Saubere CO2-Bilanz (not) made in Switzerland

Das Pariser Klima­ab­kommen verpflichtet seine Unterzeichner*innen, CO2 zu sparen. Das muss ein Land aber nicht selbst tun – es kann ärmere Staaten dafür bezahlen. Die Schweiz ist und bleibt ein frag­wür­diges Vorbild. 
Die Schweiz bezahlt andere, um an ihrer Stelle Emissionen zu reduzieren. (Illustration: Arion Gastpar)

In Ghana stecken Bäuer*innen graue Plastik­rohre in den Boden. Sie sind unge­fähr so lang und dick wie ein Unter­schenkel, zur Hälfte durch­lö­chert, die Mitte markiert ein weisses Klebe­band. Warum sie das tun? Um für die Schweiz CO2-Emis­sionen zu sparen.

S’hät solang’s hät, sagt man in der Schweiz. Oder anders: Wer zuerst kommt, bekommt am meisten. Das gilt für profane Dinge, wie etwa das Ablesen eines Obst­baums, aber auch für kompli­zierte Dinge – wie die Möglich­keiten, Klima­schutz­mass­nahmen ins billi­gere Ausland auszulagern.

Reiche Länder wie Deutsch­land oder die Schweiz müssen viel Geld ausgeben, um aufwändig ihre Infra­struk­turen umzu­bauen. Etwa, um Wind­räder, Solar­an­lagen und die dafür notwen­digen Strom­trassen zu instal­lieren, um Gebäude zu sanieren, um die Land­wirt­schaft zu moder­ni­sieren oder Elek­tro­la­de­säulen entlang der Auto­bahnen aufzu­stellen. Alles, um CO2 zu sparen. Sie können aber auch arme Länder dafür bezahlen, das für sie zu machen, sehr viel einfa­cher und billiger zum Beispiel mit ener­gie­ef­fi­zi­enten Öfen – oder eben mit Plastik­rohren im Boden.

In Ghana werden Menschen in ausge­wählten Regionen fortan mithilfe solcher Plastik­rohre auf eine klima­freund­li­chere Art Reis anbauen. Die Schweiz wird sich die damit erreichten CO2-Reduk­tionen anrechnen, weil sie dafür bezahlt hat. Das ist ganz offi­ziell erlaubt, fest­ge­halten im Pariser Klima­ab­kommen unter ­Artikel 6.

Das Ziel des 2015 auf der Klima­kon­fe­renz der Vereinten Nationen beschlos­senen Abkom­mens ist es, die globale Erwär­mung auf 1.5 Grad zu begrenzen. Einige Fach­leute fürchten, Artikel 6 könnte dieses Ziel aushöhlen. Die Schweiz hat sich bei den Verhand­lungen in den Jahren zuvor stark für diesen Artikel einge­setzt und macht nun als erstes Land der Welt von ihm Gebrauch – s’hät ebe nur, solang’s hät.

Mora­lisch frag­würdig oder positiv für alle?

Chasch nöd de Füfer und ’s Weggli ha, sagt man in der Schweiz. Will heissen: Man kann nicht alles haben. Für manche, zum Beispiel Ghana, gilt das mehr als für andere, zum Beispiel die Schweiz. Im Durch­schnitt ist ein Mensch in Ghana für 0.75 Tonnen CO2 pro Jahr verant­wort­lich, in der Schweiz ist es fast siebenmal so viel: 5.2 Tonnen. Zählt man die Emis­sionen, die ausser­halb der Schweiz für Güter anfallen, die hier­zu­lande konsu­miert werden, sind es laut dem Bundesamt für Umwelt sogar 12 Tonnen, also 16 Mal so viel.

Und nun sparen Menschen in Ghana für Menschen in der Schweiz CO2 ein.

Seit einigen Monaten schult das Entwick­lungs­pro­gramm der Vereinten Nationen, kurz UNDP (United Nations Deve­lo­p­ment Program), welches das Projekt für die Schweiz in Ghana umsetzt, Frauen und Männer darin, auf eine klima­freund­li­chere Art Reis anzu­bauen. Sie lernen, die Reis­pflanzen zu einem bestimmten Zeit­punkt, mit genug Abstand und natür­li­chem Dünger einzu­pflanzen. Sie lernen, die Pflanzen nur in Inter­vallen zu wässern und nicht wie sonst üblich dauer­haft zu fluten – denn dabei entsteht viel Methan. Dafür sollen sie die zur Hälfte perfo­rierten Plastik­rohre mittig in ihre Felder stecken. Diese zeigen, dass der Boden noch Wasser trägt, auch wenn die Ober­fläche schon trocken erscheint.

Ist das mora­lisch frag­würdig? Alex­andra Soezer, die das Projekt vom UNDP-Haupt­sitz in New York aus betreut, findet nichts daran auszu­setzen, dass die ghanai­schen Reisbäuer*innen das für die Schweizer Bevöl­ke­rung machen. „Das ist wirk­lich positiv für die Menschen vor Ort“, sagt sie. Wichtig sei doch, dass über­haupt CO2 gespart werde, dass endlich etwas passiere.

„Auch die Bauern haben etwas davon“, sagt ihr Kollege Saeed Abdul-Razak aus der ghanai­schen Haupt­stadt Accra. Der Wasser­ver­brauch sinke um dreissig Prozent, bei gleich­blei­bendem Ertrag. Auf Fotos sind Reisfarmer*innen zu sehen, die in Gummi­stie­feln Plastik­rohre in matschige Böden stecken und sich auf Plastik­stühlen sitzend Vorträge anhören. Das letzte Bild zeigt die Ernte – einen Berg Reis – in Nahaufnahme.

Da künftig immer weniger Wasser verfügbar sein werde, sei die Anbau­me­thode ausserdem schon eine Anpas­sungs­mass­nahme an die Klima­er­wär­mung, erklärt Abdul-Razak. Und Soezer bekräf­tigt: „Ghana profi­tiert von diesem Projekt aufgrund der posi­tiven Effekte vor Ort, die weit über Emis­si­ons­re­duk­tion hinaus­gehen.“ Denn Ghana kommt so an Geld, das es sonst nicht bekommen hätte, und kann ein Projekt umsetzen, das es sonst nicht gegeben hätte. Ist es also „wirk­lich positiv“?

Der Schweiz zumin­dest wird es dabei helfen, künftig ihre Verspre­chen einzu­halten. Denn darin war sie in der Vergan­gen­heit nicht beson­ders gut: Sie hat ihr offi­ziell fest­ge­legtes Ziel, ihre Emis­sionen bis 2020 um zwanzig Prozent zu senken, nicht erreicht, trotz Pandemie. Konse­quenzen hat das keine. Ausser, dass es diplo­ma­tisch gesehen lang­fri­stig nicht ratsam ist, inter­na­tio­nale Verspre­chen zu brechen – auch nicht für eines der reich­sten Länder der Welt.

So gilt es, das nächste Ziel für 2030 zu errei­chen: Bis dahin will die Schweiz ihre Emis­sionen um fünfzig Prozent senken – das sind fünf Prozent bezie­hungs­weise 15 Prozent weniger, als die Euro­päi­sche Union und Deutsch­land verspre­chen. Selbst ihr nied­riges Ziel will die Schweiz aber eben nur zu zwei Drit­teln aus eigenen Kräften schaffen. Das rest­liche Drittel sollen andere Länder für sie machen. Ärmere Länder. Neben Ghana hat die Schweiz dafür schon mit Peru, Senegal, Geor­gien, Vanuatu, Domi­nica, Thai­land, der Ukraine, Marokko, Malawi und Uruguay Verträge abge­schlossen, mit Chile ist sie in Verhandlungen.

Für die meisten Projekte zahlt die Schweizer Erdöl­branche – die die Mehr­ko­sten aller­dings als Aufschlag auf die Benzin­preise an die Bevöl­ke­rung weitergibt.

CO2-Reduk­tionen zum halben Preis

Bi de Riiche lernt mä spaare, sagt man in der Schweiz. Dass man bei den Reichen sparen lernt, bezieht sich leider nur auf Geld, keines­wegs auf CO2 – da lernt man eher, wie man am Sparen spart. Dem Schweizer Beispiel werden andere Länder folgen, bislang ist das von Schweden, Singapur, Südkorea und Japan bekannt. Letz­teres hat schon mit 27 Ländern welt­weit Abkommen geschlossen.

Das Einspar­po­ten­zial ist enorm. 2019 veröf­fent­lichten die IETA (Inter­na­tional Emis­sions Trading Asso­cia­tion) und die CPLC (Carbon Pricing Leader­ship Coali­tion) dazu eine Studie. Beides sind Lobby­or­ga­ni­sa­tionen, die sich für ihre Mitglieder, zu denen auch fossile Gross­kon­zerne gehören, im Emis­si­ons­handel enga­gieren. Das Resultat der Studie: Die CO2-Reduk­tionen, die zum Errei­chen der welt­weiten Klima­ziele erfor­der­lich sind, lassen sich in armen Ländern zum halben Preis umsetzen.

„Die Schweiz muss einen Pfad gehen, der das verblei­bende globale Klima­budget best­mög­lich entla­stet. Statt­dessen rechnet sie sich ihren Weg mit billigen Projekten in anderen Ländern schön.“

Georg Klin­gler, Greenpeace

Anders in der Euro­päi­schen Union­: Diese hatte bereits 2020 beschlossen, dass sie ihr aktu­elles Klima­ziel ohne den Ankauf jegli­cher Art von Kompen­sa­ti­ons­zer­ti­fi­katen errei­chen will. Dies gilt für alle Mitglieds­staaten. Der Grund ist vermut­lich weniger in der Moral als in wirt­schaft­li­chen Über­le­gungen zu finden, sagt Georg Klin­gler von der Umwelt­or­ga­ni­sa­tion Green­peace: „Die aller­mei­sten setzen ausschliess­lich auf Reduk­tionen in ihrem Terri­to­rium, denn Reduk­tionen führen immer zu Investitionen.“

Klin­gler ist Schweizer, lang­jäh­riger Beob­achter der Klima­ver­hand­lungen und scharfer Kritiker seiner Regie­rung: „Die Schweiz muss einen Pfad gehen, der nach Null führt und das verblei­bende globale Klima­budget best­mög­lich entla­stet. Aber das macht sie nicht, sie rechnet statt­dessen ihren Weg mit billigen Projekten in anderen Ländern schön.“

Andere Länder für sich CO2 sparen zu lassen, war auch schon unter dem Kyoto-Proto­koll möglich, dem Vorgänger des Pariser Abkom­mens. Der grosse Unter­schied ist, dass sich damals nur die Indu­strie­staaten verpflichten mussten, ihre Treib­haus­gas­emis­sionen zu redu­zieren. Unter dem Pariser Abkommen müssen alle Länder redu­zieren, also auch Ghana, Peru, Senegal, Geor­gien, Vanuatu, Domi­nica, Thai­land, Ukraine, Marokko, Malawi, Uruguay und Chile.

Die meisten dieser Länder haben nicht nur beson­ders wenig zur Klima­er­wär­mung beigetragen, sondern leiden auch beson­ders stark unter deren Folgen: In Peru schmelzen die Anden­glet­scher, Senegal wird von extremen Dürren und Über­schwem­mungen heim­ge­sucht, der Insel­staat Vanuatu droht unter dem stei­genden Meeres­spiegel zu verschwinden.

Alle Länder ausser Uruguay und Chile gelten als „Entwick­lungs­länder“ – in Anfüh­rungs­zei­chen, weil man mit dieser Bezeich­nung sehr opti­mi­stisch davon ausgeht, dass sie sich tatsäch­lich entwickeln. Dabei sei doch gerade das frag­würdig, kriti­sierte etwa der schwe­di­sche Ökonom Gunnar Myrdal. Und es ist frag­lich, ob die Schweizer Klima­pro­jekte daran, trotz gegen­sätz­li­cher Behaup­tung, etwas ändern werden.

Die Schweiz mag tief­hän­gende Früchte

Wänn jedä für sich luegt, isch für all gluegt, sagt man in der Schweiz. Wenn jeder für sich selbst schaut, sei also für alle gesorgt. „Die Vertrags­par­teien erkennen an, dass sich manche von ihnen für eine frei­wil­lige Zusam­men­ar­beit bei der Umset­zung ­ihrer national fest­ge­legten Beiträge entscheiden, um sich für ihre Minde­rungs- und Anpas­sungs­mass­nahmen höhere Ambi­tionen setzen zu können“, heisst es im Pariser Klima­ab­kommen. Aber wie frei­willig kann so eine „frei­wil­lige Zusam­men­ar­beit“ sein zwischen armen Ländern des globalen Südens und der Schweiz, laut dem Human Deve­lo­p­ment Report der Vereinten Nationen das am höch­sten entwickelte Land der Welt?

Es gibt Regeln, die die armen Länder schützen sollen: Die CO2-Minde­rung darf nicht doppelt gezählt werden, nur ein Land darf sie sich anrechnen. Das klingt selbst­ver­ständ­lich, war aber jahre­lang ein Streit­punkt. Die Projekte dürfen zudem nicht schon von den so getauften „Gast­län­dern“ in Planung gewesen sein, denn dann würden mithilfe der Finan­zie­rung aus dem Ausland keine zusätz­li­chen Emis­sionen einge­spart. Und sie sollten auch den Gast­län­dern etwas bringen, also bislang unzu­gäng­liche Tech­no­lo­gien finan­zieren und nicht simple Dinge, die das Land auch ohne fremde Hilfe hätte umsetzen können.

Low hanging fruits, also tief­hän­gende Früchte, werden diese einfa­chen Lösungen im Fach­jargon genannt. Man müsste meinen, dafür gäbe es harte Krite­rien, aber: „Es gibt keine klar defi­nierten Krite­rien, in jedem Land ist die Situa­tion anders“, gesteht Franz Perrez ein. Er ist ehema­liger Umwelt­bot­schafter der Schweiz und als solcher auch Leiter der Schweizer Dele­ga­tionen in inter­na­tio­nalen Umwelt- und Klima­ver­hand­lungen. Ohne ihn gäbe es Artikel 6 in dieser Form nicht.

Einzig Auffor­stungs­pro­jekte, die oft von privaten Firmen zum Ausgleich ihrer Emis­sionen genutzt werden, schliesse die Schweiz aus, sagt Perrez. Weil nicht sicher sei, dass CO2 damit verläss­lich gespei­chert werde – „die Dauer­haf­tig­keit von Wald­schutz­pro­jekten ist oft unsi­cher“. Nichts kann die Schweiz aber vom Griff nach tief­hän­genden Früchten abhalten.

„Wenn die Markt­me­cha­nismen dazu führen, dass die Schweiz jetzt low hanging fruits in den Part­ner­län­dern reali­sieren würde, dann wäre das natür­lich nicht gut“, sagt Perrez. Denn wir würden dem Land nicht helfen, indem wir Projekte umsetzen, die das Land selber reali­sieren könnte. Schlimmer noch: Die Schweiz würde das Pariser Klima­ab­kommen aushöhlen, weil sie sich mit simplen CO2-Reduk­tionen, die auch ohne die Schweiz umge­setzt worden wären, das Recht erkaufen würde, zu Hause im selben Masse CO2 auszu­stossen. Es gäbe also tatsäch­lich keine Ersparnis an CO2-Ausstoss. Georg Klin­gler von Green­peace benutzt im Gegen­satz zu Franz Perrez keinen Konjunktiv: „Der ganze Baum muss abge­erntet werden. Und die Schweiz pflückt unten.“

„Wir reden hier von einem der reich­sten Länder der Erde, das der Meinung ist, den Klima­schutz, den es tech­nisch und finan­ziell zu Hause machen kann, nicht umsetzen zu müssen.“

Carsten Warnecke, Thinktank New Climate Institute

Auch das Reis­pro­jekt in Ghana ist wohl als tief­hän­gende Frucht zu bewerten, denn weder fördert es eine schwer zugäng­liche Tech­no­logie noch sind die Reis­an­bau­me­thoden in Ghana neu. Sie werden schon seit Jahren geför­dert. Zuletzt star­tete der UN-Anpas­sungs­fonds im Januar dieses Jahres ein Gross­pro­jekt in West­afrika, um Farmer*innen in Ghana und zwölf anderen Ländern diese Anbau­me­thoden beizubringen.

Carsten Warnecke vom deut­schen Thinktank New Climate Insti­tute findet für das Verhalten der Schweiz klare Worte: „Die low hanging fruits wurden iden­ti­fi­ziert und gepflückt. Wir reden hier von einem der reich­sten Länder der Erde, das der Meinung ist, den Klima­schutz, den es tech­nisch und finan­ziell zu Hause machen kann, nicht umsetzen zu müssen.“

Die Schweiz dürfe Artikel 6 auf diese Art nicht nutzen, erklärt er, weil dieser ambi­ti­ons­stei­gernd gedacht sei, also eben nicht Mass­nahmen im Inland ersetzen, sondern ergänzen solle. Im Abkommen steht wört­lich, „um sich für Minde­rungs- und Anpas­sungs­mass­nahmen höhere Ambi­tionen setzen zu können“. Warnecke erklärt: „Stei­gern kann man nur, wenn man das gemacht hat, was man sowieso machen muss. Und wenn man dann noch mehr machen möchte, dann kann man andere Staaten frei­willig unterstützen.“

Die Schweiz bricht also die selbst geschrie­benen Regeln des Artikel 6. Nur Konse­quenzen hat das keine, zumin­dest nicht für sie. 

„Fair“ ist nicht gleich „fair“

There is no free lunch, sagt man in Ghana. Das heisst „Es gibt kein kosten­loses Mittag­essen“ und bedeutet: Es gibt nichts geschenkt auf der Welt.

„Die Farmer werden darauf aufmerksam gemacht, dass es sich hierbei um ein Klima­pro­jekt zwischen der Schweiz und Ghana handelt“, sagt der UNDP-Mitar­beiter Saeed Abdul-Razak, der das Reis­pro­jekt in Ghana betreut. „Mit einigen Farmern kam es zu Diskus­sionen“, erzählt er. „Sie fragten: Warum sollen wir die Emis­sionen redu­zieren, wenn es die Indu­strie­länder sind, die das Klima verschmutzt haben?“

Ja, warum? Ghana muss unter dem Pariser Abkommen seine eigenen Klima­ziele errei­chen. Dafür hat es mehr als dreissig CO2-Minde­rungs­mass­nahmen defi­niert. „Der Methan­aus­stoss des Reis­an­baus wurde im aktu­ellen natio­nalen Inventar der Treib­haus­gas­emis­sionen erfasst. Aber der Reis­anbau ist nicht Teil unserer Minde­rungs­mass­nahmen“, sagt Daniel Tutu Benefoh, stell­ver­tre­tender Direktor der Umwelt­be­hörde Ghanas und ­einer der Menschen, die den Deal mit der Schweiz einge­fä­delt haben.

In seinen Augen ist das Reis­pro­jekt deswegen keine tief­hän­gende Frucht, weil Ghana es selbst nicht geplant habe. Was er nicht sagt: Ghana hat seine Klima­mass­nahmen erst veröf­fent­licht, als das Abkommen mit der Schweiz bereits geschlossen war. Die Befürch­tung vieler Beobachter*innen ist, dass arme Länder wie Ghana leicht umzu­set­zende Mass­nahmen extra nicht in ihre eigenen ­Klima­ziele aufnehmen, damit sie sie an reiche Länder wie die Schweiz verkaufen können.

Bei vielen Ländern im globalen Süden ist es sowieso unwahr­schein­lich, dass sie ihre Klima­ziele errei­chen. Denn ein Gross­teil ihrer ange­strebten Mass­nahmen sind „kondi­tio­nell“, das heisst auf Finan­zie­rung von aussen ange­wiesen. Ghana braucht 5.4 Milli­arden US-Dollar Unter­stüt­zung, um seine Ziele zu errei­chen — es ist unwahr­schein­lich, dass es dieses Geld bekommen wird. Obwohl die Indu­strie­staaten verspro­chen haben, ab 2020 jedes Jahr gemeinsam 100 Milli­arden US-Dollar Klima­hilfen an arme Länder wie Ghana zu zahlen, blieben sie bislang das volle Geld schuldig.

Der Haken an dem grossen Geld­ver­spre­chen: Es wurde nie fest­ge­legt, wer wie viel bezahlen muss. Das darf jedes Land selbst entscheiden. Was es aber durchaus gibt im Pariser Klima­ab­kommen, sind gemeinsam fest­ge­legte Grund­re­geln, wie das Prinzip der gemein­samen aber unter­schied­li­chen Verant­wor­tung. Sprich: Je reicher ein Land ist und je höher dessen Emis­sionen, desto mehr soll es einzahlen.

„Es wäre unfair, wenn die Länder diese Abkommen nun als Legi­ti­ma­tion dafür nähmen, bei sich zu Hause weiter busi­ness as usual zu machen.“

Chibeze Ezekiel, Umweltaktivist

Die Schweiz zahlte laut einer Analyse des Thinktanks Over­seas Deve­lo­p­ment Insti­tute 2020 knapp vierzig Prozent weniger, als ihr fairer Anteil wäre. Das liegt daran, dass man “fair“ sehr unter­schied­lich auslegen kann. Der Bundesrat findet es fair, die Zahlungen von den im Inland verur­sachten Emis­sionen abhängig zu machen. Da die Schweiz aber sehr viel von dem, was hier­zu­lande konsu­miert wird, impor­tiert, verur­sacht sie im Ausland noch­mals minde­stens so viel Emis­sionen wie im Inland. Berück­sich­tigt man auch diese Emis­sionen, müsste die Schweiz rund doppelt so viel Klima­hilfe bezahlen.

Und das sollte zusätz­lich zu bishe­rigen Entwick­lungs­hilfen passieren, statt diese einfach umzu­be­nennen. In einem Bericht an die UN schreibt die Schweiz aber, ihre Entwick­lungs­hilfe “schritt­weise auf den Klima­wandel“ auszu­richten, sie werde dennoch “ihre bereit­ge­stellte Klima­fi­nan­zie­rung weiterhin als neu und zusätz­lich betrachten und bestimmen.“ Laut Alli­ance Sud, Swis­said und Helvetas stammt der grösste Teil der Schweizer Klima­fi­nan­zie­rung aus dem Budget der Entwicklungszusammenarbeit.

Man kann sagen: Es ist besser, wenn Länder Geld schicken und dafür eine Gegen­lei­stung erwarten, als wenn sie gar kein Geld schicken. Der ghanai­sche Umwelt­ak­ti­vist Chibeze Ezekiel findet: „Es ist besser als nichts.“ Das macht es aber noch lange nicht gut. Der Deal, auf den Ghana sich nun mit der Schweiz ge­einigt hat, ist nur der erste von vielen. Ausser mit der Schweiz hat das Land bereits Abkommen mit Schweden, Singapur und Südkorea abgeschlossen.

„Es wäre unfair, wenn die Länder diese Abkommen nun als Legi­ti­ma­tion dafür nähmen, bei sich zu Hause weiter busi­ness as usual zu machen“, sagt Ezekiel. Die Schweiz hat die klima­schäd­lichste Neuwa­gen­flotte im Vergleich mit allen EU-Staaten, sprich: Die Menschen in der Schweiz fahren die dick­sten Autos. Was Chibeze Ezekiel meint: Es wäre unfair, wenn sie nun einfach weiter SUV fahren, weil die Menschen in Ghana für sie Plastik­rohre in den Boden stecken.

Die Frage ist nicht ob, sondern wie viel

Bis dänn flüsst na viel Wasser de Rhy durab, sagt man in der Schweiz. Dass bis dahin noch viel Wasser den Rhein hinunter fliesst, bedeutet: Bis dahin ist es noch eine lange Zeit. 2030 will die Schweiz mit den Auslands­pro­jekten wieder aufhören. Für „schwer vermeid­bare Emis­sionen“ will der Bundesrat dann soge­nannte Nega­tive­mis­si­ons­tech­no­lo­gien einsetzen, also CO2 aus der Luft heraus­fil­tern und im Boden speichern.

Auch der Welt­kli­marat glaubt, dass es ohne solche Tech­niken nicht gehen wird. Sie sind aber umstritten, weil sie vermut­lich leichte Erdbeben auslösen können und je nach Tech­no­logie Unmengen an Strom brau­chen würden. Zudem sie sind sehr teuer und bislang nur sehr begrenzt verfügbar, wie das Lamm berich­tete. Die Schweiz hat bereits mit Island und den Nieder­landen Abkommen geschlossen.

De Schnäller isch de Gschwinder, sagt man in der Schweiz. Dass der Schnel­lere der Geschwin­dere ist, ist eine andere Art zu sagen: Wer zuerst kommt, bekommt am meisten.

Dies Bauern­weis­heit scheint sich durch die gesamte Schweizer Klima­po­litik zu ziehen. Und daran wird sich in abseh­barer Zeit kaum etwas ändern. Ende September 2023 hat der Stän­derat den neusten Vorschlag für eine Revi­sion des CO2-Gesetzes beraten. Auch die Auslands­pro­jekte sind darin gere­gelt. Die Parlamentarier*innen debat­tierten aber nicht etwa grund­sätz­lich über die Reduk­tionen im Ausland, sondern ledig­lich darüber, ob die Schweiz 33 oder 25 Prozent ihrer Reduk­ti­ons­pflicht ins Ausland verla­gern soll.

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