Refe­rendum CO2-Gesetz: „Dieses Gesetz ist nicht nur unge­nü­gend, es ist ein Schritt in die falsche Richtung.“

Das neue CO2-Gesetz soll der Klima­krise entge­gen­wirken. Klima­strei­kende ergriffen trotzdem das Refe­rendum. Klima­ak­ti­vist Tiziano De Luca erklärt, warum er sich gegen das revi­dierte Gesetz einsetzt, wie die Bewe­gung mit Meinungs­un­ter­schieden umgeht und in welche Rich­tung der Klima­streik gehen sollte. 
Impressionen der Klimaaktivist*innen die den Bundesplatz anlaesslich der Rise UP for Change Aktionswoche in Bern für rund 50 Stunden besetzt haben, fotografiert am 21. September 2020 in Bern. (Manuel Lopez)

Tiziano De Luca betei­ligt sich seit einem Jahr am Kampf gegen die Klima­krise. Er ist beim Klima­streik in Zürich aktiv und orga­ni­siert zusammen mit anderen Aktivist:innen den Strike for Future.

Das Lamm: Tiziano, das neue CO2-Gesetz will bis 2030 gegen­über 1990 die Treib­haus­gase um die Hälfte redu­zieren. Es beinhaltet unter anderem Abgaben auf Flug­tickets, Benzin und Heizöl sowie die Grün­dung eines Klima­fonds. Zieht man die hiesigen parla­men­ta­ri­schen Verhält­nisse in Betracht, dann ist diese Kompro­miss­lö­sung zumin­dest ein erster Schritt. Warum ergreifen nun einige Sektionen des Klima­streiks das Refe­rendum dagegen?

Tiziano De Luca: Zwei zentrale Punkte spre­chen gegen das neue CO2-Gesetz: Erstens, dass die Politik der kleinen Schritte sich nicht mit dem Tempo verein­baren lässt, mit dem die Klima­ka­ta­strophe auf uns zukommt. Man sagt uns, dass wir dieses Gesetz doch hinnehmen sollen, dass es einen Fort­schritt darstelle. Doch diese Fort­schritte bringen uns nicht weiter. Wenn die soge­nannten „Tipping-Points“, die Kipp­punkte unseres Klimas, erreicht sind, werden Tempe­ra­tur­er­wär­mungen von mehreren Grad Celsius nicht mehr aufzu­halten sein. Die Vorstel­lung, dass wir die Klima­krise poli­tisch Schritt für Schritt abwenden könnten, lässt die Dring­lich­keit der Sache aussen vor. Das neue CO2-Gesetz unter­schätzt die Klima­krise fahrlässig.

Und der zweite Punkt?

Das Gesetz steht für einen unso­zialen Klima­schutz. Bei den CO2-Grenz­werten für Alt- und Neubauten lässt es den Vermieter:innen zu viele Ausweich­mög­lich­keiten (siehe CO2-Gesetz, Art. 10, Abs. 5, Anm. d. Redak­tion). Auch von Sozi­al­part­ner­schaft ist im Geset­zes­text gar nicht die Rede. Das Gesetz ist ein Versuch, mit system­im­ma­nenten Methoden gegen die Klima­krise vorzu­gehen. Dabei zeigt die Klima­krise doch genau auf, wie das System selbst versagt. Wir müssen einen anderen Weg aufzeigen, wie Klima­schutz funk­tio­nieren kann.

Gewisse Punkte wie die Flug­ticket­ab­gabe weisen aber doch in die rich­tige Richtung…

Trotzdem ist das Gesetz ein Schritt in die falsche Rich­tung. Wir stärken damit die Mecha­nismen, die uns erst in diese Situa­tion gebracht haben. Ein Beispiel: Ein Unter­nehmen schafft einen Neuwagen an, der zu viel CO2 ausstösst. Mit dem neuen Gesetz wird dieses Unter­nehmen gebüsst und muss eine Abgabe machen. Diese Abgabe wird dann zu 50 Prozent in den Stras­sen­fonds rück­ver­teilt, mit dem die Natio­nal­strassen ausge­baut werden (siehe CO2-Gesetz, Art. 53, Abs. 3, Anm. d. Redak­tion). Das ist doch verkehrt.

Und der Klimafonds?

Den kann man als Fort­schritt sehen. Es stellt sich aber die Frage, welche Projekte damit unter­stützt werden. Beispiels­weise verur­sa­chen neue Tech­no­lo­gien meist hohe Grau­e­mis­sionen und führen zu erhöhter Produk­tion. Wenn also durch den Klima­fonds Gelder daraus zu Start-Ups fliessen, die dafür sorgen, dass noch mehr produ­ziert wird, dann bringt das rein gar nichts. Und obwohl der Finanz­platz 22-mal mehr CO2 ausstösst als die ganze Bevöl­ke­rung, sind im CO2-Gesetz keine Mass­nahmen gegen Gross­kon­zerne und Banken vorgesehen.

Welche konkreten Ände­rungen müssten am Gesetz vorge­nommen werden, damit ihr dahin­ter­stehen könntet?

Klima­schutz sollte dort ansetzen, wo die unso­zialen Mecha­nismen über­wunden und die Entschei­dungen über die Mass­nahmen demo­kra­ti­siert werden können. Das neue CO2-Gesetz steht auf dem Funda­ment unseres momen­tanen Wirt­schafts­sy­stems. Darum finde ich es grund­sätz­lich schwierig, konkrete Ände­rungs­vor­schläge anzu­bringen. Statt­dessen versu­chen wir im Rahmen des Strike for Future alter­na­tive Formen von Klima­schutz aufzu­zeigen. In einem ersten, an die Corona-Krise ange­passten „Krisen­ak­ti­ons­plan“ schlagen wir konkrete Mass­nahmen wie auto­freie Städte, einen Subven­ti­ons­stopp für fossile Ener­gien und Arbeits­zeit­ver­kür­zungen vor.

Wie recht­fer­tigt ihr die unhei­lige Allianz mit der SVP und einigen Wirt­schafts­ver­bänden, mit denen ihr das Refe­rendum ergreift?

Wir gehen ja keine Part­ner­schaft mit denen ein. Natür­lich distan­zieren wir uns von der SVP, die die Klima­krise entweder rela­ti­viert, leugnet oder mit rassi­sti­schen, sexi­sti­schen oder ökofa­schi­sti­schen Ansätzen abwenden will. Dass wir diesen Kreisen nicht die Deutungs­ho­heit über das Gesetz über­lassen wollen, ist mitunter ein Grund, weshalb wir das Refe­rendum über­haupt ergriffen haben.

Wenn ihr konkrete Verän­de­rungen errei­chen wollt, dann seid ihr auf die parla­men­ta­ri­sche Linke ange­wiesen, die Vorstösse einbringt und Gesetze aufgleist. Diese steht geschlossen für das Gesetz und gegen das Refe­rendum ein. Siehst du die Gefahr, dass dadurch Gräben zur SP und den Grünen aufge­rissen werden?

Einer­seits ist das Refe­rendum für uns nur ein Projekt von vielen. Bei anderen Themen arbeiten wir selbst­ver­ständ­lich weiterhin mit der SP und den Grünen zusammen, zum Beispiel beim Strike for Future. Dort versu­chen wir, Verbin­dungen herzu­stellen und mit verschie­denen gesell­schaft­li­chen Akteur:innen gemein­same Struk­turen zu schaffen.

Ande­rer­seits sehe ich die Aufgabe des Klima­streiks vor allem darin, die gesell­schaft­liche Debatte zu verschieben. Dies sollte auch jetzt unsere Aufgabe sein. Bis jetzt meistern wir diese Aufgabe recht gut, wie ich meine. Kein:e einzige:r linke:r Parlamentarier:in würde behaupten, dass dieses CO2-Gesetz genügt. Von daher bin ich opti­mi­stisch, dass die weitere Zusam­men­ar­beit funk­tio­nieren wird. Wir machen das jetzt, bleiben aber in Kontakt und versu­chen, Verständnis für unsere Haltungen aufzubauen.

Nehmen wir an, das Refe­rendum kommt durch und das Gesetz zurück ins Parla­ment. Es bedürfte einer grossen Mobi­li­sie­rungs- und Infor­ma­ti­ons­kam­pagne, damit die Rechte den Sieg nicht für sich rekla­miert und das Gesetz im Parla­ment noch mehr verwäs­sert. Welche konkreten akti­vi­sti­schen Schritte plant ihr für dieses Szenario?

Die Abstim­mung fiele etwa in den Zeit­rahmen Mai, Anfang Juni 2021. Für diese Zeit planen wir den Strike for Future. Da sind wir dabei, mit verschie­denen Akteur:innen konkrete Forde­rungen und ein Programm auszu­ar­beiten. Sollte das neue CO2-Gesetz gebo­digt werden, hoffen wir natür­lich, dass sich wieder viele Menschen die Strasse nehmen und ein grosses Zeichen für konse­quenten und sozialen Klima­schutz setzen werden.

Welche Protest­formen zieht ihr in Betracht?

Bei der Bundes­platz-Beset­zung hat der zivile Unge­horsam funk­tio­niert, die Medien sind auf den Zug aufge­sprungen. Es wird bestimmt wieder ähnliche Aktionen geben.

Verfolgt ihr eine syste­ma­ti­sche Stra­tegie? Jede Woche eine Beset­zung an einem anderen Ort?

Wir haben eine Stra­tegie. Sie beinhaltet sehr viele verschie­dene Akti­ons­formen und Möglich­keiten. Diese jetzt aber alle aufzu­zählen, ginge zu lange. Und unsere Stra­tegie bleibt halt erst mal noch unsere Strategie.

Wie geht ihr inner­halb der Bewe­gung damit um, beim Thema CO2-Gesetz gespalten zu sein? Wie disku­tiert ihr das aus?

In jedem Medi­en­auf­tritt von Klima­strei­kenden zum Refe­rendum wurde der Zusam­men­halt der Bewe­gung betont. Wir sind basis­de­mo­kra­tisch und föde­ra­li­stisch orga­ni­siert, verschie­dene Regionen verfolgen verschie­dene Projekte unter verschie­denen Bedin­gungen. In der Romandie beispiels­weise wird tradi­tio­nell eher als in der Deutsch­schweiz ein Refe­rendum ergriffen, weil die SVP dort nicht so stark ist. Aber auch in der Deutsch­schweiz gibt es Menschen wie mich in der Bewe­gung, die finden, dass das richtig ist. Die Bewe­gung spaltet sich nicht. Wir verfolgen weiterhin unsere gemein­samen Projekte. Beim Refe­rendum geht es doch vor allem um die Frage, wie man taktisch vorgehen sollte. Gene­rell disku­tieren wir alles Rele­vante in unseren Plänen. Dort gibt es Diffe­renzen und schwie­rige Momente. Aber das war schon zu Beginn so und gehört dazu.

Die Klima­be­we­gung hat es geschafft, poli­ti­sche Prozesse in Gang zu setzen. Doch bis jetzt sind daraus noch keine konkreten Verän­de­rungen hervor­ge­gangen. Wie steht ihr dazu, eure Ziele wie Netto Null bis 2030 direkt über eine Initia­tive in die Verfas­sung zu schreiben?

Viele in der Bewe­gung haben den Glauben an die insti­tu­tio­nelle Politik verloren. Gerade in der Frage der Regu­lie­rung des Finanz­platzes hat sich ja gezeigt, dass der Weg über das Parla­ment schwierig ist. Wir haben die Bundes­ver­samm­lung zwei Jahre lang dazu zu bringen versucht, den Finanz­platz stärker zu regu­lieren. Warum sollten wir nun daran glauben, dass wir genü­gend Druck auf das von Lobby­ismus geprägte Parla­ment ausüben können, damit sich wirk­lich etwas verän­dert? Ich bin da nicht sehr optimistisch.

Wie wollt ihr dann vorgehen?

Die Bewe­gung versucht momentan viel eher über den Aufbau alter­na­tiver Struk­turen Verän­de­rungen herbei­zu­führen. Ande­rer­seits gehört das Vertrauen in die insti­tu­tio­nelle Politik und in die direkte Demo­kratie zum Selbst­ver­ständnis der Schweizer Bürger:innen. Das dürfen wir nicht igno­rieren. Ein Vorwurf gegen uns beim Refe­rendum lautet, dass wir uns den Mitteln der insti­tu­tio­nellen Politik bedienen, obwohl wir diese ablehnen. Ich finde, dass wir diese Mittel bewusst für unsere Anliegen nutzen sollten, statt diese Anliegen nur auf der Strasse zu präsentieren.

Was heisst das konkret?

Das Aufgleisen einer Initia­tive sehe ich derzeit vor allem als eine Möglich­keit, um aufzu­zeigen, dass die insti­tu­tio­nelle Politik in der Klima­krise nicht funk­tio­niert. Bis etwa eine Initia­tive Netto Null bis 2030 aufge­gleist, ange­nommen und dann umge­setzt würde, ginge es einfach viel zu lange. Solange die Glet­scher­initia­tive mit dem Ziel Netto Null 2050 im Gang ist, werden wir unsere Energie nicht dafür einsetzen, etwas anderes aufzu­gleisen, auch wenn die Initia­tive ein wenig aus der Zeit gefallen ist und nicht den Zielen unserer Bewe­gung entspricht. Trotzdem ist es möglich, dass gewisse Regionen etwas anreissen werden.

Letzt­lich stellt sich ja die Frage nach konkretem Wandel. Wenn ihr den herbei­führen wollt, dann müsst ihr entweder vermehrt Initia­tiven und Refe­renden ergreifen oder in euren Akti­ons­formen radi­kaler werden…

Viel­leicht über einen Gene­ral­streik? Die Frage nach den Mitteln, mit denen man ein System über­winden kann, lässt viele Antworten offen. Wir werden weiterhin auf zivilen Unge­horsam setzen und vom Mittel des Streiks Gebrauch machen. Wir versu­chen, dieses seit Beginn der Bewe­gung für uns bean­spruchte Mittel breiter zu nutzen und es wieder an seinen Ursprungsort, den Arbeits­platz, zurückzutragen.

Zusammen mit den Gewerk­schaften werden wir im Rahmen von Strike for Future erste ökono­mi­sche Streiks lancieren und in der gesamten Schweiz basis­de­mo­kra­ti­sche Klima­gruppen aufbauen. Damit wollen wir eine gesamt­ge­sell­schaft­liche Diskus­sion anstossen und notwen­dige Mass­nahmen mit Direkt­be­trof­fenen bespre­chen. Wir rufen somit zur Orga­ni­sa­tion, Vernet­zung und Aktion in allen Lebens­be­rei­chen auf.

 


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 29 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1768 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Löse direkt über den Twint-Button ein Soli-Abo für CHF 60 im Jahr!

Ähnliche Artikel