Miso­gynie ist doch lustig

Gewisse Männer machen gerne Witze über sexua­li­sierte oder häus­liche Gewalt – in ihrem Freun­des­kreis, ihrer Stand-up-Show oder ihrem Podcast. Kritik nehmen sie genau so wenig ernst wie die Gewalt, über die sie scherzen. 
Weisse cis Männer dominieren die Comedybühnen – mit misogynen 'Witzen' im Gepäck. (Bild: Midjourney/Kira Kynd)

Letz­tens scrollte ich durch Insta­gram, wie so oft, und sah ein Reel eines Bekannten, in dem er Werbung für eine Zügel­firma macht. Er erklärt, dass die Zügel­ki­sten mit farbigen Klebern bestimmten Zimmern zuge­wiesen werden können. Er hält den Wohnungs­grund­riss in die Kamera und bezeichnet das Zimmer mit dem roten Punkt als „das Zimmer deiner Schwe­ster“. Er sagt: „Diese Punkte kann man auf Zügel­ki­sten kleben – oder auf mich.“ Er klebt sich selbst einen roten Punkt auf die Nase. „Denn ich schlafe bei deiner Schwester.“

Besten­falls ist das ein billiger, sexi­sti­scher ‘Witz’ auf Kosten einer stimm- und gesichts­losen Frau. Schlimm­sten­falls ist das eine Anspie­lung auf eine krasse Grenz­über­schrei­tung. Als ich das Reel kriti­sierte, kam als Antwort: „Das ist doch lustig.“

Diese normativ verwen­dete Aussage erstaunt mich immer wieder aufs Neue. Das ist genauso wenig lustig wie die altbe­kannten „Deine Mutter“-Witze. Diese waren damals an meiner Schule auf dem Pausen­platz gang und gäbe. Entweder hiess es „Deine Mutter ist so fett, dass...“ oder „Deine Mutter ist so häss­lich, dass...“ – please insert your chosen ridi­cu­lous conse­quence here.

„Deine Mutter“-Witze waren bei den Jungs eine beliebte Wahl, um das Gegen­über abzu­werten und gleich­zeitig die eigenen Freund*innen zum Lachen zu bringen. Dieses Muster zieht sich durch etliche solcher sexi­sti­scher ‘Witze’: Männer machen sich über andere Männer lustig, indem sie „ihre“ Frauen abwerten. Die Mutter muss zum Fats­hamen, die Schwe­ster zum Ficken herhalten.

Wie absurd und misogyn ist das denn bitte?

Miso­gyny sells

Es gibt sowohl Hobby-Komiker, die ‘ihre Jungs’ unter­halten möchten, als auch Personen, die sich ihrem Humor gar nicht richtig bewusst zu sein scheinen: Sie schnappen ‘Witze’ auf und erzählen sie unge­fil­tert weiter. Und wieso sollte es anders sein, wenn sogar Berufs­co­me­dians sich regel­mässig über FINTA und Gewalt lustig machen?

Ein modernes Beispiel ist der über TikTok und Insta­gram bekannt­ge­wor­dene Matt Rife. Der 28-jährige Ameri­kaner ging auf den sozialen Medien viral – und ergat­terte ein soge­nanntes Netflix Special, das im November 2023 erschien. In den ersten paar Minuten kommt der erste Tief­schuss: Er erzählt, dass er mit seinem Kollegen in ein Restau­rant gegangen sei, wo die Kell­nerin ein blaues Auge hatte. Der Kollege meint, sie hätten sie besser in der Küche arbeiten lassen sollen, wo man sie nicht sehen könne. Rife entgegnet, wenn sie kochen könnte, hätte sie wohl kein blaues Auge.

Schockiert? Ich auch. Sein Publikum hingegen hört man laut lachen, während Rife zufrieden grinst. Während Rife online kriti­siert wird, scheint er kein Problem zu haben, seine Shows auszu­ver­kaufen – miso­gyny sells.

Ein Schweizer Beispiel für Männer mit grosser Reich­weite, die immer mal wieder nach unten treten, sind die Come­dy­männer. Dem wöchent­li­chen Podcast von Stefan Büsser, Aron Herz und Michael Schweizer hört mit Zuhörer*innenzahlen irgendwo zwischen 60’000 und 90’000 immerhin ein Prozent der Schweizer Bevöl­ke­rung zu.

Ein anonymer Insta­gram-Account namens @uncover_comedymaenner publi­ziert seit Früh­ling 2023 proble­ma­ti­sche Ausschnitte aus den Podcast­folgen. In diesen Ausschnitten ist unter anderem zu hören, wie das Trio berühmte Frauen auf ihr Aussehen redu­zieren, sich mehr­fach über Pädo­philie lustig machen und den Fall um sexua­li­sierter Gewalt ausgeübt von Ramm­stein-Sänger Till Linde­mann ohne Kontext als ‘witzigen’ Einstieg benutzen.

Wie Stefan Büsser es beschreibt, tönt es so, als würden die Come­dy­männer fast aus Versehen solche ‘Witze’ erzählen.

Mein persön­li­ches Lowlight: Als Büsser in einer Folge erzählt, dass an einer „Disco Night“ eine Frau zusam­men­ge­klappt sei und er sie zusammen mit anderen zur Rezep­tion des nahe gele­genen Hotels gebracht hätte, witzeln Herz und Schweizer allen Ernstes darüber, dass Büssers Chance gestiegen sei, mit jemandem „Händli zu halten“ – weil sich eine halb ohnmäch­tige Frau ja nicht wehren kann. Das tönt im ersten Moment viel­leicht harmlos, aber die Anspie­lung ist widerlich.

Auf das Insta­gram­konto ange­spro­chen, erklärt Stefan Büsser gegen­über Watson, dass die Aussagen aus dem Kontext gerissen worden seien. Welcher Kontext solche Aussagen plötz­lich in einem anderen Licht erscheinen lassen würde, ist mir schlei­er­haft. Weiter sagt Büsser: „Unser Ansatz ist immer, die Zuhö­renden zu unter­halten, zum Lachen zu bringen.“ Aber auf wessen Kosten?

Wie Büsser es beschreibt, tönt es so, als würden sie fast aus Versehen solche ‘Witze’ erzählen. Sie lassen sich im Moment dazu hinreissen, als könnte man im Restau­rant der Versu­chung eines deka­denten Schog­gi­des­serts halt einfach nicht wider­stehen. Ein kleiner Ausrut­scher, den man ihnen verzeihen soll, weil sie nicht die ganze Folge damit füllen.

Wieso wollen so viele Männer so verbissen an diesem altbackenen, frau­en­feind­li­chen Verständnis von Humor festhalten?

Aber: Wenn privi­le­gierte weisse cis Männer sexi­sti­sche ‘Witze’ machen und in ihren Shows häus­liche oder sexua­li­sierte Gewalt als punch line benutzen, sind sie nicht lustig, sondern gewalt­voll. Sie sind Teil der Gewalt­py­ra­mide, da sie diese Gewalt verharm­losen. Und wer solche Aussagen mit ‚Comedy‘ zu legi­ti­mieren versucht, entblösst sich ein Stück weit selbst.

Es ist die Reak­tion auf die Kritik, die den Charakter und die Wert­vor­stel­lungen eines Menschen zeigt. Wer eine mehr­fach geäus­serte Kritik, dass seine ‘Witze’ proble­ma­tisch sind, wegzu­er­klären versucht, zeigt die eigene Igno­ranz gegen­über dem Thema.

Lohn­un­gleich­heit, unbe­zahlte Care-Arbeit, sexua­li­sierte Gewalt, aber auch der Kampf gegen toxi­sche Masku­li­nität, die Abschaf­fung der Wehr­pflicht und homo­so­ziale Gewalt sind femi­ni­sti­sche Themen – und werden als „Frau­en­sache“ abge­stem­pelt. Dadurch werden diese Themen einer­seits abge­wertet, ande­rer­seits die Verant­wor­tung für die Lösung dieser Probleme auf FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen) über­tragen. Das ist nicht nur unlo­gisch, sondern auch unnütz: Die Ursache des Problems liegt nicht auf der Betrof­fenen, sondern auf der Täter­seite. Es sind eben Männer­sa­chen. Deshalb müssen Männer als Teil der privi­le­gierten Gruppe Verant­wor­tung über­nehmen und diese Probleme angehen.

Lustig ist nicht gleich lustig

Es gibt ein paar Stan­dard-Antworten, die auf diese Kritik folgen. Zum Beispiel das eingangs erwähnte „Das ist doch lustig“. Nur weil ein paar (oder viele) Menschen über abschät­zige ‘Witze’ lachen, sind sie noch lange nicht lustig – aber da „Lustig­keit“ kein objek­tives Krite­rium ist, werden wir uns da wohl nie einig.

Andere sagen etwas im Sinne von „So ist mir der Schnabel gewachsen“ und zeigen damit, wie faul sie sind. Entwickeln sie sich denn nie weiter? Wenn sich der Sprach­ge­brauch seit dem Teenie-Alter nicht mehr verän­dert hat, sollten sie viel­leicht noch mal über die Bücher.

Und die Behaup­tung „Man darf ja gar nichts mehr sagen“ hat nichts mit der Realität zu tun. Sagen darf man offen­sicht­lich alles – was auch rege ausge­nutzt wird. Das heisst dann aber auch, dass Kritik geäus­sert werden darf und soll. Vor allem gegen­über Menschen, die aus ihrer bequemen Posi­tion aus nach unten treten.

Ich frage mich ernst­haft: Wieso wollen so viele Männer so verbissen an diesem altbackenen, frau­en­feind­li­chen Verständnis von Humor festhalten?

Wahre Krea­ti­vität ist es doch, Unbe­kanntes zu erfor­schen, Neues zu testen und das auf eine inter­es­sante Weise künst­le­risch umzu­setzen. Ob jetzt in schrift­li­cher oder gespro­chener Form, in Kunst, Gedichten oder eben Comedy? Wie lustig und span­nend wären Comedy-Shows und ‑Podcasts, wenn weisse cis Männer sich über ihre eigene Gruppe lustig machen würden? Statt immer und immer wieder denselben Scheiss zu bringen.

Wenn man über ein Thema wie sexua­li­sierte Gewalt solche ‘Witze’ reissen kann, kann es ja nicht so ernst sein. Und wenn es nicht so ernst ist, müssen wir uns nicht damit auseinandersetzen.

Früher waren die soge­nannten Schen­kel­klopfer expli­zite rape jokes – heute sind es auf-rape-anspie­lende jokes. Das ist nichts Neues. Wie misogyn, aber auch: Wie langweilig!

Das Absurde ist: Ich glaube, dass nicht einmal die Männer, die solche Sprüche klopfen, sie wirk­lich „schallendes-Gelächter“-lustig finden. Ich glaube viel eher, dass sie damit ihre heim­liche Wut und Frustra­tion gegen­über den sich (langsam) verän­dernden gesell­schaft­li­chen Verhält­nissen Ausdruck verleihen – und versu­chen, Verbün­dete zu finden. Wer nämlich mitgrunzt, gibt dem Sprü­che­klopfer zu verstehen: Ich stimme dir zu.

Und die meisten, die bei solchen ‘Witzen’ mitla­chen, tun das nicht, weil sie sexua­li­sierte oder häus­liche Gewalt als solches extrem lustig finden. Sondern weil sie erleich­tert sind: Wenn man über ein Thema solche ‘Witze’ reissen kann, kann es ja nicht so ernst sein. Und wenn es nicht so ernst ist, müssen sie sich nicht damit auseinandersetzen.

Comedy mit Gesellschaftskritik

Sollen also Themen wie Alltags­se­xismus oder sexua­li­sierte und häus­liche Gewalt nicht in Comedy behan­delt werden? Doch, klar. Aber die Frage ist, von wem und wie. Wer einen ‘Witz’ macht und wieso, verän­dert dessen Sinn und Zweck.

In ihrem Netflix Special „Nanette“ erzählt die austra­li­sche Come­di­enne Hannah Gadsby, dass sie von fremden Menschen oft als Mann gelesen werde. Die meisten würden sich über­schwäng­lich entschul­digen, sobald sie ihren Fehler reali­sieren, erzählt Gadsby. Dabei sei das gar nicht nötig. Sie liebe es, als Mann wahr­ge­nommen zu werden, weil das Leben plötz­lich so viel einfa­cher sei. Sie ruft: „Ich bin der König der Menschen, ich bin ein weisser hetero Mann!“ Das Publikum lacht laut.

Es ist unend­lich viel kraft­voller, wenn die Pointe eines Witzes jemanden in einer Macht­po­si­tion bloss­stellt, statt die Person, die sowieso schon mit Diskri­mi­nie­rungen zu kämpfen hat.

Als Gadsby gegen Ende der Show das Thema noch mal aufnimmt und erzählt, dass ein Mann sie an einer Bussta­tion verprü­gelte, weil er sie zuerst als Mann, der seine Freundin anbag­gerte, und dann als queere Frau las, kippt die Stim­mung. Sie macht sich nicht über die Gewalt lustig, sondern übt mit der Geschichte scharfe Gesell­schafts­kritik aus.

Wenn hingegen ein cis Mann eine Geschichte über eine Frau erzählen würde, die so männ­lich wirkt, dass man sie glatt als Bedro­hung sehen und verprü­geln könnte, würde das Ganze schon sehr anders tönen.

Es ist unend­lich viel kraft­voller und lustiger, wenn die Pointe eines Witzes jemanden in einer Macht­po­si­tion bloss­stellt, statt die Person, die sowieso schon mit Diskri­mi­nie­rungen zu kämpfen hat. Letz­teres ist, als würde man jemandem, der schon im Regen steht, einen Kübel Wasser über den Kopf leeren – unnötig, lang­weilig und schlimm­sten­falls schädigend.


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