Was bleibt: Der Wurst­hobel und Kopf­hörer mit Leopardenprint

Tren­nungen sind immer gruselig. Aber keine Entschei­dung zu treffen, weil es gerade ganz prak­tisch ist, jemanden zu haben, nützt ja auch nichts. 
Alles, was geblieben ist. (Foto: Nora Zukker)

Stellen Sie sich vor: Ein Paar trifft sich in einer Bar. Er will mit ihr reden. Er sei irri­tiert. Sie solle sich aber keinen Kopf machen. Sie macht sich einen Kopf und schlägt eine Bar vor, in die nicht alle fünf Minuten jemand rein­kommt, den sie kennen. Dann sitzen sie also in dieser Bar, im Hinter­grund Lift­musik (keiner ihrer Freunde hat einen derart schlechten Musik­ge­schmack) und trinken eine Apfel­schorle (es ist ernst!).

Er: Ich will mich von dir trennen.
Sie: Und ich will mich von dir trennen.

Dann verab­schieden sie sich freund­schaft­lich zuge­wandt, sind wahn­sinnig dankbar für die gemein­same Zeit und wissen, dass die Entschei­dung richtig ist. Sie werden ihren Freunden erzählen: „Wir haben uns getrennt, aber wir bleiben Freunde.“ Und dann werden sie sich irgend­wann wieder treffen. Er wird sich zuerst melden, sie will sich noch etwas eman­zi­pieren. Dann gehen sie zum Japaner, bei dem sie immer gerne waren, und erzählen sich dort aus ihren Leben mit dem Unter­schied, dass am Ende jeder zu sich nach Hause geht.

**

Kennen Sie dieses Szenario? Eben. Es gibt sie selten, diese Gleich­zei­tig­keit und den Satz „Wir haben uns getrennt“, den beide im glei­chen Moment unter­schreiben möchten. Es ist immer einer von beiden, der es macht. Auch wenn der andere erleich­tert sein mag: Es ist doch ein Unter­schied, ob man sich trennt oder ob man abge­trennt wird. Es gibt die wüste Tren­nung, die dem Tod nahe kommt:

  • Jedes Lied im Radio wurde für mich geschrieben.
  • Sie/er wird gestalkt (mehr­mals täglich, auch ihre/seine Freunde werden gestalkt),
  • das Bett­laken vakuumiert,
  • ein Altar mit Geschenken, Fotos und Post­karten gebaut.
  • Uferlos heulen (auf ihre/seine Mailbox, im Bus, an der Kasse und beim Quali-Gespräch mit dem Chef)
  • Ausführ­lich über Rück­erobe­rung nach­denken und besoffen die Rück­erobe­rung auf ihrer/seiner Mailbox lallend ankündigen
  • Fiese Belei­di­gungen in einer Sprach­nach­richt und die Rück­erobe­rung wieder zurück­ziehen und
  • am näch­sten Morgen die reumü­tige SMS – auf die dann erst mal gar nichts zurück kommt.

Gottlob, nein, an so einer Tren­nung muss ich mich zum Glück gerade nicht abar­beiten, aber vor dem Ende hatte ich immer grossen Respekt, eigent­lich während der ganze Bezie­hung. Finden Sie mich deswegen ängst­lich? Neuro­tisch? Miss­trau­isch? Nun, immerhin kommt mir jetzt entgegen, dass es nicht noch eine Über­gabe mit Klei­dern und Persön­li­chem geben muss. Er hat nach 2,5 Jahren genau eine Trai­ner­hose, ein T‑Shirt und eine ange­fan­gene Flasche Linsen­mittel von mir bei sich.

Und weil es eben nicht die oben beschrie­bene wüste Tren­nung ist, muss ich auch nicht all seine Geschenke aus der Wohnung werfen, was wirk­lich schade wäre. Ich mag sie sehr, den Kaktus, den „Zermatt“-Kühlschrankmagnet, die Apple-Kopf­hörer mit Leopar­den­print, die Post­karte, das Geschirr­tuch aus Leine mit einem Esel drauf, den Kugel­schreiber mit der Gravur „N or a“ (or für golden, ha!) und den Wurst- und Gemü­se­hobel aus Holz.

**

So, und nun schulde ich Ihnen noch etwas an Rahmen­hand­lung: Ich kam aus einer amour fou, er aus einer Schei­dung. Was will man da erwarten. Niemand wollte den anderen verletzen und keiner wollte noch­mals derart verletzt werden. Der Alters­un­ter­schied von acht­zehn Jahren war nie ein Problem – intel­lek­tu­elle Gespräche, schwere Rotweine, gutes Essen. Was freund­schaft­lich begann, verwan­delte sich in eine Paar­be­zie­hung, gerade langsam und vorsichtig genug, dass wir beide unsere Ängste etwas zur Seite schieben konnten und es dann auch richtig gut fanden, was wir zusammen hatten.

Und trotzdem waren wir in verschie­denen Lebens­ab­schnitten, sei es in Bezug auf die Arbeit, die Ausein­an­der­set­zungen mit uns selbst oder die Wünsche und Vorstel­lungen an die Bezie­hung, die sich ja erst im Zusam­men­sein hervortun.

Und so stritten wir uns öfter, er fühlte sich unter Druck gesetzt von meinen Wünschen wie „Lass uns für drei Tage wegfahren“ oder „Ich fände es schön, wenn du auch mal wieder bei mir über­nach­test“. Und dann war es entweder immer sehr gut zwischen uns, weil es vorher gar nicht gut war, oder es war gerade schwierig. Da ich nicht viele Refe­renzen hatte, dachte ich, das ist also Bezie­hung, das muss wohl so sein, drum ist’s viel­leicht auch nichts für mich längerfristig.

Und dann geht’s ganz schnell. Ein häss­li­cher Streit am Telefon. Beiden ist klar: Jetzt ist etwas zerbro­chen, jetzt sind wir unge­recht, jetzt wird es gruselig. Die SMS werden formaler, die nicht ganz ernst­ge­meinten Kose­namen verwan­deln sich zurück in Vornamen, an die wegfal­lenden Emojis will ich gar nicht denken.

Abge­sehen von Burg­lind, die es nicht möglich machte, dass wir uns nach der Tren­nung vor der Bar vernünftig umarmen konnten („Sag mal weinst du, oder…“ Ja, es war der Regen!), war es eine prag­ma­ti­sche Tren­nung. Natür­lich die eine und andere Verkür­zung des Sach­ver­haltes und eine holp­rige Argu­men­ta­ti­ons­kette – aber all in all: keine Perspek­tiven in unserem Zusam­men­sein, er wisse nicht, was er vom Leben möchte und möchte das jetzt heraus­finden, er möge mich sehr, aber sei mir nicht mit Haut und Haar verfallen. Und das Erstaun­lichste daran: Ich wusste bereits während des Tren­nungs­ge­sprächs: Das hat alles wenig mit mir zu tun. Und ich fing nicht mit der Selbst­zer­flei­schung an, von wegen ich würde nicht genügen, hätte meine Arbeit immer vor alles andere gestellt, meine Stim­mungen seien zu heftig, ich so oder so eine grosse Zumu­tung auf allen Ebenen.

Nein, ich wurde sehr still, fühlte mich schlag­artig auf mich zurück­ge­worfen und habe kurz über Mikro­dosie­rung von LSD nach­ge­dacht. Hab es dann aber sein lassen und mich an den Satz von meinem Ex-Ex-Freund erin­nert, der sagte: „Wir halten uns gegen­seitig die Hand­bremse ange­zogen.“ Zwar fuhr immer er Auto, weil ich es nicht kann, aber es hat auch zu dieser Tren­nung gepasst.

**

Ich bin sehr froh, hat er entschieden. Ich hätte es noch nicht gemacht, da hätte noch mehr passieren müssen, dass ich mich abge­wie­sener und unter­ernährter fühle. Also eigent­lich bin ich ihm gera­dezu dankbar, weil ich mich frei fühle. Natür­lich musste ich ihm dann doch noch sagen: Falls da gleich eine 50-jährige erfolg­reiche Kinder­ärztin um die Ecke biegt mit schönem Haar und ausge­gli­chener Psyche, die fein nach Nivea riecht und Leich­tig­keit und Selbst­ver­ständnis in sein Leben bringt, würde ich das gerne wissen. Er hat gelacht und gesagt, dass es viel­leicht einfa­cher wäre, gäbe es jemand neues, aber das sei ja nicht der Punkt.

Ja, das ist nicht der Punkt. Aber ich mache Punkte, oder eher Recht­ecke. Mit einem grünen Filz­stift male ich jeden Abend in meinem Filofax-Jahres­planer ein kleines Rechteck aus für jeden kontakt­losen Tag. Auch wenn ich gar nicht ernst einen Impuls unter­drücken müsste, ihm zu schreiben, weil wirk­lich alles gesagt ist. Rührend, irgendwie. Wie sich das aber mit den grünen Käst­chen verhält, wenn ich ihm zufällig begegne, was bereits vorge­kommen ist, weiss ich noch nicht recht. Die Kästen werden grün, aber es gibt eine Rand­notiz, habe ich jetzt entschieden.

Oh, und ich habe mir eine Dose Burger­stein-Hair & Nail-Tabletten gekauft. 240 Tabletten. Pro Tag soll man drei Tabletten nehmen. Wenn ich alle Tabletten gegessen habe, sind 80 Tage vorbei. Dann könnte ich ihm ja mit hirse­ge­stärktem Haar und bruch­fe­sten Nägeln schreiben, wie es ihm gehe. Ein biss­chen zwang­haft darf man schon mal sein nach so einer Erup­tion mit Veränderungscharakter.

Und wissen Sie was? Ich denke, das mit der Freund­schaft könnte in diesem spezi­ellen Fall viel­leicht eben doch irgend­wann klappen. Aber daran denke ich jetzt nicht, erst durch­lebe ich alle Phasen so einer Trennung.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 8 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 676 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Löse direkt über den Twint-Button ein Soli-Abo für CHF 60 im Jahr!

Ähnliche Artikel