Von Femi­nismus und Männerhass

Femi­nismus mit Männer­hass gleich­zu­setzen, ist bizarr, und dennoch geschieht es erstaun­lich oft. Das Problem: Dieses Miss­ver­ständnis verhin­dert, dass wir echten Männer­hass erkennen. 
Was ist eigentlich Männerhass? (Foto: Unsplash / Jade Scarlato).

Wer sich als Feminist*in zu erkennen gibt, wird früher oder später als Männerhasser*in beschimpft. Ob online oder ins Gesicht, ob ernst gemeint oder als Witz: Die Bezeich­nung hält sich hartnäckig.

Menschen unter­stellen Feminist*innen Männer­hass, um sich von Femi­nismus zu distan­zieren oder ihn sogar zu diskre­di­tieren. Da diese Aussage meistens als Provo­ka­tion gemeint ist, lasse ich sie jeweils stehen. Wenn mir jemand aber ehrlich die Frage stellen würde, wieso Feminist*innen Männer hassen, würde ich zurück­fragen: Wieso denkst du, dass wir Männer hassen?

Ob ihr es auch schon mal laut gesagt, schon immer heim­lich gedacht oder es euch nur ganz kurz gefragt habt – der Vorwurf ist bizarr. Feminist*innen sagen „FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen) sind genau gleich viel Wert wie cis Männer“ und ihr hört „Wir hassen Männer“. Wir sagen „Männ­liche Gewalt an FINTA muss aufhören“ und ihr hört „Wir hassen Männer“. Wir sagen „Nieder mit dem Patri­ar­chat“ und ihr hört „Wir hassen Männer“.

Merkt ihr eigent­lich was?

Viel­leicht ist es eine natür­liche Reak­tion: Ihr denkt, wir hassen euch genauso fest, wie ihr uns hasst. Das ist ein gigan­ti­sches Missverständnis.

Abge­sehen davon, dass es nicht „den“ Femi­nismus gibt und ich kaum für alle spre­chen kann oder will, liegt der femi­ni­sti­sche Grund­ge­danke in der Gleich­be­rech­ti­gung aller Menschen, unab­hängig davon, welches Geschlecht sie haben. Davon sind wir weit entfernt. Sich dafür tagtäg­lich im Privat‑, Lohn­ar­beits- und akti­vi­sti­schen Leben einzu­setzen, ist anstren­gend. Und ja, mit der Zeit entsteht auch Hass.

Wir hassen Unge­rech­tig­keit, wir hassen Femi­ni­zide, wir hassen sexua­li­sierte und häus­liche Gewalt, wir hassen Lohn­un­gleich­heit, wir hassen die Abwer­tung von Care-Arbeit, wir hassen Sexismus, Rassismus, Queer­feind­lich­keit und Ablei­smus. Wir hassen die gesell­schaft­li­chen Struk­turen, die all dies über­haupt ermöglichen.

Wir hassen das Konstrukt „Geschlecht“ und was die Sozia­li­sie­rung für die einzelne Person, aber auch alle rund­herum bedeutet. Wir hassen die fast salon­fä­hige Miso­gynie – der krank­hafte Hass von Männern gegen­über „Frauen“ –, gegen die wir uns tagtäg­lich wehren müssen und die ihr kaum als solche erkennt.

Viel­leicht ist es eine natür­liche Reak­tion: Ihr denkt, wir hassen euch genauso fest, wie ihr uns hasst. Das ist ein gigan­ti­sches Miss­ver­ständnis. Unsere Aktionen drücken eindeutig etwas anderes aus: Wir hassen euch nicht – wir brau­chen euch. Wir brau­chen, dass ihr euch endlich femi­ni­stisch engagiert.

Und das heisst, in einem ersten Schritt zu reflek­tieren und die eigenen Muster, Gedanken und Verhal­tens­weisen zu über­denken. Wir sind alle in einer Gesell­schaft aufge­wachsen, die weisse hetero cis Männer bevor­zugt und haben alle gewisse patri­ar­chale Struk­turen verin­ner­licht. Wir müssen uns damit ausein­an­der­setzen, sodass wir diese Struk­turen nicht einfach reproduzieren.

Dass wir über­haupt noch Anfor­de­rungen an euch stellen, zeigt, dass wir euch männ­lich sozia­li­sierten Personen nicht aufge­geben haben.

Femi­nismus stellt viel­fäl­tige Anfor­de­rungen an uns: Achte dich darauf, dass du Grenzen einhältst, wie du sprichst, wen du respek­tierst und wen nicht, wie viel Platz du im öffent­li­chen Raum einnimmst; reflek­tiere, werde aktiv, teile deine Refle­xionen, verbünde dich mit Gleich­ge­sinnten, nutze deine Privi­le­gien, um Unter­drückten eine Stimme zu geben, kämpfe gegen patri­ar­chale Struk­turen in deinem Privat- und Lohn­ar­beits­leben, et cetera, et cetera, et cetera. Und die Rück­mel­dung auf den Versuch ist oft: „Versuch’s noch mal, mach’s besser!“

Niemand hat gesagt, dass es einfach ist, diese Anfor­de­rungen zu erfüllen. Ich find’s auch nicht immer einfach. Das hat die Sache so an sich: Femi­nismus schwimmt im Patri­ar­chat gegen den Strom.

Wenn ihr jetzt also von eurer Part­nerin, eurem Freund, eine*r Arbeitskolleg*in oder einer Kolumne kriti­siert werdet und euch gesagt wird, dass ihr etwas falsch oder nicht gut genug macht, dann tut das viel­leicht ein biss­chen weh.

Wenn ihr euch dann aber umdreht und „sie hassen mich“ heult, verhaltet ihr euch nicht nur extrem kindisch, sondern verpasst die Pointe: Dass wir über­haupt noch Anfor­de­rungen an euch stellen, zeigt, dass wir euch männ­lich sozia­li­sierten Personen nicht aufge­geben haben. Das ist Liebe im weite­sten und gleich­zeitig engsten Sinn.

Was ist denn Männer­hass, fragt ihr euch?

Stellt euch folgende Situa­tion vor: Ihr plau­dert mit euren Arbeitskolleg*innen und eine davon beklagt sich über ihren Freund, weil er kaum über seine Gefühle spricht und sie unsi­cher ist, wo sie stehen. Ihre Kollegin sagt „Ach, typisch Mann, die können das einfach nicht“ und verdreht die Augen. Die Erste lacht und schon ist das Thema abgeschlossen.

Es ist extrem krän­kend, wenn einem Skills oder Charak­ter­ei­gen­schaften aufgrund des Geschlechts abge­spro­chen werden.

Oder habt ihr schon mal ein sehr über­schwäng­li­ches Lob für etwas sehr Alltäg­li­ches bekommen? Als ihr mal mit eurem Kind auf den Spiel­platz gegangen seid, eurer Familie als Teen­ager ein Znacht gekocht oder euer Grosi im Alters­heim besucht habt? Ein biss­chen so, als würde man euch das gar nicht richtig zutrauen?

Es ist extrem krän­kend, wenn einem Skills oder Charak­ter­ei­gen­schaften aufgrund des Geschlechts abge­spro­chen werden. FINTA können davon ein Lied singen. Was wir dabei vergessen, ist, dass es cis Männern auch passiert.

Einem Mann das Vater­sein, Kommu­ni­ka­ti­ons­ver­mögen oder ein reiches Gefühls­leben nicht zuzu­trauen, ist im besten Fall eine Analyse der männ­li­chen Sozia­li­sie­rung. Und im schlimm­sten Fall?

Gewisse sagen, es sind Vorur­teile. Für andere ist es eine Bewäl­ti­gungs­stra­tegie für ihre Frustra­tion, Männer bewusst nicht ernst zu nehmen und sie mit solchen Aussagen von ihrem hohen Pferd (aka ihrer Macht­po­si­tion) runter­holen zu versu­chen. Und ich finde: Das ist der wahre Männerhass.

Das tönt komisch, weil „so schlimm ist das doch nicht“. Aber in einer Gesell­schaft, in der die Macht­ba­lance zwischen den Geschlech­tern so schräg ist, äussert sich dieser Hass auf unter­schied­liche Arten. Wenn Männer FINTA hassen, nutzen sie ihre Macht aus, um FINTA zu miss­brau­chen und zu ermorden. Und wenn FINTA Männer hassen, versu­chen sie ihnen ihre Macht und damit einher­ge­hende Über­heb­lich­keit – auch nur für ein paar Sekunden – wegzunehmen.

Männ­lich sozia­li­sierte Personen sind genauso fähig zu lernen, wie sie ihre Gefühle spüren, ausleben und kommu­ni­zieren können, wie weib­lich sozia­li­sierte Personen, selbst­be­wusst Platz im öffent­li­chen Raum einzu­nehmen. Und sie sind genauso fähig, Kritik anzu­nehmen und sie umzusetzen.

Ich nehme euch, liebe Männer, extrem ernst und erwarte, dass ihr endlich euren Beitrag leistet – ihr könnt das nämlich besser. Feel the love, man.

Lohn­un­gleich­heit, unbe­zahlte Care-Arbeit, sexua­li­sierte Gewalt, aber auch der Kampf gegen toxi­sche Masku­li­nität, die Abschaf­fung der Wehr­pflicht und homo­so­ziale Gewalt sind femi­ni­sti­sche Themen – und werden als „Frau­en­sache“ abge­stem­pelt. Dadurch werden diese Themen einer­seits abge­wertet, ande­rer­seits die Verant­wor­tung für die Lösung dieser Probleme auf FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen) übertragen. 

Das ist nicht nur unlo­gisch, sondern auch unnütz: Die Ursache des Problems liegt nicht auf der Betroffenen‑, sondern auf der Täter­seite. Es sind eben Männer­sa­chen. Deshalb müssen Männer als Teil der privi­le­gierten Gruppe Verant­wor­tung über­nehmen und diese Probleme angehen.


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