Wer sich als Feminist*in zu erkennen gibt, wird früher oder später als Männerhasser*in beschimpft. Ob online oder ins Gesicht, ob ernst gemeint oder als Witz: Die Bezeichnung hält sich hartnäckig.
Menschen unterstellen Feminist*innen Männerhass, um sich von Feminismus zu distanzieren oder ihn sogar zu diskreditieren. Da diese Aussage meistens als Provokation gemeint ist, lasse ich sie jeweils stehen. Wenn mir jemand aber ehrlich die Frage stellen würde, wieso Feminist*innen Männer hassen, würde ich zurückfragen: Wieso denkst du, dass wir Männer hassen?
Ob ihr es auch schon mal laut gesagt, schon immer heimlich gedacht oder es euch nur ganz kurz gefragt habt – der Vorwurf ist bizarr. Feminist*innen sagen „FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen) sind genau gleich viel Wert wie cis Männer“ und ihr hört „Wir hassen Männer“. Wir sagen „Männliche Gewalt an FINTA muss aufhören“ und ihr hört „Wir hassen Männer“. Wir sagen „Nieder mit dem Patriarchat“ und ihr hört „Wir hassen Männer“.
Merkt ihr eigentlich was?
Abgesehen davon, dass es nicht „den“ Feminismus gibt und ich kaum für alle sprechen kann oder will, liegt der feministische Grundgedanke in der Gleichberechtigung aller Menschen, unabhängig davon, welches Geschlecht sie haben. Davon sind wir weit entfernt. Sich dafür tagtäglich im Privat‑, Lohnarbeits- und aktivistischen Leben einzusetzen, ist anstrengend. Und ja, mit der Zeit entsteht auch Hass.
Wir hassen Ungerechtigkeit, wir hassen Feminizide, wir hassen sexualisierte und häusliche Gewalt, wir hassen Lohnungleichheit, wir hassen die Abwertung von Care-Arbeit, wir hassen Sexismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit und Ableismus. Wir hassen die gesellschaftlichen Strukturen, die all dies überhaupt ermöglichen.
Wir hassen das Konstrukt „Geschlecht“ und was die Sozialisierung für die einzelne Person, aber auch alle rundherum bedeutet. Wir hassen die fast salonfähige Misogynie – der krankhafte Hass von Männern gegenüber „Frauen“ –, gegen die wir uns tagtäglich wehren müssen und die ihr kaum als solche erkennt.
Vielleicht ist es eine natürliche Reaktion: Ihr denkt, wir hassen euch genauso fest, wie ihr uns hasst. Das ist ein gigantisches Missverständnis. Unsere Aktionen drücken eindeutig etwas anderes aus: Wir hassen euch nicht – wir brauchen euch. Wir brauchen, dass ihr euch endlich feministisch engagiert.
Und das heisst, in einem ersten Schritt zu reflektieren und die eigenen Muster, Gedanken und Verhaltensweisen zu überdenken. Wir sind alle in einer Gesellschaft aufgewachsen, die weisse hetero cis Männer bevorzugt und haben alle gewisse patriarchale Strukturen verinnerlicht. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, sodass wir diese Strukturen nicht einfach reproduzieren.
Feminismus stellt vielfältige Anforderungen an uns: Achte dich darauf, dass du Grenzen einhältst, wie du sprichst, wen du respektierst und wen nicht, wie viel Platz du im öffentlichen Raum einnimmst; reflektiere, werde aktiv, teile deine Reflexionen, verbünde dich mit Gleichgesinnten, nutze deine Privilegien, um Unterdrückten eine Stimme zu geben, kämpfe gegen patriarchale Strukturen in deinem Privat- und Lohnarbeitsleben, et cetera, et cetera, et cetera. Und die Rückmeldung auf den Versuch ist oft: „Versuch’s noch mal, mach’s besser!“
Niemand hat gesagt, dass es einfach ist, diese Anforderungen zu erfüllen. Ich find’s auch nicht immer einfach. Das hat die Sache so an sich: Feminismus schwimmt im Patriarchat gegen den Strom.
Wenn ihr jetzt also von eurer Partnerin, eurem Freund, eine*r Arbeitskolleg*in oder einer Kolumne kritisiert werdet und euch gesagt wird, dass ihr etwas falsch oder nicht gut genug macht, dann tut das vielleicht ein bisschen weh.
Wenn ihr euch dann aber umdreht und „sie hassen mich“ heult, verhaltet ihr euch nicht nur extrem kindisch, sondern verpasst die Pointe: Dass wir überhaupt noch Anforderungen an euch stellen, zeigt, dass wir euch männlich sozialisierten Personen nicht aufgegeben haben. Das ist Liebe im weitesten und gleichzeitig engsten Sinn.
Was ist denn Männerhass, fragt ihr euch?
Stellt euch folgende Situation vor: Ihr plaudert mit euren Arbeitskolleg*innen und eine davon beklagt sich über ihren Freund, weil er kaum über seine Gefühle spricht und sie unsicher ist, wo sie stehen. Ihre Kollegin sagt „Ach, typisch Mann, die können das einfach nicht“ und verdreht die Augen. Die Erste lacht und schon ist das Thema abgeschlossen.
Oder habt ihr schon mal ein sehr überschwängliches Lob für etwas sehr Alltägliches bekommen? Als ihr mal mit eurem Kind auf den Spielplatz gegangen seid, eurer Familie als Teenager ein Znacht gekocht oder euer Grosi im Altersheim besucht habt? Ein bisschen so, als würde man euch das gar nicht richtig zutrauen?
Es ist extrem kränkend, wenn einem Skills oder Charaktereigenschaften aufgrund des Geschlechts abgesprochen werden. FINTA können davon ein Lied singen. Was wir dabei vergessen, ist, dass es cis Männern auch passiert.
Einem Mann das Vatersein, Kommunikationsvermögen oder ein reiches Gefühlsleben nicht zuzutrauen, ist im besten Fall eine Analyse der männlichen Sozialisierung. Und im schlimmsten Fall?
Gewisse sagen, es sind Vorurteile. Für andere ist es eine Bewältigungsstrategie für ihre Frustration, Männer bewusst nicht ernst zu nehmen und sie mit solchen Aussagen von ihrem hohen Pferd (aka ihrer Machtposition) runterholen zu versuchen. Und ich finde: Das ist der wahre Männerhass.
Das tönt komisch, weil „so schlimm ist das doch nicht“. Aber in einer Gesellschaft, in der die Machtbalance zwischen den Geschlechtern so schräg ist, äussert sich dieser Hass auf unterschiedliche Arten. Wenn Männer FINTA hassen, nutzen sie ihre Macht aus, um FINTA zu missbrauchen und zu ermorden. Und wenn FINTA Männer hassen, versuchen sie ihnen ihre Macht und damit einhergehende Überheblichkeit – auch nur für ein paar Sekunden – wegzunehmen.
Männlich sozialisierte Personen sind genauso fähig zu lernen, wie sie ihre Gefühle spüren, ausleben und kommunizieren können, wie weiblich sozialisierte Personen, selbstbewusst Platz im öffentlichen Raum einzunehmen. Und sie sind genauso fähig, Kritik anzunehmen und sie umzusetzen.
Ich nehme euch, liebe Männer, extrem ernst und erwarte, dass ihr endlich euren Beitrag leistet – ihr könnt das nämlich besser. Feel the love, man.
Lohnungleichheit, unbezahlte Care-Arbeit, sexualisierte Gewalt, aber auch der Kampf gegen toxische Maskulinität, die Abschaffung der Wehrpflicht und homosoziale Gewalt sind feministische Themen – und werden als „Frauensache“ abgestempelt. Dadurch werden diese Themen einerseits abgewertet, andererseits die Verantwortung für die Lösung dieser Probleme auf FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen) übertragen.
Das ist nicht nur unlogisch, sondern auch unnütz: Die Ursache des Problems liegt nicht auf der Betroffenen‑, sondern auf der Täterseite. Es sind eben Männersachen. Deshalb müssen Männer als Teil der privilegierten Gruppe Verantwortung übernehmen und diese Probleme angehen.
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