Die neuen Plakatwerbungen der SBB sehen auf den ersten Blick aus wie all ihre Vorgängerinnen: glückliche Reisende, im Hintergrund das Reiseziel und davor in rot-weiss gehalten die Informationen zur angepriesenen Strecke. Nur: Dort, wo für gewöhnlich der Preis zu lesen war, steht nun eine Gewichtsangabe. Bei der Reise nach Paris steht 7.4 kg. Nach Berlin kostet es laut dem Werbeplakat 25.84 kg und die Fahrt nach Mailand preist einem das Plakat für 8.67 kg an. Die angegebene Menge steht für Kilogramm Kohlendioxid. Das Gas, das in erster Linie für die Erhitzung der Erdatmosphäre verantwortlich ist. Anstelle der Reisekosten zeigt uns das Werbeplakat also die durch die Reise verursachten Emissionen. Auf ihrer Website bewerben die SBB das Ganze mit dem Slogan „Für die nächste Generation: Europa zum Eco-Preis“.
Sieben, acht oder 25 kg – ist das nun viel oder wenig? Trage ich bereits unverhältnismässig viel zur Klimakatastrophe bei, wenn ich die 7 kg CO2 nach Paris oder die 25 Kilo nach Berlin verballere oder liegt das noch drin? Mit den bis anhin auf den Plakaten stehenden Preisen konnten wohl die meisten PassantInnen mehr anfangen als mit diesen eher abstrakten Gewichtsangaben. Würde einem das Plakat für 740 Franken eine Reise nach Paris anbieten, wäre allen klar: Das ist kein Schnäppchen. Die Zahl 7.4 kg kann aber niemand verorten. Es könnten wohl genauso gut auch 740 kg CO2 draufstehen. Niemand wüsste, ob das nun viel oder wenig ist. Noch nicht. Denn wir werden lernen müssen, mit unserem CO2-Budget zu haushalten, wenn wir der Klimakatastrophe auf individueller Ebene etwas entgegensetzen möchten.
Wie viel sind denn ein paar Kilo CO2?
Zuerst eine gute Nachricht: Wir müssen den Ausstoss von Klimagasen nicht ganz auf Null bringen. Wieso? Die Atmosphäre hat ein gewisses Neutralisierungspotenzial. Vor allem, weil Pflanzen CO2 aufnehmen und in Sauerstoff umwandeln. So verschwindet laufend ein bisschen CO2 aus der Atmosphäre. Soviel, wie die Pflanzen und andere Senken aus der Atmosphäre rauskriegen, können wir auch wieder reinpusten, ohne dass das Klima aus dem Gleichgewicht fällt. Und wie gross ist nun dieses Potenzial? Laut dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) liegt es bei 0.6 Tonnen Klimagase pro Person und Jahr.
Und was lassen wir jetzt grad so raus?
Und jetzt kommt die schlechte Nachricht: Leider sprengen wir dieses CO2-Budget momentan um das Vielfache. Durchschnittlich stossen Herr und Frau Schweizer 5.6 Tonnen pro Jahr und Person aus. Das ist viel. Viel zu viel. Fast zehnmal mehr als die Atmosphäre ertragen würde. Doch es kommt noch schlimmer. Denn diese Zahl wurde auf der Basis des sogenannten Produktionsprinzips errechnet. Sprich: Man nimmt alles, was in der Schweiz produziert wird, zählt die dabei entstehenden CO2-Emissionen zusammen und teilt sie durch die 8 Millionen Schweizerinnen und Schweizer. Nur: Diese kaufen ja bei weitem nicht nur Dinge, die im Inland hergestellt werden. All die T‑Shirts, iPhones oder Bananen, die zum Konsumieren in die Schweiz eingeführt werden, verursachen ebenfalls Klimagasemissionen. Zwar nicht in der Schweiz, aber konsumiert werden sie trotzdem von uns. Zählt man nun alle Emissionen von in der Schweiz konsumierten Gütern zusammen und teilt diese Zahl durch die 8 Millionen EinwohnerInnen, landet man bei 14 Tonnen pro SchweizerIn und Jahr. 23 Mal so viel, wie die Atmosphäre kompensieren könnte. Diese Berechnungsart nennt sich Konsumationsprinzip.
Wieviel Reisen liegt da drin?
Es bleibt dem ethischen Empfinden der Leserschaft überlassen, ob man die Erfassung via Produktions- oder Konsumationsprinzip angebrachter findet. Eines ist aber klar: Man muss keinen Doktortitel in Mathematik haben, um zu merken, dass das langfristig nicht gut gehen kann. Produktions- oder Konsumationsprinzip hin oder her. Wir alle sprengen das uns zustehende CO2-Budget massiv. Jahr für Jahr. Doch Verzicht fällt uns sichtlich schwer, und so stellt sich die Frage, wieviel Mobilität mit den 0.6 Tonnen überhaupt noch drin liegt.
Die von den SBB angepriesenen Zugfahrten scheinen reinzupassen. Fahre ich einmal nach Paris und zurück, bleiben mir immer noch 585.2 kg zum warm Duschen, Heizen, Kleider und Lebensmittel kaufe oder um mit dem Bus zur Arbeit zu fahren.
Aber bereits längere Zugfahrten fallen ganz schön ins Gewicht. Eine Reise nach Berlin und zurück verbraucht bereits einen Zwölftel des Budgets (51.6 kg von 600 kg). Um durch den Rest des Jahres zu kommen, ohne in die roten Zahlen zu rutschen, muss man sich dementsprechend Mühe geben. Vor allem, wenn man sich vor Augen hält, dass wir momentan bei 5.6 oder eben 14 Tonnen pro Jahr und Person liegen. Aber immerhin sprengt eine Zugfahrt nach Berlin das Budget noch nicht vollends.
Es kommt jedoch nicht nur auf die Länge der Zugfahrt an, sondern auch darauf, wohin man reist. Die mehr als doppelt so lange Strecke von Zürich nach Paris (650 km, 7.4 kg) verursacht nämlich weniger CO2 als die Reise ins nahegelegene italienische Mailand (280 km, 8.67 kg). Wie das? Zug ist halt nicht gleich Zug. Eine alte Diesellok ballert viel mehr Klimagase in die Luft als ein moderner, mit Ökostrom betriebener Zug. Die Klimagasemissionen pro Person und Kilometer Zugfahrt sind deshalb von Land zu Land unterschiedlich. Die Tabelle zeigt die CO2-Emissionen pro Person und Zugkilometer in verschiedenen Ländern (Zahlen von myclimate aus dem mobitool):
[g CO2-equ.] | |
Deutschland | |
Durchschnitt Regional-& Fernverkehr | 59.63 |
Hochgeschwindigkeitszug (ICE) | 49.9 |
Frankreich | |
Durchschnitt Regional-& Fernverkehr | 17.09 |
Hochgeschwindigkeitszug (TGV) | 16.94 |
Italien | |
Durchschnitt Regional-& Fernverkehr | 65.58 |
Hochgeschwindigkeitszug (Frecciarossa) | 57.03 |
Österreich | |
Durchschnitt Regional-& Fernverkehr | 21.2 |
Schweiz | |
Fernverkehr | 6.92 |
Durchschnitt Regional-& Fernverkehr | 7.32 |
Doch woher stammen die immensen Unterschiede? Vor allem von dem von Land zu Land unterschiedlich zustande kommenden Strommix. Während die Schweiz einen Grossteil des Stroms aus klimafreundlicher Wasserkraft bezieht und Frankreich nach wie vor stark auf Atomstrom setzt, entsteht in Deutschland und Italien ein grosser Teil der Elektrizität aus der kohlendioxidintensiven Verstromung von Kohle beziehungsweise Erdgas.
Na super! Jetzt wird’s auch noch kompliziert! Muss man also zusätzlich noch darauf schauen, wohin man mit dem Zug fährt, damit man sein CO2-Budget nicht überfordert? Ja, aber du kannst dir bei deiner Reiseplanung Hilfe holen. Die Website EcoPassenger rechnet dir für alle Reisen die Emissionen aus – per Flugzeug, Auto oder Zug.
Natürlich benutzt das Tool hierfür die nationalen Emissionsdaten. Zudem lassen sich die Grundeinstellungen je nach Bedarf anpassen. Beispielsweise kann man die Anzahl Personen umstellen, die im Auto mit drinsitzen und erfährt so, dass man nach Napoli zu viert im Auto etwa gleich viel Klimagase rauslässt, wie wenn man den Zug nehmen würde. Das liegt einerseits daran, dass man das Auto zu viert natürlich viel besser auslastet. Andererseits aber auch am schlechten CO2-Wert der italienischen Züge.
Und wie sieht es mit Fliegen aus?
Was einem auch schnell klar wird, wenn man ein bisschen auf ecopassenger.org rumspielt: Das Flugzeug kackt ziemlich ab. Erstaunlicherweise machen die Emissionen, die durch den Flugverkehr entstehen, weltweit betrachtet jedoch gar nicht so einen grossen Anteil aus. Man findet Zahlen zwischen zwei und fünf Prozent. Wobei die erste Zahl von AEROSUISSE, dem Dachverband der Schweizerischen Luft- und Raumfahrt, und die zweite vom WWF Schweiz stammte. Der tatsächliche Wert dürfte irgendwo dazwischen liegen.
Gar nicht so viel, könnte man auf den ersten Blick meinen. Doch der Schein trügt. Für die Schweiz liegt dieselbe Zahl nämlich bei 18%1). Wie ist das möglich? Die Antwort ist einfach: Weltweit haben laut einer Schätzung des WWF Schweiz lediglich 5% der Menschen jemals ein Flugzeug von innen gesehen. Was für uns in Mitteleuropa vollkommen alltäglich ist, hat ein Grossteil der Menschen auf dieser Welt noch nie gemacht. Und all diese Menschen ziehen die 18%, die der Flugverkehr in der Schweiz ausmacht, global gesehen auf 2–5% runter. Fliegen ist ein Luxus, den sich nur eine sehr kleine, privilegierte Schicht leisten kann. Die Klimaprobleme, die aus diesem Luxus erwachsen, werden all die anderen aber mindestens genauso hart treffen.
Wieviel kann ich denn noch fliegen?
Denn das Überschreiten der globalen Neutralisationskapazität der Atmosphäre wird Folgen haben: Dürren, Stürme, Hochwasser. Die Frage ist nun: Wie viele Flüge haben denn in einem Budget von 0.6 Tonnen pro Jahr Platz? Die Zahlen dazu findet man bei der NGO myclimate. Schnell wird klar: Flugreisen liegen eigentlich keine drin.
Langstreckenflüge nach New York oder Hongkong für zwei beziehungsweise drei Tonnen CO2 sprengen die 600 kg, die uns jährlich zur Verfügung stehen, bei weitem. Ein innereuropäischer Flug nach Hamburg für 346 kg CO2 würde zwar drin liegen, aber dass man mit den verbleibenden 254 kg durch das ganze restliche Jahr kommt inklusive Waschen, Heizen, Kleider kaufen, ist doch eher unwahrscheinlich. Zudem ist es auch einfach schade, sein Budget für eine Strecke dermassen zu belasten, für die es klimafreundliche Alternativen gäbe. Zum Beispiel die von den SBB sehr clever beworbenen Zugverbindungen.
Clevere Marketingkampagnen sind jedoch noch nicht genug
Die von den SBB lancierte Werbekampagne ist für die Sensibilität gegenüber unserem CO2-Budget sicherlich sehr förderlich. Schön wäre aber, wenn das Unternehmen, das immerhin zur Hälfte uns allen gehört, mehr für das Gemeinwohl machen würde, als lediglich Strecken, die es bereits gibt, clever zu vermarkten. Beispielsweise könnten die SBB endlich in den Wiederaufbau des Nachtnetzes investieren. Damit die nächste Generation nicht nur zum Eco-Preis nach Paris, sondern auch wieder mit dem Nachtzug nach Lissabon fahren kann.
1) Diese 18% lassen sich gar nicht so einfach berechnen, da die Emissionen aus dem Flugverkehr in den nationalen Klimagasangaben noch gar nicht mit berücksichtig worden sind. Wieso nicht? Für den Flug- und Schiffsverkehr gibt es eigenständige UNO-Behörden. Diese Behörden wollten die Regelungen für die beiden Sektoren unbedingt selber machen und nicht an das UNO-Klimarahmenabkommen delegieren. Deshalb werden die Emissionen aus der Luft- und Schifffahrt zwar erfasst, aber nur als sogenannte pro memoria-Zeile aufgeführt. Sie entsprechen den verbrauchten Flug- und Schiffstreibstoffen des jeweiligen Landes. Sprich: Bei den 5.6 Tonnen nach Produktionsprinzip sind die Emissionen aus dem Flugverkehr noch gar nicht mit drin, bei den 14 Tonnen nach Konsumationsprinzip hingegen schon. Um auch beim Produktionsprinzip eine Prozentangabe machen zu können, zählte man beim WWF die Inlandemissionen (Produktionsprinzip) mit den Emissionen zusammen, die aufgrund der in der Schweiz betankten Kerosinmenge entstehen. So kamen die 18% zustande.
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