geschäftspartner der Solway Group einen Teppich voller Geld überreicht bekommen haben soll. Der Vorfall wurde als sogenannter Fliegender-Teppich-Skandal bekannt.
Als Reaktion auf den Skandal und die sich anbahnenden Ermittlungen verschärfte die guatemaltekische Regierung die Verfolgung von Richter:innen und Staatsanwält:innen, die versuchen, gegen die herrschende Korruption und den zunehmenden Einfluss der organisierten Kriminalität vorzugehen. Mehrere Dutzend von ihnen sind mittlerweile ins Exil gegangen, wie El País berichtet.
Ingrid Wehr, Leiterin des Regionalbüros Zentralamerika der deutschen Heinrich Böll Stiftung mit Sitz in El Salvador, kritisiert gegenüber das Lamm das Verhalten des Unternehmens scharf. Der Fall stünde im Kontext einer massiven Verfolgung unabhängiger Richter:innen und Staatsanwält:innen, „die zu weiteren Repressionsmassnahmen gegen indigene Gemeinden und Menschenrechtsverteidiger:innen in Guatemala führen könnte“, so Wehr.
Die Stiftung arbeitet mit guatemaltekischen Partnerorganisationen zusammen, die illegale Praktiken von Bergbauunternehmen untersuchen und betroffene indigene Gemeinden beraten. Wehr meint, der Fall zeige einmal mehr, dass strenge Konzernverantwortungs- und Lieferkettengesetze notwendig seien, um europäische Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen. Unternehmen die, so Wehr, „wie die Solway in Guatemala, in bewusster Komplizenschaft mit korrupten Regierungen irreversible Umweltschäden verursachen und die Rechte indigener Völker verletzen, um die eigenen Profitinteressen zu sichern.“
Das „russische Unternehmen“ und Schweizer Verbindungen
Schon während der Proteste von 2017 und 2021 berichteten guatemaltekische Medien über das „russische Minenunternehmen Solway Group“. Auch die spanische Zeitung El País übernimmt diese Darstellungsweise.
Denn das Unternehmen mit Sitz in Zug gehört dem lettisch-russischen Oligarchen Aleksandr Bronstein. Gegenüber das Lamm erzählte der Radiojournalist Walter Cúc, dass das gesamte Kader der Nickelmine mit russischem Personal besetzt worden sei. „In El Estor gibt es eine Gated Community für die Arbeiter:innen und Familien, die aus Russland nach Guatemala gebracht werden“, meinte Cúc im November 2021.
Bronstein ist laut dem niederländischen Investigativportal Bellingcat durch Investitionen im russischen Rohstoff- und Finanzsektor in den 90er-Jahren reich geworden. Aus jener Zeit werden ihm enge Verbindungen zu Vladimir Putins engstem Zirkel nachgesagt. Zur gleichen Zeit investierte er in Westeuropa und gründete im Jahr 1992 die Solway Group, die zu Beginn aus privatisierten Werken in Russland und der Ukraine bestand, bevor sie in andere Länder expandierte.
Aus dieser Zeit scheint der Unternehmer weiterhin gute Beziehungen zu russischen Unternehmen zu haben. Die Enthüllungen von Forbidden Stories zeigen enge Geschäftsbeziehungen zur russisch-kasachischen Mayanickel SA – einem guatemaltekischen Konzern bestehend aus russischem Kapital, dessen Mitarbeiter dem Präsidenten von Guatemala den besagten Teppich mit Geld überreichten.
Doch nicht nur in Guatemala arbeitet Solway mit russischen Partnern zusammen. In Argentinien versucht das Unternehmen seit Jahren eine mittelgrosse Kupfermine mit der russischen Aterra Capital aufzubauen, allerdings bislang mit nur wenigen Fortschritten.
Offiziell hat die Solway Group mit dem Einmarsch von Putins Truppen in die Ukraine alle Verbindungen nach Russland gekappt. Drei Tage vor den Veröffentlichungen der geleakten Daten durch Forbidden Stories verurteilte das Unternehmen „die Aktionen der russischen Regierung gegen die ukrainische Bevölkerung“, ohne die Wörter Krieg oder Invasion zu nutzen. Man kann davon ausgehen, dass das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt über die bevorstehenden Artikel zu den geleakten Daten bereits Bescheid wusste.
Nach den Veröffentlichungen kommunizierte das Unternehmen über eine Medienmitteilung: Man bestreite alle Anschuldigungen sowie Behauptungen, man habe Verbindungen nach Russland, und verurteile den Cyberangriff auf die eigene Infrastruktur.
Gegenüber der Süddeutschen Zeitung behauptete das Unternehmen, dass unter anderem das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) und die Schweizer Botschaft in Guatemala das Verhalten der Mine kontrollieren und die Gesetzeskonformität garantieren können.
Das SECO schreibt auf Anfrage von das Lamm, man führe zusammen mit dem EDA einen „regelmässigen und kritischen Dialog“ mit dem Unternehmen Solway sowie mit NGOs über den Betrieb der Mine. „Seit 2020 fanden drei Treffen mit dem Unternehmen im SECO statt“, so der Mediensprecher Fabian Maienfisch.
„Sowohl das SECO als auch das EDA streben ein Treffen zwischen den Schweizer NGOs (Guatemalanetz Bern, Guatemalanetz Zürich, HEKS/Fastenopfer) und dem Unternehmen an“, schreibt Maienfisch. Diese seien allerdings aufgrund gewisser Vorbedingungen bislang nicht zustande gekommen.
Dem SECO liegen derweil keine Unterlagen vor, die Verbindungen zum russischen Regime bestätigen würden. Maienfisch ergänzt: „Die im Handelsregister des Kantons Zug eingetragenen Führungskräfte und Eigentümer [sind] weder russische Staatsbürger noch in Russland ansässig.“
Weisse Weste
Im Dezember 2021 endete in Guatemala das Konsultationsverfahren mit der indigenen Bevölkerung, das nach dem Gerichtsurteil von 2019 angestrebt worden war. Laut Befragung stimmte eine Mehrheit für die Minenaktivitäten von Solway. Gemäss The Guardian und der Zeit wurden für den „positiven“ Ausgang Stimmen gekauft und andere Menschen bedroht.
Geleakte Mails sollen Überlegungen von Angestellten der Mine zeigen, gezielt falsche Gerüchte gegen Gegner:innen der Mine verbreiten zu wollen. So etwa, dass manche Personen HIV-positiv seien. Andere Mails schlugen vor, Felder von Minengegner:innen nieder zu brennen.
Im Jahr 2019, als das guatemaltekische Verfassungsgericht die Aktivitäten der Mine bis auf Weiteres verbot, soll das Unternehmen laut Informationen von RTS einen Vertrag mit der Schweizer Friedensstiftung swisspeace abgeschlossen haben, um „schnelle Lösungen“ für den Konflikt mit der Bevölkerung zu finden. Die Stiftung wird unter anderem vom Bund finanziert und ist als Institut mit der Universität Basel assoziiert.
Besonders brisant ist allerdings, dass der Vertrag gemeinsam mit den Lobbyunternehmen Enemco und FurrerHugi abgeschlossen wurde, die während der Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative aufseiten der Gegner:innen aktiv waren. Laut dem Direktor von swisspeace, Laurent Goetschel, helfe man der Solway Group lediglich dabei, internationale Standards einzuhalten.
Korrigendum: Wir hatten zu Beginn geschrieben, dass kein Schweizer Medium an der Recherche teilgenommen hat. Das stimmt nicht: Radio Television Suisse (RTS) hatte Einsicht zu den geleakten Dokumenten. Am 11. März haben wir die entsprechende Stelle angepasst.
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