Ich bin Journalistin. Das wissen auch all meine Freund*innen und viele Menschen, mit denen ich sonst privat zu tun habe. Mit meinen Freund*innen spreche ich unter anderem über Sex, über Menstruation, über Herzschmerz und Ängste. Manchmal erzählen mir auch Menschen, die mich nicht so gut kennen, von ihren Sorgen. Manchmal sagen sie danach: „Ich weiss jetzt gar nicht, warum ich dir das erzählt habe.“ Und manchmal erzählen mir Menschen im beruflichen Kontext Dinge, die sie nirgends geschrieben sehen wollen – das nennt man off the record.
Balthus vs. Weltwoche
Obwohl ich mich in all diesen Gesprächen klar als Journalistin zu erkennen gebe, schreibe ich nicht darüber. Das nennt man Respektieren unseres Berufskodex‘. Würde ich den missachten, könnte ich womöglich genügend Geschichten schreiben, um einen Grossteil der Schweizer Medienbranche in sich zusammenfallen zu lassen. Ich würde es mir ausserdem mit praktisch allen meinen Quellen verspielen und wohl nie mehr einen Job auf einer Redaktion, geschweige denn einen Auftrag als Freie bekommen. So dachte ich zumindest bis anhin – bis mich die Weltwoche eines Besseren belehrte. Ich denke, die würde mich auch dann noch anstellen.
Es scheint nämlich so, als reiche es ihrem Chefredaktor Roger Köppel aus, wenn sich seine Leute im Gespräch als Journalist*innen zu erkennen gegeben haben, wenn sie privat geführte Gespräche zu einem Porträt zusammenschreiben – obwohl ihr Gegenüber das nicht will. So geschehen im Fall der deutschen Sexarbeiterin Salomé Balthus, die der Weltwoche-Journalist Roman Zeller porträtieren wollte. Laut eigenen Aussagen hat Balthus seine Anfrage mehrfach abgelehnt, ihm aber gesagt, er könne sie wie jeder andere auch für ihre Escort-Dienste buchen. Das hat Zeller getan und einen Abend mit Balthus in einer Berliner Bar verbracht – das Gespräch hat er zu einem Porträt verwoben, obwohl Balthus an diesem Abend in der Berliner Bar angeblich mehrmals betont hatte, dass sie nicht in der Weltwoche zitiert werden will.
Der Pressekodex ist nicht zum Spass da
Diese Tage reichte Balthus Klage gegen die Weltwoche ein. Weder Weltwoche-Chef Köppel noch Zeller selber äussern sich konkret zum Fall, auf Anfrage wird man mit einem einzigen Zitat abgespiesen: „Die Weltwoche widerspricht der Darstellung von Frau Balthus. Unser Journalist sagte Frau Balthus, dass das Gespräch journalistisch verwendet werde.“
Hat Balthus Recht, dürfte Zellers Porträt in mehreren Punkten einige Regeln des Schweizer Pressekodex‘ brechen: Verdeckte Recherchen sind beispielsweise nur dann erlaubt, „wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse an den damit recherchierten Informationen besteht und wenn diese Informationen nicht auf andere Weise beschafft werden können“. Ob an Salomé Balthus wirklich ein solches öffentliches Interesse besteht, ist mindestens anzuzweifeln. Des weiteren schreibt der Presserat zur Achtung der Menschenwürde: „Die Informationstätigkeit hat sich an der Achtung der Menschenwürde zu orientieren. Sie ist ständig gegen das Recht der Öffentlichkeit auf Information abzuwägen. Dies gilt sowohl hinsichtlich der direkt betroffenen oder berührten Personen als auch gegenüber der gesamten Öffentlichkeit.“ Zeller schreibt in seinem Porträt über intime Details aus Balthus’ Leben, die diese Zitate laut eigenen Aussagen nie zu Gesicht bekommen hat.
Ich weiss, um den Schweizer Journalismus steht es nicht nur gut, aber der Pressekodex ist imfall nicht zum Spass da.
Die Sexarbeiterin ohne Gefühle
Wie der Prozess zwischen Balthus und der Weltwoche ausgeht, bleibt abzuwarten. Derweil schreiben vor allem Männer Meinungsbeiträge über den Fall. Etwa der deutsche Journalist René Zeyer, der unter anderem für die NZZ und die Weltwoche tätig ist. Er schreibt auf persoenlich.com: „Es soll ja Puffbesucher geben, die der Versicherung danach glauben: Mit keinem war es so schön wie mit dir. Aber dass die Hetäre sich hier nochmals missbraucht fühlt, das glaubt doch kein Mensch.“ Warum eine der führenden Branchenplattformen solchen misogynen Scheiss veröffentlicht, ist mir schleierhaft. Aber eh, solange unter einem solchen Beitrag steht, dass sich die Meinung der persoenlich-Redaktion nicht zwingend mit der der anderen Blogger*innen deckt, ist ja alles in Ordnung.
Falsch.
Es sind genau solche Texte, die ein frauenverachtendes gesellschaftliches Bild aufrechterhalten: Die Sexarbeiterin verdient ihr Geld mit Sex, also hat sie keine Gefühle, also darf man(n) mit ihr machen, was man will. Es sind genau solche Texte, die dafür sorgen, dass sich Journalist*innen wie Zeller dazu berechtigt fühlen, die Grenzen von Frauen zu überschreiten – auch dann noch, wenn sie sie mehrmals und deutlich aufstellen. Oder dass der Weltwoche-Journalist Alex Baur tatsächlich findet, Sex steht dem Mann eh grundsätzlich zu – egal, ob er die Frau dafür bezahlt oder sie einzig deshalb heiratet, um ihr den Schweizer Pass zu besorgen, wie im Fall von Viktor Giacobbo. Lieber Herr Baur, vielleicht sollten Sie mal googeln, was Escort-Agenturen genau anbieten. Und selbst wenn: Auch Sexarbeiter*innen haben jederzeit das Recht, den Abend abzubrechen und zu gehen. Ein Mann mit einem Geldschein in der Hand ist nicht die oberste Spitze der Machtpyramide. Und so ganz nebenbei vergleicht Baur Balthus mit einem teuren Dinner, aber auf Twitter, dem Stammtisch der alten Männer, wird man das ja wohl noch sagen dürfen, da sollen sich alle Emanzen mal schön beruhigen, ist doch lustig.
Kurz vor der Veröffentlichung seines Porträts schickte Zeller Balthus übrigens angeblich eine Weltwoche-Ausgabe mit seinem Porträt und der Bemerkung, sie habe ihn beeindruckt und darum habe er über sie schreiben wollen – er hoffe, sie nehme es ihm nicht übel. Auch das ist misogynes Framing: Du hast mich so in deinen Bann gezogen, dass ich gar nicht anders konnte, als meinem Drang nachzugeben und ups, da habe ich halt krass deine Grenzen überschritten, aber du hättest mich halt nicht derart reizen sollen, also darfst du dich jetzt auch nicht beschweren.
Du bist schuld.
Ich finde es widerlich, in einer solchen Zeit zu leben. Als Frau, als Journalistin. Solche Aktionen wie Zellers Porträt sind gestützt durch ein Gerüst jahrhundertealter bro culture. Es sind vor allem Männer, die anderen Männern applaudieren, wenn in der Redaktionssitzung sexistische Sprüche fallen. Oder wenn man es mal wieder eine tolle Idee findet, eine Story mit Brüsten zu verkaufen. Wenn es ein Blattmacher voll okay findet, den Mord an einer Frau als „Familiendrama“ abzutun und Titel und Lead so zu texten, als wäre die Frau schuld an ihrem eigenen Tod. Wenn eine Vergewaltigung als „Gruppensex“, der Missbrauch von Minderjährigen als „Sexskandal“ abgekanzelt wird. Kurz: Der Journalismus ist auch in der Schweiz noch immer geprägt von einer Macho-Kultur. Die ist nicht nur mühsam, furchtbar langweilig und fantasielos, sie kann auch gefährlich werden und Menschen – vor allem Frauen – schaden, wie man in den letzten Jahren unter anderem am Beispiel der Berichterstattung über Jolanda Spiess-Hegglin ausführlich beobachten konnte. Es ist eine Schande, dass Balthus ihre Integrität nun gerichtlich einfordern muss, es ist gleichzeitig wichtig, aber eine Überraschung ist es leider nicht.
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