Rechts­po­pu­lismus ist dem Frau­en­schutz nicht dienlich

Frauen aus dem rechts­extremen Spek­trum nennen sich „Töchter Europas“ und spre­chen sich in einem Video gegen „impor­tierte Gewalt“ aus. Damit stehen sie nicht allein da. Immer wieder werden von migran­ti­schen Personen verübte Sexu­al­straf­taten poli­tisch instru­men­ta­li­siert. Dieser Zugang ist nicht nur hetze­risch, er ist auch kontra­pro­duktiv und degra­diert Frau­en­schutz zum troja­ni­schen Pferd rassi­sti­scher Ressen­ti­ments. Eine Annäherung. 

In Zeiten zuneh­mender poli­ti­scher Pola­ri­sie­rung und wach­sendem Popu­lismus stellt man sich als Journalist*in zwangs­läufig die Frage: Wie kann über reale Ängste und Vorkomm­nisse berichtet und dennoch nicht gehetzt und gene­ra­li­siert werden? Sexu­elle Belä­sti­gung, Verge­wal­ti­gung oder Femi­zide durch Asyl­su­chende oder Migranten sind ein solches Thema, bei dem der Grat zwischen diffe­ren­zierter Betrach­tung und Rela­ti­vie­rung einer­seits und Rassismus ande­rer­seits ein schmaler ist.

Es ist dennoch für einen wachen Jour­na­lismus elementar, es zu wagen, denn die poli­ti­sche Instru­men­ta­li­sie­rung sexu­eller Über­griffe durch Asyl­su­chende und Flüch­tende von rechts und die Über­nahme solcher Posi­tionen durch die Presse dient weder den Frauen, die gemäss dieser Instru­men­ta­li­sie­rung geschützt werden sollten, noch dem Gros der Gesell­schaft, die durch gezielte poli­ti­sche und mediale Hetz­kam­pa­gnen verun­si­chert wird. Und erst recht nicht der hete­ro­genen Gruppe der asyl­su­chenden Männer, die durch solche Argu­men­ta­tionen nicht nur zu einer Distan­zie­rung und Stel­lung­nahme gezwungen werden, die von keiner anderen gesell­schaft­li­chen Gruppe erwartet wird, sondern auch unter einen Gene­ral­ver­dacht geraten.

Der falsche Frau­en­schützer von Herr­li­berg; einer von vielen

Bestes Beispiel für eine solche Instru­men­ta­li­sie­rung sind die Ereig­nisse am dies­jäh­rigen Wiener Silve­ster. Eine junge Frau wird von einem Mann am Po ange­fasst, der vorher scheinbar schon mehrere umher­ste­hende Frauen eben­falls begrapscht haben soll. Die junge Frau kommt aus der Schweiz. Sie zögert nicht lange und quit­tiert den Über­griff des 20-jährigen ‚Grap­schers‘ mit einem reflex­ar­tigen Faust­schlag, der in einer gebro­chenen Nase beim Täter endet. Die Geschichte schafft es ganz gross in die Zeitungen hier­zu­lande, schliess­lich ist der Grap­scher, wie inve­sti­ga­tive Boule­vard-Jour­na­li­stinnen schon bald heraus­finden, ein Afghane.

Der Fall schlägt immer höhere Wellen und erreicht schliess­lich auch die Ufer von Herr­li­berg. SVP-Über­vater Chri­stoph Blocher brüstet sich im haus­ei­genen Blocher-TV mit seiner Gross­mü­tig­keit und verspricht der Dame, allfäl­lige Verfah­rens­ko­sten zu über­nehmen, sollte es zu einer Anzeige kommen, denn es handelt sich beim Faust­schlag um ein Offi­zi­al­de­likt. Vergleich­bare Fälle in der Vergan­gen­heit legen jedoch einen Frei­spruch sehr nahe.

„De het de afange... begrab­sche und so!“ Im Gespräch mit Matthias Ackeret auf Tele Blocher lobt der Altbun­desrat das Verhalten der jungen Schwei­zerin und spricht ihr seine finan­zi­elle Unter­stüt­zung zu. (Foto: Screen­shot: Teleblocher)

So oder so, die verspro­chene finan­zi­elle Hilfe, das macht sich gut. Chri­stoph Blocher, der Robin Hood des hand­greif­li­chen Femi­nismus also? Nicht ganz. Wohl eher: Chri­stoph Blocher, der Oppor­tu­nist. Die SVP hat sich 2017 mit grosser Mehr­heit gegen die Rati­fi­zie­rung der Istanbul-Konven­tion zur Verhü­tung und Bekämp­fung von Gewalt gegen Frauen und häus­li­cher Gewalt gestellt. Blochers Partei war auch die einzige, die gegen die Aufhe­bung der gesetz­li­chen Lücke betref­fend die Verge­wal­ti­gung in der Ehe votiert hatte und deren Expo­nenten immer wieder Witze über sexua­li­sierte Gewalt machen, Sexu­al­straf­taten verharm­losen, sich die Frau ohne Stimm- und Abtrei­bungs­recht zurück an den Herd wünschen und mit vielen weiteren latenten bis sehr offenen Beispielen für Anti­fe­mi­nismus auffallen.

Frau­en­schutz geht anders. Diese Politik offen­bart aber, wie viel der Schutz der Frauen vor sexu­eller, häus­li­cher und sonstiger Gewalt wirk­lich zählt, wenn sich daraus nicht poli­ti­sches Kapital schlagen lässt: wenig.

Gemessen wird mit zwei verschie­denen Ellen, berichtet mit zwei Standards

Der Wiener Fall ist ein vergleichs­weise mildes Beispiel, zumin­dest was den Grad der Straftat betrifft, denn sexu­elle Straf­taten oder Gewalt­ver­bre­chen mit sexu­eller Konno­ta­tion, verübt durch Asyl­su­chende und Flüch­tende, sorgen immer wieder für Schlag­zeilen. Man denke nur an den Kölner Silve­ster 2016 oder an die Ermor­dung der jungen Tram­perin und aktiven Anti­fa­schi­stin Sophia L. durch einen marok­ka­ni­schen LKW-Fahrer vergan­genen Sommer. Oder an die Nach­richten über Massen­ver­ge­wal­ti­gungen durch Asyl­su­chende, die es immer wieder aus anderen euro­päi­schen Ländern auf die Titel­blätter hiesiger Zeitungen schaffen.

Diese Straf­taten sind schreck­lich, sind verur­tei­lens­wert und müssen konse­quent im Rahmen eines funk­tio­nie­renden Rechts­staates geahndet und aufge­klärt werden. Aber sie dürfen nicht für poli­ti­sche Propa­ganda und Hass miss­braucht oder für die Quote in Gratis­blät­tern gemolken werden. Das bedeutet zum Beispiel: Bei ‚hiesigen‘ Tätern wird oftmals der Kontext thema­ti­siert, eine schwere Kind­heit etwa, Mobbin­g­er­fah­rungen oder ein Hass auf Frauen. Ist der Täter jedoch ein Asyl­su­chender oder Migrant, dreht sich die Bericht­erstat­tung oftmals um eine einzige Variable: die Herkunft. Werden Über­griffe auf eine einzelne Variable redu­ziert, erleich­tert dies die poli­ti­sche Verein­nah­mung solcher Straf­taten, trägt jedoch wenig zu deren Aufklä­rung und Vermei­dung bei.

„Ich bin Mia – ich wurde ermordet“

Im vergan­genen Sommer sorgte ein Video für Furore, worin mehrere junge Frauen immer wieder drei Namen wieder­holen: Mia, Maria, Ebba. Die Frauen im Video gehören einer Bewe­gung an, die sich 120 Dezibel nennt. Sie sagen: „Wir sind die Töchter Europas!“

Mia, Maria und Ebba – das sind drei weib­liche Opfer von sexu­eller und sexua­li­sierter Gewalt bezie­hungs­weise Tötungs­de­likten, mutmass­lich verübt durch migran­ti­sche Männer. Die Message des Videos: Was denen wider­fahren ist, das bedroht uns alle – solange Gewalt weiterhin „nach Europa impor­tiert wird“. Hinter dem Video: die Iden­ti­täre Bewe­gung Deutsch­land, eine rechts­extreme Grup­pie­rung mit Able­gern in Öster­reich und der Schweiz.

120 Dezibel ist die Laut­stärke eines handels­üb­li­chen Taschen­alarms, wie ihn gemäss den Initia­to­rinnen des Videos immer mehr Frauen aus Angst auf sich tragen würde. „Der wahre Aufschrei“ heisst das Projekt mit Unter­titel, und der Name impli­ziert bereits die Stoss­rich­tung: Impor­tierte Gewalt ist das Problem – nicht Gewalt gegen Frauen per se. Was femi­ni­stisch und ermäch­ti­gend daher­kommt, ist in Tat und Wahr­heit xeno­phobe, meist isla­mo­phobe und gezielte Propa­ganda. In welche Rich­tung die Gesin­nung zielt, wird unter anderem auf der Face­book­seite von 120dB ersicht­lich, wo Angela Merkel in den unmo­de­rierten Kommen­taren mit dem Tod bedroht wird, Verge­wal­ti­gungs­fan­ta­sien gegen­über Poli­ti­ke­rinnen aus dem Inland und der EU geäus­sert werden und zu Selbst­ju­stiz mit dem Gewehr aufge­rufen wird. „Merkels Tote“ sind die ermor­deten Frauen gemäss vielen Kommentator*innen.

Es ist wichtig und zentral, dass Opfer sexu­eller oder sexua­li­sierter Gewalt nicht schweigen. Es ist jedoch perfide, wenn dieser Aufschrei eigent­lich einer anderen poli­ti­schen Agenda zudienen soll. ( Foto: Screen­shot 120db-info)

Durch Hass zur Entmündigung

Proble­ma­tisch ist hierbei nicht die Empö­rung über eine untä­tige Politik – proble­ma­tisch ist die Rich­tung, welche sie nimmt. Die Opfer werden poli­tisch instru­men­ta­li­siert – eine rich­tige Diskus­sion um Sexu­al­de­likte, miso­gyne Hand­lungen und tatsäch­liche Fehler in der Justiz werden umgangen und ausge­lassen. Indem Täter auf ihre Herkunft redu­ziert werden, gehen andere Varia­blen verloren, die es brau­chen würde, um Fälle in einen Kontext zu setzten – und somit letzt­end­lich zu vermeiden. Die Frage nach dem Warum, die Macht­frage, Sozia­li­sa­ti­ons­me­cha­nismen, Margi­na­li­sie­rung, toxi­sche oder fragile Männ­lich­keit wird ausser Acht gelassen, genauso wie sozio­öko­no­mi­sche oder demo­gra­fi­sche Variablen.

Diese Zugangs­weise verfehlt die Chance auf konstruk­tiven Diskurs über diese Über­griffe und somit auch die Chance, Stra­te­gien zu erar­beiten, wie diese Gesell­schaft zu einer für Frauen und Mädchen siche­reren wird – ganz egal, wer dabei als poten­zi­eller Täter gilt.

Statt­dessen wird ein „Wir gegen die“-Diskurs befeuert. Auslän­der­feind­lich­keit und Rassismus scheinen die einzigen Antworten auf die Frage nach dem Frau­en­schutz zu sein, zu denen Rechts in der Lage ist. Aber ein Femi­nismus mit brauner Färbung ist eine verfehlte Eman­zi­pa­ti­ons­po­litik und eine Schutz­kam­pagne mit frem­den­feind­li­chem Einschlag margi­na­li­siert die von sexu­eller Gewalt und Belä­sti­gung betrof­fenen Frauen weiter, macht sie zu unmün­digen Subjekten und Spiel­bällen einer ausgren­zenden Politik mit unab­seh­baren Folgen. Solch perfiden Oppor­tu­nismus auf dem Rücken der Opfer gilt es zu enttarnen.

Es ist nicht nur an den Frau­en­ver­bänden sondern auch an der Politik und der Poli­zei­kom­mu­ni­ka­tion, an den Journalist*innen, Medi­en­häu­sern und Kunst­schaf­fenden, wie jenen aus dem Maxim Theater, wo gerade ein Stück zum Thema aufge­führt wird, ganz klar Stel­lung zu beziehen und die Diskus­sion um „verge­wal­ti­gende Flücht­linge“ nicht weiter in eine Rich­tung zu treiben, wo sie nur jenen nützen, die für Frau­en­rechte anson­sten nicht viel übrig haben.


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