„Wieso söui Gift sprütze, wes o angers geit?“

Demeter-Winzer Chri­stian Dexl setzt bei seinen Trauben auf Zuhilfe aus dem Kosmos. Dennoch geht ihm die Arbeit um seinen „Keller am See“ nicht aus. Auch, weil er auf Gift verzichtet. 
Christian Dexl gibt jeder Rebe die Zeit, die sie von ihm braucht. (Foto: Jérôme Léchot)

Um seine Reben zu stärken, hat Winzer Chri­stian Dexl einen beson­deren Ort. Wenn die Zeit reif ist, geht er dorthin und kratzt kompo­stierten Mist aus einem Kuhhorn in einen Kessel mit Wasser. Dann taucht er seine Hand in den Kessel und rührt. Wie beim Fondue in beide Rich­tungen. Eine ganze Stunde lang. „Das mache ich nicht unten im Keller, das muss schon oben geschehen, unter freiem Himmel, an meinem Verweil­plätz­chen, hoch oben in den Reben. So sollen kosmi­sche Kräfte aus dem Präparat ins Wasser über­tragen werden.” Dafür eigne sich ein Keller­ver­lies nunmal nicht. Schliess­lich braut Dexl nicht einfach einen Dünger auf Kuhmist­basis zusammen, sondern ein Demeter-Präparat, das seinen Reben kosmi­sche Kräfte einflössen soll.

Auf ganz andere Kräfte setzen die konven­tio­nel­leren unter den Winzer­kol­le­gInnen von Chri­stian Dexl. Die kommen von unten, aus einem Schrank im Keller­ver­lies. Dort lagern die geballten Kräfte der Basler Chemie. Alle zwei Wochen besprühen sie damit die Reben. Zuweilen in Mengen, die den Gewäs­sern schlecht bekommen. Im Wallis, wo noch derber gespritzt wird als am Bielersee, hat die Eidge­nös­si­sche Anstalt für Wasser­ver­sor­gung, Abwas­ser­rei­ni­gung und Gewäs­ser­schutz (EAWAG) an 110 von 365 Tagen Grenz­wert­über­schrei­tungen gemessen.

Dass die Winze­rInnen spritzen, hat seine Gründe. Die alten euro­päi­schen Rebsorten haben ein Problem, einge­schleppt aus den USA in der Mitte des 19. Jahr­hun­derts. „Echter“ und „falscher“ Mehltau heisst es. Wächst an den Blät­tern das weisse Mehl, bleiben im Herbst die Fässer leer. Damit dieser Albtraum ausbleibt, setzten die meisten Winze­rInnen chemi­sche Fungi­zide ein. Davon oft so viel, dass die Natur, aber auch die Wein­trin­ke­rInnen bedenk­liche Mengen von diesen Giften schlucken müssen.

So etwas zu tun, käme Winzer Dexl trotz Mehl­tau­ge­fahr nicht in den Sinn. Er ist Demeter-Winzer. Aus Über­zeu­gung. „Wieso söui Gift sprütze, wes ou ohni geit?“ Wir stehen in seiner steilen Wein­ter­rasse ob Ligerz. Die Aussicht auf die St. Peter­s­insel und die Alpen ist atem­be­rau­bend. Und auch sonst fällt einem das Atmen in seinem Wein­berg schwer: Die trockene Hitze der letzten Wochen ist einer feuchten Wärme gewi­chen. Bei solchem Wetter frisst sich der Mehltau beson­ders gierig in Blätter und Trauben. Aber Dexl weiss sich zu helfen. Er richtet Triebe auf und zupft Blätter um die Trauben weg. Später will er noch den Unter­wuchs mähen. Das soll ein trocke­neres Mikro­klima schaffen. Und das mag der Mehltau nicht. 

Aber der Mehltau ist stark. Stärker als die kosmi­schen Kräfte in Dexls Reben. Und stärker als das trocke­nere Mikroklima.

Deshalb setzt der Demeter-Winzer nebst diversen Pflan­zen­teelis und Molke kleine Dosen Schwefel und Kupfer ein. Und das ist der Wermuts­tropfen im Bio-Wein: Auch der Kupfer, obwohl ein natür­li­ches Element und im Bio-Landbau zulässig, ist proble­ma­tisch. Er geht zwar äusserst effi­zient gegen den falschen Mehltau vor, aber er bindet auch sehr stark an Boden­par­tikel, bleibt damit für lange Zeit im Boden einge­la­gert und reichert sich so über die Zeit an. Ab einer bestimmten Menge wird es für Pflanzen so giftig, dass sie eingehen – der Boden ist dann tot.

Dexl versucht deshalb, seinen Kupfer­ein­satz auf ein striktes Minimum zu beschränken: „Was ich hier einsetze, sind homöo­pa­thi­sche Dosen.“ Sein Ziel ist es, nur so wenig einzu­setzen, wie Boden und Pflanzen selber umsetzen können. Damit nichts im Boden akku­mu­liere. Die erlaubten Kupfer­mengen im Bio-Weinbau sind mit 3 Kilo­gramm pro Hektare ohnehin stark einge­schränkt. Kritik am Kupfer­ein­satz vonseiten konven­tio­neller Winze­rInnen lässt Dexl nicht gelten: Denn auch sie spritzten kurz vor der Ernte bis zu 1.8 Kilo­gramm Kupfer, und das erst noch auf einmal. Und zuvor über die gesamte Wachs­tums­pe­riode alle zwei Wochen synthe­ti­sche Fungizide.

Ganz ohne Kupfer könnte es mit pilz­wi­der­stän­digen Kreu­zungen gehen, soge­nannten PiWi-Sorten. Das sind neue Kreu­zungen aus tradi­ti­ons­rei­chen euro­päi­schen und pilz­re­si­stenten ameri­ka­ni­schen Reben. Von diesen neuen Kreu­zungen würde Dexl gerne einen Cabarnet-PiWi auspro­bieren. Falls er noch eine Parzelle dazu­kauft, möchte er aber zuerst einen Char­donnay anpflanzen. „Ich hänge an den schönen alten Sorten, die wir hier haben.“

Der kleinste Winzer möchte nicht grösser werden

Das Telefon klin­gelt, und Dexl muss seine Arbeit im Wein­berg unter­bre­chen. Ein Kunde steht vor seinem Keller, der direkt am See liegt, um ein paar Flaschen zu kaufen. Der Pinot noir von 2015 sei bereits ausver­kauft, muss er den Kunden enttäu­schen. Und der 2016er liege noch in den Eichen­fäs­sern. „Hätte ich ein paar Hundert Flaschen mehr im Keller, ich würde sie wohl über den Sommer auch loswerden“, sagt er mir später. Das käme ihm gelegen. Es würde ihm erlauben, sich einen Lohn auszuzahlen.

Aber dafür müsste er mehr Fläche zukaufen oder pachten. Das liege momentan nicht drin. Mit 1.5 Hektaren führt Dexl eines der klei­neren Wein­güter am Bielersee; zu tun hat er dennoch von nicht allzu früh bis reich­lich spät. Denn die biolo­gi­sche Bewirt­schaf­tung braucht Zeit. Da die Spritz­mengen stark einge­schränkt sind, darf er seine schär­feren Pülver­chen nur dann in den Sprüh­tank mischen, wenn es wirk­lich nötig ist. „Um zu wissen, wann du spritzen musst, reicht es nicht, von unten in die Reben hoch­zu­lugen. Oder die Auto­scheibe runter­zu­kur­beln, während du am Wein­berg entlang­fährst.“ Das heisst: laufen, laufen, laufen. Seine verlebten Leder­schuhe bestä­tigen: kein noch so entle­gener Rebstock kann heim­lich vor sich hinschim­meln, ohne von Dexl rasch entdeckt zu werden. Mit 10 Hektaren ginge das nicht mehr.

Aber nicht nur deshalb liegt momentan keine Vergrös­se­rung des Wein­bergs drin. Schliess­lich gibt es auch grosse Bio-Betriebe, und dort geht es auch irgendwie. Doch gerade dieses „irgendwie” möchte Dexl nicht. Er will sich die Zeit lassen, die der Wein­berg und später die gärenden Trauben von ihm brau­chen. „Es nützt nichts, wenn einer Demeter macht und sich die ganze Zeit aufregt. Wenn ich einmal spät­abends in den Reben bin und auf den See blicke, denke ich: ‚schön hesches, Dex.‘ Die ganze Harmonie muss also stimmen, nicht nur die deiner Pflanzen.”

„Ich bin kein esote­ri­scher Mensch“, fügt Dexl an, als ob er meine Skepsis ob all der harmo­ni­schen Pflanzen, Teeli und Wässer­chen mit kosmi­schen Kräften röche. „Klar frage ich mich, ob es wirk­lich an dem liegt. Als ich vor Jahren erst­mals die Reben hier anschaute, da war der Sauvi­gnon mickrig; einige Stöcke haben gar nichts Grünes hervor­ge­bracht. Und nun, knapp zwei Jahre später, ist alles viel vitaler. Stöcke, von denen ich meinte, sie seien abge­storben, haben wieder ausge­schlagen. Das hat mich echt über­rascht. Auch meine Vorgänger waren über­rascht. Sie haben mich gefragt: Was hast du gespritzt?”

Aber viel­leicht wird das dereinst gar nicht die grösste Leistung Dexls sein. Noch brau­chen seine Reben so viel von Dexls Kräften, dass er einen weiteren Rebberg nicht stemmen könnte. Gerade einen solchen aber bräuchte er, damit sich sein Weinbau in näherer Zukunft auch rechnet. Und dafür braucht er zwei zusätz­liche Hände. Aber mehr Fläche, mehr Hände — das bedeutet auch mehr Kosten. Und vor allem: Dexl könnte nicht mehr den ganzen Rebberg selber ablaufen, selber all die Blätter pflücken. Er müsste dele­gieren. Ob er das will, weiss er nicht. Viel­leicht ist das die grös­sere Heraus­for­de­rung als der Mehltau: Wird er auch künftig seine Zufrie­den­heit und die seiner Pflanzen wahren können, wenn er zu mehr Rebstöcken schauen muss?

Decla­ra­tion of inte­rests: Der Autor hat für seinen Besuch eine Flasche rassigen Chas­selas erhalten. Und er empfiehlt dir, in Ligerz vorbei­zu­schauen – oder ein paar Flaschen zu bestellen (https://www.kelleramsee.ch/weine/chasselas/), solange es noch welche hat. Nebst dem Chas­selas ist vor allem der Sauvi­gnon blanc (NZZ-Wein der Woche vom Juni 2017) eine Gaumen­weide – inklu­sive einer kleinen Überraschung.


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