Ruanda: Paul Rusesa­ba­gina, vom Holly­wood­held zum Terroristen

Paul Rusesa­ba­gina war der Held des Block­bu­sters Hotel Rwanda, er rettete rund 1200 Tutsi vor dem sicherem Tod. Nun steht er wegen Terro­ris­mus­vor­würfen vor Gericht. Was ist passiert? Und was sagt der Fall über die Aufar­bei­tung des Völker­mords von 1994 in Ruanda aus? 
Rusesabagina an einer Zeremonie zum 20. Jahrestag des Völkermordes in Ruanda an der University of Michigan. (Foto: Gerald R. Ford School of Public Policy)

Im April wurde in Ruanda wieder den Opfern des Völker­mordes gedacht. Am 7. April jährte sich dieser zum 27. Mal. Zur glei­chen Zeit sitzt auf der Ankla­ge­bank des ober­sten Gerichts von Kigali, Ruandas Haupt­stadt, ein Mann, von dem die einen sagen, er sei ein Held, denn er bewahrte 1 200 Ruander:innen vor dem Tod, und von dem die ruan­di­sche Regie­rung behauptet, er sei ein Terrorist.

Dem 66-jährigen Paul Rusesa­ba­gina wird vorge­worfen, Gründer und Anführer der im Exil begrün­deten Oppo­si­ti­ons­be­we­gungen MRCD (Ruan­di­sche Bewe­gung für demo­kra­ti­schen Wandel) zu sein und auch die Akti­vi­täten des bewaff­neten Flügels FLN zu unter­stützen. Rusesa­ba­gina, so steht es in der Ankla­ge­schrift, sei Unter­stützer einer mörde­ri­schen Rebel­len­truppe, ein Mann, der die Regie­rung Ruandas stürzen und erneut ein Regime völker­mor­dender Hutus etablieren wolle.

Entfüh­rung oder genialer Schachzug?

Diese Geschichte beginnt am 27. August in Dubai mit dem Treffen zweier alter Freunde: Paul Rusesa­ba­gina, einst Manager des Hôtel des Mille Collines, in dem während der Tage des Völker­mordes verzwei­felte Tutsi Schutz fanden, und Constantin Niyomwun­gere, Pastor aus Burundi. Der Pastor hatte Rusesa­ba­gina einge­laden, in Burundi einen Vortrag über seine menschen­recht­liche Arbeit und die Aufar­bei­tung des Völker­mordes zu halten.

Gegen Mitter­nacht stiegen beide Männer in ein Klein­flug­zeug des privaten Char­ter­un­ter­neh­mens GainJet und flogen dem Morgen entgegen. Doch das Flug­zeug landete nicht, wie Rusesa­ba­gina gedacht hatte, im burun­di­schen Bujum­bura, sondern in der ruan­di­schen Haupt­stadt Kigali, wo Rusesa­ba­gina noch auf dem Roll­feld fest­ge­nommen wurde. Das sei kein Kidnap­ping gewesen, behauptet die ruan­di­sche Regie­rung, ledig­lich eine Finte.

Niyomwun­gere, der in Ruanda eben­falls des Terro­rismus beschul­digt wird, wurde zum Verräter, um einem eigenen Prozess zu entkommen. Noch am selben Tag zeigte das ruan­di­sche Fern­sehen Rusesa­ba­gina in Hand­schellen und die staat­lich gelenkten Medien beju­belten die Verhaf­tung eines Verbre­chers, der viel zu lange den Schutz des Westens genossen habe.

Ein Holly­wood­held vor Gericht

Bilder davon, wie angeb­liche Völkermörder:innen und terro­ri­sti­sche Agitator:innen aus Europa, Amerika oder Kanada an die ruan­di­sche Gerichts­bar­keit ausge­lie­fert und am Flug­hafen verhaftet werden, sieht man häufig im ruan­di­schen Fern­sehen. Doch dieses Mal hatte der Fall eine ganz andere Dimen­sion, denn Rusesa­ba­gina erlangte durch den Holly­wood-Film Hotel Ruanda Welt­ruhm und wird als Oskar Schindler Afrikas bezeichnet. Als Vize-Manager des real existie­renden Hôtel des Mille Collines soll er 1 200 Tutsi während des sechs Monate anhal­tenden Geno­zids von 1994 durch geschickte Verhand­lungen mit den mordenden Milizen der Inter­ahamwe und Mitglie­dern des Gene­ral­stabs des Mili­tärs sowie mittels Einsatz von teurem Whisky und Zigarren das Leben gerettet haben.

So jeden­falls stellen es Rusesa­ba­gina und der Film dar, und so hat es einst auch Ruandas Präsi­dent Paul Kagame gesehen. Bei der Premiere in Kigali sass er neben dem Regis­seur Terry George und soll den Film gelobt haben. Und auch Paul Rusesa­ba­gina war damals, nach dem Genozid, ein Fan von Kagame, in dem nicht nur er, sondern auch der Rest der Welt den Befreier Ruandas sah. Denn Kagame und seine Armee been­deten das Morden. Einige Jahre später wurde er Präsi­dent – und ist es bis heute.

Paul Rusesa­ba­gina entkam in der Endphase des Völker­mordes nach Tansania. Er zog zwei Jahre nach Beginn von Kagames Präsi­dent­schaft nach Belgien, wo er die Staats­bür­ger­schaft erhielt. Für seinen Lebens­un­ter­halt und den seiner Familie fuhr er Taxi. Zufällig war unter seiner Kund­schaft der irische Film­re­gis­seur Terry George. Die beiden Männer kamen ins Gespräch. Rusesa­ba­gina erzählte seine Geschichte und George sah darin das holly­wood­taug­liche Poten­tial. So entstand der Film, der Rusesa­ba­gina neben Ruhm auch Geld brachte. Er grün­dete die Hotel Rwanda Rusesa­ba­gina Foun­da­tion, eine Stif­tung zur Unter­stüt­zung von Opfern des Völkermordes.

Doch mehr und mehr wurde er zum Kritiker von Paul Kagame. Er sagte mehr­fach, dass eine kleine, korrupte Elite aus Tutsi das Land an sich gerissen habe. Als in Belgien sein Auto von der Strasse gedrängt wurde und jemand in sein Haus einbrach und Doku­mente stahl, zog er in die USA.

Paul Kagame sorgte für eine rekord­ver­däch­tige Wirt­schafts­ent­wick­lung von Ruanda. Auch dank gross­zü­giger Entwick­lungs­hilfe, die ihm der von schlechtem Gewissen geplagte Westen zahlte, machte er aus Kigali eine moderne Gross­stadt. Er baute ein funk­tio­nie­rendes Gesund­heits­sy­stem auf und führte eine univer­selle Kran­ken­ver­si­che­rung ein. Heute ist Kigali ein wirt­schaft­li­ches Zentrum in Ostafrika und regel­mäs­siger Tagungsort für inter­na­tio­nale Konfe­renzen. Die Tage des Bürger­kriegs erscheinen in weiter Ferne.

Der Genozid in Ruanda

Der Genozid in Ruanda hat viele histo­ri­sche Gründe. Er wurde ausge­löst durch den Absturz eines Flug­zeugs, in dem der dama­lige ruan­di­sche Präsi­dent Juvénal Haby­ari­mana sass, doch seinen Keim hatte er in einer Klas­si­fi­zie­rung durch die belgi­sche Kolo­ni­al­ver­wal­tung, die aus den sozialen Kate­go­rien Hutu und Tutsi ethni­sche Zuge­hö­rig­keiten machten. Man bildete zwei Gruppen, die in den folgenden Jahr­zehnten gegen­ein­ander aufge­bracht wurden.

Bereits in den 50er-Jahren kam es zu Pogromen, in deren Folge viele Tutsi aus Ruanda flohen. Als 1994 aus den gewalt­tä­tigen Über­griffen ein Genozid wurde, sahen Europa und die USA keinen Grund zum Eingreifen. Auch dann nicht, als der für die UN-Mission in Ruanda zustän­dige General Roméo Dallaire flehent­liche Faxe nach Washington schickte und um die Entsen­dung von 5 000 Soldaten bat, um das Morden zu stoppen.

Hotel Ruanda mit dem Zusatz „based on a true story“ wurde für drei Oscars nomi­niert und brachte erst­mals einem welt­weiten Publikum die furcht­baren Ereig­nisse in Ruanda und deren Hinter­gründe nahe. 2005 wurde Rusesa­ba­gina die Presi­den­tial Medal of Freedom, eine der höch­sten Auszeich­nungen der USA, verliehen. Wie auf alle tatsäch­li­chen oder vermut­li­chen Held:innen, die Afrika hervor­bringt, reagierte die west­liche Welt mit Entzücken auf die Licht­ge­stalt, die der Dunkel­heit des Völker­mordes getrotzt hatte, zeigte das doch, dass selbst das Böse nicht allum­fas­send ist.

Ein Völker­mord, der nie richtig zu Ende ging

Man könnte die Demon­tage des Helden und seine Wand­lung zum angeb­li­chen Terro­ri­sten als Beweis dafür sehen, dass das, was Holly­wood als wahre Bege­ben­heit erzählt, eben noch lange nicht wahr ist. So möchte es zumin­dest die ruan­di­sche Regierung.

2014 veröf­fent­lichte einer der Über­le­benden aus dem Mille Collines, Edouard Kayihura, die angeb­lich „wahre Geschichte“ hinter Hotel Ruanda. Er stellt Rusesa­ba­gina als einen Mittäter der mörde­ri­schen Hutu dar, der die Verzwei­felten vor die Wahl stellte, entweder all ihren Besitz herzu­geben oder den Milizen und damit dem sicheren Tod über­geben zu werden.

Man könnte aber auch vermuten, der ruan­di­schen Regie­rung sei jedes Mittel recht, um ihre Kritiker:innen zu Fall zu bringen. Denn die eigent­liche Geschichte, deren Prot­ago­nist Rusesa­ba­gina viel­leicht unfrei­willig geworden ist, ist die eines Völker­mordes, der nie wirk­lich zu Ende ging, sondern sich nur in den benach­barten Ostkongo verla­gerte. Nach dem Sieg durch die Armee Kagames flohen all jene, die an dem Genozid betei­ligt waren, in die benach­barte Region. Hundert­tau­sende, die die Rache der Sieger:innen fürchteten.

Im Ostkongo bilden sich seither immer wieder neue Rebel­len­gruppen. Aus den Fäden der ethni­schen Klas­si­fi­zie­rung, die in der Kolo­ni­al­zeit gewunden wurden, ist inzwi­schen ein Netz geworden, in dem sich Täter:innen, Opfer, Unbe­tei­ligte verfangen – und all jene, die sich gegen Kagame stellen.

Freund oder Feind im neuen Ruanda

Im dunklen Nach­spiel des Völker­mordes ist in Ruanda eine Schwarz-Weiss-Wahr­neh­mung entstanden, in der es nur Freund oder Feind gibt. Die Zahl der ehema­ligen Weggefährt:innen von Kagame, die ins Exil gingen oder heute in Ruanda wegen Terro­rismus gesucht werden, wächst laufend. Selbst der Frie­dens­no­bel­preis­träger von 2018, der kongo­le­si­sche Frau­en­arzt Denis Mukwege, wird von Ruanda der terro­ri­sti­schen Agita­tion beschul­digt. Manche der Gegner:innen Kagames verschwanden still, andere wurden laut und grün­deten Oppo­si­ti­ons­gruppen im Exil wie etwa den Ruan­di­schen Natio­nal­kon­gress in den USA oder die MRCD, deren Begründer und Kopf Paul Rusesa­ba­gina sein soll.

Die Wahr­heit ist bei all dieser Gewalt längst verloren gegangen. Geblieben ist ein Kampf um Deutungs­ho­heit. Bislang obliegt diese auch im Fall Ruanda den Sieger:innen, die sich als Befreier:innen des Landes und als Architekt:innen eines gelun­genen Wieder­auf­baus und einer landes­weiten Versöh­nung präsentieren.

In dieser Deutung sind es die Hutu, die die Tutsi ermor­deten. Gegen jede andere Darstel­lung geht man in Ruanda mit aller Härte vor. Doch in einem Bericht der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2010 werden ruan­di­sche Soldat:innen der Massen­ver­ge­wal­ti­gung und des Mordes an Zehn­tau­senden Zivilist:innen sowie der Rekru­tie­rung von Kindersoldat:innen im Ostkongo bezichtigt.

Zudem wurde in den vergan­genen Jahren die Theorie des doppelten Geno­zids begründet, der zufolge Kagame und seine Armee Rache­mas­saker anrich­teten. Auch die ameri­ka­ni­sche Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­tion Freedom House listet Morde an und Verschlep­pungen von poli­ti­schen Gegnern Kagames auf.

Die ruan­di­sche Presse verfolgt derweil alle Auslie­fe­rungen von mutmass­li­chen Betei­ligten am Völker­mord oder Mitglie­dern einer von Ruanda als terro­ri­stisch einge­stuften Orga­ni­sa­tion hautnah. Dabei häufen sich Beschul­di­gungen, ohne dass gleich­zeitig Beweise vorge­legt werden. Im Falle Rusesa­ba­ginas über­schlug sich die Presse gera­dezu vor Begei­ste­rung über die Verhaf­tung. Die Scha­den­freude galt auch dem Westen, der Rusesa­ba­gina so viel­fach verehrte und auszeich­nete. Ganz so, als sei Rusesa­ba­gina der Beweis, dass allein die ruan­di­sche Sicht richtig und alle Kritik des Westens ebenso eine Lüge ist wie der Film.

Doch auch die west­liche Presse, im Falle Ruanda und Kagame ohnehin stets mäan­dernd zwischen Lob und Kritik, Bewun­de­rung und Verdam­mung, weiss nicht so recht, ob sie Rusesa­ba­gina nun glauben soll oder nicht. Während es der New York Times gelang, ein Inter­view mit dem Häft­ling zu führen und ihm eine Platt­form für seine Version der Geschichte zu bieten, fragte Der Spiegel in einem grossen Dossier: „Wurde der Held zum Terro­ri­sten?“ Auch alle anderen euro­päi­schen Medien berich­teten mit Distanz zu Rusesa­ba­gina über den Fall. Doku­mente, wie sie die ruan­di­sche Regie­rung offenbar besitzt, die die Schuld Rusesa­ba­ginas beweisen, konnte bislang kein Medium präsentieren.

Rusesa­ba­gina drohen 25 Jahre Haft. Zwei Anträge auf Kaution wurden bereits abge­lehnt. Ruanda hat ihm Pflicht­ver­tei­di­gung zur Seite gestellt. Das sind keine guten Aussichten, zumal Rusesa­ba­gina inzwi­schen zuge­geben hat – ob frei­willig oder erzwungen – die MRCD zu unter­stützen. Es gibt ausserdem ein Video von 2018, in dem er dem Kampf gegen die ruan­di­sche Diktatur seine Unter­stüt­zung zusagt. Doch Rusesa­ba­gina bestreitet jede Invol­vie­rung in Gewalt. Er enga­giere sich für eine Oppo­si­ti­ons­gruppe, nicht für Terrorist:innen, sagte er.


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