Wörter gegen Wölfe

Mehrere Schweizer Wolfs­rudel sollen im Dezember und Januar ausge­löscht werden. Die Presse berichtet intensiv darüber, aber in gefähr­lich beschö­ni­gender Sprache. 
Die Schweiz will zwölf ihrer 32 Wolfsrudel töten. (Foto: Unsplash / Eva Blue)

Das Bundesamt für Umwelt hat die Vernich­tung von zwölf kompletten Wolfs­ru­deln gutge­heissen, gestützt auf die neue Jagd­ver­ord­nung. Zwölf von insge­samt 32 Rudeln in der Schweiz. Der Status von Canis Lupus als geschützte Art ist damit so gut wie aufgehoben.

Der Haupt­grund: Die Wölfe könnten Schafe und Ziegen reissen, die Menschen bereits selber reissen wollen. Es geht im Wesent­li­chen darum, dass auch auf der hinter­letzten Alp noch Fleisch, Milch und Wolle produ­ziert werden müssen. „Das Schlimmste wäre, wenn Alpen wegen des Wolfs nicht mehr bewirt­schaftet werden“, meinte Bundesrat Rösti zum SRF. Eine unge­nutzte Fläche – was für ein Horror!

Auf die Schuss­frei­gabe folgte erst mal ein Chaos. In mehreren Kantonen wurde schon geschossen, da legte der Natur­schutz Beschwerde beim Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt ein. Konkret geht es um sieben der zwölf Rudel, deren Auslö­schung aus Sicht der Orga­ni­sa­tionen nicht rech­tens ist. Die Kantone Grau­bünden und Wallis stoppten daraufhin einen Teil der Erschies­sungs­ak­tionen. Die betref­fenden Rudel dürften ein Jahr sicher sein, bis die Verfahren abge­schlossen sind – natür­lich bis auf die Tiere, die bereits tot sind.

So weit der Stand bis Redak­ti­ons­schluss für diese Kolumne. Wie sich die Lage weiter entwickelt, kann man in den Leit­me­dien nach­lesen. Sie doku­men­tieren den Streit um die Wölfe recht gründ­lich. Aber es ist inter­es­sant, in welcher Sprache sie das tun.

Proak­tive Beschönigung

„Pro Natura, WWF Schweiz und Bird­life Schweiz gehen recht­lich gegen die proak­tive Wolfs­re­gu­lie­rung vor“, schrieb das SRF. Das ist doch span­nend: Tiere töten ist „proaktiv“, sie leben lassen ist „gegen etwas vorgehen“.

Von „proak­tiver Regu­lie­rung“ spra­chen auch die Enga­diner Post, die Südost­schweiz, der Walliser Bote, zentral­plus und Nau.ch, Watson, der Blick und Tamedia-Zeitungen wie der Tages-Anzeiger stellten die „proak­tive Regu­lie­rung“ zwar in Anfüh­rungs­zei­chen, kommen­tierten den Ausdruck aber nicht weiter.

Warum schreiben die alle so? Womög­lich aus Konven­tion. Übers Jagen spricht man tradi­tio­nell in einem Spezi­al­jargon. Geschossen wird zum Beispiel auf „den Wolf“, „den Hirsch“ oder noch allge­meiner „das Wild“. Man nennt also ganze Spezies oder Gruppen von Spezies – also etwas, was das Erschiessen über­lebt. Die Einzel­tiere, die ihr Leben verlieren, werden dadurch unsichtbar gemacht.

Es geht nicht nur um Euphe­mismen, sondern auch darum, wer über­haupt am Gespräch betei­ligt ist.

Und man sagt auch nicht „Erschiessen“ oder „Töten“, wie ich das tue, obwohl es sach­lich korrekt ist. Ernst­zu­neh­mende Medi­en­schaf­fende sagen nur „Abschuss“, „Erlegen“ oder „Bejagen“. Das klingt schon fast wie „Abschluss“, „Erle­digen“ und „Bear­beiten“ – etwas Schnelles, Unpro­ble­ma­ti­sches und Harm­loses. Das ist natür­lich beschö­ni­gend. Sprach­liche Camou­flage. Aber alle erwähnten Artikel schreiben so.

Eigent­lich müssten Journalist*innen fähig sein, Euphe­mismen zu durch­schauen. Es ist zum Beispiel klar, warum der Angriff Russ­lands auf die Ukraine nicht bloss eine „mili­tä­ri­sche Sonder­ope­ra­tion“ war. Wer den Jargon eines Regimes nach­plap­pert, vermit­telt seine Perspek­tive und immu­ni­siert es gegen Kritik. Gegen eine „Sonder­ope­ra­tion“ prote­stiert es sich viel schwerer als gegen einen „Angriffs­krieg“.

Auch das Voka­bular der „proak­tiven Regu­lie­rung“ haben Journalist*innen von einer poli­ti­schen Obrig­keit. Die meisten der genannten Artikel bezogen sich auf eine Medi­en­mit­tei­lung der Bündner Regie­rung, in der das Konstrukt „proak­tive Regulierung/Regulation“ alle paar Zeilen auftaucht. Auch der Bundesrat spricht von „präven­tiver Rudel­re­gu­lie­rung“. Entweder haben Journalist*innen da gedan­kenlos abge­schrieben oder sie beschö­nigen bewusst. Bedenk­lich ist beides.

Aber es geht nicht nur um Euphe­mismen, sondern auch darum, wer über­haupt am Gespräch betei­ligt ist.

Mangelnde Meinungs­viel­falt

Am 28. November 2023 veröf­fent­lichte die Gruppe Avenir Loup Lynx einen offenen Brief gegen die Erschies­sung der Schweizer Wölfe, unter­zeichnet von 158 Tier­schutz­or­ga­ni­sa­tionen. Das Ergebnis? Null Berichte. Ihre Perspek­tive inter­es­siert nicht. Das ist bei Tier­themen immer wieder ein Problem.

Zum Beispiel dürfen Zoorepräsentant*innen in regel­mäs­sigen Abständen ihre Insti­tu­tionen lobpreisen, ohne dass eine Gegen­stimme reagieren kann. „Sind Zoos für Tiere nicht einfach Frei­heits­be­rau­bung?“, fragte das SRF pseu­do­kri­tisch im August. Und liess nur den Zürcher Zoodi­rektor und seine Part­nerin spre­chen. Die NZZ titelte im Oktober: „Ein Leben im Zoo ist für Elefanten keine Qual – eher wie ein etwas lang­wei­liger Urlaub.“ Der Zoodi­rektor beant­wor­tete darin Einwände, die von allerlei Webseiten zusam­men­ge­klei­stert waren, und behielt das letzte Wort. Man spricht über Tierrechtler*innen, nicht mit ihnen.

Ebenso dürfen Metzger*innen und Bäuer*innen oft ohne Gegen­stimme übers Tier­wohl refe­rieren. Ein Klas­siker ist das Thema Hoftö­tung, in letzter Zeit zum Beispiel bei TopOn­line, in der Zürichsee-Zeitung und im Schweizer Bauer. Man könnte viel Kriti­sches über die Hoftö­tung sagen: Die Dezen­tra­li­sie­rung der Tötung macht Tier­schutz­vor­schriften unkon­trol­lierbar, der Ansatz ist ohnehin nicht skalierbar und er löst allge­mein kein Problem, das pflanz­liche Ernäh­rung nicht besser löst. Aber Kritiker*innen befragt man bei diesem Thema in aller Regel nicht.

Eigent­lich wäre die Meinungs­viel­falt sogar beson­ders wichtig, wenn es um Tiere geht. Bei anderen sozialen Themen kann man immerhin sagen: Lasst die Betrof­fenen selbst zu Wort kommen! Wenn die Betrof­fenen aber keine mensch­liche Sprache spre­chen, bleibt uns nichts anderes übrig, als verschie­dene Menschen­per­spek­tiven einzubeziehen.

Kein Mensch kann alleine für Tiere spre­chen. Erst recht keiner, der mit ihnen Geld verdient. Blöd nur, dass auch Medi­en­häuser selbst ihr Geld teil­weise mit Tieren verdienen.

Follow the money

Prak­tisch jedes private Medi­en­haus in der Schweiz schaltet spon­sored content für die Marke „Schweizer Fleisch“. Die Beiträge sind im Nach­hinein nicht immer einfach zu finden, denn im Gegen­satz zu echten Arti­keln werden sie nach einer bestimmten Zeit oft wieder offline genommen.

Immer noch online ist aber zum Beispiel „Fleisch­n­ähr­stoffe: Einwand­freie Produk­tion und Zube­rei­tung sind essen­ziell“ in der NZZ. Mit einem winzigen Vermerk: „Erstellt im Auftrag von Schweizer Fleisch.“ Nach der NZZ-Preis­liste zu schliessen, muss der Beitrag 44’100 Franken geko­stet haben. Die NZZ Bellevue schrieb auch schon „Bitte zu Tisch – das Rinder­herz wird serviert“ und machte eine „kuli­na­ri­sche Reise durch die Schweiz“, Kälber­schwanz-Ravioli inklu­sive. Alles im Auftrag der Marke „Schweizer Fleisch“.

Wir bezahlen für unsere eigene Propa­gan­di­sie­rung. Und machen dabei die Presse abhängig von Tier­in­du­strien, die sie eigent­lich kritisch betrachten müsste.

Derweil schwärmt 20 Minuten von „Essen mit Genuss und gutem Gewissen“ und titelt ein andermal: „Darum ist Schweizer Fleisch die bessere Wahl.“ Der letz­tere Beitrag verwendet lusti­ger­weise das gleiche kosten­lose Bild wie meine Weih­nachts­ko­lumne vom letzten Jahr. Im Unter­schied zu mir dürfte 20 Minuten dafür aber einen fünf­stel­ligen Betrag kassiert haben, soweit man das der etwas obskuren Preis­liste entnehmen kann.

Bei Watson ist während­dessen die Rubrik „Gute News“ voller Swiss­milk-Spam. Unge­fähr alle zwei Wochen erscheint ein neuer Artikel. Bei dieser Content-Flut gibt es womög­lich Mengen­ra­batt – norma­ler­weise kostet so ein Beitrag jeden­falls 8’500 Franken pro Stück.

Wohl­ge­merkt: Da stecken Steu­er­gelder drin. Denn die Werbung der Fleisch- und Milch­lobby wird vom Bund mit Millio­nen­be­trägen unter­stützt, wie ich schon vor einem Jahr erwähnte.

Wir bezahlen für unsere eigene Propa­gan­di­sie­rung. Und machen dabei die Presse abhängig von Tier­in­du­strien, die sie eigent­lich kritisch betrachten müsste.

Die Frage ist natür­lich, welche Inter­es­sen­bin­dung als gefähr­lich gilt, welche Meinung als rele­vant, welche Sprache als beschö­ni­gend und welche Gewalt als Gewalt.

Das Resultat ist eine koop­tierte Presse. Der Blick stellte neulich zum Beispiel den unge­bro­chen hohen Fleisch­konsum in der Schweiz als etwas Gutes dar – „trotz aller Unken­rufe“. Das hätte gerade so gut spon­sored content sein können, war es aber nicht. Es ist einfach die unkri­ti­sche Bericht­erstat­tung, die man gratis dazu­be­kommt, wenn man regel­mässig spon­sored content schaltet (im Blick zum Beispiel hier, hier und hier).

Wie kommen wir da je zu Medien, die fair über Tiere schreiben?

Gut gemeinte Richtlinien

Vermei­dung von Euphe­mismen, Meinungs­viel­falt, Unab­hän­gig­keit… Das gehört doch in die Richt­li­nien des Schweizer Presserats!

In der Tat mahnt der Pres­serat zur Unab­hän­gig­keit (9.1), zum Meinungs­plu­ra­lismus (2.2) und zur Tren­nung zwischen Fakten und Bewer­tung (2.3), die durch beschö­ni­gendes Voka­bular natür­lich verwischt wird. Eigent­lich gibt es auch die Richt­linie, dass man über Gewalt­opfer beson­ders vorsichtig schreiben sollte, um sie nicht zu degra­dieren oder weiter zu gefährden (8.3).

Die Frage ist natür­lich, welche Inter­es­sen­bin­dung als gefähr­lich gilt, welche Meinung als rele­vant, welche Sprache als beschö­ni­gend und welche Gewalt als Gewalt.

Schaut einmal zum Fenster raus, wahr­schein­lich seht ihr bald ein Tier. Sie sind die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung. Doch in der Schweizer Medi­en­land­schaft werden sie meist igno­riert. „Animal Poli­tique“ gibt Gegen­steuer. Nico Müller schreibt über Macht­sy­steme, Medien, Forschung und Lobby­ismus. Und denkt nicht, es gehe immer „nur“ um Tiere. Ihre Unter­drückung hängt oft mit der Unter­drückung von Menschen zusammen. „Animal Poli­tique“, geschrieben von Tier­ethiker Nico Müller macht das sichtbar.

Selbst der „objek­tivste“ Jour­na­lismus findet deshalb nie im Vakuum statt, sondern beruht immer auf Werten. Und die Werte vieler Medi­en­schaf­fenden besagen zurzeit, dass die Fleisch- und Milch­lobby ein unpro­ble­ma­ti­scher Geld­geber ist, dass die Meinung von Tierrechtler*innen irrele­vant ist, dass „proak­tive Regu­lie­rung“ sach­lich ist und dass die Erschies­sung von Tieren keine Gewalt ist. Da helfen die Richt­li­nien des Pres­se­rats nicht weiter.

Das ameri­ka­ni­sche Projekt „Animals and Media“ versucht es mit frei­wil­ligen Guide­lines. Zum Beispiel: „Wähle ange­mes­senes Voka­bular“, „lass auch gemein­nüt­zige Stimmen zu Wort kommen“ und „vermeide Vorein­ge­nom­men­heit“. Dazu gibt es jeweils Ausführungen. 

Es ist eine nette Idee. Mein Verein hat ähnliche Empfeh­lungen für die Schweiz erar­beitet. Nur leider werden sie genau von denen nicht ernst genommen, die sie am drin­gend­sten bräuchten. Das ist der Nach­teil der Freiwilligkeit.

Wie weiter?

Ich fürchte, die Presse wird das Problem nie von sich aus lösen. Sie wird erst dann ausge­wogen über Tiere schreiben, wenn sich Tierrechtler*innen schon einen promi­nen­teren Platz in Politik und Gesell­schaft erkämpft haben. Unab­hängig wird sie erst, wenn die Indu­strien und Lobbys nicht mehr zahlen können. Euphe­mismen für Gewalt an Tieren verschwinden erst aus den Zeitungen, wenn sie aus den Köpfen verschwinden.

In der Zwischen­zeit ist es schon ein Fort­schritt, wenn mehr Menschen bei Tier­themen kritisch mitlesen. Und sich zwischen­durch mal über die unfaire Bericht­erstat­tung beschweren, zum Beispiel mit Leser*innenbriefen oder freund­li­chen Nach­richten an den SRF-Kunden­dienst.

Diesen Winter wird das keinem Wolf das Leben retten. Aber viel­leicht hilft es unserer Gesell­schaft dabei, etwas schneller mit dem Reissen von Tieren aufzuhören.


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