Mining Secrets: „Russi­sches Kapital“ in Schweizer Deckung

Nach einem Daten­leak kommen schwere Vorwürfe gegen die Minen­ak­ti­vi­täten des Zuger Unter­neh­mens Solway Group auf. In den Strudel der Skan­dale könnten weitere Schweizer Akteur:innen gezogen werden. 
Ausgebuddelt aus der Erde. Minenaktivitäten hinterlassen tote Löcher. (Foto: Ivan Bandura/Unsplash)

Schwer­wie­gende Umwelt­ver­schmut­zungen, Schmier­geld­zah­lungen und Drohungen gegen Aktivist:innen: All diese Vorwürfe lässt das Daten­leak Mining Secrets gegen das Zuger Minen­un­ter­nehmen Solway Group und dessen Nieder­las­sung in Guate­mala erheben. Über Monate haben Journalist:innen des Netz­werks Forbidden Stories die Daten ausge­wertet und veröf­fent­li­chen diese nun in verschie­denen Ländern.

Kein deutsch­spra­chiges Schweizer Medium war daran beteiligt.

Die gele­akten Doku­mente aus dem Inneren des Unter­neh­mens erhärten die Vorwürfe gegen eine Mine, die seit Jahren den Unmut der lokalen Bevöl­ke­rung auf sich zieht. Das Daten­leak kommt zu einem denkbar ungün­stigen Zeit­punkt für den russisch-letti­schen Besitzer Aleksandr Bron­stein, dem enge Bezie­hungen zum russi­schen Regime nach­ge­sagt werden.

Die gele­akten Daten sind über das Portal DDOSe­crets seit dem 6. März frei verfügbar. Die schiere Grösse der Datei – über 4,2 Tera­byte – lässt vermuten, dass in den kommenden Wochen weitere Enthül­lungen erwartet werden dürfen.

Doch eins nach dem anderen.

Als sich der See rot färbte

Im Jahr 2017 ging für die Fischer:innen von El Estor die Welt unter. Eines Morgens war der komplette See bei El Estor, der Lago Izabal, rot verfärbt. Die Gewässer sind die Lebens­grund­lage und das Trink­was­ser­re­ser­voir der ansäs­sigen indi­genen Maya‑Q’eqchi‘-Bevölkerung, die zum Teil vom Fisch­fang lebt. Die Verfär­bung legte eine massive Verschmut­zung der sonst sehr reinen Gewässer nahe.

Direkt neben der Klein­stadt El Estor liegt eine riesige Nickel­mine samt Indu­strie­an­lage, die sich im Besitz des Zuger Unter­neh­mens Solway Group befindet. Man hatte bereits zu Beginn vermutet, dass dort ein Fehler unter­laufen sei und giftige Stoffe in den See geleitet wurden, welche zu der roten Färbung führten. Doch beweisen konnte es niemand. Trotzdem begehrten die Fischer:innen von nun an gegen die Mine auf.

Als Reak­tion auf ihren Protest begann eine Welle der Repres­sion gegen die lokale Bevöl­ke­rung. Gleich zu Beginn der Proteste wurde der Fischer Carlos Maaz von der Polizei erschossen. Das Daten­leak beweist nun, dass Journalist:innen, die über die Situa­tion berichten wollten, juri­stisch verfolgt, bedroht und vom Unter­nehmen auf Schritt und Tritt über­wacht wurden. Es herrscht ein Klima der Angst, dass sich bis heute fort­setzt, wie die Süddeut­sche Zeitung berichtet.

Gleich­zeitig stieg die Anzahl von Haut- und Lungen­er­kran­kungen bei der lokalen Bevöl­ke­rung messbar an. Fischer:innen berich­teten über einen Rück­gang der Anzahl Tiere und vermehrte Sich­tungen toter Fische. Der wenige Fang, den sie noch erzielten, konnte laut einem Bericht der Süddeut­schen Zeitung aufgrund des schlechten Rufs der Gewässer nur noch schwer verkauft werden. Doch staat­liche Konse­quenzen blieben aus. Die Mine funk­tio­nierte unbe­küm­mert weiter.

Nun, gut fünf Jahre später, zeigt sich dank der gele­akten Daten: Das Unter­nehmen vertuschte mit Unter­stüt­zung der guate­mal­te­ki­schen Regie­rung Beweise und war sich von Anfang an des Schad­stoff­un­falls bewusst. Abfälle seien unkon­trol­liert in den See geleitet worden und gleich­zeitig sei die Fein­staub­be­la­stung seit Inbe­trieb­nahme über die inter­na­tio­nalen Norm­werte gestiegen. Regel­mäs­sige interne Messungen würden eine Nickel­kon­zen­tra­tion im Fein­staub von 150 und bis zu 800 Nano­gramm anzeigen, während es in der EU maximal 20 sein dürfen. Doch in Guate­mala existieren keine Maximalwerte.

Die Behörden waren Mittäter und schritten nicht gegen die Umwelt­be­la­stung ein.

Gerichts­ur­teile ohne Wirkung

Gegen­über das Lamm hatte bereits im November 2021 der guate­mal­te­ki­sche Radio­jour­na­list Walter Cúc erzählt, dass die indi­gene Maya‑Q’eqchi‘-Bevölkerung vor Gericht gegen den Konzern geklagt hatte. Auf Basis des von Guate­mala rati­fi­zierten Über­ein­kom­mens 169 der inter­na­tio­nalen Arbeits­or­ga­ni­sa­tion zum Schutz der indi­genen Bevöl­ke­rung hätte bereits im Jahr 2014 eine Befra­gung statt­finden sollen. Dazu kam es nicht.

Nach unzäh­ligen Verhand­lungen befand im Juli 2019 das Verfas­sungs­ge­richt, die Mine müsse ihre Akti­vi­täten einstellen, zumin­dest bis eine Konsul­ta­tion die Akti­vi­täten wieder gutheisse. Im Februar 2021 ist das Urteil rechts­kräftig geworden. Die Mine hätte schliessen müssen. Doch Bewohner:innen klagten, dass die Minen­ak­ti­vi­täten unver­blümt weiter­gingen, ohne dass der Staat inter­ve­nierte. Das Unter­nehmen behaup­tete, man würde nur in Berei­chen weiter­ar­beiten, die nicht vom Urteil betroffen waren.

Im Hinter­grund wurde zudem eifrig Einfluss auf die Justiz und Poli­zei­be­hörden genommen. Die spani­sche Zeitung El País berichtet mit Verweis auf Mining Secrets, wie Solway die Kosten für die Poli­zei­ak­tionen gegen Prote­stie­rende über­nahm und Politiker:innen schmierte. Die Unter­neh­mens­füh­rung verteilte unver­blümt Geschenke an Staats­be­amte, Richter:innen und Staatsanwält:innen.

Damit noch nicht genug: Der guate­mal­te­ki­sche Präsi­dent Alejandro Giam­mattei reagierte persön­lich auf die Anfragen des Unter­neh­mens, das Militär in die Region zu entsenden und den Ausnah­me­zu­stand zu dekla­rieren, um die Proteste der lokalen Bevöl­ke­rung zu unterdrücken.

Dabei gab es im Hinter­grund Geld­ge­schenke. Im August 2021 veröf­fent­lichte die New York Times einen Bericht, demzu­folge der Präsi­dent als Danke­schön von einem russi­schen Geschäfts­partner der Solway Group einen Teppich voller Geld über­reicht bekommen haben soll. Der Vorfall wurde als soge­nannter Flie­gender-Teppich-Skandal bekannt.

Als Reak­tion auf den Skandal und die sich anbah­nenden Ermitt­lungen verschärfte die guate­mal­te­ki­sche Regie­rung die Verfol­gung von Richter:innen und Staatsanwält:innen, die versu­chen, gegen die herr­schende Korrup­tion und den zuneh­menden Einfluss der orga­ni­sierten Krimi­na­lität vorzu­gehen. Mehrere Dutzend von ihnen sind mitt­ler­weile ins Exil gegangen, wie El País berichtet.

Ingrid Wehr, Leiterin des Regio­nal­büros Zentral­ame­rika der deut­schen Hein­rich Böll Stif­tung mit Sitz in El Salvador, kriti­siert gegen­über das Lamm das Verhalten des Unter­neh­mens scharf. Der Fall stünde im Kontext einer massiven Verfol­gung unab­hän­giger Richter:innen und Staatsanwält:innen, „die zu weiteren Repres­si­ons­mass­nahmen gegen indi­gene Gemeinden und Menschenrechtsverteidiger:innen in Guate­mala führen könnte“, so Wehr. 

Die Stif­tung arbeitet mit guate­mal­te­ki­schen Part­ner­or­ga­ni­sa­tionen zusammen, die ille­gale Prak­tiken von Berg­bau­un­ter­nehmen unter­su­chen und betrof­fene indi­gene Gemeinden beraten. Wehr meint, der Fall zeige einmal mehr, dass strenge Konzern­ver­ant­wor­tungs- und Liefer­ket­ten­ge­setze notwendig seien, um euro­päi­sche Unter­nehmen zur Verant­wor­tung zu ziehen. Unter­nehmen die, so Wehr, „wie die Solway in Guate­mala, in bewusster Kompli­zen­schaft mit korrupten Regie­rungen irrever­sible Umwelt­schäden verur­sa­chen und die Rechte indi­gener Völker verletzen, um die eigenen Profit­in­ter­essen zu sichern.“ 

Das „russi­sche Unter­nehmen“ und Schweizer Verbindungen

Schon während der Proteste von 2017 und 2021 berich­teten guate­mal­te­ki­sche Medien über das „russi­sche Minen­un­ter­nehmen Solway Group“. Auch die spani­sche Zeitung El País über­nimmt diese Darstellungsweise.

Denn das Unter­nehmen mit Sitz in Zug gehört dem lettisch-russi­schen Olig­ar­chen Aleksandr Bron­stein. Gegen­über das Lamm erzählte der Radio­jour­na­list Walter Cúc, dass das gesamte Kader der Nickel­mine mit russi­schem Personal besetzt worden sei. „In El Estor gibt es eine Gated Commu­nity für die Arbeiter:innen und Fami­lien, die aus Russ­land nach Guate­mala gebracht werden“, meinte Cúc im November 2021.

Bron­stein ist laut dem nieder­län­di­schen Inve­sti­ga­tiv­portal Bellingcat durch Inve­sti­tionen im russi­schen Rohstoff- und Finanz­sektor in den 90er-Jahren reich geworden. Aus jener Zeit werden ihm enge Verbin­dungen zu Vladimir Putins engstem Zirkel nach­ge­sagt. Zur glei­chen Zeit inve­stierte er in West­eu­ropa und grün­dete im Jahr 1992 die Solway Group, die zu Beginn aus priva­ti­sierten Werken in Russ­land und der Ukraine bestand, bevor sie in andere Länder expandierte.

Aus dieser Zeit scheint der Unter­nehmer weiterhin gute Bezie­hungen zu russi­schen Unter­nehmen zu haben. Die Enthül­lungen von Forbidden Stories zeigen enge Geschäfts­be­zie­hungen zur russisch-kasa­chi­schen Maya­nickel SA – einem guate­mal­te­ki­schen Konzern bestehend aus russi­schem Kapital, dessen Mitar­beiter dem Präsi­denten von Guate­mala den besagten Teppich mit Geld überreichten.

Doch nicht nur in Guate­mala arbeitet Solway mit russi­schen Part­nern zusammen. In Argen­ti­nien versucht das Unter­nehmen seit Jahren eine mittel­grosse Kupfer­mine mit der russi­schen Aterra Capital aufzu­bauen, aller­dings bislang mit nur wenigen Fortschritten.

Offi­ziell hat die Solway Group mit dem Einmarsch von Putins Truppen in die Ukraine alle Verbin­dungen nach Russ­land gekappt. Drei Tage vor den Veröf­fent­li­chungen der gele­akten Daten durch Forbidden Stories verur­teilte das Unter­nehmen „die Aktionen der russi­schen Regie­rung gegen die ukrai­ni­sche Bevöl­ke­rung“, ohne die Wörter Krieg oder Inva­sion zu nutzen. Man kann davon ausgehen, dass das Unter­nehmen zu diesem Zeit­punkt über die bevor­ste­henden Artikel zu den gele­akten Daten bereits Bescheid wusste.

Nach den Veröf­fent­li­chungen kommu­ni­zierte das Unter­nehmen über eine Medi­en­mit­tei­lung: Man bestreite alle Anschul­di­gungen sowie Behaup­tungen, man habe Verbin­dungen nach Russ­land, und verur­teile den Cyber­an­griff auf die eigene Infrastruktur.

Gegen­über der Süddeut­schen Zeitung behaup­tete das Unter­nehmen, dass unter anderem das Staats­se­kre­ta­riat für Wirt­schaft (SECO), das Eidge­nös­si­sche Depar­te­ment für Auswär­tige Ange­le­gen­heiten (EDA) und die Schweizer Botschaft in Guate­mala das Verhalten der Mine kontrol­lieren und die Geset­zes­kon­for­mität garan­tieren können.

Das SECO schreibt auf Anfrage von das Lamm, man führe zusammen mit dem EDA einen „regel­mäs­sigen und kriti­schen Dialog“ mit dem Unter­nehmen Solway sowie mit NGOs über den Betrieb der Mine. „Seit 2020 fanden drei Treffen mit dem Unter­nehmen im SECO statt“, so der Medi­en­spre­cher Fabian Maienfisch. 

„Sowohl das SECO als auch das EDA streben ein Treffen zwischen den Schweizer NGOs (Guate­mal­a­netz Bern, Guate­mal­a­netz Zürich, HEKS/Fastenopfer) und dem Unter­nehmen an“, schreibt Maien­fisch. Diese seien aller­dings aufgrund gewisser Vorbe­din­gungen bislang nicht zustande gekommen. 

Dem SECO liegen derweil keine Unter­lagen vor, die Verbin­dungen zum russi­schen Regime bestä­tigen würden. Maien­fisch ergänzt: „Die im Handels­re­gi­ster des Kantons Zug einge­tra­genen Führungs­kräfte und Eigen­tümer [sind] weder russi­sche Staats­bürger noch in Russ­land ansässig.“

Weisse Weste

Im Dezember 2021 endete in Guate­mala das Konsul­ta­ti­ons­ver­fahren mit der indi­genen Bevöl­ke­rung, das nach dem Gerichts­ur­teil von 2019 ange­strebt worden war. Laut Befra­gung stimmte eine Mehr­heit für die Minen­ak­ti­vi­täten von Solway. Gemäss The Guar­dian und der Zeit wurden für den „posi­tiven“ Ausgang Stimmen gekauft und andere Menschen bedroht.

Gele­akte Mails sollen Über­le­gungen von Ange­stellten der Mine zeigen, gezielt falsche Gerüchte gegen Gegner:innen der Mine verbreiten zu wollen. So etwa, dass manche Personen HIV-positiv seien. Andere Mails schlugen vor, Felder von Minengegner:innen nieder zu brennen.

Im Jahr 2019, als das guate­mal­te­ki­sche Verfas­sungs­ge­richt die Akti­vi­täten der Mine bis auf Weiteres verbot, soll das Unter­nehmen laut Infor­ma­tionen von RTS einen Vertrag mit der Schweizer Frie­dens­stif­tung swis­speace abge­schlossen haben, um „schnelle Lösungen“ für den Konflikt mit der Bevöl­ke­rung zu finden. Die Stif­tung wird unter anderem vom Bund finan­ziert und ist als Institut mit der Univer­sität Basel assoziiert.

Beson­ders brisant ist aller­dings, dass der Vertrag gemeinsam mit den Lobby­un­ter­nehmen Enemco und Furr­erHugi abge­schlossen wurde, die während der Abstim­mung über die Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive aufseiten der Gegner:innen aktiv waren. Laut dem Direktor von swis­speace, Laurent Goet­schel, helfe man der Solway Group ledig­lich dabei, inter­na­tio­nale Stan­dards einzuhalten.

Korri­gendum: Wir hatten zu Beginn geschrieben, dass kein Schweizer Medium an der Recherche teil­ge­nommen hat. Das stimmt nicht: Radio Tele­vi­sion Suisse (RTS) hatte Einsicht zu den gele­akten Doku­menten. Am 11. März haben wir die entspre­chende Stelle angepasst.


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