Tiere? Sorry, nicht mein Thema

Aus die Maus: Nach einein­halb Jahren endet unsere Tier­rechts­ko­lumne “Animal Poli­tique”. Tiere können nicht selber für ihre Rechte eintreten. Also plädiert Nico Müller dafür, poli­tisch über Tiere nach­zu­denken, zu schreiben und zu diskutieren. 
Tiere können nicht selbst für ihre Rechte eintreten, deshalb muss über sie geschrieben werden. (Bild: Kira Kynd / Midjourney)

„Seriöser Jour­na­lismus funk­tio­niert anders“, antwor­tete die Medi­en­stelle des Zoos Zürich, als ihnen ein Leser 2023 meine Kolumne über mili­ta­ri­sierten Arten­schutz schickte.

„Strotzt nur so von Denk­feh­lern“, meinte Land­wirt und SVP-Natio­nalrat Martin Haab über die Ausgabe zur steu­er­fi­nan­zierten Milch­wer­bung von Swissmilk.

„Euer Text ist wieder einmal so unglaub­lich ‘reis­se­risch’ und ‘bashend’. Komm doch vorbei und zeig, wie man es besser macht“, schrieb mir eine Person per E‑Mail, die sich offenbar vom Text über Stall­brände betroffen fühlte.

Viel­leicht sollte man eine Kolumne daran messen, dass sie den rich­tigen Leuten auf die Nerven geht. So gesehen war „Animal Poli­tique“ ziem­lich erfolg­reich. Nun geht das Expe­ri­ment nach einein­halb Jahren zu Ende. Nicht, weil es nichts mehr zu sagen gäbe. Aber weil jetzt mal jemand anderes mit Reden dran ist.

Auch ich bin nicht ohne Wenn und Aber zufrieden mit der Kolumne. Zeit für einen kleinen, kriti­schen Rückblick!

Schaut einmal zum Fenster raus, wahr­schein­lich seht ihr bald ein Tier. Sie sind die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung. Doch in der Schweizer Medi­en­land­schaft werden sie meist igno­riert. „Animal Poli­tique“ gibt Gegen­steuer. Nico Müller schreibt über Macht­sy­steme, Medien, Forschung und Lobby­ismus. Und denkt nicht, es gehe immer „nur“ um Tiere. Ihre Unter­drückung hängt oft mit der Unter­drückung von Menschen zusammen. „Animal Poli­tique“, geschrieben von Tier­ethiker Nico Müller, macht das sichtbar.

Eine schwie­rige Mischung

Die Kolumne „Animal Poli­tique“ war meist ein Hybrid: Sie war gleich­zeitig Bericht und kriti­scher Kommentar. Es ging nicht anders, denn über Tier­themen wird oft nur spär­lich berichtet.

Zum Beispiel thema­ti­sierte die Kolumne als weithin einziges Medium, dass der Bund Millionen in esote­ri­sche Wunder­mittel für Milch­kühe gesteckt hat und dass die vom Zoo Zürich unter­stützte „Lewa Conser­vancy“ ein hoch­mi­li­ta­ri­siertes Arten­schutz­pro­jekt eines briti­schen Kolo­ni­al­erben ist.

Aber da fangen die Probleme schon an: Muss man jetzt der kriti­sierten Partei das Wort geben? Das wäre in einem Bericht übliche jour­na­li­sti­sche Praxis, in einer Kolumne nicht unbe­dingt. Niemand sagt einer Kolum­ni­stin, sie müsse Joe Biden um eine Stel­lung­nahme bitten, nur weil sie kommen­tiert, er solle nicht mehr kandidieren.

Im Fall des Zoos entschied ich mich dafür, statt dieser medial allge­gen­wär­tigen Insti­tu­tion mal einen kenia­ni­schen Ökologen spre­chen zu lassen, von dem man in der Schweiz sonst nie hört. Meine Kolumne, meine Regeln.

Zu viel Fokus aufs Aktu­elle ist proble­ma­tisch, weil viele Tier­themen stän­diges, norma­li­siertes Unrecht betreffen, das nicht nur zu bestimmten Zeit­punkten geschieht. 

Das krei­dete mir der Zoo an, und irgendwie hat er recht: Beson­ders seriös ist das nicht. Seriös wäre, wenn es zuerst eine Bericht­erstat­tung gäbe, in der verschie­dene Seiten zu Wort kommen und auf die sich spätere Analysen und Meinungs­bei­träge stützen können. Geht es jedoch um Tiere, sind Journalist*innen und ihr Publikum oft so gleich­gültig, dass dieser Prozess nie richtig in Gang kommt. Wenn dann eine Kolumne ein Thema kritisch kommen­tieren will, muss sie auch einen Teil der Bericht­erstat­tung selbst leisten, und letzt­lich läuft sie dann Gefahr, beides nur unvoll­kommen zu tun.

Man könnte auch sagen: Der seriöse Jour­na­lismus funk­tio­niert bei Tier­themen zurzeit nicht und eine Kolumne kann das nicht alleine ändern.

Verpasste Themen

Die Kolumne hat auch viele wich­tige Themen verpasst. Tier­ver­suche sind das offen­sicht­lichste Beispiel. Über eine halbe Million Tiere werden jähr­lich in Tests verwendet, nicht gerade vernachlässigbar.

Auch über die Vete­ri­när­branche hätte ich zum Beispiel gerne geschrieben. Wie wenig Tierärzt*innen trotz langer Ausbil­dung verdienen und wie schlecht es ihnen oft geht. Wie das mit Miso­gynie, aber auch mangelnder Kran­ken­ver­si­che­rung für Tiere zusam­men­hängt, und mit der zuneh­menden Ausbrei­tung von Grosskonzernen.

Zum Teil gingen diese Themen unter, weil ich anderswo über sie geschrieben habe. Über Tier­ver­suche zum Beispiel hier und hier, über Tier-Kran­ken­ver­si­che­rungen hier. Scham­lose Selbst­pro­mo­tion? Mir egal. Meine Kolumne, meine Regeln.

Doch teil­weise hat die Kolumne auch wich­tige Themen verpasst, weil sie möglichst an aktu­ellen Aufhän­gern orien­tiert war – Oppor­tu­nismus könnte man das auch nennen. Wenn gerade Initia­tiv­ein­rei­chungen, Abstim­mungen oder Wahlen sind, ist das noch okay. Aber zu viel Fokus aufs Aktu­elle ist proble­ma­tisch, weil viele Tier­themen stän­diges, norma­li­siertes Unrecht betreffen, das nicht nur zu bestimmten Zeit­punkten geschieht. Das Aktu­elle ist nicht immer das Wichtigste.

Für viele Leute ist es ausge­spro­chen anstren­gend, poli­tisch über Tiere nachzudenken. 

Ein Beispiel: Die Orcas in der Strasse von Gibraltar, die Boote sabo­tieren, sind nun wirk­lich nicht das drin­gendste poli­ti­sche Tier­thema der Schweiz (oder Spaniens, oder Marokkos). Aber „Sink the Rich“ war halt gerade ein kleiner Internet-Hype. Die Kolumne hat versucht, die Welle ein wenig mitzu­reiten. Wer den Beitrag liest, wird aller­dings merken, dass die Reise im Aargau endet – und bei einem gar nicht so sonnig-heiteren Thema.

Mir persön­lich gefallen die Ausgaben am besten, die nicht so einen aktu­ellen oder saiso­nalen Aufhänger hatten. Die zur Nutz­tier-Homöo­pa­thie und zu den Stall­bränden zum Beispiel. In diesen Ausgaben kam dafür eine andere Taktik zum Zug.

Narra­tive verknüpfen

Selbst in den progres­siv­sten Kreisen denkt man heute kaum über Tiere nach. Es war eigent­lich eine kleine Sensa­tion, dass die Grünen sich Tier­rechte ins letzte Wahl­pro­gramm schrieben – einige Partei­mit­glieder waren genervt über meinen eher unbe­gei­sterten Kommentar dazu.

Jeden­falls fehlt den meisten Leuten ein poli­ti­sches Reper­toire, um über Tiere nach­zu­denken – simple Denk­fi­guren, an denen man sich orien­tieren kann. So etwas im Stil wie:

  • „Die Reichen wollen immer ihre Steuern senken.“
  • „Lobbys haben nur ihr Eigen­in­ter­esse im Sinn.“
  • „Die Rechten sind grausam zu Asylsuchenden.“

Das sind keine tief­sin­nigen Analysen, aber nütz­liche Heuri­stiken, Abkür­zungen fürs Gehirn. Sie machen es einfa­cher, sich in neue Themen hineinzudenken.

Im Gegen­satz dazu ist es für viele Leute ausge­spro­chen anstren­gend, poli­tisch über Tiere nach­zu­denken. Wer hat schon eine Ahnung von land­wirt­schaft­li­cher Subven­ti­ons­po­litik, vom Jagd­ge­setz oder vom Tier­schutz­voll­zugs­sy­stem? Da sagt man schnell: Sorry, nicht mein Thema.

Wir müssen Tiere als Betrof­fe­nen­gruppe in unser poli­ti­sches Welt­bild einfügen und es für sie um ein Stück erweitern. 

Warum sagen wir nicht das Gleiche über hoch­kom­plexe Themen wie Erbschafts­steuern, Kran­ken­kassen oder das Asyl­wesen? Nicht, weil wir unbe­dingt mehr davon verstehen, aber weil wir ein paar einfache Narra­tive griff­be­reit haben. Reiche wollen Steuern senken, Lobbys sind egoistisch, Rechte sind grausam, voilà. So traut man sich wenig­stens an die Themen heran, statt sie direkt an Spezialist*innen zu delegieren.

Darum hat diese Kolumne öfters damit expe­ri­men­tiert, Tier­ge­schichten in vertrauten Narra­tiven zu erzählen. Die zwie­lich­tige Figur der Lobby­or­ga­ni­sa­tion trat zum Beispiel öfters auf, etwa in der Gestalt von Provi­ande und ihrer Ombuds­stelle Tier­wohl, von Swiss­milk und von Carna Libertas. Bei den Orcas ging es um poli­ti­schen Wider­stand, bei den Wölfen um vorein­ge­nom­mene Medien, bei den Pferden ums Desin­ter­esse von Polizei und Behörden. Lauter Anhalts­punkte, mit denen du, liebe*r Leser*in, wahr­schein­lich etwas anfangen kannst.

Hinzu gab es in der Kolumne einige Refrains, die Tiere im Spezi­ellen betreffen. Zum Beispiel so etwas wie:

  • „Tiere werden bis zum Geht­nicht­mehr ausgebeutet.“
  • „Das Tier­schutz­ge­setz ist Bullshit.“
  • „Lobbys und der Staat pushen die Nach­frage nach Tierprodukten.“

Wiederum: Das ist nicht der Weis­heit letzter Schluss, aber es darf ihr erster sein. Damit Tiere wirk­lich in der Politik ankommen, müssen wir über sie nach­zu­denken lernen – wir müssen Tiere als Betrof­fe­nen­gruppe in unser poli­ti­sches Welt­bild einfügen und es für sie um ein Stück erwei­tern. Hoffent­lich konnte die Kolumne dazu etwas beitragen – und wenn nicht, lies sie einfach noch mal!

Ich danke der Redak­tion von das Lamm dafür, dass sie diese Kolumne durch viel harte (und seriöse!) Arbeit ermög­licht hat. Danke an alle, die aufgrund der Kolumne etwas unter­nommen haben – es wurden tatsäch­lich Nach­richten an Parlamentarier*innen verfasst, als ich einmal darum bat.

Danke dir, liebe*r Leser*in, für deine Zeit. Von hier an über­nimmst du.


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