Am 4. September 2014 wird bei den NSU-Prozessen in München ein ungewöhnliches Beweismittel angeführt: eine 216-seitige Novelle, die mit über 200 rassistisch-motivierten Morden weltweit in Verbindung gebracht werden kann.
Trotzdem bieten Schweizer Onlinebuchhandlungen die „Turner Diaries“ zum Verkauf an. Und kümmern sich auch um den Vertrieb des Buchs. Portofrei. „Wir freuen uns, dass Sie etwas gefunden haben, das Ihnen gefällt“ steht im Bestätigungsmail, das wir nach unserer Bestellung erhalten. In drei Wochen soll das Buch in unserem Redaktionsbriefkasten liegen, verspricht man uns.
Viele weitere rassistische und geschichtsrevisionistische Bücher sind online ebenso leicht erhältlich.
Wir haben uns in den vergangenen Wochen in der rechtsextremen Verlagsszene umgesehen. Und dabei gefragt: Warum ist es so leicht, diese Bücher in der Schweiz zu kaufen? Und wie gefährlich ist das?
Eine publizistische Parallelwelt
Jedes Jahr zur Zeit der Frankfurter Buchmesse entzündet sich in den deutschsprachigen Feuilletons eine Debatte über rechte Verlage. Ist es ok, dass sie dort einen Stand erhalten oder nicht? Sollen sie mitten in der Halle stehen oder doch lieber in einem Seitentrakt?
Im Zentrum der Debatte steht meist der Publizist Götz Kubitschek und sein rechter Antaios Verlag. Er ist fast jedes Jahr mit einem Stand vertreten und sorgt immer für Aufsehen.
Kubitschek erlangte vor allem mit seinen Auftritten bei den Pegida-Demonstrationen Berühmtheit, die FAZ bezeichnete ihn auch schon als den “geistigen Führer der neuen Rechten in der AfD”.
Sein politischer Thinktank, der eng mit dem Verlag verbunden ist und völkische Theorien verbreitet, wird vom Deutschen Verfassungsschutz seit Anfang Jahr wegen Verdacht auf antidemokratische Bestrebungen beobachtet.
Doch Kubitschek und sein Verlag sind nur die Spitze des Netzwerks neuer Rechter Buchverlage im deutschsprachigen Raum. Es tummeln sich mehr als ein Dutzend solcher Verlage auf dem Buchmarkt. Und sie werden immer sichtbarer – nicht nur auf den Buchmessen.
Wie viele rechte bis rechtsextreme Verlage es genau sind, ist schwer feststellbar: Eine Erhebung aus dem Jahr 2016 spricht von 19 Verlagen, welche die Ideologie vertreten, dass Menschen grundsätzlich ungleich sind.
“Einerseits werden Bücher der sogenannten ‚konservativen Revolution‘ aus Zeiten der Weimarer Republik wieder aufgelegt. Auf der anderen Seite beruft man sich in den Büchern auf moderne Theorien, wie den ‚Ethnopluralismus‘, wonach jeder Kultur oder ‚Ethnie‘ ein historischer Raum gehört, in dem sich diese aufhalten soll“, erklärt die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl. Sie hat sich auf die neue Rechte spezialisiert.
Die Bücher sind ein Teil der Strategie dieser rechten Bewegung. Neben Veranstaltungen, Musik und Social Media, tragen die Bücher dazu bei, dass sich deren Mitglieder immer weiter vernetzen und ihre Ideologie in die Öffentlichkeit tragen.
Literatur ist in diesem Netzwerk wichtig, weil es der Rechten den Anschein von Intellektualität verleiht, ihrer Ideologie ein pseudotheoretisches Fundament und eine Geschichte jenseits des Nationalsozialismus gibt, erklärt uns Strobl.
Zwar haben die einzelnen Verlage meist geringe Auflagen – aber sie sind stark vernetzt. Und bilden so eine Art Gegenpublizistik zum konventionellen Buchmarkt. In ihren Online-Shops finden sich immer auch Bücher anderer rechter Verlage. Der Kopp-Verlag etwa hat sich auf verschwörungsideologische und esoterische Literatur spezialisiert.
Sein Onlineauftritt richtet sich zwar an eine breite Öffentlichkeit, gleichzeitig wirbt er oft im rechtspopulistischen Compact-Magazin. Dessen Chefredakteur wiederum hat mit Götz Kubitschek zusammen die “Ein-Prozent-für-unser-Land”-Initiative gegründet, die diesen Juni vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall im Bereich Rechtsextremismus taxiert wurde.
Die Akteur:innen hinter den Verlagen treten zudem immer wieder als Redner:innen in der „Bibliothek des Konservatismus“ (BKB) in Berlin auf. Die Bibliothek ist ein Treffpunkt für die Neue Rechte. Sie bietet aber einem breiten Spektrum an Redner:innen eine Plattform: Vom ehemaligen Präsidenten des Verfassungsschutzes und AfD-Darling Hans-Georg Maassen über Autor:innen aus Götz Kubitscheks Verlag bis hin zu den Veranstalter:innen des “Marsch für das Leben” sind alle schon mal in der BKB aufgetreten.
Die Verlage werben nicht nur füreinander, sondern tauschen auch Mittel, Ressourcen und Autor:innen untereinander aus, sagt Lisa Mangold vom Aktionsbündnis „Verlage gegen rechts“. So publizieren immer wieder Autor:innen der Wochenzeitung Junge Freiheit bei rechtsextremen Verlagen. Die Junge Freiheit bezeichnet sich selbst als konservativ; Politikwissenschaftler:innen sprechen eher von einer radikal-nationalistischen Ausrichtung.
Ex Libris und Orell Füssli sind „Scharnier“
Das rechte Verlagsnetzwerk kommt einer Parallelbranche gleich. Doch oft verwenden die Verlage die normalen Vertriebswege. So werden rechtsextremistische Inhalte parallel zu nicht-extremistischen Büchern angeboten. Auf den gleichen Plattformen, bequem aus einer Hand. Diese Plattformen sind eine Art Scharnier: Sie ermöglichen den rechten Verlagen, Anschluss an den konventionellen Buchmarkt zu finden.
In der Schweiz zum Beispiel auf Ex Libris und Orell Füssli. Ausser den „Turner Diaries“ gibt es dort auch weitere rechte Bücher: SS-Glorifizierungen stehen neben historischen Romanen in der Rubrik „Geschichte“; rassentheoretische Pseudowissenschaft neben Biologiebüchern.
Wir fragen bei beiden Unternehmen nach: Warum bieten sie diese Bücher an? Angehängt an unsere Email ist eine Liste mit rund 40 rechtsextremen Büchern, die wir auf den Plattformen gefunden haben. Sie ist weit davon entfernt, eine abschliessende Liste zu sein. Zumindest die „Turner Diaries“ stehen in Deutschland auf dem Index der Prüfstelle für jugendgefährdende Medien und dürfen eigentlich weder beworben noch Jugendlichen und Kindern zugänglich gemacht werden.
Während wir auf Antworten warten, recherchieren wir weiter – und fragen uns: Gibt es in der Schweiz ein ähnliches Netzwerk?
„Nein. In der Deutschschweiz gibt es zurzeit keine rechtsextremen Buchverlage, während es in der Westschweiz aktuell zwei Buchverlage gibt”, erklärt uns Hans Stutz, Beobachter der rechtsextremen Szene. “Rechtsextremisten orientieren sich immer an ihren Sprachregionenen: Die Westschweizer an Frankreich; die Deutschweizer an Deutschland.“ Also am Netzwerk von Kubitschek und Co.
Auch die identitäre Bewegung hat in der Schweiz nie wirklich Fuss fassen können. Aber Natascha Strobl gibt zu bedenken, dass nationalstaatliche Grenzen für die Neue Rechte nie wirklich eine Rolle spielten. So kam dieses Jahr heraus, dass der Neonazi Nikolai Nerling mit der in der Schweiz gedruckten “Expresszeitung” zusammenspannt, um Spendengelder zu kassieren. Auch Neonazi-Konzerte werden regelmässig in Deutschland organisiert und in der Schweiz abgehalten. Die Ideologie der Identitären aus Deutschland und Österreich könnte also auch in der Schweiz verbreitet werden, selbst wenn sie sich hier nicht organisieren.
Naziliteratur zwischen Kochbüchern und Liebesromanen
Wenn rechte Publizisten an Buchmessen auftreten und ihre Bücher auf Onlineplattformen stellen, verfolgen sie eine “Metapolitik”, sagt Lisa Mangold. “Das Ziel ist es, den öffentlichen Diskurs mit bestimmten Bildern zu dominieren und die gesellschaftliche Meinungsbildung zu beeinflussen.“ Das passiere auch dadurch, dass diese Verlage immer leichter Anschluss an den Mainstream finden.
Wichtig ist dabei auch die Gegenreaktion. So wurden die rechten Verlage an der Frankfurter Buchmesse irgendwann in einen Seitengang verlegt. Und die Junge Freiheit wurde 2019 aus dem Sortiment der Valora-Kioske genommen. Und das nützen die Rechten aus: Schaut her, in der vermeintlich weltoffenen Buchbranche herrscht eigentlich die totale Zensur.
Diese Strategie hat funktioniert: “Inzwischen wird in deutschsprachigen Medien viel öfter die Frage aufgegriffen, ob es sich beim Widerstand gegen Rechte nicht um ‚Deplatforming‘ oder um eine Empörungskultur handle”, sagt Mangold.
Mittlerweile haben wir eine Antwort von den Pressestellen von Ex Libris und Orell Füssli erhalten. Die Mitarbeitende dort reagiert überrascht. Die „Turner Diaries“ werden umgehend entfernt, versichert uns die Pressesprecherin von Ex Libris.
Ex Libris lege aber grossen Wert auf kulturelle Vielfalt, Meinungs- und Informationsfreiheit. Deshalb verzichte der Betrieb auf die Entfernung von rund 40 weiteren rechtsextremen und antisemitischen Büchern, mit denen wir ihn konfrontiert hatten. Man halte sich aber an das Gesetz, versichert uns das Unternehmen.
Auch Orell Füssli hat das indizierte Buch aus seinem Onlinekatalog genommen und sich per E‑Mail für den Hinweis bedankt. Auch dort lege man Wert auf Meinungsfreiheit und Vielfalt und entfernt keine weiteren Bücher.
Von diesem Argument hält Lisa Mangold wenig: „Im Kapitalismus ist es kein neutraler Akt, Bücher zu verkaufen“, sagt sie. Dabei spiele es keine Rolle, ob man an den Büchertisch im Buchladen oder an das Sortiment einer Onlineplattform denkt: „Wer kulturelle Erzeugnisse verkauft, macht damit ein politisches Statement.“
Natascha Strobl ergänzt: “Dadurch, dass man die Bücher aus einer Nischensparte neben normalen Verlagen platziert, macht man sie grösser, als sie eigentlich sind.” Der Rahmen des Sagbaren verschiebe sich dadurch weiter nach rechts.
Bei Orell Füssli und Ex Libris ist auch nach unserer Konfrontation das ganze Spektrum rechter Literatur und Ideologie erhältlich. Es reicht von heldenhaften Berichten über die SS über antisemitische Verschwörungsmythen bis hin zu Literatur über rechten Aktivismus. Eingebettet zwischen Kochbüchern und Liebesromanen. Und wer ein paar Mal rechte Literatur aufgerufen hat, dem werden immer mehr Angebote für ähnliche Bücher gemacht.
Sie mochten Bücher eines französischen Alt-Right Youtubers? Vielleicht gefällt Ihnen dann auch dieses Manifest für einen weissen Nationalismus? Das ist übrigens gerade bei Ex Libris um 20 Prozent billiger und in 2–3 Werktagen lieferbar. Bald werden uns auch auf anderen Seiten wie bookdepositry.com rechtsextreme Bücher vorgeschlagen. Und munter läuft die Radikalisierungsmaschine.
Der Deutsche Verfassungsschutz warnte bereits 2012, dass rechtsextremistische Publikationen – meist mit dem originalen Werbetext – neben seriösen Literaturanbietern zu finden seien. “So erreichen entsprechende Veröffentlichungen auch einen nicht rechtsextremistisch vorgeprägten potenziellen Kundenkreis.“
Nach den „Turner Diaries“ finden wir ein weiteres Buch im Onlinekatalog von Ex Libris, das indiziert ist. Darin wird der Holocaust geleugnet, die Verbreitung ist also potenziell gleich doppelt strafbar. Und das, obwohl uns die Pressesprecherin versichert hat, dass Ex Libris regelmässig das Sortiment mit dem Index abgleiche. Wie erklärt das Unternehmen das?
Die Pressesprecherin betont auf unsere zweite Anfrage, wie schwierig es sei, den Katalog laufend mit dem sich oft aktualisierten Index abzugleichen. Der Index führe nämlich keine ISBN-Nummern auf, was es schwierig mache, die beiden Datenbanken automatisch abzugleichen – die beiden indizierten Bücher sind allerdings seit über zehn Jahren auf dem Index.
Ex Libris versichert uns, auch das zweite indizierte Buch zu entfernen. Der Grossteil der rechtsextremen Bücher, die wir gefunden haben, bleiben aber bis zu Redaktionsschluss auffind- und bestellbar. Sogar ein zweites Buch des „Turner Diaries“-Autors ist weiterhin im Sortiment.
Die Krux: Ex Libris und alle anderen Onlinehandlungen für Bücher greifen auf eine gemeinsame Datenbank zurück. Es wird auf der Seite also nicht ein kuratiertes Angebot gezeigt, wie es in einer Buchhandlung sonst der Fall wäre. Die Plattform listet alle Bücher, die theoretisch lieferbar sind. Und die wiederum kann von Verlagen – auch Selbstverlagen – mehr oder weniger frei befüllt werden.
Diese missliche Situation spielt den Rechten in die Hand. Und macht es den Onlineplattformen leicht, Schuld von sich zu weisen. Aber: Wie unsere Recherche gezeigt hat, ist es durchaus möglich, einzelne Bücher schnell von der Plattform zu entfernen. Amazon, geplagt von einer Flut von rechtsextremen Selbstpublikationen, hat zudem unlängst einige der Bücher, die wir auf Ex Libris und Orell Füssli gefunden haben, verbannt. Was über ihre Plattformen verkauft wird, liegt also in der Verantwortung der Unternehmen.
Zwar finden wir einige der Bücher auch in den Onlineshops von kleinen Buchläden in Zürich und Olten – diese greifen also auf die gleiche Datenbank zu – aber: Gemessen an den Umsatzzahlen sind Orell Füssli und Ex Libris mit Abstand die grössten Buchhändler in der Schweiz.
Trotzdem fehlen beiden Händlern scheinbar die Ressourcen oder der Wille, ihr Sortiment regelmässig zu überprüfen.
Dafür rät uns Ex Libris von einer Berichterstattung über die Bücher auf ihrer Plattform explizit ab – wir würden doch nicht noch Werbung für rechtsextreme Bücher machen wollen, oder? Ein Gespür für Ironie fehlt der Medienstelle offenbar.
Der einzige sinnvolle Umgang mit den Büchern wäre eigentlich, sie konsequent von allen Plattformen zu entfernen. Darin sich sich Strobl und Mangold einig.
Immerhin: Die “Turner Diaries” tauchen bis Redaktionsschluss nicht in unserem Briefkasten auf.
(Das Lamm hat, wann immer möglich, auf die Nennung von rechtsextremen Büchern und Verlagen verzichtet, um deren Reichweite und Sichtbarkeit nicht zu erhöhen.)
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