Zahlen und Züge, Fakten und Flüge

Wie schäd­lich ist ein Flug gegen­über einer Zugreise wirk­lich? Die neue SBB-Werbe­kam­pagne bringt ein wenig Licht in den CO2-Zahlen­dschungel und macht uns deut­lich: In Zukunft werden wir lernen müssen, mit Kilo­gramm Klima­gasen zu rechnen und nicht nur mit Franken oder Euros 
Symbolbild (Foto: Ralph Hutter / Unsplash)

Die neuen Plakat­wer­bungen der SBB sehen auf den ersten Blick aus wie all ihre Vorgän­ge­rinnen: glück­liche Reisende, im Hinter­grund das Reise­ziel und davor in rot-weiss gehalten die Infor­ma­tionen zur ange­prie­senen Strecke. Nur: Dort, wo für gewöhn­lich der Preis zu lesen war, steht nun eine Gewichts­an­gabe. Bei der Reise nach Paris steht 7.4 kg. Nach Berlin kostet es laut dem Werbe­plakat 25.84 kg und die Fahrt nach Mailand preist einem das Plakat für 8.67 kg an. Die ange­ge­bene Menge steht für Kilo­gramm Kohlen­di­oxid. Das Gas, das in erster Linie für die Erhit­zung der Erdat­mo­sphäre verant­wort­lich ist. Anstelle der Reise­ko­sten zeigt uns das Werbe­plakat also die durch die Reise verur­sachten Emis­sionen. Auf ihrer Website bewerben die SBB das Ganze mit dem Slogan „Für die nächste Gene­ra­tion: Europa zum Eco-Preis“.

Die Reise nach Paris belastet die Atmosphäre mit 7.4kg CO2 (Quelle: SBB)
Die Reise nach Paris bela­stet die Atmo­sphäre mit 7.4 kg CO2. (Quelle: SBB)

Sieben, acht oder 25 kg – ist das nun viel oder wenig? Trage ich bereits unver­hält­nis­mässig viel zur Klima­ka­ta­strophe bei, wenn ich die 7 kg CO2 nach Paris oder die 25 Kilo nach Berlin verbal­lere oder liegt das noch drin? Mit den bis anhin auf den Plakaten stehenden Preisen konnten wohl die meisten Passan­tInnen mehr anfangen als mit diesen eher abstrakten Gewichts­an­gaben. Würde einem das Plakat für 740 Franken eine Reise nach Paris anbieten, wäre allen klar: Das ist kein Schnäpp­chen. Die Zahl 7.4 kg kann aber niemand verorten. Es könnten wohl genauso gut auch 740 kg CO2 drauf­stehen. Niemand wüsste, ob das nun viel oder wenig ist. Noch nicht. Denn wir werden lernen müssen, mit unserem CO2-Budget zu haus­halten, wenn wir der Klima­ka­ta­strophe auf indi­vi­du­eller Ebene etwas entge­gen­setzen möchten.

Wie viel sind denn ein paar Kilo CO2?

Zuerst eine gute Nach­richt: Wir müssen den Ausstoss von Klima­gasen nicht ganz auf Null bringen. Wieso? Die Atmo­sphäre hat ein gewisses Neutra­li­sie­rungs­po­ten­zial. Vor allem, weil Pflanzen CO2 aufnehmen und in Sauer­stoff umwan­deln. So verschwindet laufend ein biss­chen CO2 aus der Atmo­sphäre. Soviel, wie die Pflanzen und andere Senken aus der Atmo­sphäre raus­kriegen, können wir auch wieder rein­pu­sten, ohne dass das Klima aus dem Gleich­ge­wicht fällt. Und wie gross ist nun dieses Poten­zial? Laut dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) liegt es bei 0.6 Tonnen Klima­gase pro Person und Jahr.

Und was lassen wir jetzt grad so raus?

Und jetzt kommt die schlechte Nach­richt: Leider sprengen wir dieses CO2-Budget momentan um das Viel­fache. Durch­schnitt­lich stossen Herr und Frau Schweizer 5.6 Tonnen pro Jahr und Person aus. Das ist viel. Viel zu viel. Fast zehnmal mehr als die Atmo­sphäre ertragen würde. Doch es kommt noch schlimmer. Denn diese Zahl wurde auf der Basis des soge­nannten Produk­ti­ons­prin­zips errechnet. Sprich: Man nimmt alles, was in der Schweiz produ­ziert wird, zählt die dabei entste­henden CO2-Emis­sionen zusammen und teilt sie durch die 8 Millionen Schwei­ze­rinnen und Schweizer. Nur: Diese kaufen ja bei weitem nicht nur Dinge, die im Inland herge­stellt werden. All die T‑Shirts, iPhones oder Bananen, die zum Konsu­mieren in die Schweiz einge­führt werden, verur­sa­chen eben­falls Klima­gas­emis­sionen. Zwar nicht in der Schweiz, aber konsu­miert werden sie trotzdem von uns. Zählt man nun alle Emis­sionen von in der Schweiz konsu­mierten Gütern zusammen und teilt diese Zahl durch die 8 Millionen Einwoh­ne­rInnen, landet man bei 14 Tonnen pro Schwei­zerIn und Jahr. 23 Mal so viel, wie die Atmo­sphäre kompen­sieren könnte. Diese Berech­nungsart nennt sich Konsumationsprinzip.

Wieviel Reisen liegt da drin?

Es bleibt dem ethi­schen Empfinden der Leser­schaft über­lassen, ob man die Erfas­sung via Produk­tions- oder Konsu­ma­ti­ons­prinzip ange­brachter findet. Eines ist aber klar: Man muss keinen Doktor­titel in Mathe­matik haben, um zu merken, dass das lang­fri­stig nicht gut gehen kann. Produk­tions- oder Konsu­ma­ti­ons­prinzip hin oder her. Wir alle sprengen das uns zuste­hende CO2-Budget massiv. Jahr für Jahr. Doch Verzicht fällt uns sicht­lich schwer, und so stellt sich die Frage, wieviel Mobi­lität mit den 0.6 Tonnen über­haupt noch drin liegt.

Die von den SBB ange­prie­senen Zugfahrten scheinen rein­zu­passen. Fahre ich einmal nach Paris und zurück, bleiben mir immer noch 585.2 kg zum warm Duschen, Heizen, Kleider und Lebens­mittel kaufe oder um mit dem Bus zur Arbeit zu fahren.

Aber bereits längere Zugfahrten fallen ganz schön ins Gewicht. Eine Reise nach Berlin und zurück verbraucht bereits einen Zwölftel des Budgets (51.6 kg von 600 kg). Um durch den Rest des Jahres zu kommen, ohne in die roten Zahlen zu rutschen, muss man sich dementspre­chend Mühe geben. Vor allem, wenn man sich vor Augen hält, dass wir momentan bei 5.6 oder eben 14 Tonnen pro Jahr und Person liegen. Aber immerhin sprengt eine Zugfahrt nach Berlin das Budget noch nicht vollends.

Es kommt jedoch nicht nur auf die Länge der Zugfahrt an, sondern auch darauf, wohin man reist. Die mehr als doppelt so lange Strecke von Zürich nach Paris (650 km, 7.4 kg) verur­sacht nämlich weniger CO2 als die Reise ins nahe­ge­le­gene italie­ni­sche Mailand (280 km, 8.67 kg). Wie das? Zug ist halt nicht gleich Zug. Eine alte Diesellok ballert viel mehr Klima­gase in die Luft als ein moderner, mit Ökostrom betrie­bener Zug. Die Klima­gas­emis­sionen pro Person und Kilo­meter Zugfahrt sind deshalb von Land zu Land unter­schied­lich. Die Tabelle zeigt die CO2-Emis­sionen pro Person und Zugki­lo­meter in verschie­denen Ländern (Zahlen von mycli­mate aus dem mobi­tool):

  [g CO2-equ.]
Deutsch­land  
Durch­schnitt Regional-& Fernverkehr 59.63
Hoch­ge­schwin­dig­keitszug (ICE) 49.9
Frank­reich  
Durch­schnitt Regional-& Fernverkehr 17.09
Hoch­ge­schwin­dig­keitszug (TGV) 16.94
Italien  
Durch­schnitt Regional-& Fernverkehr 65.58
Hoch­ge­schwin­dig­keitszug (Freccia­rossa) 57.03
Öster­reich  
Durch­schnitt Regional-& Fernverkehr 21.2
Schweiz  
Fern­ver­kehr 6.92
Durch­schnitt Regional-& Fernverkehr 7.32

Doch woher stammen die immensen Unter­schiede? Vor allem von dem von Land zu Land unter­schied­lich zustande kommenden Strommix. Während die Schweiz einen Gross­teil des Stroms aus klima­freund­li­cher Wasser­kraft bezieht und Frank­reich nach wie vor stark auf Atom­strom setzt, entsteht in Deutsch­land und Italien ein grosser Teil der Elek­tri­zität aus der kohlen­di­oxid­in­ten­siven Verstro­mung von Kohle bezie­hungs­weise Erdgas.

Na super! Jetzt wird’s auch noch kompli­ziert! Muss man also zusätz­lich noch darauf schauen, wohin man mit dem Zug fährt, damit man sein CO2-Budget nicht über­for­dert? Ja, aber du kannst dir bei deiner Reise­pla­nung Hilfe holen. Die Website EcoPas­senger rechnet dir für alle Reisen die Emis­sionen aus – per Flug­zeug, Auto oder Zug.

Links: Zürich – Napoli mit 1.5 Personen im Auto (europäischer Durchschnitt). Rechts: Zürich – Napoli mit 4 Personen im Auto. Familien mit zwei Kindern reisen mit dem Auto also beinahe so klimafreundlich auf Napoli, wie mit dem Zug. (Screenshot www.ecopassenger.org)
Links: Zürich – Napoli mit 1.5 Personen im Auto (euro­päi­scher Durch­schnitt). Rechts: Zürich – Napoli mit 4 Personen im Auto. Fami­lien mit zwei Kindern reisen mit dem Auto also beinahe so klima­freund­lich nach Napoli wie mit dem Zug. (Screen­shot ecopassenger.org)

Natür­lich benutzt das Tool hierfür die natio­nalen Emis­si­ons­daten. Zudem lassen sich die Grund­ein­stel­lungen je nach Bedarf anpassen. Beispiels­weise kann man die Anzahl Personen umstellen, die im Auto mit drin­sitzen und erfährt so, dass man nach Napoli zu viert im Auto etwa gleich viel Klima­gase raus­lässt, wie wenn man den Zug nehmen würde. Das liegt einer­seits daran, dass man das Auto zu viert natür­lich viel besser ausla­stet. Ande­rer­seits aber auch am schlechten CO2-Wert der italie­ni­schen Züge.

Und wie sieht es mit Fliegen aus?

Was einem auch schnell klar wird, wenn man ein biss­chen auf ecopassenger.org rumspielt: Das Flug­zeug kackt ziem­lich ab. Erstaun­li­cher­weise machen die Emis­sionen, die durch den Flug­ver­kehr entstehen, welt­weit betrachtet jedoch gar nicht so einen grossen Anteil aus. Man findet Zahlen zwischen zwei und fünf Prozent. Wobei die erste Zahl von AERO­SU­ISSE, dem Dach­ver­band der Schwei­ze­ri­schen Luft- und Raum­fahrt, und die zweite vom WWF Schweiz stammte. Der tatsäch­liche Wert dürfte irgendwo dazwi­schen liegen.

Gar nicht so viel, könnte man auf den ersten Blick meinen. Doch der Schein trügt. Für die Schweiz liegt dieselbe Zahl nämlich bei 18%1). Wie ist das möglich? Die Antwort ist einfach: Welt­weit haben laut einer Schät­zung des WWF Schweiz ledig­lich 5% der Menschen jemals ein Flug­zeug von innen gesehen. Was für uns in Mittel­eu­ropa voll­kommen alltäg­lich ist, hat ein Gross­teil der Menschen auf dieser Welt noch nie gemacht. Und all diese Menschen ziehen die 18%, die der Flug­ver­kehr in der Schweiz ausmacht, global gesehen auf 2–5% runter. Fliegen ist ein Luxus, den sich nur eine sehr kleine, privi­le­gierte Schicht leisten kann. Die Klima­pro­bleme, die aus diesem Luxus erwachsen, werden all die anderen aber minde­stens genauso hart treffen.

Wieviel kann ich denn noch fliegen?

Denn das Über­schreiten der globalen Neutra­li­sa­ti­ons­ka­pa­zität der Atmo­sphäre wird Folgen haben: Dürren, Stürme, Hoch­wasser. Die Frage ist nun: Wie viele Flüge haben denn in einem Budget von 0.6 Tonnen pro Jahr Platz? Die Zahlen dazu findet man bei der NGO mycli­mate. Schnell wird klar: Flug­reisen liegen eigent­lich keine drin.

Flugreisen sprengen das eigene CO2-Budget ziemlich schnell. (Screenshots myclimate.org)
Flug­reisen sprengen das eigene CO2-Budget ziem­lich schnell. (Screen­shots myclimate.org)

Lang­strecken­flüge nach New York oder Hong­kong für zwei bezie­hungs­weise drei Tonnen CO2 sprengen die 600 kg, die uns jähr­lich zur Verfü­gung stehen, bei weitem. Ein inner­eu­ro­päi­scher Flug nach Hamburg für 346 kg CO2 würde zwar drin liegen, aber dass man mit den verblei­benden 254 kg durch das ganze rest­liche Jahr kommt inklu­sive Waschen, Heizen, Kleider kaufen, ist doch eher unwahr­schein­lich. Zudem ist es auch einfach schade, sein Budget für eine Strecke dermassen zu bela­sten, für die es klima­freund­liche Alter­na­tiven gäbe. Zum Beispiel die von den SBB sehr clever bewor­benen Zugverbindungen.

Clevere Marke­ting­kam­pa­gnen sind jedoch noch nicht genug

Die von den SBB lancierte Werbe­kam­pagne ist für die Sensi­bi­lität gegen­über unserem CO2-Budget sicher­lich sehr förder­lich. Schön wäre aber, wenn das Unter­nehmen, das immerhin zur Hälfte uns allen gehört, mehr für das Gemein­wohl machen würde, als ledig­lich Strecken, die es bereits gibt, clever zu vermarkten. Beispiels­weise könnten die SBB endlich in den Wieder­aufbau des Nacht­netzes inve­stieren. Damit die nächste Gene­ra­tion nicht nur zum Eco-Preis nach Paris, sondern auch wieder mit dem Nachtzug nach Lissabon fahren kann.

1) Diese 18% lassen sich gar nicht so einfach berechnen, da die Emis­sionen aus dem Flug­ver­kehr in den natio­nalen Klima­gas­an­gaben noch gar nicht mit berück­sichtig worden sind. Wieso nicht? Für den Flug- und Schiffs­ver­kehr gibt es eigen­stän­dige UNO-Behörden. Diese Behörden wollten die Rege­lungen für die beiden Sektoren unbe­dingt selber machen und nicht an das UNO-Klima­rah­men­ab­kommen dele­gieren. Deshalb werden die Emis­sionen aus der Luft- und Schiff­fahrt zwar erfasst, aber nur als soge­nannte pro memoria-Zeile aufge­führt. Sie entspre­chen den verbrauchten Flug- und Schiffs­treib­stoffen des jewei­ligen Landes. Sprich: Bei den 5.6 Tonnen nach Produk­ti­ons­prinzip sind die Emis­sionen aus dem Flug­ver­kehr noch gar nicht mit drin, bei den 14 Tonnen nach Konsu­ma­ti­ons­prinzip hingegen schon. Um auch beim Produk­ti­ons­prinzip eine Prozent­an­gabe machen zu können, zählte man beim WWF die Inlan­de­mis­sionen (Produk­ti­ons­prinzip) mit den Emis­sionen zusammen, die aufgrund der in der Schweiz betankten Kero­sin­menge entstehen. So kamen die 18% zustande.


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