Reiniger:innen bei Enzler: „Es wird sich nichts verän­dern ohne Streik.“

Das Solo­thurner „Reini­gungs­kol­lektiv“ erhebt schwere Vorwürfe gegen das Reini­gungs­un­ter­nehmen Enzler Reini­gungen AG. An einer Demon­stra­tion am vergan­genen Samstag wehren sie sich laut­stark gegen mise­rable Arbeits­be­din­gungen. Und gegen die Unia. 
Solidaritätsdemonstration für die Enzler-Arbeiter:innen in Solothurn am 10. Juli 2021 (Foto: FAU Schweiz)

Rote Fahnen flat­tern in der Luft am Nach­mittag des 10. Juli auf dem Dorna­cher­platz in Solo­thurn. Rufe tönen über den Platz. Rund 80 Demonstrant:innen haben sich vor der Innen­stadt versam­melt, um ihre Soli­da­rität mit den Reiniger:innen der Enzler Reini­gungen AG kund­zutun. Die Enzler-Reiniger:innen arbeiten beim Standort des Biotech­no­lo­gie­kon­zerns Biogen in Luter­bach. Sie tun dies unter mise­ra­blen Bedin­gungen, wie Berichte der Basis­ge­werk­schaften FAU (Freie Arbeiter:innen-Union) und IWW (Indu­strial Workers of the World) behaupten.

Es sind vor allem junge Menschen und Mitglieder der Basis­ge­werk­schaften, die Flyer an Passant:innen verteilen und Reden halten, um auf die Situa­tion der Reiniger:innen aufmerksam zu machen, von denen eben­falls einige anwe­send sind. Zwischen den Reden hallen Parolen durch die heisse Samstagnachmittagsluft:

„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Gesund­heit klaut!“

Vor der Demon­stra­tion trifft das Lamm drei der Reiniger:innen zum Gespräch in der Solo­thurner Innen­stadt. „Enzler ist das Haupt­pro­blem, nicht Biogen“, insi­stieren die Arbeiter:innen. Einer der Haupt­gründe dafür sei der mangelnde gesund­heit­liche Schutz der Reiniger:innen. „Du kannst deinen Job verlieren, wenn du wegen der starken Chemi­ka­lien oder wegen eines Unfalls zum Arzt gehst“, sagt eine der drei Personen, die es vorzieht, anonym zu bleiben. „Wenn du sagst, dass dies bei der Arbeit für Enzler passiert ist, dann sieht es schlecht aus für dich.“ Enzler wolle solche Vorfälle nicht bei Biogen melden – aus Angst, den Vertrag gekün­digt zu erhalten.

Während der Arbeit für Enzler am Standort von Biogen in Luter­bach, deren Innen­räume aufgrund der Erfor­schung und Produk­tion von Medi­ka­menten auf sterile Bedin­gungen und somit auf Spezi­al­rei­ni­gung ange­wiesen ist, kommen die Arbeiter:innen mit starken Reini­gungs­mit­teln in Kontakt. „Solche, die es sonst nur in Amerika gibt“, meint eine Reini­gungs­person. Dabei sei schon vorge­kommen, dass die dafür benö­tigten Reini­gungs­filter für die Schutz­masken nicht vorhanden gewesen seien. „Die Verant­wort­li­chen von Enzler haben uns gesagt, wir sollten einfach die anderen Filter nehmen, die noch da seien. Doch diese nützen bei solch starken Mittel über­haupt nicht!“ Folge davon: Verät­zungen auf der Haut und im Gesicht bei einer Person. Enzler versuche den Vorfall unter den Tisch zu wischen, sagen die Reiniger:innen.

Des Weiteren sei mehr­mals vorge­kommen, dass Reiniger:innen auf dem feuchten Boden ausge­rutscht seien und sich verletzt hätten. In solchen Fällen und bei Unfällen mit chemi­schen Substanzen werde ihnen stets unter­sagt, sich beim Ärzt:innenposten und dem medi­zi­ni­schen Personal von Biogen zu melden. Sie würden dann von Enzler-Vorge­setzten zu einem Haus­arzt oder ins Spital gefahren.

Ein beim Treffen anwe­sender Gewerk­schafter der IWW, der eben­falls anonym bleiben will, meint im Gespräch mit das Lamm: „Beim Biogen-Standort in Luter­bach herrscht eine Zwei­klas­sen­ge­sell­schaft.“ Offi­zi­elle Erklä­rungen zu den Unfällen gebe es nicht, meint er weiter. 

In einer Stel­lung­nahme reagiert das schweiz­weit tätige Unter­nehmen auf die Vorwürfe. Ein gerechter Lohn sowie der Arbeits­schutz von Mitar­bei­tenden seien der Firma sehr wichtig: „Die Enzler Reini­gungen AG setzt sich stets bedin­gungslos für die Einhal­tung von GAV, Arbeits­ge­setz und Arbeits­si­cher­heit ein.“ 

„Unsere Gewerk­schaft ist unser Recht – Hände weg, Hände weg!“

Unter anderem wegen solcher Vorfälle – und weil Zeit­pläne nicht beachtet werden und die Reiniger:innen quasi auf Abruf arbeiten – schlossen sich die FAU und die IWW mit den Enzler-Ange­stellten vor einigen Monaten zusammen und meldeten die Situa­tion Mitte Juni beim Arbeits­in­spek­torat des Kantons Solo­thurn. Dieses hat den Eingang der Beschwerde inzwi­schen bestätigt. 

Neben der bemän­gelten Arbeits­si­cher­heit ist vor allem die Suspen­die­rung des Gewerk­schafts­ver­tre­ters der Auslöser für die Demon­stra­tion. Der Vorwurf des union bustings, der Sabo­tage der Arbeitnehmer:innenvertretung, steht im Raum. Der Gewerk­schafts­ver­treter hatte sich Ende Juni an die Medien gewandt, als ein homo­phober Angriff auf einen Enzler-Arbeiter bekannt wurde. Der Täter wurde inzwi­schen zwar entlassen, der Gewerk­schafts­ver­treter aber bei vollem Lohn „bis auf Weiteres“ suspen­diert. Er kann sich somit nicht auf dem Firmen­ge­lände bewegen und sich mit anderen Arbeiter:innen austau­schen. Ausserdem kann er nicht auf proble­ma­ti­sche Vorgänge hinweisen, wenn das kanto­nale Arbeits­in­spek­torat und die Suva vor Ort die Lage über­prüfen werden. 

„Wir sind nicht die Unia, die alles tut, um dir zu gefallen!“

Dass die Demon­stra­tion auf dem Dorna­cher­platz startet, ist zwar ein Zufall, doch kommt er den Gewerkschafter:innen gelegen. Dort nämlich hat die Unia Solo­thurn ihr Sekre­ta­riat. „Die Mobi­li­sie­rung hier ist auch ein Zeichen an die Unia“, sagt ein FAU-Gewerkschafter. 

Die Gewerk­schaft ist bei einem Teil der Beleg­schaft in Ungnade gefallen. Ein Reiniger erzählt, dass er und seine Kolleg:innen mehr­mals bei der Unia mit poten­ti­ellen Arbeits­rechts­ver­let­zungen vorstellig geworden seien – ohne Erfolg. Als Mitun­ter­zeich­nerin des Gesamt­ar­beits­ver­trages ist die Unia eigent­lich die desi­gnierte Arbeit­neh­mer­ver­tre­terin. Doch das Reiniger:innenkollektiv manda­tierte die FAU und die IWW. Die Enzler Reini­gungen AG hält weiterhin daran fest, mit der Sozi­al­part­nerin Unia zu verhandeln.

Der Konflikt zwischen den Gewerk­schaften ist verworren. Gegen­über der Solo­thurner Zeitung reagiert die Unia auf die Vorwürfe und die Forde­rungen des Reini­gungs­kol­lek­tivs. „Kein Kommentar“, meint der Leiter der Unia-Sektion Solo­thurn dazu. Bei einer Aussprache mit der Enzler-Beleg­schaft sei die Unia „von fast allen der rund 75 anwe­senden Personen“ für die Inter­es­sen­ver­tre­tung manda­tiert worden. 

Eine Text­nach­richt sowie eine Aufnahme von der Aussprache, die das Lamm vorliegen, stellen diese Erzäh­lung zumin­dest infrage. Die Einla­dung, die die Enzler-Arbeiter:innen via WhatsApp erhielten, haben einige Arbeiter:innen so verstanden, dass das Treffen mit der Unia obli­ga­to­risch sei: In der Nach­richt steht, dass sich alle zur gege­benen Zeit in der Cafe­teria einfinden müssen. Eine Arbeit­ge­berin, die zu einem obli­ga­to­ri­schen Treffen mit einer Gewerk­schaft aufruft? Das wäre ungewöhnlich.

Eine Aufnahme des Tref­fens mit der Unia lässt zudem Zweifel aufkommen, ob wirk­lich fast alle Anwe­senden die Unia manda­tiert haben. In den rund fünf Minuten Sprach­nach­richt ener­viert sich ein Arbeiter laut­stark über die anwe­senden Unia-Vertreter:innen, die ein paar Mal verge­bens versu­chen, das Wort zu ergreifen. Als der Arbeiter fertig gespro­chen hat, ertönt Applaus. 

„Die Situa­tion mit der Unia hat sich in den letzten Wochen verkom­pli­ziert“, sagt der IWW-Gewerk­schafter. Die Konkur­renz­si­tua­tion mit der Unia schwäche die Verhand­lungs­po­si­tion. Trotzdem werden in den Reden und Parolen an der Kund­ge­bung immer wieder Spitzen Rich­tung Dorna­cher­platz geschickt. 

„Es wird sich nichts verän­dern ohne Streik!“

Beim Gespräch mit den Reiniger:innen vor der Demon­stra­tion wird nicht nur ihre Ableh­nung des von der Unia ausge­han­delten Gesamt­ar­beits­ver­trages deut­lich. Klar wird auch, dass sie selbst dieje­nigen sein wollen, die mitbe­stimmen, was sich konkret verän­dern soll. 

13 Forde­rungen haben die Reiniger:innen zusammen mit den Basis­ge­werk­schaften ausge­ar­beitet, die sie an Enzler und Biogen richten. Dazu gehören neben einer Erhö­hung der Monats­löhne, dem Zugang zum betriebs­ärzt­li­chen Dienst von Biogen und besserer Schutz­aus­rü­stung auch der Zugang zur Cafe­teria, den Toiletten und Wasser­stellen sowie eine Direkt­an­stel­lung bei Biogen.

Auch ist klar, dass die Reiniger:innen entschlossen sind, sich wenn nötig auch über einen Streik für die Erfül­lung ihrer Forde­rungen einzu­setzen. „Wenn wir nicht reinigen, können keine Medi­ka­mente herge­stellt werden. Wir wissen um unsere Stärke“, sagt einer von ihnen kurz bevor die Reiniger:innen zusammen mit soli­da­ri­schen Menschen und den roten Fahnen zur Demon­stra­tion am Dorna­cher­platz aufbrechen.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 14 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 988 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.

Ähnliche Artikel

12 statt 21 Franken pro Stunde

Der Brief- und Paketzusteller Quickmail wirbt mit einem Stundenlohn von 21 Franken. Sobald Mitarbeitende aber weniger schnell sind als von der Firma verlangt, sinkt das Gehalt – schlimmstenfalls weit unter das Existenzminimum.

„Der Krieg ist zur Routine geworden“

Vor etwas mehr als einem Jahr hat Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Die Stadt Charkiw im Nordosten des Landes liegt direkt an der Frontlinie und ist regelmässig Ziel von Raketenangriffen. Das anarchistische Kollektiv Assembly arbeitet vor Ort. Im Interview mit dem Lamm sprechen die Mitglieder über das Leben im Ausnahmezustand, über ihre Politik und die lange anarchistische Tradition in der Ukraine.