Ausbeu­tung, Korrup­tion und Proteste: Die indi­gene Bevöl­ke­rung wehrt sich gegen eine Schweizer Nickelmine

In Guate­malas Osten prote­stiert die Bevöl­ke­rung gegen das Schweizer Minen­un­ter­nehmen Solway Group. Die Regie­rung antwortet mit dem Militär. Im Gespräch mit Das Lamm erzählt der guate­mal­te­ki­sche Radio­jour­na­list Walter Cúc von Korrup­ti­ons­vor­würfen und der Verfol­gung von Umweltschützer:innen.
Mit Gewalt reagiert die Polizei auf die Proteste der Indigenen. (Foto: Nelton Rivera)

Herr Cúc, seit einigen Wochen prote­stiert die Bevöl­ke­rung von Izabal im Osten Guate­malas gegen eine Nickel­mine und die dazu­ge­hö­rige Raffi­nerie. Warum ist die Bevöl­ke­rung so wütend?

Walter Cúc: Das Berg­bau­un­ter­nehmen Solway Group mit Haupt­sitz in Zug, das sich aus russi­schem und Schweizer Kapital zusam­men­setzt, betreibt neben der Stadt El Estor eine Nickel­mine und einen dazu­ge­hö­rigen Indu­strie­kom­plex. Die grösste Sorge der Bevöl­ke­rung ist die Umwelt­zer­stö­rung, insbe­son­dere die Verschmut­zung des Wassers. Satel­li­ten­bilder lassen eine Vermu­tung über das Ausmass der Umwelt­schäden zu. Vormals dichte Wälder sind heute nur noch Wüsten. Die Raffi­nerie liegt direkt am See Izabal, dem grössten Guate­malas, dem einzigen Ort in unserem Land, an dem die Seekuh lebt. Das Problem ist aber: Die Raffi­nerie leitet Teile ihrer Abfälle direkt ins Seewasser. Das betrifft insbe­son­dere die lokalen Fischer:innen, deren wirt­schaft­liche Grund­lage bedroht ist. Deshalb kämpfen sie seit Jahren mit Prote­sten und per Gericht gegen das Minenunternehmen.

Welche Rechts­mittel wurden bisher gegen das Minen­un­ter­nehmen angewandt?

Leider hat Guate­mala eine unvoll­stän­dige Umwelt­ge­setz­ge­bung. Deswegen hat sich der Rechts­streit vor allem auf die Befra­gung der Maya-Q’eqchi‘-Bevölkerung konzen­triert. Laut dem Über­ein­kommen 169 der Inter­na­tio­nalen Arbeits­or­ga­ni­sa­tion (ILO 169) zum Schutz der indi­genen Bevöl­ke­rung, das von Guate­mala unter­zeichnet worden ist, hätte das Unter­nehmen bei der Wieder­auf­nahme der Produk­tion im Jahr 2014 die indi­gene Bevöl­ke­rung vor Ort zum Projekt bindend befragen müssen. Diese obli­ga­to­ri­sche Befra­gung fand bis dato nicht statt.

Nun finden seit mehr als einem Monat Demon­stra­tionen statt. Warum gerade jetzt?

Im Juli 2019 befand das oberste Gericht, Solway müsse die Produk­tion einstellen und eine neue Befra­gung durch­führen. Aller­dings hat Solway nur einen kleinen Teil der Anlage still­ge­legt, da sie behaupten, der Rest würde vom Entscheid des Gerichts nicht belangt. Die Regie­rung hat ihrer­seits nichts unter­nommen, um die Arbeiten zu stoppen.

Deshalb hat die Bevöl­ke­rung vor etwa einem Monat begonnen, einzelne Wege auf fried­liche Weise zu blockieren und keine Fahr­zeuge des Minen­un­ter­neh­mens mehr durch­zu­lassen. Als Reak­tion hat die Regie­rung das Militär in die Region geschickt und den Ausnah­me­zu­stand mitsamt einer nächt­li­chen Ausgangs­sperre ausge­rufen. Derzeit kursieren Videos, auf denen Last­wagen des Unter­neh­mens zu sehen sind, die von staat­li­chen Sicher­heits­be­amten bewacht werden. Mit anderen Worten: Die Regie­rung vertei­digt etwas, das nicht zu vertei­digen ist, und macht sich über die Bevöl­ke­rung und geltendes Recht lustig.

Mitt­ler­weile finden keine Demon­stra­tionen mehr statt. Der Ausnah­me­zu­stand verbietet dies, die Region um den See Izabal ist derzeit mili­tä­risch besetzt. Die Bevöl­ke­rung wird durch die massive Mili­tär­prä­senz mit Panzern, Drohnen und Maschi­nen­ge­wehren eingeschüchtert.

Stras­sen­sperre der Indi­genen Maya–Q’eqchi‘ in El Estor. (Foto: Nelton Rivera)

Sie befinden sich in Guate­mala-Stadt. Wie infor­mieren Sie sich über Lage vor Ort?

Über soziale Medien, Nach­rich­ten­sender und vor allem unsere Kontakte mit Kolleg:innen, die aus der Region berichten.

Sie spre­chen von fried­li­chen Demon­stra­tionen. Aller­dings berichtet die Regie­rung, dass auch Polizist:innen verwundet wurden.

Man sagt es gebe verletzte Polizist:innen und die meisten Medien über­nehmen diese Aussage. Aller­dings sind wir bislang auf keine Beweise gestossen, die diese Behaup­tung belegen. Ehrlich gesagt fragen wir uns, warum diese Behaup­tung aufge­stellt wurde und woher sie stammt.

Wie hat sich die Bevöl­ke­rung für die Proteste organisiert?

Es handelt sich bei den Prote­stie­renden um indi­gene Maya-Q’eqchi‘. Die Maya-Q’eqchi‘ haben auf lokaler Ebene eine tradi­tio­nelle Form der Orga­ni­sa­tion, die aus verschie­denen indi­genen Auto­ri­täten besteht. Es gibt gewisse Personen, die Hüter:innen des Waldes oder der Flüsse sind. Zusätz­lich besitzt jedes Dorf einen oder eine Vorsitzende:n und dessen Helfer:innen. Die Haupt­auf­gabe der Personen ist es, für das Wohl der Bevöl­ke­rung zu sorgen. Deshalb besitzen sie eine grosse Legi­ti­mität auf lokaler Ebene. Diese Struktur ist die Basis für die derzei­tigen Proteste.

Walter Cúc ist Gemein­schafts­jour­na­list, Direktor der Föde­ra­tion der Radio­schulen Guate­malas (einer Verei­ni­gung aus gemein­schaft­li­chen Radios), Umwelt­schützer und Ange­hö­riger der indi­genen Maya-Kaqchikel, einem indi­genen Volk, dass vor allem im Westen von Guate­mala lebt.

Seit wann gibt es Probleme mit dem Berg­bau­un­ter­nehmen in diesem Gebiet?

Alles begann Ende der 70er-Jahre, als die guate­mal­te­ki­sche Regie­rung auslän­di­schen Kapitalgeber:innen die Ausbeu­tung und Erkun­dung des Estor-Gebiets am Izabal-See erlaubte. Seit diesem Augen­blick war ein Teil der Bevöl­ke­rung skep­tisch gegen­über dem Abbau und der Verar­bei­tung von Nickel eingestellt.

Dass die Skepsis ange­bracht war, zeigte sich, als an einem ganz normalen Tag vor drei Jahren die Anwohner:innen am See aufwachten und ihn völlig verschmutzt auffanden. Das Unter­nehmen hatte eine Flüs­sig­keit in den See geschüttet wodurch er sich komplett rot verfärbt hatte. Vermut­lich ein Unfall bei der Verhüt­tung des Nickels. Bis heute ist unklar, um welches Produkt es sich handelte. In dem Moment aber wurde der Bevöl­ke­rung bewusst, dass der Nickel­abbau ihre Lebens­grund­lage bedrohte. Also orga­ni­sierten sie sich, prote­stierten gegen die Mine und sind bis an das oberste Gericht gegangen, um die Anlage still zu legen.

Wie hat das Unter­nehmen auf die Forde­rungen der lokalen Bevöl­ke­rung und der Fischer:innen reagiert?

Von Anfang an hat das Unter­nehmen versucht, Umweltschützer:innen und Journalist:innen zu krimi­na­li­sieren. Es wurden mehrere Haft­be­fehle gegen zahl­reiche führende Gewerkschaftler:innen, Indi­gene, die länd­liche Bevöl­ke­rung und Journalist:innen erlassen. Viele von ihnen waren über Monate im Gefängnis.

Man warf ihnen vor, eine krimi­nelle Verei­ni­gung gegründet, zu Gewalt und öffent­li­cher Unord­nung aufge­rufen und Mitar­bei­tende der Mine entführt zu haben – wo es sich aber um Proteste handelte, bei denen ein paar russi­sche Mitar­bei­tende des Unter­neh­mens nicht aus ihren Häusern gehen wollten. Es kam zusätz­lich zu Mord­dro­hungen gegen Aktivist:innen, Über­wa­chung von Umweltschützer:innen und Diffa­mie­rungs­kam­pa­gnen in sozialen Netzwerken.

Proteste mit dem Urteils­spruch des ober­sten Gerichts in der Hand. (Foto: Nelton Rivera)

Wie ist es möglich, dass im Umfeld der Mine so viel Gesetz­lo­sig­keit herrscht?

Leider sind die meisten Richter:innen in Guate­mala gekauft. Das Berg­bau­un­ter­nehmen gene­riert eine Menge wirt­schaft­li­cher Ressourcen und kauft auf diese Weise Meinungen und Rechts­spre­chung. Erst im August dieses Jahres fand ein russi­scher Besuch beim Präsi­denten von Guate­mala, Alejandro Giam­mattei Falla, statt. Neben verschie­denen kleinen Geschenken wurde ihm ein „magi­scher Teppich“ über­reicht, in dem sich viele Dollars befanden. Alle wich­tigen Nach­rich­ten­sender berich­teten darüber. Man vermutet, dass man sich damit das Wohl­wollen der Regie­rung im Zusam­men­hang mit dem Nickel­abbau erkauft hat.

Es gibt also eine Menge Korrup­tion und wenig Kontrolle über die Unter­nehmen. Anstatt auf die Forde­rungen der Bevöl­ke­rung einzu­gehen oder die Korrup­tion zu bekämpfen, setzt die Regie­rung wieder­holt das Militär ein und terro­ri­siert so die Bevölkerung.

Wie ist die aktu­elle Situation?

Wir sind sehr besorgt über das Vorgehen der Regie­rung als Reak­tion auf die Proteste. Das Gebiet ist voll­ständig mili­ta­ri­siert, es herrscht eine nächt­liche Ausgangs­sperre von 18 Uhr abends bis fünf Uhr morgens und es finden Razzien bei den Orga­ni­sa­tionen statt, die die Proteste unter­stützt haben. Dabei wird auch US-ameri­ka­ni­sches Kriegs­gerät einge­setzt, dass ursprüng­lich zur Bekämp­fung des Drogen­han­dels von der US-ameri­ka­ni­schen Regie­rung gespendet wurde. 

Sie sind Direktor der Federa­ción Guate­mal­teca de Escuelas Radiofó­nicas, einer Verei­ni­gung von Gemein­schafts­ra­dios in ganz Guate­mala, die auch einen Part­ner­ra­dio­sender in der Stadt El Estor hat. Wie ist die Situa­tion für Gemeinschaftsjournalist:innen?

Die Kolleg:innen von Radio El Estor mussten die Region verlassen. Es wurde zu gefähr­lich für sie. Mitt­ler­weile befinden sie sich an einem anderen Ort, physisch geht es ihnen gut, psychisch aller­dings nicht. Sie sind von der aktu­ellen Situa­tion veräng­stigt. Erst am 24. Oktober stürmte die Polizei den lokalen Radio­sender von El Estor.

Schon vor den aktu­ellen Mobi­li­sie­rungen war der Gemein­schafts­ra­dio­sender in El Estor staat­li­cher Repres­sion ausge­setzt. Das Radio wurde zensiert, es gab schon mehr­mals Razzien in den Büros des Radios und die Journalist:innen wurden unter dem Argu­ment des Aufrufs zur öffent­li­chen Unord­nung verfolgt. Grund­rechte wie das Recht auf freie Meinungs­äus­se­rung und das Recht auf Pres­se­frei­heit werden verletzt.

Wie reagieren die Menschen in Guate­mala-Stadt auf die Gescheh­nisse in El Estor?

Die regie­rungs­treue Presse berichtet kaum. Jedoch zeigen sich grosse Teile der Bevöl­ke­rung soli­da­risch mit den Maya-Q’eqchi‘. Es gibt Demon­stra­tionen im Land, viele Stimmen der Unter­stüt­zung und Soli­da­rität. Viele Menschen infor­mieren über die Plün­de­rungen der natür­li­chen Ressourcen, die gekauften Rechts­sprüche und die Korrup­tion durch Solway.

In der Schweizer Presse wird auch erwähnt, dass es Stimmen gibt, die das Berg­werk befürworten.

In einem Konflikt wie diesem gibt es immer zwei Stand­punkte. Es gibt Proteste für die Aufrecht­erhal­tung der Mine – in El Estor, aber auch hier in Guate­mala-Stadt. Es gibt Leute, die in der Mine arbeiten und von der Firma bezahlt werden, und diese stehen grund­sätz­lich auf der Seite des Unter­neh­mens. Das Unter­nehmen verfügt auch über viel Kapital, sodass es einer indi­genen Person sagen kann: „Du kommst mit uns in die Haupt­stadt und wir zahlen dir fünf Dollar pro Tag.“ In diesem Sinne wendet das Unter­nehmen unge­wöhn­liche Stra­te­gien an.

Meinen Sie, dass die Unter­stüt­zung erkauft ist?

Ja, zumin­dest so wird es uns von den Leuten vor Ort erzählt.

Sie sagten, das Unter­nehmen sei in schwei­ze­ri­schem und russi­schem Besitz. Was bedeutet das konkret?

Wir wissen nicht genau, wie die Eigen­tums­ver­hält­nisse von Solway sind. Das Unter­nehmen hat zwar seinen Haupt­sitz in Zug, hier in Guate­mala sehen wir aller­dings nur russi­sche Mitarbeiter:innen. In El Estor gibt es eine Gated Commu­nity für die Arbeiter:innen und Fami­lien, die aus Russ­land nach Guate­mala gebracht werden. Deswegen reden in Guate­mala die meisten von einem russi­schen Unternehmen.

Nickel wird mitt­ler­weile als „Schlüs­sel­roh­stoff“ beim Umbau auf erneu­er­bare Ener­gien betrachtet, da er für die Herstel­lung von Batte­rien bislang uner­setzbar ist. Was bedeutet dieser tech­no­lo­gi­sche Wandel und die Wendung hin zu mehr Ökologie für die Bevöl­ke­rung in Guatemala?

[Lacht.] Hier ist es fast unmög­lich, über ökolo­gi­sche Wirt­schaft zu reden. Die Lust auf die Ausbeu­tung der natür­li­chen Ressourcen Guate­malas ist unge­bremst und unkon­trol­liert. Es gibt kaum Kontrollen, die eine ökolo­gisch verträg­li­chere Tätig­keit oder ein Gleich­ge­wicht mit der Natur garan­tieren könnten.

Darüber hinaus hat Guate­mala schon heute ein Problem mit der „grünen Energie“. Hier sind die grössten Flüsse Mittel­ame­rikas, die viel Strom produ­zieren, der dann in andere Länder verteilt wird. Für den Bau der Stau­dämme werden die Flüsse umge­leitet, die Natur zerstört und es entstehen Konflikte mit der lokalen Bevölkerung.

Hier werden weiterhin die Ressourcen ausge­plün­dert auf Kosten der Umwelt und der lokalen Bevöl­ke­rung, mit oder ohne „grüne Energie“.

Was erwarten Sie von den kommenden Wochen?

Natür­lich werden die Mobi­li­sie­rungen weiter­gehen. Jedoch haben die Proteste und der jetzige Ausnah­me­zu­stand dazu geführt, dass viele Menschen nicht zur Arbeit gehen oder ihre Felder bestellen können. Derzeit ist hier Ernte­zeit, was bedeutet, dass viele Bauern und Bäue­rinnen ihre Ernte verlieren könnten. Das kann zu einer ernst­zu­neh­menden Armut oder gar Hungersnot auf lokaler Ebene führen.

Schliess­lich haben wir auch Angst vor den Neben­wir­kungen der Unter­drückung. Zurzeit ist Izabal einem Kriegs­ge­biet ähnlich: Hubschrauber über­fliegen die Häuser, Tränen­gas­bomben werden geworfen, Soldat:innen mit Kriegs­waffen, Panzern und Maschi­nen­ge­wehren sind zu sehen. Das trau­ma­ti­siert die Bevöl­ke­rung und tut ihnen psychisch nicht gut.


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